Lugg & Trug: Familientauglich

Wie bereits in einem früheren Blog-Beitrag angekündigt, bin ich ins kalte Wasser gesprungen und habe mit meinen Eltern und meinen beiden Nichten (5 Jahre und 10 Jahre alt) Lugg & Trug gespielt. Der vorherige Versuch, meinen Eltern die Welt der Fantasy-Rollenspiele näher zu bringen, liegt bereits über zwanzig Jahre zurück. Damals war es die erste Edition vom Schwarzen Auge, von der Komplexität der Regeln her also absolut vergleichbar mit Lugg & Trug, während die Spielweise eher in Richtung Dungeon Crawling ging, was für das damalige Schwarze Auge nicht unüblich war. Es handelte sich um ein eigenes Abenteuer, das ich speziell zu diesem Zweck entwickelt hatte: im Prinzip ein Dungeon mit einer netten kleinen Hintergrundgeschichte, ein paar Kämpfen, Rätseln und Jump&Run-Elementen, am ehesten wohl vergleichbar mit dem Orkenhort. Im Grunde also eine ziemlich maßvolle Herangehensweise an die Rollenspiel-Thematik. Und doch lief es so gründlich schief, dass ich in den folgenden zwanzig Jahren davon ausgegangen bin, dass es zwei Arten von Leuten gibt: Rollenspieler und Nicht-Rollenspieler. Wenn man nicht dieses besondere Etwas in sich hat, dann wird man sich niemals für Rollenspiele erwärmen können.
Doch diesmal war ich besser vorbereitet: mit einem Abenteuer, das ich zu dem Zeitpunkt schon achtmal gespielt hatte. Eines ohne Spielplan, Miniaturen, Skizzen zeichnen oder Abenteuerbogen ausfüllen. Eines, das nur daraus besteht, Texte vorzulesen und die Spieler Würfel werfen zu lassen. Einfacher geht es nun wirklich nicht. Auf der anderen Seite hatte ich mir die wahrscheinlich schwierigste Spielergruppe ausgesucht, die man sich überhaupt vorstellen kann: meine Eltern, um die 60 Jahre alt, dazu meine 5jährige Nichte, meine 10jährige Nichte und deren gleichaltrige Freundin.
Kurz gesagt: Es hat funktioniert, aber mit deutlichen Abzügen bei der B-Note. Wir haben den ersten Akt vollständig gespielt, was eine Reihe von Fertigkeits-Herausforderungen und einen kompletten Kampf mit vielen Sonderhandlungen umfasst. Das war schon mal ganz ordentlich. Aber danach brach die Spielrunde leider komplett auseinander. Meine Mutter hatte in der Küche zu tun, mein Vater zog sich mit seinem schmerzenden Bein auf die Couch-Garnitur zurück, meine jüngere Nichte wollte unter dem Tisch Katze spielen und die Freundin meiner älteren Nichte wurde von ihren Eltern abgeholt. Nur meine ältere Nichte hat nicht aufgegeben; mit ihr habe ich noch den kompletten zweiten Akt gespielt, bevor es mir selbst zu bunt wurde.
Ein paar Tage später hab ich das Spiel dann nochmal mit meinem Bruder (ein alter Das Schwarze Auge-Spieler), seiner Frau und den beiden Nichten gespielt, und wir sind problemlos bis zum Ende des zweiten Aktes gekommen, haben also die Hälfte des Abenteuers geschafft und die zweite Hälfte auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Das Resümee war deutlich besser, insbesondere saßen die Spieler nach dem Spielende noch mit mir am Tisch und haben sich darüber unterhalten, anstatt in alle Richtungen davonzulaufen. Allein der Familienhund war etwas irritiert von der hohen Piepsstimme, mit der ich einen gewissen Nichtspielercharakter im zweiten Akt dargestellt habe.

Soweit der versprochene Erlebnisbericht. Und damit das Ganze keine vergebliche Liebesmüh gewesen sein soll, im Anschluss noch ein paar Erkenntnisse, die ich im Rahmen dieses Versuches gewonnen habe:
1) Ab 10 Jahren ist Lugg & Trug problemlos spielbar, sowohl mit Jungs als auch mit Mädchen. In diesem Alter können die Kinder lesen, was von großem Vorteil ist, sind mit einer Neugier und einem Spieltrieb gesegnet, der vielen Erwachsenen abgeht, und können sich durchaus einige Stunden lang auf eine Sache konzentrieren. Bei letzterem ist es jedoch sehr hilfreich, noch mindestens einen Elternteil als Autoritätsperson am Spieltisch zu haben, da die Konzentration der jungen Spieler nach 1 bis 2 Stunden nachzulassen beginnt. Ebenfalls eine gute Idee ist es, das Abenteuer in zwei Teile, vielleicht sogar in vier Teile aufzuteilen. Da das Abenteuer in Akte unterteilt ist, stellt dies keine größere Schwierigkeit dar.
2) Auch Fünfjährige kann man am Spiel teilnehmen lassen, was sich in meinem Fall gar nicht vermeiden ließ, denn man will sie ja auch nicht ausgrenzen und dadurch den Haussegen schief hängen.Fünfjährige begreifen, dass sie eine Spielfigur haben und am Spiel teilnehmen, aber alles andere muss man für sie machen, d.h. ihnen die Würfel zum Würfeln in die Hand drücken und ihnen erzählen, was passiert.
3) Erwachsene im Alter von 20 bis 40 Jahren sind eigentlich kein Problem, selbst wenn sie noch nie Rollenspiele gespielt haben. Wenn man ihnen sagt, dass es nur ein paar Stunden dauert und ihnen absolut nichts abverlangt wird, dann sind sie erfahrungsgemäß rational dazu in der Lage, es einfach auf sich zukommen zu lassen. Dennoch sollte man sich über die Macht des Unterbewusstseins im Klaren sein. Jede Ablenkung, jede Möglichkeit, vom Tisch aufzustehen und irgendetwas anderes zu machen, könnte genutzt werden und den Spielfluss in Gefahr bringen. Darauf muss man als Erzähler gefasst sein und so gut es geht mit sanftem Druck dagegen halten.
4) Erwachsene ältere Menschen: Hier fehlt mir bisher noch eine positive Testspielerfahrung, aber ich bin zuversichtlich, dass auch der eine oder andere Vertreter älterer Generationen seinen Spaß an Lugg&Trug haben kann.
5) Wenn man es mit komplett unbedarften Spieleinsteigern zu tun hat, ist eine Spieldauer von 3 Stunden bei Lugg & Trug nicht zu halten, es wird auf jeden Fall länger dauern. Schon allein deshalb bietet es sich an, das Abenteuer aufzuteilen. Ich denke im Moment auch über eine Sammlung kurzer, einstündiger Szenarien nach, was mir übrigens auch von meiner Zeichnerin im Rahmen ihrer Spieltests empfohlen wurde.
6) Wenn es beim ersten Mal noch nicht funktioniert, ist das halb so wild, man sollte es auf jeden Fall zu einem späteren Zeitpunkt nochmal probieren. Die Spieler kennen die grundsätzlichen Spielprinzipien dann schon und finden einen leichteren Zugang. Insbesondere das Abenteuer wieder am Anfang beginnen zu lassen, ist bei Lugg & Trug überhaupt kein Problem. Ganz im Gegenteil: Weil die Spieler bereits wissen, was auf sie zukommt, sind sie entspannter. Denn zu viel Spannung ist bei Spieleinsteigern eher schädlich als nützlich.
7) Zu würfeln und sich etwas erzählen zu lassen ist überhaupt kein Problem. Den schwierigsten spielerischen Aspekt stellen bei Lugg & Trug dagegen die Stellen dar, an denen der Erzähler in die Rolle eines Nichtspieler-Charakters schlüpft und sich mit den Spielern unterhält. Bei dieser Form der freien, interaktiven Kommunikation stehen Neulinge absolut wie der Ochs vorm Berg. In solchen Momenten hilft es, wenn wenigstens einer der Spieler Erfahrung mit Rollenspielen hat (selbst wenn er zuletzt in den 80ern gespielt hat). Steht ein solcher Spieler nicht zur Verfügung, dann bleibt einem nichts anderes übrig, als es den Spielern mithilfe von Regieanweisungen Stück für Stück beizubringen – auch hier hilft es, zu einem späteren Zeitpunkt dasselbe Abenteuer nochmal von vorn zu beginnen und auf den Lerneffekt zu vertrauen. Mit der Zeit sollte jeder Spieler verstanden haben, wie dieser besondere Teil des Rollenspiels, dem es ja auch seinen Namen verdankt, funktioniert. Wir waren ja auch alle mal Nicht-Rollenspieler, bevor wir Rollenspieler wurden.
Ein weiteres Fazit, dass sich für mich immer weiter herauskristallisiert, ist folgendes: Klassische Pen&Paper-Rollenspiele sind viel weiter von der „Normalität“ entfernt, als sich die meisten Rollenspieler vorstellen können. Egal wie einfach man die Regeln macht, es bleibt immer noch die besondere „Denkart“ (Mind Set) des Rollenspiels, die sich völlig vom Üblichen unterscheidet. Erst durch die Beschäftigung mit Abenteuerspielen beginne ich allmählich zu begreifen, wie groß diese Gegensätze wirklich sind. Umso schöner ist es meiner Meinung nach, das mit den Abenteuerspielen nun ein Mechanismus gefunden ist, der die Leute den wichtigen Schritt vom „Nicht-Rollenspieler“ zum „Spieler eines Einsteigerrollenspiels“ führen kann. Dieser Zwischenschritt hat, so finde ich, bisher gefehlt, um Leute zum Rollenspiel zu holen, die eben nicht von einem erfahrenen Rollenspieler eingewiesen werden können. Und ich bin durchaus ein bisschen stolz darauf, dass Lugg & Trug auf diese Weise den Nachwuchs fördert.
-Christian Lonsing
Bild: Nadine Wewer

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