Rezension Houses of the Blooded

The Preacher

Quantum Cat Power!
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15. März 2004
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Houses of the Blooded


Grundregelwerk


Der Anfang – das Buch:
Egal, ob du verlierst oder gewinnst, mach es mit Stil. Diesen Grundsatz der klassischen Oper hat der bekannte Designer John Wick inklusive der Sterbearie als Grundstock für sein neues Rollenspiel Houses of the Blooded verwendet. In dem Spiel, das in der fiktiven Kultur der Ven spielt, geht es um Lust, Leidenschaften und Rache – und darum, dass mit dem einen meist auch die beiden anderen kommen. Es ist nicht leicht zu sagen, was John Wick mit HotB alles geschaffen hat – ein klassisches Rollenspiel ist es ganz sicher nicht. Und auch keine einfache Lektüre, den bei dem Chaos, das in HotB herrscht, fällt es sehr schwer, nicht den Überblick zu verlieren.

HotB zeigt zunächst vor allem eines – wie wichtig es für jeden Autor ist, einen guten Lektor zu haben. Den hatte John Wick offensichtlich nicht. Einige seiner Regeln widersprechen sich im Abstand von zwei Seiten, manchmal passt der Text in einem Kapitel nicht so ganz zu dem, was er in einem anderen geschrieben hat. Ganz besonders merkt man das, wenn es um die Vasallen der Charaktere geht und um das, was sie eigentlich machen dürfen. Auch ist der Schreibstil von HotB sehr atmosphärisch, allerdings durch seine Emulation der „Ven-Sprache“ an manchen Stellen hart an der Verständnisgrenze. Ach ja, und der Trick eine Aussage einige Kapitel später mit einem direkten „ich habe gelogen“ zu widerlegen war genau einmal witzig und ist es inzwischen nicht mehr.

Gut – aber schlecht

Hat man sich aber erst einmal durch Houses gekämpft, erwartet einen ein sehr interessantes Spiel.
Allerdings ist fraglich, ob man John Wick dafür überhaupt verantwortlich machen darf. Glaubt man dem Entwickler, ist er nämlich nicht der Schreiber dieses Buches, sondern lediglich der Übersetzer. Eine literarische Technik, die schon einige andere Autoren benutzt haben, um ihrem Werk Authentizität und Abstand zu verleihen. Als zweite Stufe der Absonderung hat Wick festgelegt, dass HotB nicht die historische Kultur der von ihm „entdeckten“ Ven beschreibt, sondern die fiktionale Welt ihrer Opern, Ballette und Kopfkissenbücher. Wicks neues Buch ist ein Rollenspiel über Opern – und genau so fühlt es sich auch an. Die Spieler spielen Charaktere wie sie auch in einem griechischen Theaterstück oder dem Ring der Nibelungen von Wagner auftreten könnten. Sie sind überzeichnet, geprägt durch ihre Schwächen und bis zu ihrem Untergang ist es nur eine Frage der Zeit. „Jeder positive Wert kann sich auch gegen den Charakter wenden“, sagt John Wick in seinem Designblog – und er hat damit recht. Egal, was man für einen Charakter macht, einen mächtigen Krieger, einen hinterlistigen Höfling oder einen romantischen Poeten, die Dinge, die man für diesen Weg aufgibt und sogar die mächtigen Fähigkeiten die man erhält sind im Grunde nichts anderes als Vehikel für Spielleiter und Mitspieler, den Charakter einen gehörigen Tritt in den Hintern zu geben. Das tun sie vornehmlich über Wetten und Stilpunkte, mit denen sie den Spielfluss und die Umwelt verändern können und sollen. Wirklich definiert ist über Shan´ri, die Welt der Ven, am Anfang fast nichts. Dafür sorgen die Spieler im Laufe der Sitzungen. Jede ausgegebene Wette und jeder verbrauchte Stilpunkt definieren Shan´ri ein Stück mehr und sorgen dafür, dass jede Rune ihre eigene Ven-Welt erschafft. Zum einen bedeutet das für die Spieler einiges an Macht und für den Spielleiter einige Dinge, die er einfach schlucken muss. Zum anderen benötigt man für eine HotB-Sitzung auch entsprechende Spieler, die mit einer Runde „Es war einmal“ vielleicht mehr anfangen können als mit einer Runde „Hero Quest“. Anstatt eines Abenteuers stricken SL und Spieler ihre kleine eigene Oper, inklusive eines dramatischen Endes, in dem sich alle Stärken der Charaktere gegen sie wenden.

Siedler von Shan´ri

Bis dahin vergeht aber einige Zeit, die die Spieler damit verbringen können, ihre kleinen Königreiche zu erweitern. Hier kommt der seltsamste Teil von HotB zum Vorschein. Neben einem Opern-RPG hat John Wick auch einen eigenen Siedler von Catan Aufguss gezaubert, in dem die Charaktere Vasallen herbeirufen, Länder erobern und Städte ausbauen dürfen. Diese Aktionen verschlingen Zeit und so kann manchmal der Verdacht aufkommen, dass man gerade alles macht – nur kein Rollenspiel spielen. Dieses Metaspiel aus dem Fenster zu werfen ist gar nicht so einfach, denn die Ressourcen, die man in ihm gewinnen kann, sind die zentrale Währung der Ven. Um an deren sozialen Leben also überhaupt teilnehmen zu können, muss man das Meta-Spiel beherrschen.

HotB ist ein seltsamer Bastard, der in Bereiche vordringt, die nur wenige Rollenspiele streifen. Viel mehr als diesen engen Korridor aus Intrigen und großen Dramen kann man mit John Wicks neuem Spiel auch nicht spielen. Lässt man sich darauf ein, macht es sehr viel Spaß, die Welt von Shan´ri zu erschaffen und mit Leben zu füllen. Allerdings sollte man auch niemandem böse sein, wenn er dazu gerade keine Lust hat.

Update: Drei Monate später – ein kleines bisschen Horror-Show:

Die Ven bezeichnen ihre Welt als Shan´ri, den großen Feind. Drei Monate HotB am Spieltisch haben klar gemacht, dass sie damit nicht scherzen. Alles scheint im Spiel darauf abgerichtet zu sein, den eigenen Charakter so effektiv wie möglich in die Tonne zu hauen: Die Welt, die Monster – und die Regeln. HotB spielt sich anders als das übliche Rollenspiel. Dort kennt man zumindest seinen eigenen Charakter und seinen Hintergrund. In HotB nimmt dem Spieler sogar diese Sicherheit. Andere Spieler können über den eigenen Charakter Wahrheiten definieren, die man zwar so nicht akzeptieren muss – auf Dauer alles abzulehnen wird aber zu kostspielig. Hat man sich einmal an diesen Frosch gewöhnt, der einem gerade in den Hals gestopft worden ist, kommen die nächsten beiden Kröten. Zum einen der Charakter selber: Er hat Schwächen, die man nie beseitigen wird und die ihn für den Rest seiner Existenz bedrohen – und nerven. Besonders dann, wenn man eine flammende Rede hält, die alle Mitspieler mitreißt und der SL am Ende nur darauf hinweist, dass man sie umsonst gehalten hat, weil Schönheit (das Attribut, mit dem man Reden flammend gestalten kann) die Schwäche des Charakters ist. Letztlich bekommt so jeder Charakter eine Rolle – der Kämpfer, der Weise Mystiker, der Hexer, der Diplomat – hat man sich aber erst einmal für eine dieser Rollen entschieden, gibt es kein zurück mehr. Wohl dem, der nette Mitspieler hat, die sich in eine andere Richtung spezialisieren.

Unterwirf dein Land

Das zweite System, das noch viel mehr an den Nerven zehrt ist das Metaspiel, mit dem man seinen Charakter steigt und seine Domäne ausbaut. Spielt man dieses Spiel wie gewünscht schrammt die eigene Domäne in den ersten Jahren immer am Rande des Ruins vorbei. Die Kosten, seine Untergebenen bei Laune zu halten sind enorm und auch ohne Rivalen bedrohen Monster und Unglücke das Land. Mit etwas Pech entreißen die einem auch noch das Essen, das man eigentlich benötigt, um seine Vasallen zu ernähren. Kommt dann noch ein NSC oder Mitspieler auf die Idee, die Lage auszunutzen, hat die eigene Domäne eine Halbwertszeit von etwa einem Jahr. John Wick hätte keinen besseren Weg finden können, um eine Welt darzustellen, der man sprichwörtlich alles entreißen muss. Allerdings sei die Frage gestellt, wie die Ven unter diesen Umständen überleben.

Missbrauche deinen Charakter

In HotB gibt es zwei wichtige Währungen für den Spieler. Wetten, die am Ende eines Würfelwurfs stehen und Stilpunkte, die der Spielleiter verteilt. Setzt man beides clever ein, kann man auch die auswegloseste Situation in einen Sieg für den Charakter verwandeln. Hier kommt der nächste Knackpunkt im Spiel. HotB eignet sich sehr für Spieler, die einen „Jack Sparrow“-Ansatz im Spiel verfolgen. Sie haben zwar ein Ziel, wie sie dort hin kommen und was alles auf dem Weg zu Bruch geht, ist ihnen egal. Was während der Reise passiert wird strickt nach Reihenfolge abgehandelt. Ein Mitspieler übt so viel Zwang auf die Aspekte des Charakters aus, dass er sich von einer lebensbedrohlichen Situation zur nächsten hangelt? Kein Problem, jeder Zwang gibt Stilpunkte und damit konkreten Einfluss auf die Welt. Der Charakter mag dabei durch die Hölle gehen – solange es dem Ziel des Spielers dient, kann ihm das aber herzlich egal sein. Nur zu sehr an seinem Charakter hängen sollte man nicht. Je mehr man ihn als weitere Ressource sieht, desto mehr macht das Spiel Spaß – bis der Held im eigenen Blut liegt und der letzte Vorhang fällt.

Bis jetzt klingt HotB nicht nach einem sehr spaßigen Spiel. Der Grund, warum man es nach drei Monaten immer noch noch nicht aus der Hand legt, liegt an zwei einfachen Worten: Unbegrenzte Macht. HotB überlässt es dem Spieler, die Welt, ihre Bewohner und die am Spiel teilnehmenden Charaktere zu gestalten. Hat man diese Tatsache erst einmal verinnerlicht, wirkt sich das Prinzip wie flüssiges Heroin aus. Shan´ri ist ein Sandkasten, in dem man sich nach Belieben austoben kann – inklusive einiger schöner Burgen, die die Mitspieler aufgebaut haben. Und das Buch gibt einem sogar Tipps, wie man diese kaputt machen kann. Der Spielleiter selber ist im Grunde nur dazu da, um die Sachen zu komplizieren. Einen starken Magen sollte man aber haben, mit den man die unzähligen Szenen verdauen kann, in denen der eigene Charakter übers Ohr gehauen wird, unfähig ist oder ihm die Welt einen kräftigen Tritt in den Hintern gibt. Denn genau das soll er ja auch am Ende. Houses of the Blooded ist eine Oper, in der nur Tragödien zur Aufführung kommen – und in denen stirbt bekanntlich am Ende jeder.Den Artikel im Blog lesen
 
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