Sein letzter Tag

Desaparecidos

Coheed&C. - Welcome Home
Registriert
28. Februar 2004
Beiträge
2.222
Sein letzter Tag

Es war acht Uhr morgens, eigentlich fing jetzt der Tag erst an. Doch seiner hatte schon lange vorher begonnen, viel zu lange. Die halbe Nacht hatte er unter der alten Trauerweide hinter dem kleinen Haus gesessen und einfach in die Nacht gestarrt, Stunden lang alleine mit sich und seinen Gedanken. Er war nicht wirklich alleine gewesen, der Schrei einer Eule und leises Rascheln im Gebüsch hatten seine Reise in die Vergangenheit begleitet. Vieles war ihm durch den Kopf gegangen, viele Gesichter von vielen Freunden die er lange nicht mehr gesehen hatte, einige die er nie mehr sehen wollte. Bis heute. Seine Gedanken hatten plötzlich Sätze geformt die er schon vergessen hatte, wichtige Sätze , über die er froh war. Froh sich jetzt wieder erinnern zu können.
Er setzte sich an den Tisch und strich mit den Fingerspitzen über die Holzplatte, fühlte die Kerben und Furchen darin. Beim reingehen hatte er das Nachbarskind gesehen, mit seinen blonden Zöpfen und dem lila Kleidchen. Seit wann war es so groß geworden? Hatte er es die ganze Zeit nicht auch jeden Tag gesehen? Fast war es als wäre er lange fort gewesen und würde die Kleine heute das erste mal wieder sehen. Dass seine Blumen welk und vom Unkraut überwachsen waren war ihm auch nicht aufgefallen, sie hatte es ihm gesagt. Eben, bevor sie die Straße runter gerannt war um den Schulbus noch zu bekommen. Dabei hat sie gelacht. Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Die Blumen hatte er zusammen mit Maja gepflanzt, sie hatten ihnen so viel bedeutet. Doch wann sie diese Bedeutung für ihn verloren hatten konnte er nicht sagen. Der Duft schwarzen Kaffees stieg ihm in die Nase, er legte beide Hände um die Tasse, von welcher ihm ein schon teils verwaschenes „Guten Morgen, Liebling!“ entgegensprang. Maja.. er hatte auch sie fast vergessen, hatte aufgehört an sie zu denken und wusste jetzt nicht mehr warum. Weshalb es damals plötzlich aufgehört hatte und ihr Gesicht in seinem Kopf langsam verblasst war, ersetzt wurde vom schlichten, grauen Nebel des einfachen Daseins. Trotzdem hatte er jeden Morgen aus ihrer Tasse getrunken, ohne Grund. Er tat es einfach, hatte versucht sich noch an ein kleines Stück von ihr zu klammern, an drei rote Worte von ihr. Er schüttelte grinsend den Kopf und trank einen Schluck. Sie hätte alles von ihm verlangen können. Er hätte es gemacht. Doch es war vorbei, so schnell vorüber gezogen wie die Landschaft beim Autofahren an einem vorüber zog.
Mittlerweile hatte er einen leichten Bauchansatz und seine Schläfen zeigten die ersten grauen Haare. Der hübsche Kerl von früher war älter geworden. Der strenge Zug um seinen Mund wollte nicht so recht zu ihm passen. Er war es immer gewesen der alle zum Lachen gebracht hatte, damals in seiner Klique. Draußen auf dem Baum vorm Fenster zwitscherten zwei Vögel, sprangen und flogen umeinander her. Sein achtzehnter Geburtstag war schon toll gewesen. Gleich als erstes hatte er sich seinen Führerschein geschnappt und war nach draußen gegangen. Zu seinem neuen Wagen, der eigentlich alt war, ihm aber neu gehörte. Seine Mutter hatte ihm noch etwas hinterher gerufen, das wusste er genau. Doch was es gewesen war wusste er nicht. Hatte er vermutlich nie gewusst weil er viel zu aufgeregt gewesen war um auf ihre Worte zu achten. Er trank einen weiteren Schluck. Peter hatte ihn angerufen und gefragt ob sie eine Runde drehen wollten. Peter war sein bester Freund, damals und heute noch. Sie waren durch den Ort gefahren und hatten Musik gehört, gelacht wenn sein Auto plötzlich ausging. Die Tankrechnung war hoch gewesen, viel zu hoch, doch es hatte sich gelohnt fast den ganzen Tag im Auto zu verbringen. Abends hatte es eine Fete gegeben. Eine 'Saufete' hatte Peter sie genannt, weil sie so viel Spaß hatten, sie und die anderen aus der Klique. Er lachte, so als hätte ihm gerade jemand einen lustigen Witz erzählt. Dann stand er auf, nahm seine Tasse und ging ins Nebenzimmer. Im Türrahmen blieb er stehen und sah sich um. Das erste mal wieder, seit langer Zeit. Er betrachtete die Bilder an der Wand, das alte Sofa und den ganzen Rest. War es heute wirklich das erste mal, dass er den Raum so sah wie er ihn jetzt sah? Hatte er nicht immer so ausgesehen? Wann hatte er begonnen die Dinge nicht mehr zu sehen, wann war ihm alles egal geworden? Er trank den Rest des Kaffees mit einigen Schlucken und ging zurück in die Küche um die Tasse wegzustellen. Dabei schüttelte er den Kopf und rieb sich mit den Fingern über die Augen. Es war schon spät, viel zu spät um noch etwas zu tun. Zu lange war er wach gewesen, oder war er heute erst aufgewacht? Er wusste es nicht, doch es war ihm auch nicht mehr wichtig. Denn es hatte sein Ende heute. Heute würde alles aufhören. Langsam drehte er sich um, ging aus der Küche heraus, die Treppe hoch in sein Schlafzimmer und zog sich aus. Er legte sich ins Bett und dachte lächelnd an seine Blumen. Heute war sein letzter Tag...


by Des
 
hmm es muss ja nicht unbedingt traurig sein, nur eine etwas trübe Stimmung..
Sein letzter Tag bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass er nicht mehr aufwachen wird. Vielleicht ändert sich nur alles.
Er sieht die Dinge wieder, erinnert sich an Sachen die er vergessen hatte, oder vergessen wollte.

aber schön dass es dir gefällt ;o)

Des
 
Eine sehr schöne Geschichte.
Besonders gut gefällt mir der Schluß, da mann in dieses offene
Ende sehr viel hineininterpretieren kann, wie du ja in deinem eigenen
Beitrag bereits erwähnt hast.
Scheinbar legst du sehr viel Wert, auf den "Hintergrund" deiner Geschichte damit lenkst du den Leser zwar ein bischen vom eigentlichen Schlüsselthema ab, verschaffst ihm aber ein "reelleres Bild".

Du hast genau meinen Geschmack getroffen!
 
Desaparecidos schrieb:
hmm es muss ja nicht unbedingt traurig sein, nur eine etwas trübe Stimmung..
Sein letzter Tag bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass er nicht mehr aufwachen wird.
Davon bin ich auch nicht ausgegangen. Nur möchte ich niemals so auf mein bisheriges Leben zuückblicken. *schauder*

Obwohl der Kerl eigentlich sympathisch rüberkommt...
 
Zurück
Oben Unten