Rollenspieltheorie [Theorie] Dramaturgie

Skar

Dr. Spiele
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Dramaturgie ist die (möglichst spannende) Inszenierung einer Handlung innerhalb eines Mediums.

Dramaturgie ist für den Menschen interessant. Warum das so ist weiß ich nicht. Aber wir suchen Ablenkung, Zerstreuung, Unterhaltung und eben Spannung im Leben.
Allerdings eher nicht als unmittelbar Beteiligter, sondern eben in der Freizeit, innerhalb eines festen Rahmens (zB Spielregeln) oder einfach nur als Zuschauer.

Zwar mag nicht jeder jede Art von Dramaturgie, aber jeder mag irgendeine Dramturgie.

Jetzt mal gaaanz pauschaliert betrachtet, könnte man feststellen, dass Männer Spannungsbögen lieben, in denen körperliche Konflikte (Kämpfe) ausgetragen werden. Während Frauen eher Spannungsbögen zugetan sind, in denen soziale Konflikte (Liebe/Beziehungen) ausgetragen werden.
Ich könnte mir also anhand dieser Feststellung einreden die Menschheit verstanden zu haben: Das Streben nach dem Konsum von Dramaturgie sind die inneren Wünsche des Individuums und die Projektion auf sich selbst.

Aber ist es das? Und warum funktioniert Dramturgie immer wieder? Die Muster bleiben größtenteils die Gleichen. Und doch können wir uns immer wieder daran erfreuen. Im Spiel versuchen wir diese sogar nachzubilden.

Wieso ist innerhalb von Daramturgien Gewalt und Tod so ein großes Thema? Warum schreckt uns das nicht ab?
Der Tod wird sonst eher totgeschwiegen (haha). Das ist Zwang, nicht Freiheit. Das wollen wir nicht. Aber im Drama ist er allgegenwärtig.

Woher stammt die Faszination an der Darstellung von Handlungen, die wir gar nicht an uns selbst spüren wollen?
Ist das der Ersatz für die alte Granny, die uns vor den Gefahren des Lebens warnt?
Aber warum kann es dann im Spiel lustvoll sein den Tod zu bringen. Und den eigenen (Charakter)Tod zu marginalisieren?
 
Das ist zwar auf lustig gemacht aber schau dir das mal an:



Deswegen kommt immer Gewalt und Tod (Konflikt) vor.

PS: In der Serie werden total vereinfacht und runtergebrochen einige sehr gute Psychologische und Soziologische Modelle vorgestellt. Da kann man eine Menge lernen wenn man sich da noch nicht groß mit auskennt.
 
Wieso ist innerhalb von Daramturgien Gewalt und Tod so ein großes Thema? Warum schreckt uns das nicht ab?
Naja, der Tod ist halt eine wirklich finale Konsequenz, die schon zu den härtesten gehört, welche einer Hauptfigur passieren können. Daher ist es ein "großes Thema".

Aber ich sehe in Dramaturgien viel seltener den Tod als das Ziel des "Begehrenden" und viel seltener Gewalt als den Weg des "Gewährenden" bzw. "Verweigernden".

Dazu gibt es viel zu viele DRAMEN, in denen NICHT gekämpft und NICHT gestorben wird. - Man schaue sich mal die Daily Soaps an oder die typischen Beziehungsdramen, Polit-Dramen, Sport-Dramen, historischen Stoffe wie Pride&Prejudice, Persuasion, Emma, usw. - Da steckt jede Menge DRAMA drin, aber die Dinge, um die es den Figuren darin geht, sind deutlich weniger drastisch, jedoch nicht weniger "final" als der Tod.

Siehe Persuasion von Jane Austen: Wer sich "schlecht" verheiratet, der kann sich sein ganzes weiteres Leben versauen. Daher ist das Finden eines Ehepartners in unterschiedlicher Sicht eine lebensbestimmende Wahl, die niemand leichtfertig treffen wird. - Ohne Gewalt, wohl aber mit gesellschaftlichen Zwängen, Erwartungen seitens der Familie, Freunde und der guten Gesellschaft, wirtschaftlichen Erwägungen, und - ja, das darf ab und an auch mal berücksichtigt werden - Liebe.
 
Zwar mag nicht jeder jede Art von Dramaturgie, aber jeder mag irgendeine Dramturgie.
NIEMAND "mag" Dramaturgie und niemand "sucht" Dramaturgie - außer den Profis, den Autoren, Regisseuren, usw.

Eine Dramaturgie, die man SPÜRT, die man BEMERKT, die hat in diesem Moment sofort und vollständig VERSAGT!

Dramaturgie ist eine STEUERUNG. Und zwar eine, die der Konsument von Geschichten NICHT spüren soll, sondern die WIRKUNG entfalten soll. Ungesehen, unbemerkt.

Denn: Wer läßt sich schon gerne von einem Autoren oder Regisseur "fernsteuern", wie er zu empfinden hat, wie er von einer Geschichte mitgenommen, angesprochen, unter Streß gesetzt wird? - Eben. - NIEMAND.

Daher "mag" niemand Dramaturgie. - Sie wird aber BENUTZT, um eben das, was die Leute wirklich MÖGEN und was sie wirklich KONSUMIEREN wollen, ansprechender und emotional anrührender darzubieten: GESCHICHTEN.

Dramaturgie ist das Gewürzregal der Geschichten-Küche.
Dramaturgie ist das Stellwerk der Geschichten-Eisenbahn.
Dramaturgie ist die unsichtbare(!) lenkende Hand, welche die Aufmerksamkeit des Konsumenten lenkt und welche die Reizintensität, welcher der Konsument ausgesetzt ist, steuert.

Wie gesagt: NIEMAND "mag" Dramaturgie. - Man mag die dramaturgisch WIRKUNGSVOLL gesteuerte GESCHICHTE.
 
Wie gesagt: NIEMAND "mag" Dramaturgie. - Man mag die dramaturgisch WIRKUNGSVOLL gesteuerte GESCHICHTE.
Ich denke, zu offensichtliche Dramaturgie schweift schnell in das ab, was wir abwerten "pathetisch" nennen.

Auf der Gegenseite mögen wir Drama in Erzählform, da wir es da erleben dürfen - wir dürfen mitfiebern, usnere eigenen Schlüsse ziehen und mitleiden - doch es ist nicht von Dauer. Stirbt eine Film-, Roman- oder Spielfigur, dann leiden wir vielleicht kurzzeitig mit - ich denke, ich bin nicht die einzige, die sich schonmal ne Träne bei nem Film oder Buch weggedrückt hat - aber es betrifft uns nicht so lange, als wäre ein geliebter, nahestehender Mensch gestorben. zumal wir uns beim Tod eines nahestehenden menschen mit den daraus resultierenden Konsequenzen umgehen müssen. Umgekehrt kann man sich sofort von den Gefühlen distanzieren, die mit einer rührseligen Liebesgeschichte erzählt werden, so man dies möchte, denn man sit ja selbst nciht darin verstrickt.

Drama spricht einfach den menschlichen Veuyeurist an. Wir können uns durch das gezeigte Drama in Situationen versetzen, die wir - manchmal glücklicherweise - nie oder nur selten aktiv erleben werden.
 
Ja. Drama. NICHT Dramaturgie.

Man genießt eine dramatische Geschichte des Dramas wegen. Und zwar die GESCHICHTE daran, nicht die darin verwandte Dramaturgie.

Man schaut sich ja auch keinen Film an und sagt "also die Dramaturgie war wirklich sehr toll, leider war die Geschichte einfach Mist". (OK, manche Cineasten, die wirklich sehr analytisch an einen Film herangehen können und die dramaturgische Gestaltung von dem Inhaltlichen getrennt genießen können, mögen dazu imstande sein. Aber für solche Leute ist dieser Film ja auch nicht gemacht worden, sondern eigentlich sollte die Dramaturgie für die Zuschauer ja UNSICHTBAR wirken.)
 
Jetzt mal gaaanz pauschaliert betrachtet, könnte man feststellen, dass Männer Spannungsbögen lieben, in denen körperliche Konflikte (Kämpfe) ausgetragen werden. Während Frauen eher Spannungsbögen zugetan sind, in denen soziale Konflikte (Liebe/Beziehungen) ausgetragen werden.
Das glaube ich, wie bereits 1of3 etwas härter umschrieben hat, für nicht zutreffend.
Das heißt wenn man sich unterschiedliche Filme mit einem (vermeintlich großen) männlichem Publikum ansieht, kann man feststellen das die Konflikten mitnichten primär oder gar ausschließlich körperlicher Natur sind.

An welche große Actionszenen erinnert man sich in Filmen wie Der Pate I / Der Pate II, Odyssee 2001 oder einem Film wie Citizen Kane, Filme wie Feld der Träume? Die welche mir einfallen sind eher kurz umrissen. Tatsächlich geht es um Politik, Beziehungen, Entwicklungen, auch etwas Action aber nicht unbedingt mehr oder weniger als in Filmen die sich an Frauen richten [wenn diese sich nicht gleich auf einmal anmaßen den Paten zu mögen].
Ohne jetzt den genauen Vergleich zu haben vermute ich das die Titanic in der Cameron Verfilmung länger effektvoll am Eisberg zerschellt als das es gezeigte Schießereien im ersten Paten Teil gibt.

Und warum funktioniert Dramaturgie immer wieder?
Weil Dramaturgie das schaffen eines Spannungsbogen beschreibt?
Das wäre ein wenig so als wenn man fragt wieso ein Fluss immer fließendes Wasser hat.
Es ist die Definition von Fluss, nicht fließendes Wasser ist kein Fluss.

Woher stammt die Faszination an der Darstellung von Handlungen, die wir gar nicht an uns selbst spüren wollen?
Sie sind fiktiv, sie bedrohen einen dementsprechend nicht, es gibt Spannungs-Situationen, man kann davon direkt lernen, man kann ggf. Softskills trainieren, man kann sie zur Grundlage sozialer Interaktion benutzen, je nach Art und Weise gibt es das ein oder andere psychologische was den Konsum interessant macht [Identifikation der Handlungsfigur als "Bekannte/Freunde"], es bietet Grundlage für allerlei Spekulationen,..
 
Ich finde es immer gut, darauf zu achten, den dramaturgischen Grundbau, das Gerüst, von dem du sprichst, Skar, nicht mit der vermittelten Geschichte und deren Inhalte zu vermischen. Im Grunde fragst du nach zwei unterschiedlichen aber durchaus verknüpften Punkten.

Zum einen ist da die Struktur. Wie bereits von anderen angesprochen, ist das eine Art Leitfaden, ein Aufbau, der es möglich macht, den Handlungsverlauf nachzuvollziehen, ihm zu folgen und die entsprechend gezeigten / erzählten Abläufe verstehen zu können. Zu einer Dramaturgie wird es durch den Kurvenverlauf der Geschichte, in der klassischen 3-Akt-Struktur mit Exposition und dem ersten Plotpunkt, Konfrontation (und Mittelpunkt) und der Auflösung (bzw. möglicherweise mit einer third act climax) funktiioniert das noch recht nachvollziehbar, in zerbrochenen Erzählungen hat man teilweise überlappende Strukturen und Meta-Dramaturgien. Da gibt es sicher noch tiefenpsychologische (wie im verlinkten Video angesprochen) Gründe, warum der Monomythos oft (bei Weitem nicht immer) so gut greift, da kann man die Heldenreise gut mit dem Aufwachsen bzw. der Emanzipation des Geistes begreifen, was wieder zum evolutionstheoretischen Ansatz passt.

Dann fragst du nach der Faszination für Gewalt und Tod und für Handlungen, an denen wir selbst lieber nicht teilnehmen würden. Das wurde auch schon angerissen: der simulationistische Faktor ist sicher ein ganz Großer. Allerdings finde ich es zu kurz gegriffen, die Imagination allein auf den evulotionsgerichteten Anpassungsprozess runterzubrechen. Aristoteles hat meiner Meinung die Funktion der Darstellung von den genannten Aspekten gut zusammengefasst, zumindest eine dem Ursprung aller darstellenden Kunst von Theater und Film zugehörigen, im antiken Griechenland verordneten Struktur. Die Katharsis, die "Reinigung" (keinesfalls Befreiung!) von Affekten wie Jammern und Schrecken durch das Erleben von Jammern und Schrecken. Allgegenwärtige, anthropologische Emotionen wie ungerichtete (Angst) und konkrekte Furcht, Leidempfinden, Schmerz und Wut oder sogar Zorn werden miterlebt. Dadurch, dass die zivilisatorische Spange viele der urtümlichen Emotionen einkerkert, können sie nur so überhaupt erlebt, empfunden werden. Und nur indem sie zumindest auf diese Weise erlebt und empfunden werden, können wir uns dieser Affekte vergegenwärtigen und sie bewältigen / mit ihnen umgehen. In prä-theatraler Zeit hatte man dafür sehr viel authentischere Rituale, ekstasische Feiern und Riten. Die wurden mehr und mehr aus der Gesellschaft verbannt, ein Einzug von Vernunft und Kontrolle über die Affekte verstärkt das nur noch - und das Empfinden haben wir ja heute noch deutlicher ausgeprägt.

Wo wir bei Verbannug aus der Gesellschaft sind, sind wir schon beim Tod. Der Tod und die Erinnerung daran, das wir zwangsläufig alle sterben werden, wird gerne verbannt. Du schreibst vom Totschweigen, das passt auch sehr gut. Alles was krank und tot ist, liegt außerhalb der Gesellschaft, das fängt beim altern an, geht über Altenheime als (weggeschlossene) und totgeschwiegene Zeugen unserer Fatalität, über euphemistische Beschriebungen des Vorgangs ("von uns gegangen") oder seiner Idealisierung ("danach ist alles besser") bis hin zur Verbannung des Todes selbst, in Form von Friedhöfen als abgeschlossenen und teilweise fast schon geächteten Räumen, zumindest dann, wenn man nicht explizit vorhat, sich vor Ort mit dem Tod (z. B. von Angehörigen) auseinanderzusetzen. Allerdings würden dir einige, vor allem viele antike Griechen darin widersprechen, dass der Tod Zwang und nicht Freiheit bedeutet. Im Gegenteil, in der Vergegenwärtigung des Todes und seiner Unumgänglichkeit und im Frohlocken in dieser ganz persönlichen Tragödie wird eine weitaus lebendigere Freiheit erfahren. Das klingt natürlich normativer, als es ist, immer hin sind das auch "nur" Theorien. Aber es ist im Grunde der Kern der Tragödie, die neben der Komödie sicher einen Ursprung der theatral vorgetragenen und erlebten Geschichte darstellt.

Seneca zum Beispiel sah in der Rezeption dieser Geschichten eine tatsächliche Befreiung von Affekten, was allerdings seiner stoischen Grundeinstellung zu verdanken war, die immer hin jede Art von Überwindung von und Kontrolle über Gefühle, Emotionen, affektive Gesinnungen etc. zum Ziel hatte. Außerdem hatte Seneca höchstwahrscheinlich keinen Begriff des Tragischen mehr, wie ihn seine großen Vorbilder noch führten, sonst hätte er die (auch sehr stoische) Todesgewissheit und Vorbereitung darauf im Grunde als Grund zur Freude verstehen müssen. Aber da beißt sich die Katze ja auch in den Schwanz.

Kurz: warum sind gerade tragische und dramatische Geschichten anziehend, warum Tod und Gewalt? Mehrere Gründe:
- Betrachtung von etwas selbst nicht erlebtem aber in der Natur und im eigenen Drang sehr stark verwurzeltem.
- Reinigung von Gefühlen, Affekten und Emotionen; die in der zivilisierten Gesellschaft keinen Platz zum Ausdruck finden; durch Miterleben und Mitfühlen eben dieser Gefühle, Affekte und Emotionen.
- Daraus resultierend (vor allem im Tragischen): Vergegenwärtigung der eigenen Sterblichkeit, Auseinandersetzung mit der Urangst vor dem Tod und Genießen der eigenen Leibhaftigkeit durch diese Erkenntnis.

Dem untergeordnete Gründe (die erst in späterer Entwicklung deutlicher wurden, beginnend eigentlich in Rom):
- Voyeurismus -> Auslebung von starken Affekten wie Wut, Zorn, Blutdurst / Mordlust in Stellvertreterschaft durchs Zuschauen
- Befreiung -> Visuelles oder vorgestelltes Erleben von Schrecken und Gräueln in Stellvertreterschaft
- positiv -> Reinigung. Das Erlebte schafft Zugang zu natürlichen Instinkten und Gefühlen und erleichtert deren Handhabung (Evolution)
- negativ -> Abstumpfung. Das Erlebte blockiert aus Selbstschutz zusehends die Fähigkeit zum Mitfühlen, zur Empathie, zum Mitleid.

Letztere, sehr negative Ausprägung würde ich übrigens mittlerweile als sehr dominant ansehen. Die ganze torture-porn Bewegung basiert im Grunde auf einer Erniedrigung des Gegenübers und einer Abstumpfung durch möglichst visuelle Darstellung. Bei den meisten Leuten, die ich kenne und die sowas regelmäßig konsumieren findet keinerlei "Katharsis" mehr dadurch statt. Der Konsum dient nur noch der Abstumpfung, der Verschottung und möglichst nicht der Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit dem erlebten Schrecken. Dabei wird die Messlatte immer höher gelegt, wobei weder die Produzenten, noch die Konsumenten vermutlich wissen, wo die Reise überhaupt hingehen soll.
 
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