Playtests - wie handhaben?

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Guest
Früher oder später erreicht ein Projekt den Stand, dass es aus dem Kopf des Erfinders zu den Leuten an den Tisch kommen muss. Wie sonst kann man sehen, ob es funktioniert und wo noch Ecken und Kanten sind oder ob es sogar totaler Mist ist.

Also gut, man setzt sich hin mit ein paar freiwilligen und spielt drauf los. Und dann? Wie zieht man daraus am effektivsten Erkenntnisse? Gespräche mit den Spielern, Fragebogen oder vorgegebene Listen zum ankreuzen? Nun, wie handhabt man sowas am besten?
 
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Für gewöhnlich merkt man schon selber, wenn was hakt. Ansonsten am besten qualifizietes Personal suchen, die kommen schon von allein mit Anmerkungen.
 
AW: Playtests - wie handhaben?

Für gewöhnlich merkt man schon selber, wenn was hakt. Ansonsten am besten qualifizietes Personal suchen, die kommen schon von allein mit Anmerkungen.

Naja, ich bin das Betriebsblind.
Und vielen anderen geht das auch so.

Der erste Eindruck ist oft sehr wichtig und auch für die spätere Perzeption prägend.

Man sollte sich also ein Beispielszenario ausdenken in dem erklärt wird welche Regeln wie zum Zuge kommen.
Der Spieler vollzieht die dann nach.
Es sollte möglichst das gesamte Spektrum der Spielmechanik drankommen.
Als Einleitung sollte vielleicht auch eine Rahmenhandlung beschrieben werden um die Atmosphäre zu setzen, aber das kann auch nach hinten losgehen, wenn Atmosphäre und Regeln sich nicht unterstützen.

Die Spieler mit Erstkontakt können dann schon berichten wie sie das ganze fanden.

Es ist gut wenn man mal durchtestet ob die Regeln für Konflikte widerspruchsfrei und funktionierend sind. Also auch ein Realitätstest, wobei dazu durchaus auch eine Filmrealität als Vorlage genommen werden kann.

Wenn ein Kugeltreffer abhängig vom angereichteten Schaden den Gegner auch mal Meterweit wegschleudert, dann mag das im gewählten Realitätsmodus durchaus stimmig sein.

Man kann auch Szenarien aus bekannten bestehenden Systemen umsetzen und schauen ob die Stimmung besser als beim Originalsystem rüber kommt.

Und schließlich (oder am Anfang?) sollte man sich fragen ob es das System in dieser, oder sehr ähnlicher, Form nicht schon gibt...
 
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Gespräche mit den Spielern, Fragebogen oder vorgegebene Listen zum ankreuzen? Nun, wie handhabt man sowas am besten?

Fragebogen oder Listen haben normalerweise erst dann einen Sinn, wenn Du schon eine recht konkrete Vorstellung
hast, wo die Probleme liegen könnten. Ansonsten besteht immer die Gefahr, daß Deine Fragen etc. an den wirkli-
chen Schwierigkeiten vorbei zielen, und die Antworten deshalb nicht allzu nützlich sind.

Besser sind sicher ganz normale Gespräche mit den Testspielern, die ihre Aufgabe ja kennen, und als halbwegs er-
fahrene Rollenspieler die versteckten Tücken des RPGs auch erkennen werden. Außerdem kommt man so meist zu-
gleich zu Änderungs- und Verbesserungsvorschlägen.
 
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Das Wichtigste: Die richtigen Testspieler.
Die Präsenz folgender Leute sollte vermieden werden:
- Der gute Freund, der sowieso alles toll findet, was Du leitest und dem zu den Regeln nicht mehr als "Mir hat's Spaß gemacht... erfüllt also seinen Zweck" einfällt.
- Der selbstherrliche Obstruktionist, der alles total minderwertig findet, den Ablauf der Spielrunde aus Trotz sabotiert und die Frage nach Kritik als Einladung, die Sau rauszulassen, begreift.
- Der Powergamer bis zur letzten Stunde, der alle ihm auffallenden Regellücken verschweigt, solange sie ihm sein Tun einfacher machen, und andere überdramatisiert, wenn sie es ihm erschweren.
- Der Theaterspieler bis zur letzten Stunde, der zu den Regeln kaum etwas sagen kann, weil er sie kaum wahrnimmt.

Kurz gesagt, brauchst Du Leute, die den Sinn eines Testspiels begreifen.
 
AW: Playtests - wie handhaben?

Früher oder später erreicht ein Projekt den Stand, dass es aus dem Kopf des Erfinders zu den Leuten an den Tisch kommen muss. Wie sonst kann man sehen, ob es funktioniert und wo noch Ecken und Kanten sind oder ob es sogar totaler Mist ist.

Die interessante Frage wäre, ob du hier ein lesbares Regelwerk vorlegen kannst (das ganze also bereits so komplett ist, das es ein Außenstehender lesen und leiten könnte), oder nur deine handschriftlichen Notizen und ein System, das zu mindestens 25% nur in deinem Kopf existiert ohne vollständig dokumentiert worden zu sein.

Im ersten Falle LÄSST du jemanden leiten und beobachtest. Und fragst danach, was er gut fand und was nicht, und wie man es seiner Meinung nach verbessern könnte. Und dann suchst du dir den nächsten und tust das gleiche, bis du einen representativen Querschnitt und einen Wust an Verbesserungsvorschlägen hast. Sorge dafür, daß auch Personen beteiligt werden die dir nicht nahestehen. Höflichkeit und Freundschaft dürfen einer objektiven Beurteilung nicht im Weg stehen.


Solltest du nur deine Notizen haben, dann empfehle ich dir diese mal unter den großen drei Fragen von Jared A. Sorensen zu betrachten. (Mit dem John Wick'schen Addendum)

WHAT IS YOUR GAME ABOUT?
HOW DOES YOUR GAME DO THAT?
WHAT BEHAVIORS DOES IT REWARD AND/OR ENCOURAGE?
(...and how do you make that fun?)

Solltest du alle 4 im Brustton der Überzeugung beantworten können, dann suchst du dir am besten ein paar Freiwillige und testest die fraglichen Mechaniken, bis alle Beteiligten, du eingeschlossen, kotzen. Hier werden dir eine Menge Dinge auffallen, die nicht Rund laufen, die besser gemacht werden müssten, die einfach nicht funktioniert haben. Ich verlasse mich mal darauf, das du Kritik verträgst und auch dir selbst gegenüber kritisch genug bist um sagen zu können "Mann, DAS war eine Scheissidee...weg damit."
Wenn du schummeln mußt, damit es funktioniert, sind die Regeln scheisse. Wenn das Endergebnis nicht dem entspricht, was du im Kopf hattest, sind die Regeln scheisse. Wenn du selbst dauernd auf deine Spickzettel schauen musst um im Kopf zu behalten wie etwas abläuft: Ja, genau. Scheisse. Tu was dagegen!


Wenn du dann endlich davon überzeugt bist, das dein System gut ist und rund läuft: Poste es in ein Forum. Beschreib das Setting. Und hör den Leuten zu, die Kritik daran üben. Nimm die rosa Brille ab, vergiss mittelfristig das es dein Baby und dein Herzblut ist: Wenn von 10 Leuten 9 sagen das es eine Totgeburt ist, dann zuckt das Ding vielleicht tatsächlich nicht. Der Vorteil von Leuten, die dich nicht mögen ist der, das sie auch keine Hemmungen haben dir zu sagen das du Mist baust. Manchmal ist eine ehrliche Ohrfeige mehr wert als ein verlogener Kuss.

Solltest du auch diese Hürde überstanden haben, pack' deine Regeln und Settinginformationen in eine lesbare, grundlegend formatierte Datei und gib sie Leute, die gewohnheitsmässig Texte/Regelwerke lesen; diese werden dich gerne auf die Unzulänglichkeiten deines Schriftdeutsches aufmerksam machen, und gegebenenfalls wertvolle Tipps zur Formulierung geben.

Damit haben wir dann den Punkt des finalen Produktes erreicht; auch hier wieder einige Proberunden mit wildfremden Spielleitern, da du langsam aber sicher an den Punkt kommst wo du keine größeren Schnitzer mehr korrigieren kannst, weder von der Formulierung noch von den Regeln, ohne wieder von Vorne anfangen zu müssen.

Sobald du einen lesbaren Text fabriziert hast, der beim Lesen keine wieauchimmer gearteten Schmerzen hinterlässt, kannst du dich an Grafik und Layout machen. Auch hier solltest du der Öffentlichkeit und Aussenstehenden (am besten solchen, die Rollenspiele weder kennen noch mögen!) Exemplare zur Beurteilung präsentieren. Immer schön im Hinterkopf behalten: Kein Artwork ist besser als schlechtes Artwork, und das Layout muss lesbar sein ohne Augenschmerzen und Brechreiz zu verursachen. Es sind schon so manche Leser in der Bleiwüste gestorben.

-Silver, liest gerne mal für dich Probe.

EDITH sagt:
- Der Powergamer bis zur letzten Stunde, der alle ihm auffallenden Regellücken verschweigt, solange sie ihm sein Tun einfacher machen, und andere überdramatisiert, wenn sie es ihm erschweren.

Solange er das Charakterblatt da lässt, ist der bares Geld wert: Ein besseren Spürhund für Regellücken und schlecht formulierte Texte findest du nicht. Die Schwierigkeit ist nur, diese Informationen VOR dem Release aus ihm herauszuholen.
 
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Eine der besten Methoden ist meiner Erfahrung nach, das ganze Werk jemand anderem in die Hand zu drücken, der das dann leitet, während du selbst als einfacher Spieler mitspielst und dabei die Klappe hälst und alles einfach mal so machst, wie der SL es erklärt, auch wenn es "falsch" ist.
Da merkst du dann recht schnell, ob das ganze so funktioniert, wie du es dir vorstellst.
 
AW: Playtests - wie handhaben?

Wer die Möglichkeit hat, sollte so weit wie möglich streuen. Möglichst viele verschiedene Runden, möglichst viele verschiedene Spieler, Runden mit Autor als SL, Runden mit Autor als Spieler, Runden ganz ohne Autor... Das ist aber natürlich Luxus, und man wird in der Praxis nehmen müssen was man kriegt, gerade wenn das eigene System eher unbekannt ist.


Im übrigen zählt der Powergamer zu den besten Spieltestern die man nur kriegen kann, denn der findet die Lücken und Schwachstellen. Jeder andere fährt das System nur zum Bäcker und stellt fest dass es gut ist, weil das Vehikel bei 30 Sachen und mit 5 Weckle beladen nicht ganz zusammenklappt. Nur der Echte Powergamer(TM) versteht es euer System an die Grenzen zu führen und damit Sachen zu machen von denen ihr nie geträumt hättet - lasst euch da keine Fälschungen andrehen!

Der andere beste Spieltester ist der Casual Gamer, denn erst wenn auch der alles wichtige rafft ist das Spiel verständlich und eingängig. (Hätte beispielsweise die DSA4-Redax ein paar von der Sorte, dann wäre das Regelwerk sicher kein solches Zugunglück geworden...)
 
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Reden wir hier eigentlich vom Testen der Regeln, oder vom Testen der Erklärungs/Schreibkünste?

mfG
jjf
 
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Dann können wir getrost all diese Ausführungen darüber wie das ganze aufgemacht und ge-/beschrieben sein soll(te) beiseite lassen. Da sich selbst extensives Testen für ein solches Projekt wohl immernoch in dem Rahmen bewegen wird, in dem eine persönliche Instruktion der Testspieler einfach möglich sein sollte - und wohl auch wesentlich zielführender, als einfach nur festzustellen, dass man etwas schlecht erklärt hat, aber deshalb jetzt leider immer noch keine Ahnung hat, ob der Mechanismus selbst etwas taugt oder nicht...

mfG
jjf
 
AW: Playtests - wie handhaben?

Im übrigen zählt der Powergamer zu den besten Spieltestern die man nur kriegen kann, denn der findet die Lücken und Schwachstellen.

Wobei Koshiro sich ja auf einen besonderen Fall des Powergamers bezogen hat und der ist - so wie ausgeführt - tatsächlich das allerletzte was man zum Spieltesten brauchen kann.

Allerdings ist der genannte Typ auch niemand, den man abseits von Spieltests an den Tisch lassen sollte (und das gilt nicht nur für Rollenspiele).
 
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Ich sprach aus Erfahrung. ;)
Und natürlich, Powergamer an sich sind kein Problem... nur solche, die ihre dunklen Kräfte nicht in den Dienst des Testens stellen. Ein PG, der generell Schwachstellen sucht und darauf aufmerksam macht, ist natürlich gut geeignet.
 
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Vergiss Fragebögen und so was. Ein Gespräch, direkt nach der Runde. Ein schriftlicher Rundenbericht danach. Möglichst ausführlich. Am Besten anhand von ausführlichen Notizen während des Spiels. Das dann noch mal zur Diskussion stellen, Foren oder Blogs eignen sich ganz gut dazu. Schlüsse ziehen, überarbeiten, wieder testen. Repeat.

Was hilft: Design-Ziele für sich selbst identifizieren und das Ergebnis im Testspiel mit den Zielen abgleichen. Ggf. gezielt einzelne Teile des Regelwerks testen: Magie-Regeln sind noch nicht ausgereift? Erstmal keine magiebegabten Charaktere. Regeln für Fahrzeugkampf sollen getestet werden? Dann einfach mal ein, zwei Fahrzeugkämpfe ohne groß Abenteuer drumrum machen. Auch gerne selber erste „Trockenübungen“ würfeln.

Wenn man’s nicht nur für den Eigengebrauch optimieren will, sondern auch für die Veröffnentlichung, dann ist ein Fremd-Testspiel von unschätzbarem Wert, bei dem man also nicht selbst leitet und dadurch vielleicht unbewusst die Schwächen des Systems ausbügelt. Optimaler Weise spielt also eine fremde Gruppe das Spiel und man selbst sitzt dabei und hört still zu. Diesen Luxus hatte ich allerdings bisher noch nicht, sondern musste mich mit mündlichen und schriftlichen Nacherzählungen zufrieden geben. Trotzdem war das sehr hilfreich.

Was die Präsentation als Text angeht, kann die Testspiel-Version ruhig erheblich von der Endversion abweichen. Die kann viel nüchterner formuliert und auch Kommentare zu Designzielen und möglichen Problemen enthalten. Natürlich muss er trotzdem verständlich sein.
 
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Auch gerne selber erste „Trockenübungen“ würfeln.
Kann nicht genug betont werden. Dieser Schritt sollte _immer_ als erstes kommen, bevor man Spieler aus Fleisch und Blut auf das System loslässt. So bügelt man das schlimmste vorab aus und vergrätzt die Tester nicht völlig.
 
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Stimmt. Nur findet man dabei vieles nicht, denn das Würfeln abzuziehen während man noch Improtheater betreibt, ist was ganz anders als im stillen Kämmerlein zu würfeln.
 
AW: Playtests - wie handhaben?

Wobei Koshiro sich ja auf einen besonderen Fall des Powergamers bezogen hat und der ist - so wie ausgeführt - tatsächlich das allerletzte was man zum Spieltesten brauchen kann.
Ich versteh das Problem nicht... wenn er/sie "Powergamer" ist und Regellücken sucht und findet ist das toll. Wenn jemand das nciht tu, sit es kein Powergamer?
 
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Ich versteh das Problem nicht... wenn er/sie "Powergamer" ist und Regellücken sucht und findet ist das toll. Wenn jemand das nciht tu, sit es kein Powergamer?

Wenn jemand Regellücken sucht, findet und die Schnauze hält weil er die Probleme nicht lösen will, sondern die Macken im Spiel lieber nutzt um der Hirsch am Spieltisch zu sein, ist das das LETZTE was man für Spieltests braucht.
Noch dazu zeigt diese Gattung häufig die Angewohnheit, alles was seinen dollen Supermann in irgendeiner Form angreifbar macht, als "Regellücke" zu entdecken, die natürlich unbedingt gestopft werden muss.


Um das Ganze kurz zusammenzufassen:

Powergamer als Regeltester => unbedingt
Powergamer ohne Eier als Regeltester => absolutes no go
 
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