Rezension Schismatrix [B!-Rezi]

Infernal Teddy

mag Caninchen
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Bruce Sterling - Schismatrix


[Team Rezi] von Infernal Teddy


Die wichtigste – und wahrscheinlich prägendste – Bewegung innerhalb der Science Fiction war in den Achtzigern der Cyberpunk. Neue und neuste Technologien verschmolzen mit sozialen Trends und Bewegungen, und im Gegensatz zur Golden Age oder dem New Wave war das dominante Kriterium nicht die Technik oder die psychologisch-philosophische Betrachtung, sondern die Erzählkunst und der Realismus. Die Golden Age wurde von Autoren wie Asimov oder Heinlein dominiert, technikbegeisterte, bei denen auch die Technik, die Wissenschaft im Vordergrund stand (Ein Kritiker behauptete scherzhaft, man könnte fast anhand von Heinleins Beschreibungen die Rüstungen aus Starship Troopers nachbauen), während der New Wave der Sechziger kehrten Autoren wie Brunner oder Dick den Blick nach innen, und schufen eine Science Fiction des Geistes. Der Cyberpunk – oder, wie die Autoren dieses Subgenres es nannten, die „Movement“ – dagegen versuchten eine Literatur zu schaffen, in der Menschen immer mehr zu Maschinen wurden, und die Maschinen immer Menschlicher. Dominiert wurde dieses Genre von drei Namen: William Gibson, dessen Name zu einem Synonym für das Genre wurde; Rudy Rucker, der in Deutschland leider fast vollständig unbekannt ist, und der als einziger der frühen Movement tatsächlich auch was von dem verstand, was er schrieb (Er ist Programmierer); und Bruce Sterling, „Chairman Bruce“, dessen uns hier vorliegender Roman Schismatrix nicht nur ein wegweisendes Stück Cyberpunk ist, sondern auch zugleich ein Wegweiser für das später entstandene Genre des „Postcyberpunks“, beziehungsweise „Posthumanismus“ sein sollte.

Das Buch eröffnet inmitten politischer Spannungen: der junge Diplomat Abelard Lindsay ist ein politischer Gefangene des Lunarorbitals Mare Serenitatis, ein Opfer der politischen Intrigen des Sonnensystems. Denn Lindsay ist ein Vertreter der Gestalter, einer Fraktion von Biotechnikern, einer der beiden Supermächte des Sonnensystems – Mare Serenitatis ist allerdings fest in den Händen der Mechanisten, der technologischen Gegnern der Gestalter. Ursprünglich waren Lindsay und sein Jugendfreund Constantine von der Regierung des Orbitals zu den Gestaltern geschickt worden, um ein Gleichgewicht zwischen den Mächten bilden zu können, doch heute sind sie eine politische Peinlichkeit – und durch ihren Einfluß auf die Jugend ihrer Welt eine Gefahr für den Status Quo. Alles spitzt sich zu, als eine junge Frau, die Geliebte sowohl Lindsays als auch Constantines, Selbstmord begeht, und dabei auch einer der regierenden Alten, Lindsays Onkel umkommt. Darauf hin wird Lindsay verbannt, in die Volkszaibatsu Mare Tranquilitatis, einer verkommenen und gesetzlosen Mondorbitalen, wo er sich eine Existenz als „Herr Tze“, einem Theaterdirektor, aufbaut. Von dort aus führt ihn sein Leben weiter hinaus ins Sonnensystem, an verschiedenste Orte unter verschiedenste Namen, und immer auf der Flucht – zum einen vor seinem ehemaligen Freund Constantine, der ihn aus politischen Gründen aus dem Weg räumen will, zum anderen vor den Mechanisten, nachdem es Lindsay gelingt, sich den Gestaltern anzuschließen und deren Politik zu beeinflussen. Letztenendes wird Lindsey sogar einer der wichtigsten Figuren im ersten Kontakt mit einer außerirdischen Spezies, und treibt die Entwicklung, die Pantropie, der Menschheit voran.

Die Zukunft, die Sterling in diesem Roman zeichnet, ist gewaltig. Das genaue Jahr der Handlung wird nicht angegeben, sondern spannt von „ ´15“ bis „´86“. Die Erde ist aufgrund einer nicht näher beschriebenen Katasrophe fast unbewohnt, und spielt auch im Roman fast keine Rolle. Der Mensch lebt in verschiedensten Habitaten im Sonnensystem verstreut, und über allem tobt ein politischer, militärischer, aber vor allem ideologischer Konflikt zwischen den Mechs und ihrer Maschinentechnik, und den Gestaltern und deren Biotechnik, deren Produkt die Hauptfigur selbst zum Teil ist. Hier ist nie die Rede von Hackern oder Messermiezen – dennoch ist Schismatrix ein Cyberpunk-Roman reinstes Wassers. Deutlich zeichnet sich hier immer wieder ab, wie die Technik sich dem Menschen anpasst, während sich der Mensch der Technik – aber auch der Umwelt – anpasst. Die Mechanisten verschmelzen immer mehr mit ihren Maschinen, während die Gestalter parallel dazu ihre eigene Evolution vorantreiben. Sterling bettet diese Entwicklungen in eine Handlung ein, die man guten Gewissens als Technothriller aber auch Politthriller beschreiben könnte. Gleichzeitig beschreibt er Szenen und Ideen ungeheuer flüssig, egal wie phantastisch diese im ersten Augenblick wirken. So wird eine Nebenfigur, der alternde Mechanist Rjumin, irgendwann zur Geist in der Maschine, zum Zentralrechner einer Orbitalen, während andernorts der komplette Wohnbereich einer Station aus der manipulierten und geklonten Vagina und Nervensystem einer Frau besteht.

Letzten Endes kann man nur sagen das die Science Fiction für Romane wie Schismatrix erfunden wurde. Sterling schuf hier einen zeitlosen Klassiker, der in der Öffentlichkeit leider weit hinter Gibsons Neuromancer zurückstehen musste. Wer aber wissen will, warum Science Fiction immer noch die „Literatur der GROSSEN Gedanken“ ist, als die sie unter anderem von Dan Simmons bezeichnet wird, kommt an diesem Buch kaum vorbei.Den Artikel im Blog lesen
 
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