AW: Playtests - wie handhaben?
Früher oder später erreicht ein Projekt den Stand, dass es aus dem Kopf des Erfinders zu den Leuten an den Tisch kommen muss. Wie sonst kann man sehen, ob es funktioniert und wo noch Ecken und Kanten sind oder ob es sogar totaler Mist ist.
Die interessante Frage wäre, ob du hier ein lesbares Regelwerk vorlegen kannst (das ganze also bereits so komplett ist, das es ein Außenstehender lesen und leiten könnte), oder nur deine handschriftlichen Notizen und ein System, das zu mindestens 25% nur in deinem Kopf existiert ohne vollständig dokumentiert worden zu sein.
Im ersten Falle LÄSST du jemanden leiten und beobachtest. Und fragst danach, was er gut fand und was nicht, und wie man es seiner Meinung nach verbessern könnte. Und dann suchst du dir den nächsten und tust das gleiche, bis du einen representativen Querschnitt und einen Wust an Verbesserungsvorschlägen hast. Sorge dafür, daß auch Personen beteiligt werden die dir nicht nahestehen. Höflichkeit und Freundschaft dürfen einer objektiven Beurteilung nicht im Weg stehen.
Solltest du nur deine Notizen haben, dann empfehle ich dir diese mal unter den großen drei Fragen von Jared A. Sorensen zu betrachten. (Mit dem John Wick'schen Addendum)
WHAT IS YOUR GAME ABOUT?
HOW DOES YOUR GAME DO THAT?
WHAT BEHAVIORS DOES IT REWARD AND/OR ENCOURAGE?
(...and how do you make that fun?)
Solltest du alle 4 im Brustton der Überzeugung beantworten können, dann suchst du dir am besten ein paar Freiwillige und testest die fraglichen Mechaniken, bis alle Beteiligten, du eingeschlossen, kotzen. Hier werden dir eine Menge Dinge auffallen, die nicht Rund laufen, die besser gemacht werden müssten, die einfach nicht funktioniert haben. Ich verlasse mich mal darauf, das du Kritik verträgst und auch dir selbst gegenüber kritisch genug bist um sagen zu können "Mann, DAS war eine Scheissidee...weg damit."
Wenn du schummeln mußt, damit es funktioniert, sind die Regeln scheisse. Wenn das Endergebnis nicht dem entspricht, was du im Kopf hattest, sind die Regeln scheisse. Wenn du selbst dauernd auf deine Spickzettel schauen musst um im Kopf zu behalten wie etwas abläuft: Ja, genau. Scheisse. Tu was dagegen!
Wenn du dann endlich davon überzeugt bist, das dein System gut ist und rund läuft: Poste es in ein Forum. Beschreib das Setting. Und hör den Leuten zu, die Kritik daran üben. Nimm die rosa Brille ab, vergiss mittelfristig das es dein Baby und dein Herzblut ist: Wenn von 10 Leuten 9 sagen das es eine Totgeburt ist, dann zuckt das Ding vielleicht tatsächlich nicht. Der Vorteil von Leuten, die dich nicht mögen ist der, das sie auch keine Hemmungen haben dir zu sagen das du Mist baust. Manchmal ist eine ehrliche Ohrfeige mehr wert als ein verlogener Kuss.
Solltest du auch diese Hürde überstanden haben, pack' deine Regeln und Settinginformationen in eine lesbare, grundlegend formatierte Datei und gib sie Leute, die gewohnheitsmässig Texte/Regelwerke lesen; diese werden dich gerne auf die Unzulänglichkeiten deines Schriftdeutsches aufmerksam machen, und gegebenenfalls wertvolle Tipps zur Formulierung geben.
Damit haben wir dann den Punkt des finalen Produktes erreicht; auch hier wieder einige Proberunden mit wildfremden Spielleitern, da du langsam aber sicher an den Punkt kommst wo du keine größeren Schnitzer mehr korrigieren kannst, weder von der Formulierung noch von den Regeln, ohne wieder von Vorne anfangen zu müssen.
Sobald du einen lesbaren Text fabriziert hast, der beim Lesen keine wieauchimmer gearteten Schmerzen hinterlässt, kannst du dich an Grafik und Layout machen. Auch hier solltest du der Öffentlichkeit und Aussenstehenden (am besten solchen, die Rollenspiele weder kennen noch mögen!) Exemplare zur Beurteilung präsentieren. Immer schön im Hinterkopf behalten: Kein Artwork ist besser als schlechtes Artwork, und das Layout muss lesbar sein ohne Augenschmerzen und Brechreiz zu verursachen. Es sind schon so manche Leser in der Bleiwüste gestorben.
-Silver,
liest gerne mal für dich Probe.
EDITH sagt:
- Der Powergamer bis zur letzten Stunde, der alle ihm auffallenden Regellücken verschweigt, solange sie ihm sein Tun einfacher machen, und andere überdramatisiert, wenn sie es ihm erschweren.
Solange er das Charakterblatt da lässt, ist der bares Geld wert: Ein besseren Spürhund für Regellücken und schlecht formulierte Texte findest du nicht. Die Schwierigkeit ist nur, diese Informationen VOR dem Release aus ihm herauszuholen.