Rollenspieltheorie Serien, Erzählstrukturen und Rollenspiel

Teylen

Kainit
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16. August 2007
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Vor kurzem habe ich einen Artikel über TV Serien gelesen der, unter anderem, eine Entwicklung hinsichtlich der Erzählstruktur von TV-Serien betrachtet: Die ausbleibende Revolution
Um das lesen des 32-seitigen PDFs zu verkürzen stellt der Artikel zwei grundlegende Strukturen heraus:
  • Die Traditionelle in sich abgeschlossene Erzählweise (Fallstruktur)
    Bildlicher formuliert das klassische "Monster of the Week" Phänomen.
    Die Serien bieten Handlungen die in sich geschlossen sind. Das heißt in der Folge stellt sich eine Herausforderung. Die Herausforderung wird bewältigt und eine Entwicklung der Figuren über jeweilige Episode hinaus findet nicht statt.
  • Eine horizontale Erzählweise (Story Arcs)
    Bei dieser werden Handlungen über mehrere Folgen, eine Staffel Folgen oder mehrere Staffeln hinweg gespannt sowie Charakterveränderungen thematisiert.
Der Artikel stellt über dies hinaus das es Zwischenstufen gibt. Das heißt Serien die eine Staffelübergreifende Handlung bieten, dabei jedoch weiterhin auf die Fallstruktur zurückgreifen.

Ich persönlich finde die Beobachtung interessant und nehme an das, würde man die Serien stärker untersuchen man noch weitere Rückschlüsse hinsichtlich der Struktur gelangt.
Vielleicht gibt es diesbezüglich schon interessante Thesen, Beobachtungen und ich kenne sie nur nicht? Indem Fall würde ich mich über Links freuen.


Der Grund wieso ich es in das Rollenspielforum gepackt habe ist die Überlegung in wie weit es möglich ist die Struktur, so man sie analysiert hat, von Serien auf das Spiel zu übertragen.

Vielleicht ist es nur mein Eindruck, allerdings kam mir die Idee das Rollenspiele eher an die Struktur eines (Kino)Films oder eines Roman anlehnt anstelle an einer Fernseh oder Heftserie.

Das heißt man versucht die Zuschauer von unterschiedlichen Serien, ob actionbasiert oder dramatisch, abzuholen und lädt sie quasi zum rollenspielerischen Filmabend, statt zu einem Serienabend ein.

Wobei hierbei mitunter mit den Genre Konventionen gebrochen wird.
Vielleicht wegen der fehlendenden Analyse der Struktur?
Das heißt wenn man an einer Rollenspielrunde teilnimmt die auf Drama wert legt kann es mitunter, ich bin geneigt zu sagen häufig, passieren das das Ende eher tragischer Natur ist.
Wenn man eine Serie mit einem mehr oder weniger starken Fokus auf dem Drama betrachtet kann man feststellen das ein Großteil der Folgen nicht tragisch sondern optimistisch endet und gerade zum Ende eher gut ausgeht.


Insofern, in wie weit hättet ihr Ideen wie man ein Serien-Gefühl besser auf Rollenspiele übertragen kann? Welche Strukturen seht ihr dort? Fallen euch vielleicht schon positive Beispiele ein?

Als kleine Einschränkung würde ich gerne über Ansätze reden die einem ermöglichen so zu spielen das die Handlung der Figuren einer Serienstruktur gleich kommt. Nicht so das die Handlung der Figuren einem Regiseur/Kreativen einer Serien gleich kommt.

Das heißt eher die Seite die sagt:
"Ich mag Bree, Lynette, Gabriel oder Susan in der Wysteria Lane spielen."
"Ich mag Will Graham, Hannibal Lector, Bedelia Du Maurier, Jack Crawford spielen."
"Ich mag Felicity, Oliver Queen, Diggle, Black Canary spielen."
Nicht die Seite die sagt:
"Ich mag Marc Cherry oder den Set-Designer von / bei Desperate Housewives spielen."
"Ich mag Bryan Fuller oder den Set-Designer von / bei Hannibal spielen."
"Ich mag eine Superheldenserie wie Arrow designen."
 
Es gab mal in der Mephisto eine Serie darüber, im Prinzip wurde das Akte-X Prinzip in die WoD verfrachtet und die Runde bediente sich stark der serientypischen Elemente inklusive Szenen wie Rückblicke, Off-Dialoge, die einzelnen Szenen waren auch wie Filmszenen angelegt und die Beschreibung folgte. Ich schau mal nach, wie das genau war, wenn ich zu Hause bin.

Ich habe zumindest mal eine zeitlang versucht, die szenische Gestaltung an Filme/Serien anzulegen und entsprechend in Weitwinkelaufnahmen, Rückblenden und Ähnlichem gedacht und geleitet. Ist recht anstrengend und fordert auch von den Spielern einiges ab, hat aber auch sehr intensive Momente gefördert, besonders als der Bösewicht endlich enttarnt wurde, der bislang nur immer (als andere Szene, in der die Charaktere nicht selbst waren aber andere kleine Rollen übernommen oder als Spieler einfach zugeschaut hatten) aus dem Schatten gesprochen hatte usw.

OK, ist zwar in erster Linie eine technische Sache (im Prinzip Kamera und Szenenbild sowie Szenenverteilung) und spricht nicht den Storyverlauf oder die Charakterentwicklung an, aber auch das ist ja ein Aspekt, der zu einer Serie gehört.
 
Bei Rollenspielen ist es mir zuletzt in der Gestaltung der Abenteuer bei Double Cross aufgefallen.
Die Abenteuer die jeweils etwa 3-4 Stunden umfassen sollen wirkten sehr in der Struktur an Anime-Folgen angelehnt.
Das heißt eröffnet wird es mit jeweils einer Szene pro Charakter in der der jeweilige Plot-Hook herangetragen wird.
Es folgt eine kleine Mittige-Phase bei der die Charaktere zusammen kommen, sowie Informationen zusammen getragen werden.
Es kann ebenso Szenen geben bei denen nur die NSCs agieren.
Das zusammentragen der Informationen löst Ereignisse aus. Das letzte Ereignis führt zu einem Klimax, einem Kampf.
Anschließend gibt es wieder, im Grunde pro Charakter, eine Abschluss-/Endszene.

Wobei ich beim lesen etwas bedenken hatte das unter der Struktur bzw. den Abenteuern so wie sie beschrieben sind die Entscheidungsmöglichkeiten leiden.
 
Flashbacks sind auch doof im pen&paper. Zumindest wenn sie Handlungsrelevantes einbeziehen.

Dafür geht Bullet-Time ganz toll. ;)
 
Flashbacks sind auch doof im pen&paper. Zumindest wenn sie Handlungsrelevantes einbeziehen.

Dafür geht Bullet-Time ganz toll. ;)

Da hab ich andere Erfahrungen gemacht. Bei unserer Hunter-Runde hatte einer unserer Spieler einen Flashback vom Tod seiner Verlobten. Wir alle haben dann die Beteiligten übernommen und am Ende ist sie dann gestorben mit den Worten "ich bin schwanger" (war vorgegeben vom SL und der Spieler des Flashbackhabenden wusste bis dahin nix davon, nur dass sie erschossen wurde). Das war einer der coolsten und gleichzeitig krassesten Rollenspielmomente ever.
 
In den Mephisto-Ausgaben 9-12 befasste sich die Artikelserie "Die V-Akten. Das Rollenspiel als Serie" von Klaus Johann mit dem Thema. Wie oben schon gesagt werden einzelne Handlungen/Abenteuer als Serienfolgen konzipiert, es gibt eine Rahmenhandlung mit einem überspannenden Thema aber auch einzelne "Monster of the week" Folgen. Es gibt Hauptfiguren, Nebenfiguren, Specials und Cliffhanger. Danach folgt eine Art Staffelübersicht mit den Kurzfassungen der einzelnen Folgen.
 
Was ich gerne mache: lose Plotideen einstreuen, auf die die Charaktere eingehen können und zeitlich im Rahmen von max. 1-2 Abenden Handlung ausgelegt sind. Das wäre wohl Monster of the week. Hin und wieder tauchen dann im späteren Rundenverlauf Bezüge zu voran gegangenen Miniplots auf, die über lange Zeit einen eigenen großen Plotstrang bilden (horizontale Erzählweise).
Ich mache das seit Jahren so, habe das aber nie in Bezug auf Serien-Erzählstruktur gesehen. Vielleicht hatte ich in meiner Anfangszeit bloß eine ähnliche Idee für meinen Leitstil.
Das schöne daran ist: Selbst nach Jahren einer Spielrunde treffen die Charaktere auf alte, bekannte Geschehnisse und es kommt für die Spieler zu einem großen Aha!-Erlebnis. So schaffe ich es, ein offenes Kampagnenhauptziel durch meine Spieler zu erschaffen ohne dass sie merken, dass ich bloß irgendwie diesen losen Faden mit einem anderen losen Faden von früher verknotet habe. ;)
 
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