Mal was Konstruktiveres...
Du stellst da SEHR viele, sehr grundsätzliche Fragen, auf die Du nicht mit Ernst eine konkrete, oder gar erschöpfende Antwort erwarten kannst. Nach dem Verfolgen der bisherigen Beiträge habe ich den Eindruck, Du bist Dir selbst nicht so ganz im Klaren was Du für wen und warum eigentlich entwickeln willst.
Meine erste Empfehlung: schreib Dir die Antworten auf diese Fragen auf. Bei den Antworten versuche so spezifisch, so konkret, so detailgetreu wie möglich zu sein. Also nicht "für alle Fantasy-Rollenspieler", sondern "für Freunde heroischen, aber nicht erzählerisch-cinematischen, sondern simulationsorientierten Rollenspiels, die Spaß an taktischen Situationen haben, die sie aber ebenso sehr durch Taktieren wie durch den Glücksfaktor - z.B. Würfeln - lösen wollen, wobei die Charaktere mit der Zeit an Fähigkeiten hinzugewinnen sollen, was aber nicht den Fortschritt des Abenteuers beeinträchtigen soll. Diese Spieler wollen nicht im Geringsten Realismus, sondern sie wollen zumindest mittelfristig aus ihren Anfängercharakteren überlebensgroße Helden vom Formate eines Conan sich entwickeln sehen. Sie hängen an ihren Charakteren und wären enttäuscht, wenn sie oft durch Tod der Spielercharaktere neue Charaktere erschaffen müßten. Sie favorisieren ein mild kulturbestimmtes Spiel. Sie wollen ihre Fantasy ohne zu "moderne" Einflüsse wie Schießpulver oder Dampfantriebe. Sie mögen Fremdrassen und haben die Erwartung abseits der normalen Gegenden ständig auf Monster zum "plätten" zu stoßen. ... <das kann noch eine ganze Weile so weitergehen, aber man merkt hoffentlich, was hier bei der Zielgruppenfindung so festgehalten werden sollte>".
Aber bevor Du gleich loslegst und ein ganze Kladde an Beschreibungen anlegst: die wichtigste Frage sollte sein: Warum willst Du eigentlich selbst ein System entwerfen? - Finde die Antwort darauf und Du findest eventuell einfachere Lösungen als den kompletten Entwurfsprozess zu durchlaufen.
Was paßt Dir an den Systemen, die Du kennst, nicht? Kennst Du vielleicht ZU WENIGE andere Systeme? Eventuell gibt es auf dem großen, weiten Markt der Rollenspiele schon ein System, daß zu 95% das macht, was Du erwartest, und bei dem die 5% eigene Anpassungen als ein überschaubarer Satz an Hausregeln abgehakt werden können.
Magst Du es einfach selbst etwas werden zu sehen, wachsen zu lassen, es zu überarbeiten, zu verfeinern, usw.? - Dann könntest Du immer noch mit einer Modifikation eines bekannten Systems anfangen, indem Du z.B. ein Magiesystem, welches Du schon immer als viel cooler als das alte, schlechte in System XYZ aufgefaßt hast, ausarbeitest und in das System XYZ einfach einbaust. Dann merkst Du auch gleich, wie eng verzahnt einzelne Spielmechanismen in manchen Systemen eigentlich sind, und ob ein Umbau ("Pimp my RPG!") überhaupt Sinn macht bzw. möglich ist, oder ob er sogar sehr einfach geht, weil das Grund-System eher modular aufgebaut ist.
Hier noch ein paar Fragen, die nicht andere, sondern die DU FÜR DICH und DEIN Rollenspielvorhaben beantworten solltest..
Ancoron Fuxfell schrieb:
Was soll ein Regelsystem leisten können?
Ja, was soll Dein Regelsystem den ALLES leisten können? Und noch viel wichtiger bevor Du in die Details abtauchst: Was soll es explizit NICHT leisten?
Ancoron Fuxfell schrieb:
Welche Gebiete müssen abgedeckt werden?
Das hängt doch davon ab, was Du mit Deinem System anfangen willst. Nimm HeroQuest (nein nicht das Brettspiel, sondern das Rollenspiel, welches früher auch mal HeroWars hieß). Da gibt es EINEN Regelmechanismus für Konfliktlösung (Konflikt heißt hier nicht Kampf, sondern jegliche Unsicherheit einer Handlung, die durch einen passiven oder aktiven Widerstand behindert werden könnte. Z.B. passiv: dieser Baum ist gegen eine Schwierigkeit von 17 zu erklettern; z.B. aktiv: bei der Zusammenkunft des Clan-Rings wirft Dir beständig der Vertreter des Sturmgottes Feigheit vor den Vertretern des feindlichen Nachbar-Clans vor. Du willst Dich mit einer flammenden Prahlrede von diesem möglichen Makel reinwaschen, doch der Sturm-Khan stellt jede Deiner Heldentaten in Zweifel - hier ist das Prahlen aktiv behindert durch die Zweifelnden Zwischenfragen des anderen, ein aktiver Widerstand in dieser rein verbalen Konfliktsituation). Dieser eine Regelmechanismus deckt tatsächlich ALLES auf einmal ab. Nur eben absolut nicht im Geringsten simulationsorientiert, sondern auf reiner Erzählungsebene. D.h. nicht genau WAS passiert wird entschieden, sondern WIE es passiert. Der Rest liegt in der Erzählung von Spieler und Spielleiter.
Du willst aber explizit KEINE erzählorientierte Systemausrichtung haben, so daß genau dieses obige Beispiel Dir nicht direkt weiterhilft. Daher solltest Du Dir genau überlegen, was Du für nötig hälst durch Regelsysteme abzuhandeln, und wieviel Unsicherheit aber auch Interpretationsfreiheit Dein System dem Spieler oder Spielleiter in die Hand geben soll. Es gibt die "Wir regel immer alles komplett"-Fraktion mit Vertretern wie z.B. Midgard (so zumindest von den Autoren auch bei der Regeldiskussion zum Perry Rhodan Rollenspiel im Midgard-Forum vorgetragen) und es gibt die Fraktion des "Mach's Dir doch selbst, wir haben Dir hier gezeigt, wie die Grundmechanismen funktionieren, alle Details kann sich doch jeder Spielleiter aus dem Ärmel schütteln". Bei letzterer kann man sogar böse behaupten, daß man garkein Rollenspiel erworben hat, sondern nur eine Grundidee und alles andere muß man dann selbst machen. Stimmt. Manchmal reicht eine Grundidee - vor allem, wenn man viel Zeit hat und viel selbst machen möchte. Anderen Spielleitern, die entnervt von der Arbeit heimkommen und noch ca. 1 Stunde Zeit haben den heutigen Spielabend vorzubereiten, geht dieser zeitliche Anspruch konträr zu ihrer sonstigen Lebensrealität und sie wollen etwas Schnelles, Komplettes haben, wo sie ihre kostbare Zeit mehr mit den Kern-Aktivitäten wie dem Szenarien-Vorbereiten zubringen können.
Ancoron Fuxfell schrieb:
Welche Faktoren müssen dabei berücksichtigt werden?
Was meinst Du damit? Den Luftdruck? Oder das Genre? Oder ob es ein Regelsystem für LARP, Computerrollenspiele, Pen&Paper ist?
Ancoron Fuxfell schrieb:
Wie genau sollte das System sein bzw. wie einfach muss es gehalten werden?
Sag Du es mir. Was willst Du alles in Deinem System haben, und wie detailiert willst Du das alles regeln? Möchtest Du z.B. einen schnellen Rundenfluß im Kampfsystem, oder lieber möglichst viele Details und Handlungsoptionen, die wohlgeplant (vom Spieler!) eingesetzt werden sollen? Da kann das Kampfsystem schon mal sehr unterschiedlich detailliert ausfallen. - Soll Dein Regelwerk für soziale Interaktionen gleich detailliert sein, wie Dein Kampfsystem. Z.B. Castle Falkenstein und Savage Worlds (ein eher erzählorientiertes und ein eher spieltaktikorientiertes System) haben beide MEHR Fähigkeiten zur sozialen Interaktion als zum Kämpfen. Jedoch ist die Menge an Handlungsoptionen im Kampf bei Savage Worlds enorm viel größer als die für Übereden, Bluffen, Beleidigen, Reizen, Einschüchtern, etc. Bei Castle Falkenstein ist das anders. Da ist es ziemlich gleichdetailliert, ob man sich bei Hofe gut benimmt oder im Kampf gut verteidigt. Je nach dem Fokus des Spielsystems UND des Settings ist die Fokussierung auf Details in einem Regelwerk angezeigt. (Das heißt nicht, daß es nicht auch einige tragische Beispiele gibt, bei denen ein Fokus in die eine Richtung vom Setting, Genre, Spielertypus her angelegt ist, und bei denen das gelieferte Regelsystem komplett daneben liegt, da es eine ganz andere Art von Setting, Genre, Spielertypus unterstützt - gutes Beispiel für solch einen tragischen Fall: Engel nach D20-System.)
Ancoron Fuxfell schrieb:
Was macht ein Regelsystem für den Meister gut,
Wenn Du schon "Meister" schreibst, dann hat das einen Hauch von DSA. Liege ich da ganz falsch? - Das oder die Rollenspiele, die Du kennst, geben Dir auch Deine Grundlage zur Erwartungshaltung, was alles ein Spielleiter (Meister, Erzähler, Marshal, Game-Master, Kerker-Meister, Gastgeber, Gott, Schiedrichter, Wärter/Keeper, etc.) tun soll. Da das aber je nach Spielart, Genre, Systemumfang etc. sich enorm unterscheidet, solltest Du auch hier mal die Zeit aufwenden und für Dich aufschreiben, was Du meinst, was ein Spielleiter Deines neuen Systems alles tun soll. - Beispiel: in Unknown Armies verwaltet der Spielleiter die Trefferpunkte aller Spielercharaktere insgeheim. In Midgard weiß der Spieler immer genau, wieviel er noch aushält, weil hier der Spieler seine Ausdauer und Lebenspunkte selbst verwaltet. In Everway erzählt der Spielleiter (bei strikter Regelanwendung) stets allein den Ausgang einer Handlung nach Einsatz der Schicksalskarten - bei Engel erzählen in der Regel die Spieler nach Legung der Arkana-Karten den Ausgang und vor allem den Hergang einer Handlung selbst.
Du siehst, daß Du Dir vorher überlegen solltest, was alles der Spielleiter zu verwalten, aber auch, was alles er zu beeinflussen hat. Willst Du den mündigen Spielern mehr Autonomie zugestehen, oder willst Du den Spielleiter mit Haufen Verwaltungskram überlasten, so daß die Story vor lauter Buchhaltung auf der Strecke bleibt? So - salopp formuliert - stellen sich die Fragen dar, die Du Dir beantworten solltest.
Ancoron Fuxfell schrieb:
was macht es für die Spieler gut?
Wenn Du Deine Spieler-Zielgruppe en detail beschrieben hast, dann solltest Du bei dieser Frage stets - nein, besser - STETS, WIRKLICH IMMER einen Aspekt, ein Kapitel, einen Regelmechanismus in Deinem System finden können, der direkt auf einen Eigenschaft, eine Anforderung, eine Vorliebe Deiner Ziel-Spielergruppe bezogen ist. - Du hast Fans von taktisch-ausgeklügeltem Vorgehen: dann ist z.B. ein auf einem Kartenraster basierendes, sehr taktisch ausgelegtes Kampfsystem etwas, das diese Anforderung adressiert. Bringst Du denen ein System mit abstrakten Aktionspunkten, mit einem Bieten-Mechanismus je nach Risiko der Aktion und mit "Kampfkraft-Pools", dann fehlt der obigen Zielgruppe das taktische Element.
Ancoron Fuxfell schrieb:
Wo treten bei vielen existierenden Systemen Probleme auf?
Überall. Immer. Läßt sich nie vermeiden. - Nur, was hilft es Dir?
Wenn Du kein Steampunk magst, dann kannst Du mir sicher eine Latte von Problemen mit dem Steampunk-Setting nennen, die Dir den Spaß verderben.
Wenn Du keine kartenbasierten Konfliktauflösungen magst, dann kannst Du mir sicherlich eine Vielzahl von Dingen aufführen, die mit Würfeleinsatz besser gehen.
Wenn Du keine Hitpoints magst, dann kannst Du mir lauter Probleme und Unstimmigkeiten aufzählen, die alle mit einem mehr oder weniger anatomisch korrekten Wunden-System vermieden werden könnten.
Also Probleme gibt es vor allem, wenn das System und der Spieler/Spielleiter nicht zusammenpassen - siehe oben: Zielgruppe definieren!