AW: To go for a walk
'Du brauchst Blut' hatte sie gesagt.
Genau das war es, was ihm sein Körper in diesem Moment zu sagen versuchte...
Es war verführerisch, Timo verspührte in sich diese seltsame Macht, wie er es vorher manchmal ausgemalt hatte, wenn er in seiner Fantasie spielte.
Was wollte so ein Mensch denn da schon ausrichten können?
<Stop> Er hatte sich gerade bildlich vorgestellt einen dieser Menschen zu niederzureißen und ihm seine Fänge in die Kehle zu schlagen.
Nicht nur, dass dies hier wohl äußerst dumm wäre, es war auch etwas, was er selbst als absolut abartig und widerwärtig empfand.
Seine Fänge...
Er war heute nicht in der Schule gewesen, wie auch, er war ja erst gegen 9 im Keller des Hauses seiner Mutter aufgewacht. Er hatte auch probiert etwas essbares zu sich zu nehmen, nur um es Sekunden später wieder hervorzuwürgen.
Dann hatte er sich mit Johanna verabredet. Er musste mit jemandem reden, und wenn es jemanden gab, mit dem er jetzt einigermaßen vernünftig reden konnte, so die Bezeichnung 'vernünftig' überhaupt noch zu gebrauchen war, dann war sie es.
Er war losgelaufen um sich mit ihr beim Einkaufszentrum zu treffen. Er sah immer mehr Dinge, die er sich früher manchmal absichtlich vorgestellt hatte. Es hatte Spaß gemacht der unfreundlichen alten Oma einen kleinen Goblin auf den Kopf zu denken, aber nicht, wenn er es sich nicht erdachte, sondern es einfach so da war.
Er kam sich auch vor, als würde er ständig neben einer dunklen Gasse laufen. Wenn er sich der Seite zuwandte, war dort das Haus oder die Mauer, die dort sein sollte. Etwas stimmte ganz definitiv nicht mit ihm, mal ganz abgesehen davon, dass er ziemlich sicher ein Verlangen nach Blut in sich trug und in der Lage war seine Zähne zu wahren Fängen zu machen. Er hatte mit seiner Digitalkamera ein Foto davon gemacht, nur um ganz sicher zu sein, dass er sie sich nicht auch einbildete, auch wenn dies dann nur ein halbherziger 'Beweis' sein sollte. Anschließend löschte er es, denn dies gehörte ganz sicher zu den Dingen, die niemand, insbesondere nicht seine passionierte Kirchgängerin Mutter sehen sollte.
<Ok, ganz ruhig. Diese Gasse kann nicht da sein, und selbst wenn sie da ist, ist es auch nur eine leere Gasse.>
Er sah den an ihm vorbeiziehenden Leuten in die Augen, vielleicht sahen sie ja auch eine unheimliche Gasse neben sich.
Was für ein Schwachsinn.
Er zog seinen Kopf tiefer in seine Jacke,steckte seine Hände in die Jackentaschen und drehte mit dem rechten Daumen nervös am dem Ring, den
sie ihm hinterlassen hatte. Er hatte nicht einmal gesehen, dass das, was
sie ihm hinterlassen hatte, dieser Ring war, er wusste es einfach, ohne, dass es so etwas wie eine starke Vermutung war.
Er beschleunigte seinen Schritt.
Am Einkaufzentrum angekommen, wartete er in dem kleinen Eiscafé auf Johanna.
Als sie kam, setzte er sich mit ihrganz nach hinten, wo er sich sicher war, dass niemand ihr Gespräch belauschen konnte.
Sie fragte, wo er heute war, er antwortete dass er den Tag im Keller verschlafen hatte.
Sie fragte, was er habe, er sähe leicht kreidig aus und fühle sich irgendwie unterkühlt an.
Er schmunzelte etwas. Warum schmunzelte er? Es klang auf einmal irgendwie belustigend, er, ein Vampir.
Er wurde wieder ernst, senkte seine Stimme.
"Johanna, ich - es hört sich lächerlich an - bin ein Vampir..."
Sie sah ihm in die Augen, seine Stimme klang zu ernst um diese Worte für so etwas wie einen Scherz zu halten. Sie sah ihm in die Augen und er sah in ihren, dass sie sich sicher nicht nur Sorgen um ihn, sondern auch um seinen Verstand machte. Er hatte so etwas manchmal, ja, aber dies war nun wirklich sehr dick aufgetragen.
Er wusste, dass sie ihn jetzt für voll nehmen würde, sie wusste schon immer ziemlich gut, ob er log oder sich etwas ausdachte. Das was er nun sagen würde, würde ihn als hoffnungslos Verrückt abstempeln, wenn es nicht ansatzweise glaubwürdig in die Realität passte. Er wusste, dass sie wusste, dass er es wusste und das Rad seiner Gedanken ratterte weiter, während das Fantasiegetier vor seinen Augen von ihr zurück wich, als hätte sie eine schlimme Krankheit.
-"Warum isst du dein Eis nicht?" Sie lenkte ganz bewusst ab.
"Ich kann nicht. Ich würde es wieder hervor würgen... Ich habe vorhin probiert etwas zu essen, und das was ich wieder ausgekotzt hab, war mehr Asche und Blut, als das, was ich gegessen hatte..."
Er musste jetzt reden. Er erzählte ihr, was vorgefallen war, von der hübschen, verrückten Frau mit den glühenden Augen, von der Verwechslung die ihr offensichtlicher Wahnsinn ihr vorgegaukelt haben musste, dass sie ihn für einen 'Migal' hielt. Er hatte geplant, wie er dies sagen wollte, aber es hörte sich auf einmal alles so fantastisch an.
Er drehte abseits seiner Gedanken wieder an seinem Ring.
Es klang -nicht- glaubwürdig, was er da sagte.
-"Du musst dir echt irgendetwas eingefangen haben. Das ist nicht normal, deine Temperatur ist im Keller, du bist total bleich, du redest mehr wirres Zeug als sonst und glaubst es auch noch. Du hast sehr lang geschlafen." Sie klang anklagend und wirklich besorgt.
Er hatte alles gesagt, sie hatte alles gegessen.
-"Ich glaube, ich sollte dich zum Arzt bringen, echt."
Sie stand auf und nahm seine Hand. Sie hatte Recht.
Sie gingen zusammen aus dem Einkaufszentrum, es war inzwischen beinahe 11 Uhr, sie legte ein hastiges Tempo vor.
Er drehte wieder am Ring.
<Der Ring!> auf einmal sah Timo wieder diese dunkle Gasse in seinem Augenwinkel. <Die Fänge!> Er drehte den Kopf, diesmal war sie wirklich dort.
Er zog Johanna einige Meter in die Gasse, er müsse ihr noch etwas sagen.
Er zeigte ihr den Ring, den er seit gestern am Finger trug. Sie sah ihn, er war echt. Aber das musste nichts heißen.
"Bitte erschrieck jetzt nicht, ich tue dir nichts."
Erwartungsvoll sah sie ihn mit leichter Angst in den Augen an.
Er fletschte seine Zähne, seine Fänge wuchsen, während sein Kiefer leicht knackte. Sie sah mit großen Augen in seinen Mund. Vielleicht, sah sie da keine Fänge, vielleicht lag es blos an der seltsamen Geste.
-"Shit..."
Sie sah die Fänge, ganz sicher...
Er schloss den Mund und nahm sie in den Arm. Er nahm sie sonst nie in den Arm, außer wenn er sie begrüßte, oder verabschiedete.
Er drückte sie an sich, er brauchte jetzt ihre Wärme, sie musste nun endlich verstanden haben. Er roch ihr süßes Parfüm und er roch noch etwas.
Er wusste was und diesmal fühlte es sich nicht an, als könnte er widerstehen.
Er befand sich in einem Moment der geistigen Schwäche, er wollte seinen Kopf jetzt nicht anstrengen, aber DAS wollte er jetzt sicher nicht. Er konnte sich nicht mehr davon abhalten, seine Gedanken waren viel zu sehr am Boden, als dass sie sich nun noch hätten dazu aufraffen können.
Ein Knurren durchdrang die Gasse, bevor er seine Zähne in ihren Hals schlug.
<Das müssen sie auf der Straße gehört haben!><Stop, ich will nicht!><
Es schmeckt guuut!><ICH WILL NICHT! NICHT SIE! NICHT SIE AUCH!>
Er riss sich von ihr los, er sah wie ein älteres Ehepaar ihn in seiner 'Verflucht!-Ertappt!'-Haltung musterten. Er sah noch einmal auf Johanna, die mit einem skurriler Weise zufriedenen Gesicht leicht eingesunken an die Wand gelehnt stand. Sie musste es überleben, er konnte nicht viel getrunken haben, er durfte nicht. Hastig nahm er ihren Schal, den sie locker unter der Jacke trug und probierte die Wunde einigermaßen zu verbinden. Der Opa kam näher, rief energisch "Sie da!". Er musste fertig werden. Er musste weg. <SCHEISSESCHEISSESCHEISSESCHEISSE> Der Opa griff nach seiner Schulter und wollte ihn umdrehen, er wehrte ihn ab, versuchte sein Gesicht nicht zu zeigen, was wohl nur mäßig erfolgreich sein konnte. <Fertig...> es klang wenig erleichternd in seinem Kopf...
"Verzieh dich Alter!" das war sehr harsch und er tat es nur, weil er weg musste. Er schupste den Greis bei Seite, warf ihn um, und rannte an seiner empörten Frau vorbei aus der Gasse.
Er musste nachdenken, ganz dringend nachdenken. Irgendwo, wo ihn keiner finden konnte, den er kannte. Eine Parkbank wäre jetzt genau das richtige.
Wenn er schon rannte, konnte er auch zum Stadtpark rennen.
Er fand es irgendwie lustig, dass er nur bist zum Parkeingang rannte und noch lustiger, dass er von da aus so ruhig zu einer Parkbank ging. Er lachte ein bisschen vor sich hin, setzte sich und lachte noch ein bisschen weiter, während er verzweifelt probierte siene Gedanken zu ordnen.
Out of Character
Die Wunde vom Biss ist nicht zugeleckt worden. Und um, ich hoffe es gibt da sowas wie nen Eiscafé... ^^;;