AW: TSOY auf der Werkbank (Setting/Genre-Varianten)
Da ist ja die ShadowRun-Adaption durchaus richtungweisend.
Man muß (ganz allgemein) zwischen zwei verschiedenen Dingen unterscheiden, wenn man ein anderes Spiel portiert: Die Spielwelt selbst, und das Gefühl, das die Regeln von selbiger vermitteln. TSoY hat – wenn man sich nicht allzusehr vom Kern entfernt – einen deutlichen Fokus auf die persönlichen Umstände der Spielerfiguren: Wie stehen sie zu sich und ihrem Umfeld, insbesondere anderen Leuten.
Dieser deutliche Fokus findet sich in zwei Kernkomponenten des Spiels.
Die eine Komponente bilden die Pfade, die Motivationen (besser vielleicht: Ziele) auf der einen und Beziehungen und gesellschaftliche Verpflichtungen auf der anderen Seite beschreiben. Wenn ich weiß, welche Ziele Spielfiguren in der fraglichen Welt verfolgen, und für wen und warum sie das tun, habe ich diesen Teil der Welt abgedeckt. Die Pfade, die bei TSoY mitgeliefert werden, sind überwiegend sehr allgemein gehalten; aber man kann sich durchaus neue Namen oder spezielle Pfade für seine Portierung überlegen.
Die andere Komponente bilden die Reserven, die wiederum zwei Dinge beschreiben: Zum einen ihren Kern – also das, was ihnen Stabilität und Kraft verleiht und auf der anderen Seite ihre verwundbarste Stelle darstellt; zum anderen die Quelle für diesen Kern; der Prozess, der die Reserven wieder auffrischt. Und wenn Kraft, Instinkt und Verstand nicht den Kern einer Spielerfigur bilden sollten, dann kann man ohne Probleme drei andere Reserven wählen (wie bei der SR-Adaption: "Metal", "Mind", "Meat", im
Wiki
auch mit angepaßter Auffrischungsregelung), die ja auch die Grundlagen für die Fähigkeiten sind (zu denen später mehr).
Pfade und Reserven legen fest, wofür, für wen und warum man kämpft und was dabei auf dem Spiel steht.
Das ist aber nicht alles, häufig geht es ja darum, spezielle Eigenheiten der Welt nachzubilden. Das macht man am Besten mit (kulturellen) Fähigkeiten und Gaben.
TSoY ca. 70 Fähigkeiten, davon sind 28 allgemein, 8 für magische Traditionen, 4 für die Spezies, und der Rest ist unregelmäßig auf die Kulturen verteilt.
Fähigkeiten sind die Werkzeuge, mit denen Spielfiguren bei TSoY Konflikte austragen (Gaben und Reserven helfen dabei auch; aber sie sind nicht dazu geeignet, einen Konflikt ohne Anwendung von Fähigkeiten zu gewinnen oder zu vermeiden).
Die allgemeinen Fähigkeiten sind in 7 Kategorien zu je 4 Fähigkeiten unterteilt. Kombiniert man zwei dieser Kategorien, hat man in etwa das Gegenstück zu einer Charakterklasse – Freiland+Priesterlich ergibt einen Druiden; Sozial+Verboten einen Barden oder Schurken; Verboten+Handwerklich einen Dieb; Kriegerisch+Priesterlich einen Kleriker etc. Wenn man also so etwas wie Archetypen will, überlegt man sich ebensolche Gruppierungen. Übrigens ist man überhaupt nicht verpflichtet, sich in den Grenzen dieser Gruppierungen zu bewegen. Die meisten Fähigkeiten sind aber so allgemein, dass sie sich mit anderen überschneiden. Mit "Infanterie" (kulturelle Kampffähigkeit der Maldorianer) kann man erstmal genausogut kämpfen wie mit "Duellieren" (soziale Fähigkeit) – die Unterschiede ergeben sich im Spielgeschehen dann aber deutlich.
Die kulturellen, Spezies-eigenen und magischen Fähigkeiten runden dieses Potpourri dann noch ab. Bei den kulturellen Fähigkeiten findet man bei TSoY eigentlich immer eine Kampffähigkeit und eine Fähigkeit zur Ressourcenbeschaffung; sie beschreiben also zum Beispiel: Wie kämpfen die Maldorianer, und wie überleben sie?
Fähigkeiten sollten also folgende Eigenschaften haben: Ein weites Feld abdecken, im Kern klar unterscheidbar von anderen sein (z.B. Raufen vs. Bambuskrieger), und in gewissen Kombinationen Archetypen aufspannen. Kulturelle Fähigkeiten sollten Rückschlüsse auf die Lebensweise der Kultur zulassen; deswegen haben zum Beispiel die Zaru mit die meisten kulturellen Fähigkeiten – sie sind die älteste Kultur und haben neben einer reichen Tradition auch ihre neue Rolle als Sklaven mit zu tragen.
Gaben sind der richtige Ort für alles, was einen "üblichen" Charakter modifiziert: Das einfachste Beispiel dafür kann eine Magiebegabung (Gabe von Zu) oder eine besondere Kampftechnik (Gabe der blitzenden Klinge) sein. Gaben können die Funktionsweise oder das Einsatzgebiet von Fähigkeiten verändern (die ganze Qek'sche Geistermagie setzt auf weltliche Fähigkeiten und durch die Gabe des Bann-Rituals kann man über die Fähigkeit Duellieren Geister vertreiben. Vielle 'Gimmicks' aus anderen Welten lassen sich durch die Gabe der Verbesserung (beliebig viele Punkte aus Metal ausgeben – Taktik-Modul), und die Gabe der Verstärkung (+1 auf Schaden im Fernkampf – Neurolink) abbilden. Wenn man ihnen dann noch hübschere Namen gibt, trägt man das Setting gleich wieder mit in die Regeln.
Fähigkeiten beschreiben wie Konflikte in der Welt ausgetragen werden, und Gaben stehen für die Tricks und Taktiken, die dabei angewendet werden.
Soviel zur Theorie. Meine Empfehlung für eine praktische Adaption: Macht Euch im Vornherein nicht allzu viele Gedanken. Genauso wie Nah nur grob skizziert ist und auf eine Ausgestaltung im Spiel baut, sollte eine Konversion im Geist einer übergeordneten Sicht auf die Spielwelt folgen und sich nicht in Details verlieren. Die kann man im Spiel ausarbeiten, wenn es soweit ist. TSoY hat klare Grenzen, wenn es um eine detailreiche, verschnörkelte Ausgestaltung der Welt über die Regeln geht; wenn man sich zu sehr in Einzelheiten versteigt, macht man sich unglücklich.