Sturmwind (Teil 1)

Elfchen

Die verlorene Tochter
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16. März 2004
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[wieder eine eher ruhige Einführung ins zweigeteilte Kapitel. Dies gehört, wie Sternenmal zu einem Roman, den ich mal vor einigen Jahren angefangen habe, der aber noch heute unvollendet auf meinem Rechner existiert. btw.: Rechtschreibfehler dürft ihr behalten ;) ]

Chion hielt sich die Hand vor die Augen. Die Sonne schien ihm grell ins Gesicht, während er auf einem Hügel etwas oberhalb der Hafenanlage stand und darauf wartete, dass sein Schiff in den Hafen einlaufen würde. Jenes Schiff, dass seinen Vater Phesil lange Zeit über das Meer trug, und er würde ihn herzlich in die Arme schließen, wenn er von Bord ginge.
Es war beinahe Mittag und noch kein Zeichen zu sehen vom stolzen Schiff des Vaters. Seit er auf dem Hügel ankam starrte auf den einen Punkt, an dem er selbes zuletzt gesehen hatte, bis es sich jenseits des Horizonts seinem Blicke völlig entzogen und nicht mehr gesehen ward. Schon vor Tagesanbruch machte er sich auf den Weg zum Hafen, er wohnte etwas außerhalb von Maríc in einem großen, zweistöckigen Haus. Dort hat er die letzten Monate allein verbracht, hin- und hergerissen im Innersten. Zweifel stiegen in ihm hoch.

Er war nun in dem Alter, da die Väter sich zu den Söhnen setzten und sie baten, sie zu begleiten, auf die Fahrt, von der die Väter meist nicht wieder in den heimatlichen Hafen zurückkehrten. Sie waren mitunter dreißig oder vierzig Jahre älter als die Jungen und setzten sich nach dieser letzten Reise meist irgendwo auf den zahlreichen Inseln vor der Stadt Maríc zur Ruhe, was sie von den meisten anderen thorwalschen Seefahrern deutlich unterschied, um dort ein beschauliches Leben als Fischer oder Vergleichbares zu führen. Aber nicht so sein Vater. Er war ein sturer Bock und ließ sich für gewöhnlich nicht von einem seiner Vorhaben abbringen.
Es war nun einmal seine Art, die Art des Volkes der Thorwaler, die Meere zu befahren, denn sie spiegelten in ihren Augen die wahre Natur des Menschen wieder: unbeständig, aber dennoch tiefgründig und wahrhaftig. Kein Mythos, der von Erden verschwinden könnte mit nur einem einzigen Fingerschnippen, so glaubten sie.
Deshalb konnte Chion es sich einfach nicht vorstellen, dass Phesil, sein Vater, ein einfacher Fischer werden würde. Er liebte die See, mehr als irgendein anderer Mann in ganz Thorwal, vielleicht, nein, bestimmt mehr als irgendein anderer Mann auf ganz Aventurien. Nie hielt es ihn lange in Maríc, nach ein oder zwei Monaten zog es ihn wieder in die Ferne. Und zurück ließ er sein Kind, das jedes Mal, wenn die Nemreth auslief an der Anlegestelle stand und ihm nachsah. Viele Jahre lang. Und jedesmal, so schien es Chion, hatte der Vater einen Teil von sich in der Ferne gelassen. Nach jeder Reise sah er einen anderen Mann vor sich.

Er erwachte aus seinen Tagträumen, da erblickte er etwas, weit entfernt, am Horizont, wo es vor mehr als sechs Jahren verschwand: es war die Nemreth, des Vaters ganzer Stolz. Sie steuert auf den Hafen zu. Chion erkannte es sofort: ein stattliches Gefährt, mit meterhohen Masten und weißen, vom Wind erfassten Segeln, auf denen eine große Sonne abgebildet war. Und als Galionsfigur hatte die Nemreth ein Abbild seiner Mutter, und trug ebenso ihren Namen.
Sie war eine Schönheit, Perle der Küste nannte der Vater sie immer. Nemreth war den übrigen Frauen kaum ähnlich gewesen. Die Frauen hierzulande waren klein und zierlich, doch ebenso dunkel vom Teint her wie die Männer, und zumeist mit langem dunkelblonden oder braunem Haar, dass in Flechten herabfiel und nie geschnitten wurde.
Nemreth hat ihr schwarzes Haar stets offen getragen, war beinahe so groß wie Phesil und dennoch zart und zerbrechlich gewesen. Ihre Haut hatte Schnee geglichen, der in Vollmondnächten gefallen war. Zu aller Unglück verstarb kurz nach Chions Geburt; sie war einem hohen Fieber erlegen, welches sie monatelang gequält hatte und sie nicht zur Ruhe kommen lies. Kein Arzt hatte ihr helfen können. Der Vater holte die berühmtesten Heiler seines Volkes in sein Haus, um Nemreth zu heilen, doch das alles war vergebens. Sie hatte sich abgefunden damit, ihren Sohn, ihr ein und alles nicht aufwachsen sehen zu können.
Da war es schon zu spät sie retten zu wollen. Doch noch heute gab Chion sich die Schuld für ihr Leiden und ihren schmerzlichen Tod.
Wie lange schon ersehnte er diesen einen Moment, der Tag, an dem die Nemreth seinen Vater tragend in Maríc einlaufen würde. Er sprang auf und ruderte mit den Armen wie wildgeworden.
Am Bug sah er ihn, seinen Vater. Und er winkte ihm zu. Stolz und Freude ließen Chions Brust anschwellen und beinahe wäre er zersprungen vor Glück, wenn er nicht begonnen hätte zu weinen wie ein kleines Kind. Schnell rannte er zur Anlegestelle um dort seinen Vater zu empfangen. Als er ihn sah, wischte er sich die Freudentränen aus den Augen und stand stolz vor dem gewaltigen Schiff.
Aufrecht und voller Würde verließ Chions Vater das Schiff und schloss seinen Sohn wortlos in seine starken Arme. Sein Haar war über die endlos vielen Jahre, in denen sie getrennt waren, ergraut; ein tiefer Schmerz lag wohl schwer auf seinem Herzen.
Und gleichsam wie Chion erging es Phesil, der seinen Sohn nicht aufwachsen sah. Denn als er diesmal zurückkehrte, sah er einen Mann vor sich, ohne Kindheit, jedoch verträumt wie ein Kind und ebenso gedankenverloren. Dennoch war er würdevoll und stattlich, und Strenge und Güte lagen in seinem Blick, der gleich dem eines Königs war. Großgewachsen und kräftig gebaut war er, wie alle Männer Thorwals, jedoch mit schwarzem Haar, dass er stets kurz trug. Auch er unterschied sich von andren, denn zumeist waren die Thorwaler von blondem oder braunem Haar. Seine Haut wiederum war wesentlich heller als die der übrigen Bevölkerung. Er schlug eben ganz nach seiner Mutter Nemreth. Phesil sah ihn mit seinen großen braunen Augen an. Dann atmete er erleichtert auf.

"Mein Sohn,", sagte Phesil, "du wirst deiner Mutter von Mal zu Mal ähnlicher, dein Gesicht, dein Haar und deine Augen. Diese wunderbaren grünen Augen, schöner und tiefer als der Schattenhain."
"Dank euch, Vater.", antwortete Chion und seine Stimme klang sanft und tief. Er war bei weitem kein Kind mehr. Nein er war ein Mann geworden, sprach wie ein Mann und hatte auch das Aussehen eines Mannes. Doch im Innersten war es so, als besäße er zwei Seelen, eine alte, überaus weise Seele und die reine,
neugierige Seele eines kleinen Kindes.
"Während meiner Reisen fragte ich mich andauernd, warum es damals nur geschehen musste...", Phesil wischte sich eine Träne aus dem Auge.
"Grämt euch nicht, Vater,", sagte Chion sanft und legte Phesil aufmunternd die Hand auf die Schulter, "euch trifft keine Schuld. Es war ihre Bestimmung, und mit meiner Geburt war ihre Aufgabe auf Erden erfüllt. Wenn jemand zu ihrem jähen, leidvollen Ende beitrug, dann war ich es. Ich trage Schuld daran. Aber lasst uns nun von erfreulicheren Dingen reden. Ihr habt sicher viel zu erzählen, Vater, von eurer langen Reise. Welche Neuigkeiten tragt ihr in die Heimat?"
"Nun, viel Neues gibt es wahrlich zu berichten. Leider auch nichts Erfreuliches...", er holte tief Luft und begann zu erzählen, "wir segelten weit über das Gebiet um die nördlichen Inseln, um an fremden Küsten in den Gebirgen nach Rohstoffvorkommen zu suchen. Doch unsere Hoffnung wurde getrübt, als plötzlich die Hälfte meiner Mannschaft dahingerafft wurde von einer seltsamen Seuche, wovon genau konnte uns jedoch kein Heiler in Thorwal sagen. Ein großer Teil der übrigen Mannschaft wollte die Reise abbrechen und sofort nach Maríc zurückkehren, doch ich trieb sie weiter an. Das kostete fünf weiteren guten Besatzungs-
mitgliedern das Leben, denn wir gerieten in ein fürchterliches Unwetter. Dabei wurden drei von ihnen von einem der Masten erschlagen, die anderen beiden stürzten in die wütende See und ich vermochte weder sie zu retten, noch sie zu finden und für Seefahrer angemessen zu bestatten. Ein schlimmer Verlust. Doch schließlich bin ich wieder daheim..."
"Schlimm waren die Schrecken und die greulichen Erfahrungen, die euch auf dieser Fahrt zuteil wurden, Vater, und kein Wort der Trauer vermag sie zu lindern. Dennoch ist meine Trauer um diese Mannen groß. Es waren aufrichtige, starke Männer, wohl die beste Mannschaft, die ihr je hattet.", entgegnete Chion dem niedergeschlagenen Vater. Und seine Worte brachten ihm Heilung.
"Du bist herzensgut und trägst das Wissen um viele Geheimnisse in dir. Ergründe sie, mein Sohn, und du wirst dich selbst lehren, was recht und gut, und was schlecht und verwerflich ist.", sprach Phesil, "Aber wie steht es mit dir mein Sohn? Hat die Liebe dein Herz schon berührt?", fragte er Chion.
"Aber Vater...", er unterbrach sich selbst, "die einzige Liebe in meinem Leben ist das Meer."
Phesil lachte laut auf: "Nun mein Junge, du wandelst immerhin schon beinahe achtzehn Jahre unter der Sonne! In deinem Alter waren deine Mutter und ich bereits verlobt."
"Sagen wir es so, die Richtige ist mir noch nicht begegnet.", sagte Chion und beendete das Gesprächsthema, denn ihm ist es fürwahr äußerst unangenehm darüber zu reden, wie ihm überhaupt nur noch selten nach reden zumute war. Seit er zum ersten Mal den Drang verspürte, Maríc zu verlassen, befiel ihn ein immerwiederkehrendes Gefühl der Sehnsucht. Lange, so glaubte er, hätte er sich sowieso nicht widersetzen können und wäre hinausgezogen.

Vater und Sohn gingen durch die Straßen ohne auch nur ein Wort zu wechseln. Links und rechts von ihnen erstreckten sich auf einige Meilen Häuser, gebaut auf solidem Grund, standhaft wie die Berge, durch nichts zu erschüttern. Obwohl sie zumeist klein waren und die Wohnhäuser auch nur zwei oder drei Zimmer hatten, waren sie gemütlich, im Sommer angenehm kühl und im Winter mollig warm.
Aus den Häusern drangen verschiedenste Gerüche, mitunter herzhafte Mahlzeiten, die zum Mittagsmahl bereitet worden waren. Sie gaben jedem Fremden ein Gefühl von Vertrautheit und Wohlbefinden. Die Frauen in Maríc verstanden es wirklich, ihre Männer und Söhne nach langer Fahrt zu verwöhnen, so dass es sich manch junger Spund zweimal überlegte, eher er wieder in See stach. Bordmahlzeiten waren nunmal kein Vergleich zu Mutters guter Küche. Nach einer Weile bricht Phesil das Schwiegen: "Lass uns nun eine Mahlzeit einnehmen, dabei kannst du mir dann alles erzählen, was sich hier in sechs Jahren alles verändert hat."

Sie begaben sich in ein Gasthaus. Phesil gab bei der Bedienung die Bestellung auf. Doch Chion sprach kein Wort mit dem Vater. Langsam machte sich ein mulmiges Gefühl in ihm breit. Zudem wurde ihm plötzlich eines bewusst: nie war sein Vater für ihn da gewesen. Wenn er hinfiel und sich das Knie aufgeschlagen hatte und bitterlich weinte, wer kam, ihm zu helfen, ihm Mut zuzusprechen? Niemand. Er war alleine auf sich gestellt und anstatt dass sein Vater ihm beistand, verbracht der unzählige Abende auf See und bemitleidete sich selbst. Nein, mit solch einem Feigling wollte er nicht die Meere befahren. Der Mann, zu dem er so viele Jahre aufgeblickt hatte war in seinen Augen nun noch ein schwacher gebeugter Greis, ein Fremder.
Das Essen wurde gebracht, doch sie blieben weiterhin beide Stumm. Eine gewisse Anspannung lag in der Luft, freudige Erwartung, Seitens von Phesil, eine bedrückende Ahnung bei Chion. Es verging etwas mehr als anderthalb Stunden. Chion aß lustlos, stocherte im Essen herum, mit einem geradezu konzentrierten Gesichtsausdruck, als koste ihn jeder Bissen unermessliche Überwindung. Denn jeder brachte den Moment näher, da sein Vater die Frage stellen würde, der er nicht ausweichen konnte. Phesil hingegen haute kräftig rein, bestellte zweifachen Nachschlag. Das Essen auf See war eine Beleidigung für seinen Gaumen. Aber dennoch liebte er die Seefahrt, wenn auch wahrlich nicht wegen der Verpflegung. Schließlich gab Chion auf und leerte seinen Teller. Beide schoben ihn im selben Moment von sich. Erwartungsvoll sag Phesil Chion an, doch dieser versuchte angestrengt nur den Tisch im Blick zu haben. Er wollte seinen Vater nicht enttäuschen. Aber das musste er. Diesen Blick nun hätte er nicht ertragen, er hätte es nicht mehr übers Herz bringen können, ihm dermaßen weh zu tun.
"Chion, mein Sohn,", begann Phesil plötzlich, "ich halte dich nun für alt genug, dich auf meine Reisen mitzunehmen."
Diese Worte trafen Chion wie ein Schlag. "Mit euch reisen?", fragte er. Warum kamen diese Zweifel an seinem Vater nur auf? Waren es Zweifel? Oder eine Erkenntnis?
"Ja mein Sohn,", antwortete Phesil, "Vater und Sohn auf einem Schiff, vereint für immer."
"Mir fehlen die Worte. Gewiss will ich die Meere befahren, aber...", er brach ab.
"Sprich, Chion. Etwas bedrückt dich doch. Das Auge eines Vaters erkennt den Zweifel im Blick des Sohnes. Nun, sprich es aus." Chion holte tief Luft wobei er versuchte, seine Gedanken zu ordnen.

Dann begann er leise zu sprechen: "Nun, Vater, ich begehre nichts so sehr, wie das Befahren der Meere, allerdings...", er holte abermals tief Luft und dann platze es aus ihm heraus, "allerdings nicht mit euch. Nie wart ihr mir ein Vater und nun soll ich mit diesem Fremden das höchste der Gefühle für einen des Volkes der Thorwaler teilen? Wahrlich, Vater, euer Blick ist getrübt durch die Schuld, die ihr in euch tragt und mir gegenüber empfindet. Ich muss diese Prüfung ganz alleine meistern, ohne prüfenden Blick und ohne irgendeine Bevormundung. Gebt mir ein Schiff, für den Rest sorge ich!"
Phesil sah Chion in die grasgrünen Augen. "Harte Worte die du da sprichst mein Sohn... doch sie sind in gleichem Maße wahr...", sagte Phesil traurig und doch erzürnt, "ich erkenne die Entschlossenheit, die sich in deinen Augen, den Augen deiner Mutter widerspiegelt. Und ich bin bereit, dir mein Schiff, die Nemreth, zu überlassen, aber nur unter der Bedingung, dass du die Seekarten, die ich auf meinen vielen Fahrten anfertigte, verwendest, aber nur, um Nemreth heil in den heimatlichen Hafen zurückzuführen. Für den Rest der Zeit werde ich sie einem Bordmitglied zur Verwahrung anvertrauen. Ebenso werde ich die Mannschaft zusammenstellen und gleichsam besorge Proviant und Wein, Tauwerk und Ersatzsegel."
"Aber ich...", Phesil unterbrach ihn: "Das sind die Bestimmungen, die ich aufstelle. Schlage ein, oder verbringe die nächsten Jahre damit zu, dich zu fragen, was du verpassen würdest..." Chion schwieg. "Nun?", fragte Phesil ungeduldig. "Einverstanden.", antwortete Chion und schlug ein.
Eine Zeit des Schweigens folge, wiederum gefolgt von belanglosem Gerede. Chion erzählte, was ihm in den Jahren alles passiert war, was sich in der Stadt alles verändert hatte. Eben unwichtige Dinge. Dinge, die seinen Vater kaum interessierten, hatte er doch nun genug Zeit, selbst die Neuerungen in Maric kennen zu lernen und zu studieren. Wieder verstummten beide, als Chion seine Erzählungen beendete. Nein, sie waren sich wirklich nicht ähnlich, stellte Chion fest. Es war gut, dass er ihm erläutert hatte, wie seine Sicht der Dinge war. Es war das einzig richtige, dass er tun konnte.
Sie aßen schließlich zu Abend und tranken, sprachen jedoch kein einziges Wort mehr miteinander, und nachdem beide das Gasthaus verlassen hatten, begab sich der Vater zu einem anderen Gasthaus und ließ sich dort volllaufen. Die Worte seines Sohnes hatten ihn wahrlich hart getroffen und versetzten ihm einen heftigen Stich ins tiefste seines Herzens. Dann mietete er sich in einem der Zimmer ein, und er verließ dieses Zimmer nur, um nach unten in die Wirtschaft zu gehen, und seinen Kummer in Bier, Wein und schließlich Schnaps zu ertränken.
Während dessen begab sich Chion zurück zum Hafen, gerade so, als folge er einem Ruf aus längst vergangenen Tagen. Er stellte sich an den Rand einer Klippe, die leicht westlich des Hafens lag und weit auf das Meer hinaus ragte. Die Sonne war im Begriff unterzugehen.

Und Chion begab sich an diesem Abend nicht nach Hause. Er stand einfach nur da, blickte in die Ferne, noch nachdem der Mond aufgegangen war. Es war eine laue Sommernacht, klarer, wolkenloser Himmel und die Sterne strahlten so hell wie schon lange nicht mehr.
Still lag die Nemreth im Hafen von Maríc, Wellen schwappten gegen ihren Rumpf und zerbarsten in tausend kleine Tropfen, die wieder auf die Wasseroberfläche fielen. Wie eine Wiege schwang sie leicht hin und her.
Plötzlich fröstelte es Chion. Ein eiskalter schauer lief ihm über den Rücken und wenn er ganz genau hingesehen hätte, hätte er eine einzige, rabenschwarze Wolke am Horizont sehen, die sich mit einem Male in Luft auflöste. Er wickelte sich in seinen Mantel ein.
Der Frühlingsmorgen war noch jung, da war auch schon alles bereit für Chions Abfahrt aus dem heimatlichen Hafen Maríc. Seine Feuertaufe stand nun unmittelbar bevor. Es war der Moment gekommen, an dem sich zeigen würde, ob das, was er in jungen Jahren bei Freunden seines Vaters lernte, auch ausreichte, allein das Meer zu bewältigen. Er wartete am Anlegeplatz der Nemreth und schaute nachdenklich dem Horizont entgegen. Langsam erhob sich die Sonnenscheibe über dem Horizont. Was erwartete ihn dahinter? Plötzlich wurde er aus seinen Träumen gerissen.
Swanild, Chions Freundin aus frühen Kindertagen war gekommen, um ihn zu verabschieden. Schön war sie, nur einige Monate jünger als Chion. Ihr rotbraunes Haar wehte leicht, vom Wind bewegt; auf ihrer Haut, gebräunt und eben, glänzten vereinzelte Tropfen Meerwasser, die beim schlagen der Wellen gegen die Anlegestelle in die Luft gewirbelt wurden und nun auf ihrem Gesicht und ihren Arme standen, wie Tau auf einer Wiese. Sie trat zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter.

"Ich sehe Furcht...", sagte sie bedächtig, "wovor fürchtest du dich, Chion, Sohn des Phesil und der Nemreth?"
"Das Meer...", antwortete Chion und sah wieder schweigend gen Norden.
"Das Meer also...", sie schüttelte mit dem Kopf, "nein, deine Furcht sitzt tiefer, Chion. Sei nicht so zugeknöpft! Die Jahre haben dich wahrlich verändert. Einst ein kecker, vorlauter Junge, den keine Strafe der Welt aufhalten konnte seinen Willen durchzusetzen. Und nun?", sie sah ihn verträumt und traurig an,
"... nun bist du erwachsen geworden und ein verschwiegener Mann, der immer bedacht nur darauf ist, nicht zuviel von sich preiszugeben, da er fürchtet verletzt zu werden.", sie sah ihn noch immer an, aber er starrte immer noch in die Ferne.
Nach einer Weile des Schweigens begann Swanild jedoch zu höhnen: "Sieh dich doch nur mal an! Ja, Chion, ein wahrer Mann... der das Glück und das Schöne in der Ferne sucht, und dabei die Schönheit, die Perfektion direkt vor seinem Auge nicht erkennt oder sie übersieht... schau mich an!", doch Chion reagierte nicht. Sie wand sich ab, um zu gehen, blieb aber noch kurz stehen, da sie annahm, er würde sie aufhalten, oder zumindest ein Abschiedswort sagen.
Aber noch immer stand Chion da, wie ein alter, nachdenklicher Baum und schaute in die Ferne. Er hörte wohl, was sie sagte, nur behielt er die Antwort für sich, wie schon so viele Male zuvor. Auch sie hatten die Jahre verändert; fürwahr, sie war schön, die Schönste in ganz Maríc und viele Männer hätten gerne mit Chion getauscht, denn es war allzu offensichtlich, dass sie für diesen sonderbaren Mann etwas empfand.
Nur leider wusste Swanild, dass sie vielbegehrt war, und das machte sie hochnäsig und eingebildet. Unter ihrer schönen Fassade, dass erkannte Chion, befand sich ein abgrundhässlicher Kern.

Plötzlich hörte er wieder etwas oder jemanden, der nach ihm ruft. Schon seit Monaten hatte er immer das selbe Verlangen, Maríc zu entschwinden. Sollte er nun gehen? War er zu vorschnell gewesen? Sollte er noch warten?
"Etwas oder jemand ruft unaufhörlich nach mir, und ich werde folgen...", sagte er leise, fast unhörbar. Er bemerkte, dass sein Vater nun neben ihm stand und ebenfalls in die Ferne sah.
"Ich habe dir nichts zu geben, nicht einmal Worte des Abschieds...", sagte Chion kalt, noch unhörbarer als eben.
"Aber ich, Chion. Ich gebe dir dies...", Chion wand sich dem Vater zu.
Dieser holte etwas glänzendes hervor, aber Chion konnte es erst nicht erkennen, da sich die Morgensonne darin spiegelte und ihn blendete. Dann sah er jenes Medaillon, das seine Mutter immer getragen hatte, silbern, mit einem tiefblauen Saphir, eingefasst in der Mitte des Medaillons. Er nahm es und als er es aufklappte, ertönte eine wundersame Melodie, die ihm jedoch wohlbekannt war.
Hinter einem Glasplättchen lag eine Locke des schwarzen Haares seiner Mutter, eingebettet in einem Stück weichen, roten Samtes.
"Nimm es. Es hat mir auf meinen Fahrten immer geholfen, wenn meine Sehnsucht nach Hause die Sehnsucht nach der Ferne zu überwinden mochte. Auch dir soll es Trost spenden.
Chion... mein Sohn. Es scheint einem alten Narren wie mir nicht vergönnt zu sein, glücklich zu werden... und nun geh, denn dein Herz verlangt danach...", sprach Phesil und ging.
 
Üüps, in dem Kurzgeschichten-Forumsboom. Hätte ich dich auch beinahe übersehen.

Lang..wäre das erste was mir einfällt.

Toll, wäre das zweite was mir einfällt.

Chion, ist ein schöner Name^^
 
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