Schatten im Regen

Silvermane

Wahnsinniger
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22. Februar 2004
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Prolog

Zwölf Monate harte Ausbildung. 1500 Credits, die ich in teures Equipment gesteckt habe. Der Zorn meines Vaters und das Unverständnis meiner Mutter. Die Erniedrigungen. Der Schweiss. Und die Tränen. Sie haben mich zerbrochen und nach Mr. Slayers Vorstellungen neu geformt.
Und wofür? Damit ich als frischgebackener Operative irgendwo in den Abwasserleitungen unter Mort City eine gottverdammte Pumpe zusammenflicke. Ich werfe einen abschätzigen Blick auf die kleine blaue BPN-Karte. 100 Credits. Bei den unverschämten Preisen hier in Uptown reicht das gerade mal aus, um die Lebensmittel für diese Woche zu bezahlen.

Ich seufze und beginne, meine Rüstung anzulegen. Der Gedanke, mit meiner jungfräulich weißen PP-08 in der Scheiße anderer Leute herumzuwaten gefällt mir absolut nicht. Ich befestige meine Ausrüstung an den dafür vorgesehenen Magnethaltern und schnappe mir meinen Werkzeugkasten. Draußen hupt Spark. Zeit zu gehen.



Schatten im Regen

„He, Pummel, was hat dich aufgehalten? Probleme deinen fetten Arsch in den Panzer zu quetschen?“
Snakebite. Ich unterdrücke halbherzig das Bedürfnis ihn umzulegen und seine Leiche zu schänden.
„Für dich immer noch Miss Montoya, Arschloch!“
„Was ist, Speckbacke, schlechten Sex gehabt?“
„KLAPPE HALTEN AUF DEN BILLIGEN PLÄTZEN DA HINTEN!“
Spark. Na, zumindest ist jetzt Ruhe. Ich pflanze mich auf einen der harten Plastiksitze und öffne das Helmvisier.
Snakebite hat seinen Helm abgesetzt und zündet sich einen Sargnagel an. Er hat ein recht hübsches Gesicht, mit seinen wasserblauen Augen und dem Dreitagebart. Ändert aber nichts daran das ich seine Machoscheiße nicht abhaben kann.
Feral gähnt herzhaft. Er ist ein Wraith Raider, ich schätze für ich sehen wir alle aus wie schwabbelige, haarlose Fettsäcke. Von vorne höre ich Spark über ein paar unvorsichtige Fußgänger fluchen. 12 Kilotonnen pure Sprengkraft gebündelt in einem Körper in Kindergröße. Ich würde mich allerdings hüten, Witze über ihre Größe zu machen. Der letzte, der das probiert hatte war Snakebite. Der Arzt sagt, das er wohl keine Kinder mehr haben wird wenn ihn Spark noch mal so zurichtet.
„Geh aus’m Weg, du Armleuchter! Ops auf göttlicher Mission! Achja, wo wir schon mal bei Mission sind...worum geht’s eigentlich diesmal?“
Feral streckt sich noch einmal genüsslich, dann schnurrt er mit seiner samtweichen Stimme „Ganz gewöhnliches Blaues BPN; wir gehen in die Kanalisation runter, reparieren die Pumpe und verschwinden wieder. Hier.“
Er hält uns sein Kartenlesegerät hin.
„Ich habe die Route eingezeichnet. Wenn alles klappt, sind wir in 3 Stunden wieder zu Hause.“
„Was ist das da vorne?“
„Eine alte Zisterne. Nach meinen Karten allerdings ohne Verbindung zur Oberfläche.“
„Schade. Hätte uns’n ganzes Stück Weg erspart.“ Snakebite zieht genüsslich an seinem Zigarillo.




Es ist wesentlich schlimmer, als ich es mir vorgestellt habe. Selbst durch die Filter in meinem Helm ist der Gestank unerträglich. Wir waten seit über Zwei Stunden durch knöcheltiefen Morast. Selbst Snakebite hat aufgehört herumzuätzen, schätze, er verträgt den Duft der Heimat nicht. Feral hat die Führung übernommen. Ich selbst habe gerade eben die defekte Pumpe zusammengeflickt, während Snake die ohnehin schon beschissene Luftqualität mit seinen zigarillos weiter senkt..
Im Schein unserer Lampen sieht das Wasser fast schwarz aus.
„Hast du das gehört?“ Oh Mann, Snake, hör mit Klugscheißen auf...
„Ja. Klopfgeräusche. Schätze, es gibt hier Carriens.“
“He, sind die Scheißer nicht 10 Credits pro Kadaver wert?”
„Ja, aber....HE, SNAKE?! Was soll das werden?“
„Ich geh mir einen fetten Bonus schießen...“
Ich sehe, wie seine Lampe in der Dunkelheit verschwindet.
„Dieser Idiot! Wenn er so weitermacht, haben wir gleich jeden Carrien im Umkreis von einem halben Kilometer am Arsch kleben!“
Der Wraith ließ ein frustriertes Murren vernehmen. „Ich versuche, den Irren aufzuhalten. Du wartest hier auf mich, okay?“
„Okay.” Super. Alleine in einem dunklen Abwasserkanal.
“Hier, nimm die Karte. Wenn ich mich in 10 Minuten nicht gemeldet habe, gehst du zurück zu Spark und wartest bei ihr am Jeep, okay?“
„Okay.“ Ein weiteres Licht verschwindet in der Dunkelheit. Ich bin alleine. In der Ferne kann ich das Plätschern von Ferals Schritten hören, bis auch diese verstummen. Ich schalte den Kommunikator ein.
„Squad, hier ist Montoya, erbitte Status.“
Stille.
Scheiße.
Die gemauerten Backsteinwände scheinen langsam enger zu werden. Ich höre ein Pfeifen.
„Feral?“
Nichts, keine Antwort, keine Reaktion. Wahrscheinlich sind wir zu tief, oder die Mauern zu dick.
„Snake?“
Wieder das Pfeifen. Ich entsichere mein Gewehr.
„Spark?“
Pfeifen. Diesmal aus dem anderen Tunnel.
„Irgendwer?“ Ich komme mir vor wie in einem schlechten Horrorfilm. Verdammt, ich bin nicht hübsch genug um zuerst zu sterben!
Das Gewehr in der einen und die Navamap in der anderen Hand renne ich zurück in Richtung Ausgang.
Und stolpere.
Und natürlich verliere ich dabei die Scheißkarte. Ich versuche, sie im knöcheltiefen Schlamm wiederzufinden. Aussichtslos, es bleibt beim Versuch.
Etwas trifft mich am Helm und verschmiert mein Visier. Ich reiße das Gewehr hoch und feuere halbblind eine Salve in die Richtung des Angriffs.
Carriens!
Nur weg hier! Ich entleere den Rest meines Magazins in die Richtung, in der ich meine Angreifer vermute und beginne zu rennen. Dem Gekreische hinter mir nach zu urteilen habe ich wohl getroffen. Ich renne. Und stolpere wieder, raffe mich auf und falle noch mal. Irgend etwas packt mich am Bein. Ich reiße wieder mein Gewehr hoch und drücke ab, aber es ist leer.
Dann sind sie über mir.
Ich kann nur noch ein Gewimmel von Zähnen und Krallen sehen. Irgendetwas hämmert stumpf gegen meinen Brustpanzer.
Oh Gott.
So will ich nicht sterben.
TCHUNK-THWIP
Irgendetwas Dunkles klatscht feucht gegen meine Sichtscheibe.
TCHUNK-THWIP
Die Carriens schreien aufgeregt.
TCHUNK-THWIP
Der Carrien über mir zuckt und erbricht schwarzes Blut über mich. Dann endlich gibt mein Geist auf und ich versinke in die Bewusstlosigkeit.




Ein Stich und ein Kribbeln. Ich kenne das Gefühl. Kickstart.
Ich öffne vorsichtig die Augen. Mein Helmvisier ist zerbrochen. Überall Risse. In der Dunkelheit vor mir sehe ich sieben grüne Punkte matt leuchten.
„Bist du okay?“
Die Stimme ist fremdartig, elektronisch.
„Kannst du mich hören?“
Ich nicke.
„Was...was ist passiert?“
“Du hattest einen Zusammenstoß mit den Carriens. Kannst du stehen?“
Ich versuche mich aufzurichten. Zu meiner Überraschung sind meine Gliedmaßen noch vollständig, auch wenn mein Panzer schon besser ausgesehen hat.
Meine Lampe ist zerbrochen. Ich ziehe einen Leuchtstab aus meiner Tasche, knicke und schüttle ihn.
Vor mir steht ein wahrer Hüne; im schwachen Glühen meines Leuchtstabes erkenne ich, das die sieben Lichtpunkte zum Sichtsystem seiner Rüstung gehören. Um mich herum liegen etwa ein Dutzend Carriens, ihre Körper eine einzige, blutige Masse.
„Das hier ist kein Platz für dich, Kind. Du solltest jetzt besser gehen.“
„Gerne. Wenn du mir verrätst, wo der verfickte Ausgang ist!!!“
Verdammt, das war nicht gut. Der Typ hat mir den Arsch gerettet und ich schreie ihn an. Großartig.
„Es ist nicht weit. Komm.” Er drückt mir mein Gewehr in die Hand. „Hier, das wirst du brauchen können.“


Die Kanäle sind totenstill. Kein Klopfen, kein Pfeifen. Nur das monotone Geplätschere unserer Schritte.
„Verrätst du mir deinen Namen?“
„Mein Name...ja...“
Er hält inne. Naja, zumindest vermute ich, das es ein Er ist.
„Nenn mich Wolf.“
„Wolf, okay. Ich bin Sachiko. He, ich wollte dich vorhin nicht anschnauzen. Vielleicht können wir ja mal zusammen einen Kaffee trinken gehen oder so...“
„Shhhhh…”
“Was ist? Du magst keinen Kaffee, hm? Ist schon okay, wir...“
„ShHH! Sie kommen hierher...etwa 8. Mach dich bereit.“
Ich schlucke und schiebe ein neues Magazin in meine Waffe.
„Da vorne…sie haben einen ihrer Anführer dabei...”
„Okay, fertig…” Ich kann kleine gelbe Punkte in der Dunkelheit tanzen sehen. Ich höre das Schnattern der Carriens.

Dann geht alles sehr schnell. Die Carriens kommen von mehreren Seiten. Einige von ihnen haben Waffen dabei. Ich feuere. Und feuere wieder. Salve um Salve. Bis ich es klicken höre. Ich ziehe das MAC Messer aus meinem Gürtel und mache mich bereit, in den Nahkampf zu gehen. Eine kreischende Woge von Leibern brandet auf mich zu. Ich schlege um mich, steche hier, schneide da.
Ein metallische Kreischen.
Wie in Zeitlupe sehe ich die Powerdisc auf mich zusegeln. Es ist Snakebites Powerdisc. Er hat ein kleines Vermögen dafür ausgegeben, das sie im Dunkeln eine hellgrüne Leuchtspur hinter sich herzieht.
Etwas schießt durch mein Blickfeld. Wolfs Hand. Die Disc frißt sich in seine Handfläche und bleibt zitternd stecken.

Ein metallischer Schrei gellt in meinen Ohren. Ich kann Wolf sehen, der sich die Power Disc aus der Handfläche reißt und sich mit ihr auf den gehörnten Carrien in der Mitte stürzt. Dann spüre ich einen stumpfen Schlag auf meiner Schulter und muß mich wieder um die anstürmenden Carriens kümmern.


Epilog.

Regen. Trübes Licht und Regen.
Ich habe es geschafft. Ich bin aus dieser gottverdammten Hölle entkommen. Ich drehe mich um und sehe Wolf zum Abschied winken. Nur ein kleines Stück von mir entfernt steht der Jeep. Ich kann Spark erkennen. Und Feral. Halb von Sinnen vor Glück stürme ich vor.
„Spark! Feral!”
“Sachiko!”
Spark wirft ihre Arme um mich. Meine Knie geben nach. Ich lasse mich einfach fallen.
“Hast du ihn gesehen? Er hat mich gerettet!”
„Wen soll ich gesehen haben?”
„Wolf! Der Riesenkerl da hinten!”
Spark schaut mich ungläubig an. Ich stehe auf und drehe mich um, aber alles was ich sehe ist der Eingang zum Höllenschlund.
„Wolf?!“
Nur ein Schatten im Regen.

-Silver
 
Sehr schöne Geschichte. Bei diesem "Wolf" musste ich ein wenig an die Geschichte aus dem GRW denken (mit dem mutierten Tieger[?] wo nachher ein Mr.Geheimnisvoll die OPs mehr oder minder rettet), wobei dies eher an dem Schema: plötzliches Auftauchen, helfen, plötzliches Verschwinden liegt.

Insgesamt kann ich nur noch mal sagen; gute Geschichte.

freundlichst,
Kelenas
 
Du hast eine sehr spannende Art, zu schreiben, gefällt mir sehr gut.

Ich bin ahnungslos, was Carriens sind - könntest die vielleicht beschreiben? nicht inder Geschichte, nur so, damit ich mirs besser vorstellen kann.

Weiter so...
 
Super Story. Schön geschrieben. Da kriegt man gleich Lust auf SLA.

Gibt es eine Auflösung dafür, wer Wolf ist, bzw. was für selbstlose Helfer sich dort in der Unterwelt befinden?
 
Skar schrieb:
Super Story. Schön geschrieben. Da kriegt man gleich Lust auf SLA.

Gibt es eine Auflösung dafür, wer Wolf ist, bzw. was für selbstlose Helfer sich dort in der Unterwelt befinden?

Dein Wunsch ist mir Befehl. Aber das hier ist die World of Progress, selbstlose Helfer sind Wunschdenken... :D

-Silver
 
informsationsfluss ist schnell und gut spannend gehalten. was mir nicht gefällt, die leute sind ein bisschen zu cool (und zu wenig menschlich), um auf mich einen realen eindruck zu machen und mir das komplette eintauchen (bzw. die identifikation, mit einem der chars) in die geschichte zu erleichtern.

aber grundsätzlich für eine future/cyberpunk/alien-story gut.
 
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