AW: Langweilige Initiative
Auch wenn die Frage eventuell ein wenig Earthdawn-spezifisch ist, sie steht unter einem Thema zu Rollenspiele im Allgemeinen und daher mache ich mal mein Senfglas auf...
Ace_van_Acer schrieb:
... nicht weil jeder seine Aktionen toll beschreibt sondern weil viele einfach im letzten Moment erst anfangen zu überlegen was sie eigentlich machen wollen,
Wenn es in einem Regelsystem viele taktische Optionen gibt, wenn die Situation unübersichtlich ist und man sich nicht sofort sicher ist, was zu tun ist, dann ist es ja in Ordnung, wenn ein Spieler mal etwas Überlegungszeit bekommt. Sollte das aber dazu führen, daß die anderen Spieler genervt und gelangweilt sind, dann stimmt etwas nicht.
In solchen Fällen kann und dann sollte man auch als Spielleiter (oder auch als Mitspieler) helfen:
Man kann dem Spieler Taktiken vorschlagen - vor allem, wenn der Spieler offensichtlich keinen Plan hat, nicht mit dem Regelwerk zurechtkommt, betrunken ist etc.
Man kann den Spieler drängeln - in Maßen, das Drängeln erhöht den Druck auf den Spieler, was zu einer intensiveren Wahrnehmung des Stresses in einer Kampfsituation beitragen kann - andererseits kann es auch sehr nerven, wenn man trotz oder wegen der Drängelei seinen Charakter inkompetenter spielen muß, als es die Charakterwerte hergeben. Ich habe mit dem Drängeln, dem Streß produzieren gerade bei Engel, einem "Regelwerk" ohne jegliche Initiativregeln, die besten Erfahrungen gemacht - man sorgt dafür, daß sich jeder schnell entscheiden muß, daß alle gleichzeitig auf den Michaeliten einreden/einschlagen/was anderes wollen, und dann, wenn/falls der Michaelit auf die Idee kommt die Innere Ruhe anzuwenden, wird es alles ruhig, langsam, gemütlich, dann bekommt er mehr Zeit zum Überlegen, zum Entscheiden. Unterstützt ein Spielsystem solche "Auszeit"-Mechanismen, gibt es Charaktere, die einen kühlen Kopf behalten können, die Level Headed sind, etc., dann kann man deren Spielern eh mehr Zeit zum Überlegen geben. Wenn aber alle unter Hektik durch Spielleiterdruck grobe Fehler machen, die ihre Charaktere, die ja kompetente, reaktionsschnelle Profis sind, nie machen würden, dann ist der Druck zu stark und die Kampfszene auch ruiniert (und ggf. das Vertrauen in den Spielleiter). - Hier ist daher MAßVOLLES Verhalten beim Aufbau von Zeitdruck wichtig.
Es gibt Regelsysteme wie Deadlands oder Savage Worlds, in welchen die Initiative mittels Spielkarten geregelt wird. Bei diesen wird von Joker-As-König abwärts gezählt und man agiert auf seinen Zähler im Countdown. Wenn der eigene Zähler dran ist, und man noch nicht weiß, was man tun will, dann kann man problemlos "on hold" gehen bzw. sich die Karte in den Ärmel schieben. Diese Systeme haben mir bislang am wenigsten Probleme bei der Initiativ-Abarbeitung bereitet.
Bester Tip: Beispiele geben. Die NSCs, die z.T. ja auch auf Seiten der SCs mitkämpfen, sollten sich kompetent und zügig zu Aktionen entscheiden und den Spielern zeigen, was alles, wie gehen kann. Als ich anfing meine NSCs in Savage Worlds mit lauter schmutzigen Tricks arbeiten zu lassen, fingen die Spieler sogleich an das nachzumachen, kamen sehr schnell auf eigene Ideen, und inzwischen muß ich ziemlich aufpassen, daß sie mich mit meinen NSCs nicht zu schnell austricksen - das wollte ich aber so. Beispiel geben ist immer besser als externer Druck (egal ob von den Mitspielern oder vom Spielleiter).
Ace_van_Acer schrieb:
den SL zehnmal die gleiche Situation schildern lassen und ähnliches.
Wenn das mit "zehnmal die gleiche Situation schildern lassen" vorkommt, dann nehme ich an ihr spielt ohne Figuren und ohne Battlemat? - Solche Diskussionen gab es bei Midgard und AD&D (beides eher Figuren-orientierte Kampfsysteme) nicht, bei Runequest und Engel öfter. Ich verwende inzwischen auch für Horror-Szenarien Figuren, weil ich es für weitaus stimmungstötender halte, wenn aufgrund unterschiedlich selektiver Hörfilter mancher Spieler unmögliche Situationen entstehen, die erst durch verbales "Backtracking" und wiederholten Erläutern der Umgebung, des Mobiliars, der Position aller anderer SCs und der NSCs wieder geklärt werden können. So etwas nimmt der spannendsten Kampfszene den Wind aus den Segeln.
Das ist in letzter Zeit auch mein Eindruck bei Unknown Armies: mit Figuren kämen manche - für mich offensichtlich unglaubwürdig laufenden - Handlungen nicht vor. Die typischen "Ich mische hier auch noch mit"-Aktionen, wo eigentlich weder Platz noch Zeit ist, als daß sich der Charakter eines anderen Spieler noch reindrängen könnte, gehen mir generell ziemlich auf den Senkel. Da gibt es solche Experten, die in den SEHR kurzen Kampfrunden bei UA fünf Dinge gleichzeitig tun wollen und noch den Rekord im 100m-Lauf brechen (sie müssen sich "beamen", wenn sie von Punkt A, wo sie standen, nach Punkt B, wo sie mitmischen wollen) in einer einzigen UA-Kampfrunde kommen wollen. Und zusätzlich labern sie während der nur wenige Sekunden währenden Kampfrunde auf irgendwen minutenlang in-character ein. - Klar, das ist eine Erfahrung, die an wenigen Spielern festgemacht ist. Aber nichtsdestotrotz nervt das eben, wenn ein System eine zu flimsige Initiativ- und (vor allem!) Positionsbestimmung für die Charaktere hat. Das hat nichts mit Wargaming, Tabletop = EVIL zu tun. Da geht es nur darum, daß die Stimmung - zumindest für mich - versaut wird, wenn durch solche einfachen Mittel wie den Figureneinsatz Unklarheiten zu Unstimmigkeiten (sic) in der Wahrnehmung der Handlungen und Handlungsoptionen führen.
Noch ein Tip: nehmt Figuren (müssen ja keine aufwendigen sein, ein paar Papp-Counter tun es auch - haben wir bei Midgard immer so eingesetzt). Das schafft Klarheit über die Situation, erspart allen am Tisch das immer wieder von neuem Beschreiben und erlaubt denen, die später in der Runde handeln sollen, nachzuvollziehen, was abgeht und ihre Aktionen besser zu planen.