Löwenclub Konferenz Interactive Storytelling

Dies Thema ist aus dem ehemalien Löwnclub veröffentlicht worden.
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nebelland

Guest
Hallo zusammen,

auf Einladung poste ich hier für Interessierte meine Eindrücke einer Konferenz, die ich
in der letzten Woche besucht habe. Bei Fragen einfach fragen.

Letzte Woche fand in Erfurt eine internationale Konferenz über "Interactive Digital Storytelling"
statt, auf der ich eine Einführungsrunde Pen&Paper geleitet habe.

Der Begriff "interactive storytelling" stammt von Chris Crawford. Die Bezeichnung
ist ziemlich unscharf und meint alle computerbasierten Anwendungen, die interaktiv
sind und irgendeine Form von Erzählung erzeugen. Landläufig sind das Spiele,
E-Learning-Tools, aber auch Chatsysteme oder computergestützte Geländespiele.

Auf der ICIDS kamen etwa 200 Forscher der künstlichen Intelligenz, Narratologie, Games
Science sowie eine Handvoll Spielentwickler und Autoren aus insgesamt 14 Ländern
zusammen, um aktuelle Arbeiten vorzustellen und Ansätze für zukünftige Entwicklungen
zu diskutieren. Interessanterweise gibt es auch in dieser Szene Strömungen und Debatten,
die im Grunde dem "Stimmung vs. ARS vs. Story vs. Ergebnisoffenheit" entsprechen.
Einige schwören auf frei agierende Agenten ohne zentrale "Storyführung", das ähnelt
einem simulationistischen Ansatz. Andere bauen einen "drama manager" ein, ein eher
narrativistisches Konzept. Ob Story gelenkt werden soll oder frei entsteht, wird heiß diskutiert.

Das Konferenzprogramm steht (noch) online, auf ning kann man sich die Zusammenfassungen
der Einreichungen durchlesen und mit den Autoren diskutieren. Den Tagungsband gibts bei Springer.

Da einige Forscher versuchen, so etwas wie "Spielleiteraufgaben" in ihren Projekten durch
Algorithmen abzubilden, haben wir im Rahmen des Konferenzprogramms eine
Einführungs-Pen&Paper-Runde angeboten, um ein Beispiel von "non-digital interactive
storytelling" zu geben. Wir hatten etwa 30 Teilnehmer für zwei Spielleiter, gemessen an der
Größe der Konferenz ein ordentliches Ergebnis. Jeder nahm sechs Spieler, der Rest durfte/
musste zusehen. Verwendet wurde ein simples d20-System, es gab vorgegebene Figuren
und der Fokus lag natürlich auf storyorientertem Rollenspiel, was bei dem Konferenzthema
ja nicht verwunderlich ist. Selbstverständlich wurde - nach einem hübsch gerailroadeten
Intro - nichtlinear und ergebnisoffen gespielt.

Als Ergebnis dieser Aktion bleibt die Erkenntnis, wie überlegen ein Mensch nach wie vor allen
künstlichen Ansätzen in dieser Richtung ist. Was aber natürlich umgekehrt nicht heißt, dass
Informatiker vom Rollenspiel nichts lernen könnten.

Florian
 
AW: Konferenz Interactive Storytelling

Da einige Forscher versuchen, so etwas wie "Spielleiteraufgaben" in ihren Projekten durch
Algorithmen abzubilden, haben wir im Rahmen des Konferenzprogramms eine
Einführungs-Pen&Paper-Runde angeboten, um ein Beispiel von "non-digital interactive
storytelling" zu geben. Wir hatten etwa 30 Teilnehmer für zwei Spielleiter, gemessen an der
Größe der Konferenz ein ordentliches Ergebnis. Jeder nahm sechs Spieler, der Rest durfte/
musste zusehen. Verwendet wurde ein simples d20-System, es gab vorgegebene Figuren
und der Fokus lag natürlich auf storyorientertem Rollenspiel, was bei dem Konferenzthema
ja nicht verwunderlich ist. Selbstverständlich wurde - nach einem hübsch gerailroadeten
Intro - nichtlinear und ergebnisoffen gespielt.
Sehr schönes Engagement! Wie kamt ihr dazu, euch dort vorzustellen?

Als Ergebnis dieser Aktion bleibt die Erkenntnis, wie überlegen ein Mensch nach wie vor allen
künstlichen Ansätzen in dieser Richtung ist.
War das eure Erkenntnis oder die von den Teilnehmern? Gab es da einen Konsens?
Und gab es vielleicht sogar ein Fazit der Konferenz?

In Bezug auf die Entwicklungen für Computerspiele, wurde da aufgezeigt, was kommen wird (was es jetzt noch nicht auf dem Markt gibt)? Oder wurden klare Absichten aufgezeigt, was das Ziel in naher Zukunft ist?

Auf der ICIDS kamen etwa 200 Forscher der künstlichen Intelligenz, Narratologie, Games
Science sowie eine Handvoll Spielentwickler und Autoren aus insgesamt 14 Ländern
zusammen
Das hört sich ja nach einem illustren Kreis an. Interessant, dass dieses Thema so übergreifend aus vielen völlig unterschiedlichen Themen aufgenommen wird.

Und was hier einige Leute interssieren dürfte: Du hast Autoren bei den Personengruppen genannt. Gibt es reine Autoren für Computerspiele, die nicht zwangsweise Programmierkenntnisse haben müssen?
 
AW: Konferenz Interactive Storytelling

Wie kamt ihr dazu, euch dort vorzustellen?

Wir sind Doktoranden auf dem Gebiet. Außer dem Workshop hatten wir noch ein Poster zu einer Software, die bei uns am Lehrstuhlt entwickelt wird.

War das eure Erkenntnis oder die von den Teilnehmern? Gab es da einen Konsens?
Und gab es vielleicht sogar ein Fazit der Konferenz?

Dass ein Spielleiter dem Computer überlegen ist, war ein persönliches Fazit, aber das ist ja auch naheliegend. Wichtig war mir, in dem Workshop zu zeigen, welche Komplexität hinter dynamischen Spielleitungsentscheidungen steckt. Ich hatte einen Kanadier am Tisch, der Neverwinter Nights um Playermodelling und dementsprechende Eventtrigger erweitert hat, beachtenswerte Arbeit, aber bei mir saß er zum ersten Mal selbst an einem Spieltisch. ;)

Wenn es ein Konferenzfazit gibt, dann dieses, dass das Fach sehr komplex ist und nach wie vor keine einheitliche Herangehendweise an die Problemstellungen existiert. Work in progress also. Es gibt Bestrebungen, die Projekte besser zu vernetzen, hieran versucht sich das Netzwerk IRIS, bestehend aus der Uni Teesside (Uk), FH Erfurt, Uni Genf (Schweiz), Uni Amsterdam (NL), Uni Augsburg, Uni de la Rochelle (Frankreich), Österreichische Studiengesellschaft fur Kybernetik und der Uni Newcastle (UK). Man darf gespannt sein.

In Bezug auf die Entwicklungen für Computerspiele, wurde da aufgezeigt, was kommen wird (was es jetzt noch nicht auf dem Markt gibt)? Oder wurden klare Absichten aufgezeigt, was das Ziel in naher Zukunft ist?

Spiele waren nur eines von mehreren Themen, und das Verhältnis zwischen Forschern und Entwicklungsstudios ist im Wesentlichen von Unverständnis, vielleicht auch Berührungsängsten geprägt. Die Spieleindustrie ist aktuell extrem auf Effizienz und Profit getrimmt, für mehrjährige Forschung hat man dort wenig Verständnis. Wissenschaftler wiederum wollen einer Idee auch unabhängig von ihrer Vermarktbarkeit auf den Grund gehen. Das Resultat sieht man an der derzeit viel gescholtenen Game-KI, die im Vergleich zur Grafik noch Jahrzehnte hinterherzuhinken scheint. Ein Mitarbeiter von Crytek hat über die Bestrebungen berichtet, nichtlineare Story in Far Cry einzubauen - der Versuch musste aus Zeit- und Geldgründen eingestellt werden. Das sagt eigentlich alles darüber, was hier an kurzfristigen Entwicklungen zu erwarten ist. :(

Und was hier einige Leute interssieren dürfte: Du hast Autoren bei den Personengruppen genannt. Gibt es reine Autoren für Computerspiele, die nicht zwangsweise Programmierkenntnisse haben müssen?

Ich komme nicht aus der Games-Industrie, kann diese Frage also nur aus zweiter Hand beantworten. Ja, es gibt reine Autoren bzw. Game Designer, die sich über Texte und Mechaniken Gedanken machen und weder Grafiker noch Programmierer sind. Die meinte ich aber gar nicht mit "Autoren". Ich meine richtige, echte Autoren, die Texte schreiben und sich aus narrativistischer Sicht für Interactive Storytelling interessieren.

Florian
 
AW: Konferenz Interactive Storytelling

Darf ich fragen, was man studieren muss um Game Science und Naratologie als Fachgebiet zu haben? Ist das dann Informatik oder fällt das eher in Soziologie oder doch eher noch Psychologie oder gar Verhaltensbiologie? Der universitäre Hintergrund würde mich diesbezüglich wirklich interessieren.

Da du ja scheinbar Ahnung auf dem Gebiet hast, nehme ich mal an, du kannst da noch das ein oder andere zu sagen. Wie sieht es mit (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen und Thesen aus? Die guten Herren müssen ja irgendwas auch veröffentlichen und sich auf andere Literatur stützen. Was wird da zu Rate gezogen?
 
AW: Konferenz Interactive Storytelling

Darf ich fragen, was man studieren muss um Game Science und Naratologie als Fachgebiet zu haben? Ist das dann Informatik oder fällt das eher in Soziologie oder doch eher noch Psychologie oder gar Verhaltensbiologie? Der universitäre Hintergrund würde mich diesbezüglich wirklich interessieren.

Da du ja scheinbar Ahnung auf dem Gebiet hast, nehme ich mal an, du kannst da noch das ein oder andere zu sagen. Wie sieht es mit (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen und Thesen aus? Die guten Herren müssen ja irgendwas auch veröffentlichen und sich auf andere Literatur stützen. Was wird da zu Rate gezogen?

Das ist Informatik reinsten Wassers. Die Bezüge zu verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnissen sind (noch) kaum vorhanden. Auch die Nomenklatur ist vollkommen unterschiedlich und weicht bisweilen erheblich von meinem Laienverständnis ab. In Summe macht das die Lektüre als Fachfremder sehr schwierig. Ich habe mir jedenfalls in der Vergangenheit ein paar der fürs Rollenspiel relevanteren Fachartikel reingezogen, musste dabei jedoch feststellen, dass ich trotz eines sehr ausgeprägten verhaltenswissenschaftlichen Hintergrundes als Nicht-Informatiker sehr schnell an meine Grenzen stoße :)

EDIT: Wenn Du magst, kann ich Dir ein paar Artikel schicken. Einfache PM mit Mailadresse reicht.
 
AW: Konferenz Interactive Storytelling

Darf ich fragen, was man studieren muss um Game Science und Naratologie als Fachgebiet zu haben?

Du darfst. ;) Es gibt kein "muss" hier, und das ist auch Teil des Problems. Jeder, der glaubt, was dazu zu sagen zu haben, darf Veröffentlichungen einreichen, und so teilen Informatiker und Sozialwissenschaftler das Feld unter sich auf. Ein paar Gamedesigner und Pädagogen mischen auch noch mit, am Rande auch Film- und Theaterwissenschaftler. Ich selber bin ein gutes Beispiel für diese Mischung, ein Ingenieur für Medientechnik, der im Fach Mediendidaktik bei einem promovierten Informatiker seine Dissertation schreibt.

Da du ja scheinbar Ahnung auf dem Gebiet hast, nehme ich mal an, du kannst da noch das ein oder andere zu sagen.

Ich hoffe sehr, dass ich nicht nur scheinbar davon Ahnung habe. :) SCNR.

Wie sieht es mit (wissenschaftlichen) Veröffentlichungen und Thesen aus? Die guten Herren müssen ja irgendwas auch veröffentlichen und sich auf andere Literatur stützen. Was wird da zu Rate gezogen?

Da das Forschungsfeld sehr jung ist, gibt es leider noch keine umfassende Standardliteratur. Hier also ein paar Sachen zum Heranlesen ans Thema:


  • Zur Vorlesung Interaktives Drama von Prof. Hartmann stehen Folien online (Achtung, große PDF-Dateien, und der Server hängt manchmal). Das sind zwar keine Einführungstexte, aber dafür sind von Storyanalyse über Emotionen und Chatbots bis zum narrativen Planen alle wichtigen Punkte abgedeckt.


  • Anfang des Jahrhunderts war das Oz Project eines der umfangreichsten Projekte zum Thema. Die Veröffentlichungen stehen als PDF-Dateien online. Achtung, Englisch, außerdem wird hier das Arbeiten mit KI-Agenten stark in den Vordergrund gerückt. Zum Lesen/Drucken der PostScript-Dateien unter Windows braucht man ghostscript und gsview.


  • Schließlich sind noch die Veröffentlichungen von Ruth Aylett interessant. Auch hier wird viel auf Agentensystemen herumgeritten, was nur einer von mehreren Ansätzen ist. Aber ihre Arbeiten werden viel diskutiert, und ihre Vorstellung von Storification sehe ich auch als wichtig für das Verständnis von RPGs an.

Tut mir leid, dass es so fachlich ist, aber vielleicht hilft es beim Einstieg.

Florian
 
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