Rezension Rolemaster GRW [B!-Rezi]

Shadom

Brony
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Rolemaster


Grundregelwerk [B!-Rezi]


"Dieses Buch wird ihr Leben retten!"

Die ersten Worte im Vorwort des Rolemasterregelwerks. Was im ersten Augenblick wie ein wenig augenzwinkernde Selbstironie wirkt, erweist sich wenn man weiterliest als die echte (wenn auch leicht überspitzte) Meinung der Autoren.
Wow, da mache ich mich mal auf ein lebensverändernden Ritt gefasst.
Fangen wir aber am Anfang an und der ist, wie es sich bei einer Buchrezension gehört, der Eindruck von Außen.

Die gesamte Rolemaster (ab hier RM) Reihe von 13 Mann kommt in wirklich ordentlicher Qualität daher. Genauso auch das GRW. Ein ordentliches Hardcover (bei unter 300 Seiten nicht unbedingt selbstverständlich), Lesebändchen… alles in allem: Besser geht’s kaum!

Der Layoutstil ist ein bisschen durchmischt. Mein Favorit sind die wirklich tollen düsteren und blutigen, hyperrealistischen Actionbilder wie das Cover aber vor allem viele Kapiteleinleitungen sie zeigen. Die einfachen Vektorgrafiken und Renderings, die hier und da das Schriftbild auflockern, stören nicht wirklich und fallen somit bis auf ein paar unnötige Wiederholungen in anderen Kapiteln nicht negativ auf. Wäre hier Schluss, hätte das Buch sicher noch ein paar mehr Illustrationen gebrauchen können und das wurde wohl auch von den Verantwortlichen so gesehen. Das lässt uns in den Genuss der typischen, einfachen Bleistiftzeichnungen kommen, die recht zahlreich sind. Auch hier würde ich eigentlich nichts sagen, aber leider hat hier jemand nicht aufgepasst. Die Skizzen sind mal mit weißem Hintergrund versehen, mal in den beigen Seitenhintergrund eingearbeitet, mal besitzen sie Rahmen und/oder Schlagschatten, mal nicht. Schade, mit einer Stunde mehr Arbeit hätte das vermieden werden können!

Wie bei den meisten, die sich schon mit diversen schlecht organisierten RPGs herumschlagen mussten, gilt nach dem ersten Blättern mein Blick immer dem Inhaltsverzeichnis und dem Index. Ich finde schlicht kein einziges schlechtes Wort! Sogar ein gut gemachtes Tabellenverzeichnis ist dabei. Allgemein scheint fast alles was man regelmäßig nachschlagen muss sowieso hinten gesammelt zu stehen. Dieser gute Aufbau setzt sich fort, denn das ganze Buch ist wirklich auf leichte Verständlichkeit ausgelegt.
Wie? Redundanz! Und das meine ich im positivsten aller Sinne. Alles wird mehrfach erklärt, noch einmal zusammengefasst und an anderer Stelle statt einem einfachen Verweis oft nochmal angerissen. Das geht zwar auf die Seitenzahl, sorgt aber dafür, dass man nach einmaligem Lesen direkt alles begriffen hat und es keine Missverständnisse gibt.

Sieht so aus, als wäre es Zeit ans Eingemachte zu gehen und sich über den Inhalt zu unterhalten. Also über das Vorwort habe ich ja schon geschrieben und danach folgt der obligatorische „Was ist Rollenspiel Teil“ (in diesem Fall sehr traditionell, aber ausführlich und gut gemacht!).
Dann kommt die Kurzübersicht über das System.

RM ist klassisch (nein streicht das) retro. Es handelt sich um ein Attribut + Fertigkeit W100 Mindestwurf-System mit Klassen und Stufen. Bedauerlich ist, dass den Schwierigkeitsstufen Namen wie „Schwer“ zugeordnet werden, aber der zugehörige Zahlenwert in manchen Kapiteln nicht wieder erwähnt wird. Im Gegensatz zu vielen anderen Klassensystemen ist die Charakterentwicklung recht frei und setzt statt durch Restriktionen, mit unterschiedlichen Steigerungskosten Akzente für die Klassen. Die Erhöhung der Attribute beim Stufenaufstieg ist unnötig kompliziert und erfordert sinnlose Rechnerei oder Nachschlagen für Neulinge. Immerhin gibt es nur zehn davon und die sind meist schon bei Stufe 5-7 auf ihrem Maximum angelangt, also was solls. Hätte man aber sich aber trotzdem sparen können.

Die Erschaffung des Charakters ist erwartet detailliert. Entscheidungen Volk, Klasse, Attribute und Fertigkeiten betreffend sind selbstverständlich, Attributslimits, Hintergrundoptionen und Jugendfertigkeiten sind aber ebenfalls noch im Rahmen. Ein wenig viel wird’s dann aber bei der Berechnung der Attributs- und Fertigkeitsboni, sowie den aus diesen zu errechnenden zahlreichen Werten. Trotzdem, alles in allem für einen Kenner noch zügig zu machen und für einen Neuling immerhin leicht verständlich wenn auch langwierig.

Die meiste Zeit wird man vermutlich eh damit verbringen, seine Sprüche auszusuchen, denn Rolemaster ist ein klares High Fantasy System. Von neun Charakterklassen sind nur zwei normalerweise magisch unbegabt, was sie aber auch nicht daran hindern soll, für erhöhte Kosten trotzdem Zaubersprüche zu lernen.
Dementsprechend verwendet das Buch viel Platz auf die Magie. Das Subsystem hierzu fügt sich fließend in das W100-System ein und ist eng mit Stufen und Klassensystem verzahnt. Die Sprüche sind in einzeln zu steigernde Zauberlisten aufgeteilt. Wer genauer hinschaut sieht, dass sich die Sprüche teilweise in verschiedenen Listen mit leicht anderen Regeln wiederholen und so für die Klassen passende Spezialisierungen ermöglichen. Auffallend ist die Aufteilung in Leitmagie (göttliche Magie), Essenz (klassische Zauberei mit leichter Elementbetonung) und Mentalismus (Psi & Co.), die für jede Klasse die verfügbaren Zauberlisten festlegt.
Auch wenn sich sicherlich nicht jede Art von Magie damit abbilden lässt, so ist es doch ein interessantes System, das fast jedes für sich stehende magische Charakterkonzept stimmig umsetzt.

Das grundlegende Kampfsystem ist keine große Überraschung. Rundenbasierte Initiative mit 100%, die als Aktionspunkte auf mögliche Handlungen verteilt werden. RM schlägt einfache Battlemaps vor, ist aber im Gegensatz zu beispielsweise SW so konzipiert, dass es gut ohne funktioniert. Da gibt es nicht viel zu sagen, wenn man das Schadensystem ausklammert. Dazu komme ich aber noch später.

Den Großteil des angeblich so regellastigen Monsters hat man damit schon hinter sich ohne auch nur ins Schwitzen zu geraten. Allerdings gibt es eine Unzahl an Sonderregeln. Ein ganzes Kapitel geht dafür drauf. Wenn man diese Regeln alle benutzen will, ist das Spiel vollkommen überladen, aber das ist ja auch gar nicht so gedacht. Sicher, manche Regeln wie Erschöpfung sind weniger optional als andere (und werden später förmlich vorrausgesetzt), aber die meisten sind eben nur dafür gedacht eine Möglichkeit für thematisch fokussierte Runden zu geben, diesen Fokus auch auszunutzen. Hier kann sich also jeder so viel greifen wie er will.

Bleiben nur noch zwei Regelelemente: Das bereits angekündigte Schadensystem und die Erfahrungspunkte.
Für letztere gibt es ein eigenes kleines System, mit Hilfe dessen man durch Multiplikatoren errechnen kann wieviel EP jeder Charakter am Ende des Abenteuers bekommt.
Ich werde das mal schnell abhandeln: Finger weg. Das Kapitel könnt ihr getrost überspringen. Kein Mensch vergibt mit einem Zusatz EP für beispielsweise jeden gesprochenen Zauberspruch je nach Situation beim Wirken.

Über das stark differenzierte Schadensystem kann ich wohl ohne Kommentar nicht hinweg, weil das oft sowohl Kernpunkt für Kritik und Lob an RM ist.
Nach jedem Treffer wird durch einen Zusatzwurf in der passenden Waffentabelle (je nach gewünschtem Simulationsgrad grob in eine Hand voll Tabellen eingeteilt oder für jede Waffenart eine eigene) der normale Schaden abgelesen und der kritische Schaden eingeteilt. Dieser wird dann wiederum in einer eigenen Tabelle ausgewürfelt und abgelesen.
Heraus kommen nicht nur Freak Accidents wie Kopf ab sondern eben auch verschiedenste Schadensarten wie Nerven, Organ, Knochen usw.

Klingt kompliziert? Ehrlich… ist es auch!
Bei einer Neulingsgruppe dauert ein Kampf durch diese zwei Zusatzwürfe, das Nachschlagen der Tabelle und Verzeichnen des Schadens ungeheuer lange. Eine Neulingsgruppe hat sich aber in der Regel auch noch nicht passend organisiert, obwohl das Regelbuch genau erklärt wie. Beispiel: Jeder Spieler hat die zu seinen Waffen passenden Tabellen selbst als Kopie und kann fast ganz ohne Spielleiter seine Kampfrunde beschreiben. Auf die Art geht alles genauso schnell wie in jedem anderen System. Ob so ein Simulationsgrad notwendig ist muss trotzdem jeder selbst entscheiden.

Rolemaster kommt wie ihr hier schon sicher erraten habt mit keinem eigenen Setting daher.
Es gibt zwar durchaus fertige Settings im Internet, oder im Rahmen von Abenteuermodulen zum Kaufen, aber gerade Rolemaster braucht diese nicht zwingend. Das System gibt einem gute und leicht zu bedienende Werkzeuge an die Hand, um einfach Conversions oder eigene Settings im High Fantasy Bereich umzusetzen und zu planen.

Fazit:
Rolemaster ist bestimmt nicht jedermanns Sache. Auf jedenfall ist es nicht der Einheitsbrei, der einem sonst von vielen Ecken entgegenkommt. Es setzt starke Betonung auf klassisches Rollenspiel und realistische Spielweltphysik. Vielen wird das nicht schmecken, aber noch mehr, die sich über RM beschweren haben eine wichtige Sache überlesen (und das, da es an vielen Stellen so ähnlich nochmal steht sogar mehrfach):

„Jeder Spielleiter sollte verstehen […], was Rolemaster ihm alles bietet. Danach sollte er diejenigen Dinge raus werfen, die nicht in das Konzept […] passen.“ S. 99

Rolemaster ist (wenn auch in engeren Grenzen) ein Univeralssystem. Natürlich bietet es Regeln an, die in vielen Runden fehl am Platz sind. Aber es ist so solide, dass die meisten Regeln sowieso optional sind und auch die festen Änderungen gut vertragen, ohne den sonst üblicherweise damit einhergehenden Rattenschwanz nach sich zu ziehen.

Ich würde keinem dazu raten RM blind zu kaufen. Dazu ist es zu speziell. Aber ich denke viele werden es sich am Ende besorgen, wenn sie dem System auf Cons oder bei Demos (oder durch Lesen von Spielberichten und Reviews wie dieser hier) eine Chance geben.Den Artikel im Blog lesen
 
"RM schlägt einfache Battlemaps vor, ist aber im Gegensatz zu beispielsweise SW so konzipiert, dass es gut ohne funktioniert"

Hm... an sich gute Rezi, aber in diesem Punkt bin ich unzufrieden. Denn die Erwähnung von SW und die angebliche Notwendigkeit, Battlemaps zu benutzen, ist eine unnötige Spitze gegen ein anderes Spielsystem - und einfach komplett unwahr.
 
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