Rezension Iron Kingdoms - Stadtkompendium

Taysal

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Mit dem Stadtkompendium ist das erste Quellenbuch für die Iron Kingdoms auf Deutsch erschienen und hat sich ganz dem Stadtleben und seinen -regeln verschrieben. Mit knapp unter einhundert Seiten wirkt das vierfarbige Softcover etwas mager, wartet aber mit einem dicken Inhalt auf. Dieser richtet sich vorwiegend an Spieler des Iron-Kingdom-Rollenspiels. Wer bereits mit Regeln und Setting nur wenig anfangen kann, der braucht natürlich keinen weiteren Blick ins Kompendium zu werfen.

Die Aufmachung ist recht gelungen und die schicken Illustrationen fallen dem Leser sofort ins Auge. Das sieht sehr hochwertig aus und macht sofort Appetit auf mehr. Diesen Appetit versucht das Vorwort ebenfalls zu wecken. Es ist zwar markig, versprüht aber nur die Atmosphäre eines gewöhnlichen Werbetextes. Das scheint erst einmal kein guter Einstieg zu sein, aber schnell weht der Wind aus einer anderen Richtung.

Zuerst sollte sich der Leser aber darüber im Klaren sein, dass das “Iron Kingdoms - Stadtkompendium” nur eine thematische Ansammlung von kleineren Artikeln und Materialschnipseln scheint. Sozusagen eine Krabbelkiste, in der die unterschiedlichsten Dinge zu finden sind. Eines vorweg: Es sind weitgehend sehr schöne Dinge.

Das Stadtkompendium ist grob in neun Kapitel von unterschiedlicher Länge gegliedert. Den Anfang macht hierbei die Stadtanpassung, die sechs neue Karrieren beinhaltet (Arbeiter-Korune, Faustkämpfer, Gassenläufer, Händler der Brandschmiede, Stadtnomade und Sucher), die allesamt für unterschiedliche Rassen ausgelegt sind. Damit erweitert sich der Baukasten für den Wunschcharakter um etliche Optionen. Bereits die Texte machen Laune eine der Karrieren auszuprobieren und Dank der gelungenen Illustrationen wird man schnell in die Welt hineingezogen.Der Nyss-Stadtnomade und auch der Gobber-Gassenläufer sehen toll aus und rufen einfach danach, gespielt zu werden. Einzig der Sucher wirkt etwas langweilig und so, als hätte man einfach irgendetwas für Iosaner gebraucht, damit diese halt auch eine zusätzliche Karriere bekommen. Aber eventuell spricht der Sucher auch mehr den Liebhaber von ruhigen und mysteriösen Charakteren an. Bei dieser Karriere ist jedenfalls kein Funke übergesprungen.

Passend zu den Karrieren gibt es einundzwanzig neue Eigenschaften, die vor allem auf Stadtcharaktere zugeschnitten sind. Obwohl, andere Charaktere können damit sicherlich auch etwas anfangen. Vor allem “Blitzschneller Dieb” ist als Talentpunktemaschine sicherlich eine gute Wahl, zumal die Voraussetzung mit Taschendiebstahl 1 doch sehr gering ist. Alles in allem machen die Eigenschaften aber einen runden Gesamteindruck und zeugen gelegentlich von einer netten Portion Humor (“Hau ruck”, “Hau’se um”).

Das zweite Kapitel widmet sich ganz der sogenannten Stadtausrüstung. Es sind einige neue Spielsachen dabei (Nahkampfwaffen, Fernkampfwaffen, Ausrüstung, Alchemie), die einem sofort das Herz aufgehen lassen. Richtig schick ist der Federwerkinjektor, den jeder gute Alchemist oder Giftmischer mit sich führen sollte. Diese Handwaffe ist auch passend illustriert und schnell kommen einem Spielleiter ein paar passende NSC in den Kopf. Vor allem in Verbindung mit den Angstgranaten, die jetzt ebenfalls erhältlich sind. Düstere Städte, Injektoren, Angstgranaten - unweigerlich kommt hier einem das Bild von Scarecrow (häufig wiederkehrender Gegenspieler von Batman (DC Comics)) oder auch Brother Blood (in der Variante aus der TV-Serie “Arrow” (The CW)) in den Kopf.

Im Kapitel “Stadtkampf” dreht sich alles um die entsprechenden Regeln. Das Kapitel ist übrigens das schwächste im ganzen Buch. Es behandelt nämlich sehr ausführlich weitere Kampfoptionen und dröselt dabei größere Manöver auf, bis am Ende ein Haufen Detailregeln übrigbleiben. Ein paar Regeln mehr ist in Ordnung, aber hier geht die Sache doch etwas zu sehr ins Detail. Es werden kleinkarierte Regeln wie Augenstich, Kehlenschlag, Leistentritt und Zehentritt beschrieben. Noch kleinlicher wird es dann, wenn der Schwitzkasten aufgeschlüsselt wird und ganze fünf eigene Manöver erhält. Hier treten die Wurzeln des Spiels deutlich hervor, die im Tabletop liegen. Schade, hier wäre es gut gewesen, den Fokus mehr aufs Rollenspiel zu legen.

Ähnlich geht es mit den improvisierten Waffen weiter, die sich in so Dinge wie “Flasche” und “zerbrochene Flasche” unterteilen. Oder auch in “kleiner Wurfgegenstand, scharf”, “kleiner Wurfgegenstand, stumpf”, “Massiver Wurfgegenstand” et cetera. Alles mit ein, zwei Absätzen Regeltext. Die Regeln sind zumindest gut geschrieben und wie üblich aufgemacht, so dass sich Spieler sofort zurechtfinden.

Nach diesem Ausflug in die Hardcore-Regelecke geht es zwar mit Regeln weiter, aber gleichzeitig wird der Fluff ordentlich aufgebohrt. Denn jetzt widmen sich die Autoren den Stadt-Arbeitsjacks. Und Jacks sind einfach grandiose, machen den Reiz dieser Spielwelt aus. Es gibt ein Paar neue Chassis, tolle Ausrüstung und Verbesserungen. Für Stadtabenteuer sind diese Geräte wunderbar geeignet und an mancher Stelle auch ein adäquater Ersatz für die teureren Warjacks.

Das fünfte Kapitel des Stadtkompendiums behandelt die Piraten- und Schmugglerstadt Fünffinger, auch genannt “der Hafen der Hinterlist”. Es handelt sich dabei um eine Hintergrundbeschreibung, die auf Textmaterial aus dem Settingband “Five Fingers: Port of Deceit” basiert, wie dem Inhaltsverzeichnis von “Iron Kingdoms - Stadtkompendium” zu entnehmen ist.

Die Beschreibung von Fünffinger ist eindeutig das Glanzstück im Buch. Es gibt eine schicke Karte, die zwar etwas klein geraten ist, aber in guter Auflösung bei Ulisses im Downloadbereich zur Verfügung steht. Die Historie der Stadt, sämtliche Inseln, die Gesetze, die wichtigsten Banden und Syndikate, die einflussreichsten Personen und noch einiges mehr, wird hier beschrieben. Das Material reicht locker aus, um in Fünffinger eine gute Stadtkampagne spielen zu lassen. Und von der Fülle an Material und Ideen einmal abgesehen, ist die Stadt unheimlich faszinierend und bietet an jeder Ecke Spannung und Abenteuer. Die Texte lesen sich hervorragend und machen einfach Laune auf mehr.

Als nächstes geht es mit Stadtbegegnungen weiter. Im Buch gibt es vier Stück davon, die zwar in unterschiedlichen Städten spielen, aber leicht auf andere Städte angepasst werden können. Im Grunde genommen, handelt es sich bei den Begegnungen jeweils um einen grundlegenden, von einem Zeitungsartikel eingeleiteten Aufbau mit Hintergrundinformationen und Spielwerten. Für jeden Aufbau gibt es dann ein oder zwei vorgeschlagene Szenarien, die gespielt werden können. Das setzt natürlich ein gewisses Improvisationstalent der Spielleitung voraus, macht aber großen Spaß. Vor allem die Stadtbegegnung “Explosive Ausbeute” mit ihren beiden Szenarien ist sehr unterhaltsam - und kann überraschend tödlich enden.

Als nächstes Kapitel steht “Die Diener Thamars” an, in denen die Advokaten der Dunklen Göttin behandelt werden. Nach einer zweiseitigen Übersicht über den Kult, wird der thamaritische Advokat als Karriere vorgestellt, mit den dazugehörigen neuen Eigenschaften, Fertigkeiten und Zaubern. Letztere sind, wie im Grundregelwerk, äußerst spartanisch beschrieben und stehen im Widerspruch zur ansonsten recht hohen Fluffdichte. Die wird hier aber durch einen kleinen Seitenkasten gefördert, in dem Informationen über die heilige und mystische Sprache Telgesh zu finden sind. Das sorgt für angenehme Stimmung. Sehr stimmungsvoll sind auch die Regeln zu den untoten Knechten, die ein Advokat erschaffen und kontrollieren kann. Nekromantisch, morbide, düster - passt wunderbar in die Spielwelt hinein. Die Nekromantie-Regeln funktionieren ziemlich simpel und schnell ist ein runenbestückter Knecht nach eigener Vorstellung erschaffen.

Mit dem Kapitel über Thamar kann die Spielleitung nun die eigenen Reihen der Bösewichter verstärken oder die Gruppe entscheidet sich, mal keine Helden, sondern Kultisten zu spielen. Wie so eine Tahamritensepte als Abenteuerkompanie funktioniert, ist im Stadtkompendium ebenfalls beschrieben.

Weitere Ideen zu Abenteuerkompanien finden sich auch im vorletzten Kapitel: “Wagnis und Belohnungen”. Dort werden Caspische Cortex-Schmuggler, Transporter von Fünffinger und Stanzynat Mustyn von Korsk vorgestellt. Im Grunde allesamt sehr kriminelle Abenteuerkompanien. Passend dazu gibt es eine Tabelle, die eine Übersicht über die Gesetze und Strafen in den Königreichen bietet. Sittenwidrige Reden im Protektorat, Zerstörung von Währung in Cygnar oder auch Mord in Ord - hier werden die dazu passenden Strafen aufgeführt. Eine nette Sache, um die Atmosphäre am Spieltisch zu steigern.

Den Abschluss des Softcovers bildet das Abenteuer “Einflussreiche Freunde”, das auf vier bis sechs Charaktere mittlerer Heldenstufe ausgerichtet ist. Das Abenteuer besteht aus sieben Szenen (letztere ist allerdings nur der Epilog) und fährt eigentlich alles auf, was im “Iron Kingdoms - Stadtkompendium” vorkommt. Das ist natürlich schon sehr geschickt. Das Abenteuer selbst liest sich auch sehr gut und ist schön aufgemacht. Zudem können die nötigen Schablonen und Bodenpläne bei Ulisses heruntergeladen werden. Sämtliche NSC-Werte sind im Buch enthalten, die Gliederung sehr gut. Zudem ist das Abenteuer recht kampflastig, was vor allem die Tabletopper unter den Rollenspielern ansprechen dürfte. Allerdings gibt es auch den ein oder anderen Haken an “Einflussreiche Freunde”: Das Abenteuer kann schnell versanden, auch Abseits des “normalen” Versagens der Helden. Das trifft vor allem auf den Anfang zu. Denn falls die Spielleitung ihren Initialwurf versaut, die Spieler sich auf den NSC nicht einlassen oder ihn gar erledigen (was auch versehentlich passieren kann), beginnt das Abenteuer erst gar nicht. Hier ist etwas Glück oder die leitende Hand der Spielleitung gefragt. Eine Überarbeitung des Einstiegs bietet sich an, eventuell in dem die Spieler zuvor (in einem anderen Abenteuer) freundschaftlichen Kontakt zum Initial-NSC hergestellt haben und ihm aus eigenem Antrieb helfen wollen.

Abschließend bleibt zu sagen, dass diese thematische Ansammlung von kleinen Schätzen eine Bereicherung für die eigene Iron-Kingdoms-Runde ist, sobald städtisches Gebiet betreten wird. Es bleibt aber auch anderweitig Material zum Ausschlachten übrig, um in der Wildnis oder auf den Schlachtfeldern für Überraschung zu sorgen. Dank einem hohen Fluffanteil können sogar Konversionpiraten das Buch entern, um fette Beute zu machen.

Die Texte sind weitgehend kurzweilig geschrieben und die Regeln verständlich. Das Layout kommt aufgeräumt daher und die Klebebindung des Softcovers ist lange Zeit überaus stabil, nach eifrigem Benutzen stellen sich aber dennoch erste Ermüdungserscheinungen ein. Die Illustrationen sind sehr gelungen. Nur die absichtliche Unschärfe linksseitig des Covers ist etwas verstörend. Sie soll wohl Bewegung darstellen. Die Fehler im Buch halten sich in Grenzen, ein Errata liegt bisher nicht vor. Das ist wohl ein gutes Zeichen. Besonders löblich ist die mediale Unterstützung des Systems durch Ulisses, besonders was Downloads und auch Onlineartikel angeht.

Das “Iron Kingdoms Stadtkompendium” ist trotz kleiner Schwächen und seiner Beschaffenheit als thematische Sammlung, eine klare Empfehlung. Spieler die in den Eisernen Königreichen unterwegs sind, kommen jedenfalls nicht drumherum, sich das Stadtkompendium zuzulegen.

Copyright © 2014 by Günther Lietz, all rights reserved

Iron Kingdoms - Stadtkompendium

Ulisses Spiele Softcover (2014)
96 Seiten, ISBN 978-3-86889-357-1
Chefredaktion: Bryan Cutler
Autoren: Simon Berman, N. Conte, Aeryn Rudel, William Schoonover, William Shick, Jason Soles, Ross Watson
Nebenautoren: Doug Seacat, Brent Waldher
Cover: Néstor Ossandón
Übersetzung: Kai Großkordt, Katrin Osieja, Marc Truant
Deutsche Redaktion: Michael Mingers

Einführung in die Eisernen Königreiche:


Downloads bei Ulisses:
http://www.ulisses-spiele.de/sortiment/rollenspiele/iron-kingdoms/downloads/
 
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