Rezension Spears of the Dawn

Corbi

Glühwürmchen
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20. März 2006
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Beschäftigt man sich näher mit fantastischen Rollenspielen, dann erkennt man schnell, dass Fokus auf Fantasy liegt, die sich mit der Geschichte des Mittelalters vermischt. Ritter in Rüstungen, jede Menge Schwerter, Burgen, und andere Dinge, die sehr an das europäische Mittelalter erinnern, aber auch arabische Einflüsse kann man in vielen Rollenspielen dieses Genres wiederfinden. Ab und zu findet man auch Einflüsse der afrikanischen Geschichte, diese sind aber meist sehr klischeehaft und spiegeln nicht wider, was dieser Kontinent wirklich für eine fantastische Welt beitragen könnte. Es ist wie der Geograf George Kimble schon gesagt hat, „Die einzige Sache, die in Afrika dunkel ist, ist unsere Ignoranz darüber“.

In den letzten Jahren haben sich aber einige Rollenspieler und Entwickler, insbesondere Afroamerikaner, intensiver mit den Möglichkeiten beschäftigt, die die afrikanische Geschichte für fantastische Rollenspiele bieten kann. Dank Kickstarter ist es ihnen mittlerweile auch endlich möglich, ihre Ideen und Rollenspiele auf einem höheren Niveau als nur als PDF ohne Illustrationen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und vor allen Dingen auch zu finanzieren. Eines dieser von Spielern und Fans finanzierten Fantasyrollenspiele ist Kevin Crawford „Spears of the Dawn – Fantastic Adventure In An Untamed Land“. Erschienen ist das afrikanisch inspirierte Old-School-Rollenspiel Anfang dieses Jahres bei Sine Nomine Publishing und es verwendet das preisgekrönte „Stars Without Number“-System.

Zur Rezension lag mir das 180-seitige PDF vor und das begrüßt mit übersichtlichen Lesezeichen, die wirklich zu jedem Begriff hinführen und mit der Möglichkeit verschiedene Layers ein- und auszublenden, was sehr nützlich ist, will man eine Karte oder ein Bild ohne den ganzen Text ausdrucken. Doch nun zum Inhalt, denn das ist, um was es eigentlich geht.

Ein tolles Bild begrüßt den Leser auf dem Cover und genau so gut geht es erst einmal im Impressum weiter, in dem die Zeichner und Illustratoren genannt werden. Diese sind, Nicole Cardiff, Luigi Castellani, Earl Geier, Andrew Krahnke, Ian MacLean, Sara Mirabella und Miguel Santos. Anschließend folgt eine kurze Einführung in die Welt des Rollenspiels. Ein Übel, untote Horden und ein böser Magierkönig, der diese Horden beherrschte, wurde besiegt und nun streiten fünf Königreiche über die Macht in den Drei Landen und scheinen das alte Übel, das nach wie vor lauert, fast vergessen zu haben. Zum Glück für die Bewohner der Drei Lande, gibt es die Speere des Sonnenaufgangs, Helden aus allen Königreichen, deren Aufgabe es ist, das Böse zu vernichten.

Anschließend stellt der Autor knapp vor, um was dieses Rollenspiel ist – eben ein Rollenspiel, dass als Schauplatz einen afrikanisch inspirierte Kontinent hat – und er erzählt auch, um was es in diesem Rollenspiel geht – das Spielen von Speeren des Sonnenaufgangs, die Helden der Drei Lande.

Erst nachdem diese Informationen gegeben wurden, folgt das Inhaltsverzeichnis, das leider nicht mit den Lesezeichen mithalten kann und wirklich nur die Kapitelüberschriften der zehn Kapitel liefert.

Den Anfang macht die Charaktererschaffung. Die sechs bekannten Attribute, Intelligenz, Stärke und so weiter, mit Werten von 3 bis 18, entstehen durch Zufall, man wirft 3W6. Diese Werte geben Modifizierungen vor, -2 bis +2, die später bei den Proben wichtig sind. Anschließend wählt man ein Konzept, das neben der ungefähren Klasse, das wird erst später erklärt, auch das Ziel des Charakters beinhalten muss, denn dieses Ziel treibt den Charakter an und liefert dem Spielleiter Informationen zum gewünschten Spielstil. Ist das Konzept gewählt, wählt man die Herkunft des Charakters. Fünf Königreiche, fünf unterschiedliche Hintergründe, von Dschungelbewohnern, über ein Reitervolk aus einem hügeligen Teil der Drei Lande, den Rinderbaronen im Süden, den Bewohnern des fruchtbaren Nordwestens, bis hin zu den Händlern an den Flüssen. Die Auswahl ist passend und spiegelt auch den Aufbau der Drei Lande wider. Vorhin sprach ich von einer ungefähren Klasse, die man im Konzept benennen sollte. Zu der richtigen Klasse kommen wir nun. Passend zum Fantasysetting finden sich Krieger, Barden, Priester und Magier, diesmal allerdings mit anderen Bezeichnungen und interessanten Neuerungen, die, wie könnte es anders sein, afrikanisch inspiriert sind, der Magier heißt zum Beispiel „Nganga“ und der Barde „Griot“. Hier erfährt man auch, welche primären Attribute die jeweilige Klasse hat, welche Fertigkeiten sie erlernen kann und die anderen Details, zum Beispiel Trefferwürfel und Rettungswürfe. Anleihen beim bekannten Rollenspiel, das aktuell bei den Küstenmagier erhältlich ist, sind deutlich vorhanden, aber bei einem Old-School-Rollenspiel erwartet man das ja auch. Für Spieler der Magierklasse ist es vielleicht noch wichtig, dass Magie sowohl in Ritualen, langwierig, und in vorbereiteten Zaubern, sogenannten Nkisi-Zaubern abläuft. Die Fertigkeiten, ohne große Überraschungen, werden danach erklärt, ein Punkt bringt einen Punkt als Modifikator bei Proben, und mit den letzten Schliffen, Namen, dem Notieren der Trefferpunkte und der Ausrüstung, die dann auch noch in Werte gefasst aber ohne Bilder vorgestellt wird, endet das Kapitel zur Charaktererschaffung.

Das nächste Kapitel widmet sich dem System und den Regeln. Letztere passen auf ganze sechs Seiten und so werden wirklich nur die wichtigsten Dingen beim Namen genannt. Erstens, Fertigkeitsproben, 2W6 plus/minus Modifizierungen durch Attribute und Punkte in Fertigkeiten gegen eine Schwierigkeitsstufe von 6 bis 15 – alles darunter benötigt keine Probe, alles darüber ist unmöglich. Zweitens, Rettungswürfe, die Werte finden sich bei den Klassen und die Probe läuft mit 1W20 gegen den Wert. Drittens, Kampf, der nach bekannten Mustern abläuft. Erst Initiative, dann Angriff und Schaden. Einzige Besonderheit hier, die Rüstungsklasse, die als Bonuswert beim Angreifer gezählt wird. Je schlechter die Rüstung, desto größer die Chance getroffen zu werden. Ein tödliches System auf den niedrigen Stufen insbesondere, weil man beim Auswürfeln der Trefferpunkte ja auch Pech haben kann. Zum System muss man nicht viel sagen, das kennt man aus allen anderen Rollenspielen, nur ein paar Signalworte, Erfahrungspunkte, Bewegungsrate und Belastung. Zum Abschluss dieses Kapitels findet sich noch ein Überblicksbogen, der die wichtigsten Dinge nochmals wiedergibt. Tipp: Ausdrucken und neben sich legen, denn mehr braucht man für die einfachen Regeln nicht!

Das Kapitel Magie stellt die Gesänge der Barden, die Wunder der Priester und die Rituale und Spontanzauber der Magier vor und sorgt inhaltlich für keine Überraschung, die Zauber und das System dahinter – fünf Stufen und verschiedene Sphären, zum Beispiel für die Priester – kennt man zu großen Teilen aus anderen fantastischen Rollenspielen, die Namen aber auch die deutliche Umwandlung der Zauber für afrikanische Fantasy sind aber doch anders und äußerst gelungen, denn sie sorgen für afrikanisches Flair. Genau darum geht es ja auch in diesem Rollenspiel.

Das nächste Kapitel widmet sich der lang erwarteten Beschreibung der Spielwelt. Die Drei Lande und ihre Bewohner werden hier detailliert und stimmungsvoll vorgestellt und man merkt deutlich die Unterschiede zu einer „normalen“ Fantasywelt. Alles ist afrikanischer und neuer und könnte bei vielen Old-School-Spielern tatsächlich für Abwechslung sorgen. Besonders interessant ist in diesem Kapitel der Blick auf die Kultur, der Blick auf den Begriff Familie und auch auf die Gesetze, diese Absätze sind wirklich gut geschrieben und vor allen Dingen gut recherchiert. Man kann wirklich etwas lernen. Für das Spiel sind natürlich die Gottheiten wichtig und natürlich die Informationen über die fünf Königreiche, ihre Bewohner und ihre Feinde. In diesem Kapitel findet sich auch eine Karte der Drei Lande. Diese Karte liefert zwar einen guten Überblick über die Spielwelt, ist aber nicht mit Karten aus teurer produzierten Spielen vergleichbar, denn sie ist viel zu klein und nicht sehr detailliert. Zum Spielen genügt sie aber und das zählt ja.

Die beiden Folgekapitel richten sich an den Spielleiter. Hier erhält er Tipps zum Erstellen und Leiten von Abenteuern und Kampagnen in den fünf Königreichen. Die Informationen sind gut dargebracht, aber ein erfahrener Spielleiter wird wohl auf die meisten Tipps verzichten können. Gelungen sind aber die Regeln zur Verwaltung der Königreiche. Diese entwickeln sich während des Spiels weiter und genau das ist ein Bestandteil des Spiels. Aktionen und Gefährdungen von und für die Königreiche, die natürlich auch zu Abenteuern führen können, machen aus der Spielwelt eine Spielwelt, die im stetigen Wandel ist. Ebenfalls gelungen sind die Tabellen zur Erschaffung von Abenteuern, die nicht nur das Grundgerüst liefern können, sondern auch Gebäude, Höhlen und Städte und ihre Bewohner und Gefahren durch einfaches Rollen von Würfeln liefern. Ein endloser Fundus an Abenteuern, die wirklich afrikanisch inspiriert sind und nicht nur Klone anderer Zufallstabellen.

Passend zu den Abenteuern befasst sich das nächste Kapitel mit den Gegnern der Abenteuer. Tiere, Monster und auch menschliche Feinde werden mit Werten und Beschreibungen vorgestellt. Abermals liegt der Fokus hier auf Afrika und abermals gelingt es, die gewollte Stimmung durch die vorgestellten Wesen zu erzeugen.

„Schätze und wie man diese verwendet“, ist das Thema des nächsten Kapitels und hier finden sich, neben normalen Schätzen, auch magische Gegenstände. Afrikanisch inspiriert ja, aber doch sehr nah an dem, was man in anderen Rollenspielen findet. Damit wäre der erste Teil der Kapitelüberschrift abgehandelt, der zweite Teil ist aber auch interessant. Im weiteren Verlauf des Kapitels erfahren die Spieler und der Spielleiter nämlich, wofür sie ihr ganzes Gold ausgeben können. Diener, Gefolgsleute und Tiere sind logisch, aber auch der Bau und der Erwerb von Gebäuden wird näher in den Blick genommen. Mit genug finanziellen Mitteln können die Charakter ihre eigene Festung bauen und von dort aus die Bewohner der Drei Lande verteidigen, wenn sie dann noch wollen.

Für Spielleiter geht es dann im nächsten Kapitel um das vereinfachen des Spiels. Mehr Tabellen für Abenteuer, Tabellen für das schnelle Finden von passenden Namen und erschaffen von NSCs, und Überblickstabellen für Zauber und Monster. Dazu noch einige wirklich gute Ortskarten für Gehöfte, Höhlen und unterirdische Anlagen.
Bevor es dann noch ein komplettes kleines Einstiegsabenteuer gibt, dass nicht nur die Welt sondern vor allem die Gefahren in der Welt näherbringt und die Charaktere sowohl körperlich als auch geistig fordert, findet sich noch der Charakterbogen - einfach und wenig ansprechend, dafür aber übersichtlich.

Den Abschluss machen eine Bibliographie, die die wichtigsten Bücher nennt, die man lesen sollte, will man sich mit Afrika näher beschäftigen und die, dank Verlinkung, direkt zum genannten Buch weiterleitet und eine sofortige Bestellung ermöglicht. Der Index am Ende ist übersichtlich und doch würde ich, wenn ich etwas suche, eher auf die Lesezeichen oder die super funktionierende Suchfunktion des Readers zurückgreifen.

Ein tolles Rollenspiel, das noch mehr bietet, als nur einfache Regeln, viele mögliche Abenteuer und endlich eine wirklich afrikanisch inspirierte Spielwelt. Es bietet nämlich auch wirklich gute Zeichnungen, die Stimmung erzeugen - wenn auch nicht alle, ein paar sind nämlich wirklich zu krude gezeichnet – und vom Spielleiter jederzeit eingesetzt werden können, und es ist wirklich gut geschrieben. Unterhaltsam, verständlich und sogar lehrreich, ohne das eigentlich sein zu wollen, man lernt einfach nebenbei etwas über einen interessanten Kontinenten, der in der Szene viel zu lange nicht beachtet wurde.

Fazit: Kevin Crawford „Spears of the Dawn – Fantastic Adventure In An Untamed Land“ ist das Old-School-Rollenspiel, das Afrika endlich auch als fantastische Rollenspielspielwelt verwendet ohne dabei auf Klischees zurückzugreifen. Fundiert wurde die afrikanische Geschichte und die unterschiedlichen Kulturen, die sich dort finden, verwendet, um ein stimmiges Rollenspiel zu erschaffen, dass alte und neue Spieler sowohl vom Hintergrund als auch vom System und vom Inhalt her überzeugen wird. Kaufen und spielen!
 
Ich hatte damals den Kickstarter etwas verfolgt, aber dann aus den Augen verloren - aber die Grundidee find ich schon mal spitze, man muss ja nicht immer alles nur um Europa und europäische Vorstellungen zentrieren.

Leider kann ich mangels persönlicher Erfahrungen und Wissen nicht wirklich sagen, ob es mehr Richtung Ethno-Kitsch geht, oder sich schon deutlich tiefer damit befasst - aber ich hoffe durch das gute Ankommen des Spiels, dass es eher letzteres ist.

Hab mir mal das pdf gegönnt, ist ja nun wahrlich erschwinglich. Und in meinen Augen durchaus unterstützenswert vom Grundgedanken her.
Durchlesen werde ich es mir hoffentlich recht bald, aber ich bin recht zuversichtlich, dass es mir wirklich gefällt.
Und das, wo ich ansonsten englischsprachige Regelwerke nur recht ungern durcharbeite. ;)

Auf jeden Fall vielen Dank für die Rezi, die das Spiel ein wenig bekannter macht, und mich auf jeden Fall schon mal dafür gewinnen konnte! :)
 
Schließe mich mal an.

Mir wäre ein etwas weniger old-schooliger Ansatz lieber gewesen, mehr Exotik und weniger Bekanntes (bei den Klassen zum Beispiel) aber ich finds schon gut, dass der Kontinent überhaupt mal abgedeckt wird. Mehr davon.

Was mich dazu bringt. Ich muss noch einen Marvel Heroic Single-Shot im Black Panther inspirierten Afrika vorbereiten..
 
Ich habe den Kickstarter unterstützt, weil auch die bisherigen Sine-Nomine-Produkte wie Stars Without Number, Other Dust oder Red Tide EXZELLENTE Qualität bieten. Spears of the Dawn reiht sich in diese Reihe an durch und durch empfehlenswerten Rollenspielen nahtlos ein.
 
Ich habe mir jetzt nur diese Rezi durchgelesen. Was mich interessiert: Ist ein Kushitisches oder Pseudo-Kushitisches Reich mit im Spiel?
 
Das Setting hört sich ganz danach an als ob es mir gefallen könnte. Das D&D-artige Regelwerk nicht. Ich hab noch nie verstanden warum man Attributswerte hat die für nichts gut sondern außer das man von diesen dann die richtigen Attributswerte ableitet.
 
Ich habe mir jetzt nur diese Rezi durchgelesen. Was mich interessiert: Ist ein Kushitisches oder Pseudo-Kushitisches Reich mit im Spiel?
Nyala ist eher an die Reiche im Raum Nigeria und die Küste nach Westen angelehnt, jedenfalls meinem Eindruck nach. Das Endgegnerreich der Deshriten passt eher zu Kushiten.

Insgesamt habe ich das Buch bald durch und finde es super! :)
 
Um das vielleicht zu präzisieren: ich lese nur den Settingteil. Die Regeln sind echt für die Katz, ohne würde mir das Buch noch besser gefallen. Für D&D-Fans ist es aber sicher was.
Der Settingteil ist super.
 
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