Rezension Thrilling Tales (Savage Worlds Edition) [Team-Rezi]

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Thrilling Tales


Savage Worlds Settingband [Team-Rezi]


Manchmal rezensiert man Sachen, da weiss man nach dem Lesen sofort wo der Zug beim Schreiben hingeht. Und manchmal ist das anders. Thrilling Tales, das neueste Produkt von Adamant Entertainment zu Savage Worlds ist so eine Geschichte. Einerseits hat es mir beim Lesen wirklich gut gefallen, beantwortet viele Fragen die die bisher nicht grade kleine Menge an Savage Worlds Produkten zum Thema Pulp unbeantwortet gelassen hat und bietet interessante Inhalte. Andererseits ist es eines der am schlechtesten lektorierten Bücher zu SW die ich bisher gelesen habe.

In der Vergangenheit hat Adamant Entertainment eine ganze Reihe von PDF Publikationen zum Thema Pulp für das D20 Modern System herausgebracht. In einem Schritt die eigene Präsenz im Bereich Savage Worlds zu erweitern ist jetzt mit „Thrilling Tales“ (TT) eine überarbeitete Sammlung etlicher dieser Texte für Savage Worlds erschienen.

Und was da erschienen ist, kann sich allein vom Umfang her schon durchaus sehen lassen: 256 Seiten für knapp 15 $ muss man erstmal toppen. Fangen wir einfach mal mit den Äusserlichkeiten an. Das Artwork ist durchwachsen, von Bildern in Coverqualität (die womöglich sogar Original aus der Zeit sein mögen) über brauchbare schwarz-weiss Illustrationen im Stile der 30er und vierziger bis hin zu modernem Comicstil ist so ziemlich alles vertreten, was man sich so vorstellen kann. Die Qualität innerhalb dieser Sparten deckt auch so ziemlich alles von begabter Amateur bis ehemaliges Cover ab. Ich finde sie weitgehend stimmig und für meinen Geschmack reicht das eigentlich. Das Layout ist SW-üblich zweispaltig gehalten. Da mir zur Rezension das PDF vorliegt, kann ich über den Druck und die Bindung wenig sagen. Positiv zu erwähnen ist, dass wie auch schon bei anderen Produkten vom gleichen Verlag Volltext-PDF funktionen verfügbar sind. D.h. man kann Text nach Bedarf herauskopieren, ebenso Grafiken. Ansonsten vermisst man aufgrund des durchgehend grauen Hintergrunds eine druckerfreundliche Version schmerzlich . Wer nicht wie ich die Möglichkeit hat auf einem Laserdrucker kostengünstig zu drucken, mag ob der Extratinte für dieses Feature schlucken. Ansonsten sind die Seiten etwas kleiner als Letter format gesetzt – d.h. mit einem breiten weissen Rand wird man leben müssen. Da wäre eine Nachbesserung also aus gleich zwei Gründen nett.

Doch kommen wir zum eigentlichen Inhalt. Thrilling Tales teilt sich insgesamt in gleich 11 Kapitel auf. Im Gegensatz zu „üblichen“ Settingbänden ist der Aufbau in sofern anders, als dass nicht direkt ein Setting vorliegt sondern eher eine Artikelsammlung zu Pulp in SW. Wie immer kommen die Kapitel die Spieler unbedenklich lesen können am Anfang während die Spielleiterinformationen sich eher in den hinteren Kapiteln finden.

Kapitel 1: „Pulp Adventure“ stellt in meinen Augen bisher die beste und vollständigste Einführung in die Materie dar, die ich in einem Rollenspielbuch bisher gelesen habe. Der Autor (ich nehme mal an Gareth-Michael Skarka – Hinweise fehlen leider) geht angenehm kurz aber detailliert auf die Geschichte sowie Subgenres der Pulpmagazine ein. Vieles davon haben wir als Rollenspieler schon gesehen, aber einiges war zumindest für mich neu.

Kapitel 2 ist eine kurze Zeitlinie der dreissiger Jahre, in denen auf die „wichtigsten“ Ereignisse des Jahrzehnts in aller Kürze eingegangen wird. Naturgemäß muss bei einer Länge von 5 Seiten sehr vieles draussen bleiben. Allerdings gelingt es dem Autor neben den unvermeidbaren Themen (Machtergreifung, Kriegsbeginn...) vor allem kleine Ereignisse, die sich als Storyaufhänger eignen könnten, herauszustellen.

Kapitel 3Characters“ geht dann ans eingemachte: Auf knapp 50 Seiten werden nicht nur 18 Charakterkonzepte vom Ace Reporter bis zum Rocket Ranger detailliert und mit einer kurzen Geschichte beschrieben, wir bekommen auch einige Vorschläge wie man eine Truppe on Pulp Helden ähnlich zusammenstellen kann wie in den klassischen Geschichten. Interessant ist, zu erwähnen, dass generell erfahrene Helden empfohlen werden. Je nach Anzahl der Charaktere sollte man als Seasoned oder gar Veteranen anfangen – klingt etwas extrem, macht aber Sinn wenn man sich den Kompetenzgrad üblicher Pulphelden einmal vor Augen hält. Leider muss ich sagen, dass in diesem Kapitel das schwache Lektorat erstmals deutlich geworden ist – bei einigen Charakterkonzepten steht immer noch die Einteilung als „advanced class“ dabei. Das entwertet sicher nicht den Text, ich habe auch nicht wirklich was gegen Recycling – aber bitte: Besser überarbeiten...

Das Kapitel wird abgerundet mit 5 neuen Hindrances und 18 neuen Edges, von denen allerdings einige eigentlich nicht wirklich für SCs gedacht sind. Die hätte man vielleicht besser als neue Monsterfähigkeiten eingebaut. Der Rest reflektiert einige Aspekte die in der SWEX noch nicht wirklich abgedeckt sind. Ich finds im Großen und Ganzen gelungen.

In Kapitel 4Equipment“ gibts dann für knapp 20 Seiten erstmal einiges zu sehen: Savage Worlds braucht ja in der Regel keine ewig langen Ausrüstungslisten, und die glücklichen unter uns, die noch eine Revised (oder jetzt auch Gentlemans Edition) ihr eigen nennen, haben ja eigentlich fast alles was man braucht in den Grundregeln. Was aber zumindest mir fast immer fehlt sind Bilder – wie sieht diese Pistole aus, wie jenes Gewehr – was ist der Unterschied zwischen zwei Autos. Hier macht Thrilling Tales einen guten Job. Sicher, Statblöcke sind hilfreich, aber ein Bild sagt mehr als tausend Worte. Das einzige was ich mir hier wünschen würde wäre schlicht mehr.

Kapitel 5 stellt spezielle Settingregeln für Pulpabenteuer vor. Ganz wichtig – und deswegen auch gleich am Anfang steht mit Heroic Survival eine modifizierte Incapacitation table. Pulphelden verlieren in der Regel keine Gliedmassen und überleben einfach deutlich länger – die Schurken ja sowieso. Erwähnenswert sind an sonsten noch die bereits aus Savage Mars bekannten Stuntregeln (Stunts als Quelle für Extrabennies) sowie die Verwendung von Mooks (fallen schon nach einem Shaken Result) als schwächere Extras und Henchmen (Extras mit Wild Die) um die Ränge der Gegner etwas diverser zu gestalten. Mit Story Declaration bekommen Spieler eine neue Einsatzmöglichkeit für Bennies an die Hand: Für einen Bennie kann ein Spieler begrenzte Erzählerrechte erwerben: Er hat zufällig eine Schaufel in der Tasche, ein alter Freund ist praktischerweise grade in der Stadt etc. Eine Idee, die bei einem erzählmächtigen Genre wie Pulp durchaus ihren Charme hat.

Pulp-Villains sind der Gegenstand von Kapitel 6: Was wäre Pulp ohne seine schillernden Schurken, fiesen Verbrecher, intriganten Masterminds und verschwörerischen Genies. Diese Kapitel stellt uns vier klassische Erzschurken vor: Zunächst einmal Dr. Sin, den Teufel von Chinatown, einen Dr. Fu Manchu Verschnitt der die Gefahr aus dem Osten plastisch werden lässt. Dann den „Master of the World“ den Herrscher über ein weltweites Verbrechenssyndikat mit Sitz im Himalaya. Mit Vincent Pentangeli folgt ein klassischer Mobster aus dem Amerika der Prohibition und schließlich haben wir noch Otto von Übel, einen deutschen Adeligen, der so gar nicht das ist, was er zu sein scheint. Jeder der NPCs wird kurz mit Werten und Plothooks vorgestellt und hilft dabei, sich ein Bild davon zu machen was man den Spielercharakteren entgegensetzen kann.

Die Kapitel 7 bis 9 werde ich gemeinsam abhandeln. Jedes einzelne nimmt jeweils eine einzelne Fraktion von typischen Pulp-Schurken genauer unter die Lupe, beleuchtet sowohl die historischen Fakten als auch die mit ihnen verknüpften Mythen und Märchen und präsentiert mehrere Ansätze wie sie in eine Pulpkampagne integriert werden können bzw. zu deren Gegenstand gemacht werden.

Den Anfang – wie könnte es auch anders sein – machen natürlich die Nazis. Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen (die geneigte Leserschaft hat das oft genug in der Schule gehabt): Der Autor geht relativ gut und detailliert auf die Geschichte der Nationalsozialisten und ihres Führers ein und bietet damit einen für ein englisches Rollenspielprodukt weit überdurchschnittlichen Überblick über die deutsche Geschichte der 30er. Wem da noch nicht genug Pulp drin ist, bekommt eine Auflistung typischer Pulp Nazis NSCs (inclusive dem Ahnenerbe Sorceror, dem verrückten Wissenschaftler und der Nazi-Dominatrix die wir alle seit Hellboy so lieben...). Weiter geht es mit Plot-Ideen rund um Nazis in Pulp – dabei kommt auch das Problem zur Sprache, dass nunmal der zweite Weltkrieg nach dem Ende der Pulp-Ära liegt und dass man Nazis daher eigentlich besser als Spione bzw. verdeckt operierend einsetzen kann. Auch diverse Hinweise auf den Nazi-Hang zum Occultismus dürfen hier natürlich nicht fehlen so wie ein paar Plothooks dazu. Allerdings wäre auch hier eine deutsche Rechtschreibkorrektur (die Hindenberg, die Wewelsberg etc.) hilfreich gewesen – Burg und Berg mögen im Englischen gleich klingen – es sind unterschiedliche Wörter, wirklich.

Das nächste Kapitel ist dann den Thugee gewidmet, einer indischen Geheimgesellschaft, die wohl das Modell schlechthin für die Moderne Idee von geheimen Kulten sein dürften. Die Thugee operierten für Jahrhunderte im Geheimen, überfielen und plünderten Reisende, immer im Dienste ihrer düsteren Gottheit, Kali, und verschwanden auf nimmerwiedersehen wenn sie fertig waren. Das erstaunliche daran ist, dass die Mitglieder dieses Kultes alle ganz normale Männer waren. Das ganze Jahr über lebten sie in ihren Gemeinden, gingen einer geregelten Arbeit nach und versorgten ihre Familien, aber ein paar Monate im Jahre „arbeiteten“ sie auf Wanderschaft. Immer weit weg von daheim schlossen sie sich Gruppen von Gleichgesinnten an, überfielen Reisende und Karawanen, töteten immer alle bis auf den letzten Mann und verkauften die Beute wieder woanders. Ihr Markenzeichen waren dabei die gelben Seidenschals, mit denen sie ihre Opfer, immer in Überzahl, erdrosselten. Im Laufe der Jahrhunderte sammelte der Kult so unermessliche Reichtümer. Könige und Fürsten zitterten vor ihnen oder waren finanziell von ihnen abhängig. Die Mitgliedschaft blieb dabei in der Familie: Der Vater führte seinen Sohn in der Regel vor dessen Volljährigkeit in den Kult ein. Blut ist dicker als Wasser und so blieben die Geheimnisse lange gewahrt. Der Spuk endete erst im 19. Jahrhundert als die Briten die Thugee in einer 20 Jahre dauernden Polizeikampagne ausrotteten... oder? Neben dem historischen Abriss bietet dieses Kapitel wieder eine Reihe von NSCs mit Werten sowie drei mehr oder weniger phantastische Varianten wie die Thugee bis zur Pulp Ära überdauert haben könnten und wie sie dementsprechend in eine Kampagne eingebaut werden können. Interessant war dabei vor allem die Variante in der die Thugee von einem Betrüger quasi im Alleingang neu aufgebaut werden, der die alten Strukturen und Riten nutzt um Nachfahren echter Thugee dazu zu bringen für ihn zu stehlen und zu morden.

Das letzte der drei Themen beschäftigt sich dann mit der berühmten „Bedrohung aus dem Osten“. Asien war für die meisten Zeitgenossen der Pulp-Ära einfach nur ein ferner mystischer Platz – und die dunklen Kräfte der Menschen aus Fernost daher ein beliebtes Thema. Im Gegensatz zu den beiden Vorgängern steht hier weniger eine reale Organisation im Vordergrund als ein typisches Pulp Klischee. Es gelingt dem Autor dabei recht gut die Hintergründe dieses Klischees zu erforschen, als auch Beispiele aufzuzeigen, vom plumpen Rassismus mit dem die üblichen Pulpchinesen dargestellt werden bis hin zu den deutlich differenzierteren Charakteren wie Dr. Fu Manchu, der in vielen Fällen nur die gleiche Gewalt die von westlichen Kolonialmächten in Asian verübt wurde an den Menschen des Westens verüben will. Genretypisch liegt hierbei der Fokus natürlich mehr auf einem starken zentralen Schurken und dessen exotischen Helfern und Todesfallen. Dementsprechend werden hier auch mehr NSC und Bedrohungen vorgestellt als konkrete Handlungsvorschläge. Und wer wollte nicht schon immer mit mongolischen Kriegern, Ninjas und Yetis auf seine Spieler losgehen?

Der Abenteuergenerator in Kapitel 10 ist die logische Konsequenz aus dem bisher Vorgestellten. Basierend auf der Formel die Lester Dent, der Vater von Doc Savage, einst für gute Pulpgeschichten entwickelte, stellt dieser Abenteuergenerator eine durchaus solide Basis für Spontanes aus der Selbstbaukiste dar. Über fünfzehn Seiten hinweg bekommt man dabei von Ausserirdischen Invasoren bis zum teuflischen Ausländer alles geboten was das Pulpherz begehrt – und wie inzwischen eigentlich immer üblich bekommen wir auch ein paar Beispiele, inklusive einem schönen Abenteuer in vier Akten.

Den Abschluss von Thrilling Tales bildet Kapitel 11 – “The Crimson Emperor – A plot point serial“. Ursprünglich als Serie von verknüpften D20 Pulp Abenteuern veröffentlicht sind diese fünf Abenteuer hier erstmals für Savage Worlds erhältlich. Leider scheint es immer noch nicht klar zu sein, dass nicht jede Serie von Geschichten, die man unabhängig von einander spielen kann, oder mit Zwischenspielen wenn man will, eine Plotpointkampagne im Sinne der Macher von Savage Worlds ist. Und um das klar zu sagen: The Crimson Emperor ist KEINE Plotpointkampagne. Vielmehr ist es eine klassische oder geskriptete Kampagne, in der die Charaktere Idealerweise von einer Geschichte zu nächsten gelangen. Und dabei macht sie keine schlechte Figur. Die Geschichte kommt mit einer Serie von Attentaten auf einen der aktuellen US -Präsidentschaftkandidaten des Jahres 1936 ins Rollen. Es folgen Zwischenspiele mit der Mafia und einigen merkwürdigen Vorkommnissen. Während die Charaktere Versuchen einer großen Verschwörung auf die Spur zu kommen führt die Jagd schliesslich in den Himalaya, nach Tibet und wieder zurück in die USA. Im Laufe der fünfteiligen Kampagne dürfen die Charaktere wirklich mal nach Pulp-Art die Welt retten – oder halt nicht.

Fazit: Im Gegensatz zu vielen anderen Pulpsettings bemüht sich Thrilling Tales nicht, noch ein „anderes“ Pulpsetting zu sein. Im Gegenteil – besseres, echteres Back-to-the-roots Pulp habe ich bisher nicht gesehen. Es gibt keinen Twist, kein weltvereinendes Thema. Thrilling Tales ist ein Strauss bunter Ideen, der nicht versucht mehr zu sein als die Summe seiner Teile – und gerade das gefällt mir daran. Die einzelnen Kapitel sind meist gut und unterhaltsam geschrieben. Ich muss nicht drei andere Sachen irgendwie berücksichtigen, damit ich eine gut Einbauen kann. Das Preis-Leistungsverhältnis ist exzellent – für die 15$ die es kostet bekommt man sonst grade mal die eine Kampagne. Man merkt sehr schnell, dass der Autor sowohl etwas von Rollenspielen als auch von der Literaturseite versteht und es macht Spass die Sachtexte zu lesen. Also: Alles toll? Leider nicht.

Abgesehen vom tollen Inhalt ist TT leider auch ein Buch, dem man ansieht, dass es mit der heissen Nadel gestrickt wurde. Zuviele Hinweise lassen immer noch die D20 Quellen erkennen (wäre es denn zuviel wenigstens Regeltermini wie „advance classes“ zu entfernen?). Gerade bei deutschen Namen und Bezeichnungen fallen Rechtschreibfehler auf. Dazu gibt es manche Satzfehler – und bei dem strukturierten Hintergrund wäre eine druckerfreundliche Version eigentlich ein Muss.

Was bleibt ist ein inhaltlich tolles Buch für einen sehr soliden Preis, dessen Form leider, leider sub par bleibt.

The Good: Gute Artikel, gut geschrieben, hoher Spielwert, sehr hoher Lesewert

The Bad: Artwork teilweise sehr durchwachsen, kein Index, formale Schwächen.

The Ugly: Das Lektorat – es ist kein Beinbruch, es entwertet das Buch nicht, aber es wirkt dadurch schlicht unfertig.Den Artikel im Blog lesen
 
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