Heimkehr

Blendwerk

Anonymous
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(Anm.: Ich hoffe sie ist nicht zu lang ...?()


Tote Welten deren Wunden ihre zerstörten Städte waren. Metallene Gerippe trieben zwischen den Sternen. Ich habe den Weltenbrand miterlebt. Immer wieder höre ich die Schreie der Gefallenen. Das lautlose Plasmafeuer und die kreischenden Schrapnellgeschosse. Lebendig begraben auf irgendeinem toten Planeten. Ich bin namenlos in einem Massengrab gefangen. Versuche die lockere Leichenerde zu bewegen. Millimeter um Millimeter komme ich vorwärts. Stoße an verrenkte Arme, verstümmelte Körper. Völlige Finsternis und Stille umgab mich. Meine Lunge verzehrte sich nach Luft, denn mein Gesicht war voller blutgetränkter Erde.




Ausgemergelt, nackt und schmutzig lag ich auf den Rücken und atmete. Atmete abgestandene Luft, die den Beigeschmack süßlichen Verwesungsgeruch eines frisch geöffneten Grabes mit Industrieabgasen hatte. Über mir war kein Himmel. Nur eine gewölbte, kaum beleuchtete Decke eines Bunkers. Wo war ich nur? Das Klappern eines mechanischen Schlosses lies mich aufhorchen. Ich raffte mich auf und suchte hinter alten Plastikfässern Deckung. Die Tür am Ende des Raumes öffnete sich protestierend. Die wenigen Lampen gaben kaum Licht. Etwas schweres massiges drang durch die Türspalte. Schnaubend und rasselnd bewegte es sich langsam hinein. Die schwarze Kreatur wandelte vorsichtig weiter und blieb unter einem Lichtschein stehen und reckte seinen länglichen Kopf in meine Richtung. Der verwesende Körper eines riesigen Hundes gleich wurde mit geschmolzenem Plastik und rostigen Stahlklammern zusammengehalten. Aus einer nässelnden Bauchwunde tropfte Eiter langsam auf die Erde. Seine leeren Augenhöhlen starrten mich an und aus den niedersten Höllenschlunden kam sein kehliges Knurren, welcher durch die Wände in einem endlosen Hall meinen Verstand sprengte.

Eine Person kam neben der Kreatur zum Vorschein. In Lumpen gehüllt war sein Geschlecht nicht auszumachen.

Wer bist du?“, kam eine tiefe rauhe Stimme aus den schmutzigen Lumpen. Es war perfektes Englisch. Mein Blick von diesen leeren Augen abwendend blickte ich ihn verständnislos an.

Wer bist du?“, fragte er noch einmal ruhig und hielt seine Kreatur an einem massiven Eisenring am Rücken fest. Mein Mund stand offen, als mir klar wurde, das ich mich nicht erinnern konnte.

Ich ... ich weiß es nicht.“, krächzte ich aus meinem ausgedörrten Mund voller ungeweihter Erde.

Lügner! Antworte!“ Mit diesen schroffen Worten knurrte sein Haustier und begann die Zähne zu fletschen. Immer weiter kroch ich hinter die Fässer.

Glauben Sie mir! Ich habe mein Gedächtnis verloren!“, flehte ich.

Gehörst du zur Herrin oder zu uns?“, fragte er ungeduldig.

Keinem von beiden. Ich gehöre zu ...“ Ein Symbol, rot und weiß, war vor meinem Auge. Und wieder verschwunden. „Ich weiß es nicht mehr.“ Die Lumpengestalt seufzte.

Er soll dich anschauen. Dann sehen wir weiter.“ Er wandte sich zur Tür und war verschwunden. Zittern, meine Scham bedeckend, folgte ich ihm durch einen genauso schlecht beleuchtenden Gang wie der Raum. Alte Rohre ragten scharf aus den Metallwänden. Der Boden war schwarzes Plastik oder etwas ähnliches. Wir begegneten niemanden auf den kuriosen Gängen, die wie wahnsinnig mal hier mal dorthin führten. Abzweigungen, mal rauf, mal runter. In weiter Ferne war das schwere Dröhnen von Maschinen zu hören und zu spüren. Die Kälte lies meine Glieder steif werden. Stolpernd und frierend folgte ich ihm bis fast meine Kräfte versagten. Doch endlich kamen wir an. Ein alter Kommandobunker. Ich suchte instinktiv nach Zeichen und Symbolen. Fand aber keine. Kein Hinweis wo ich mich befand. Die großen Bildschirme und Holoprojektoren waren dunkel, viele zerbrochen. Die uralten Computer verstaubt und grau. Der Raum roch nach Weihrauch und anderem Räucherwerk. In der Mitte auf einem Lederstuhl saß eine weitere Lumpengestalt.

Meister.“, begrüßte mein Führer ihn und verbeugte sich. Nun verließ er den Raum. Ich fror nun entsetzlich und setzte mich auf den kalten Fußboden um mich auszuruhen. Stille umgab mich. Nur mein pochendes Herz und mein schwerer Atmen waren zu hören. Durch Durst, Kälte und Erschöpfung überkam mich die Ohnmacht.




Stimmen weckten mich.

Bringen wir ihn zu uns?“, hörte ich eine weibliche Stimme in einem seltsamen Akzent Englisch sprechen. Rascheln und Klappern. Körpergerüche und der Duft nach Maschinenöl drang in meine Nase.

Nein. Zu gefährlich. Er könnte ...“, antwortete eine andere Stimme.




Er ist wach!“, befand eine weitere mit schweren russischen Akzent. Ich öffnete die Augen und sah in viele andere über mir. Wir befanden uns in einer Art Untergrundbahn. Nur waren statt Antigravitationsplatten Schienen zu sehen. Metallschienen. Auf dem Boden und an der weit entfernten Decke. Um mich standen ein Dutzend Männer und Frauen in wenigen Kleidungsstücken gehüllt. Die Konsistenz der Kleidung war plastikähnlich. Ihre Haut war bleich und schmutzig. Sie hatten Speere aus angefeilten Rohre oder Metallstangen, diese richteten sie auf mich.

Lazarus Orden! Neutrale Partei 7!“, sagte ich automatisch. Sie klangen so vertraut. Gehört ich zu diesem Orden? Und wieso neutral? Ein junger Mann mit rasierten und tätowiertem Schädel sprach mich an.

Diesen Orden kennen wir nicht. Woher kommst du?“ Wobei er seine Worte mit seinem primitiven Speer unterstrich. Das Donnern der Dampflok die in diesem Moment an den Deckenschienen entlang raste war ohrenbetäubend. Ich starrte mit angsterfüllten Augen zu den halbdurchsichtigen vergilbten Glascontainern, die dieser abscheuliche Zug hinter sich herzog. Blut, menschliche Knochen, Muskelfleisch wurde in ungeahnten Mengen transportiert. Dieser Schreckenszug war kilometerlang und verschwand in der Dunkelheit diesen Alptraumes.

Deine Kleidung. Bist du von Ulcaithan?“, weckte mich eine Frau in mittlerem Alter, ihre Augen waren leer und ausdruckslos. Ich bemerkte meine neue Kleidung. Es waren nur ein paar graue Lumpen, die nach Schweiß und Urin stanken, aber sie wärmten mich.

Nein. Ich will nur nach Hause.“, antwortete ich in voller Schrecken an diesen Zug. Mein Blick wanderte von einem zum anderen. Alles um mich herum schien so unwirklich und gleichzeitig von brutaler Realität.

Ich glaube ihm.“, unterstütze mich eine junge Frau, dessen Haut mit Maschinenöl eingerieben war und nur einen Lendenschurz trug.

Thirtyone, wie können wir sicher sein, das er kein neuer Trick der Bunkermenschen ist? Ein Spion?“, fragte der Tattookopf.

Weil er nicht so aussieht. Er ist höchstwahrscheinlich nur ein Flüchtling.“ Sie blickte mich freundlich an. „Wie lautet deine Nummer? Ich bin Thirtyone.“ Sie reichte mir eine Hand, die ich dankend an nahm. Ihr Griff war schmierig aber fest.

Ich weiß es nicht. Ich habe mein Gedächtnis verloren. Wo bin ich hier? Habt ihr was zu trinken?“, sprudelte es aus mir heraus. Thirtyone lachte.

Hier.“ Sie reichte mir eine olivgrüne Feldflasche. Ich trank in großen Schlücken. Die anderen standen unschlüssig herum. Flüsterten und wisperten. Bis der auf und abschwellende Ton einer Luftalarmsirene ertönte. Szenen voller Blut und Gewalt waren plötzlich in meinem Schädel. Orbitalabwehrfeuer gegen die Raumschiffe, die ihre tödliche Ladung in hundert Kilometer über der Oberfläche abwarfen. Gigantische Feuer, Erdbeben. Durch Geschosse und Splitter zerrissene Menschenleiber. Unsichtbare tödliche Laser und ausgebrannte Schwebepanzer.

Lauft!“, schrie der Tattookopf und alle strömten in verschiedene Richtungen. Thirtyone packte meine Hand und zog mich weg. Hin zu einem Notausgang.

Was ist los?“, fragte ich und stieg durch den engen Gang voller Unrat.

Bunkermenschen.“, flüsterte sie atemlos und führte mich zu einer weiteren Tür. Das Quietschen hallte durch die Gänge. Sie schloß die Tür hinter mir. Wir befanden uns in absoluter Dunkelheit.

Wo sind wir?“, flüsterte ich.

In meinem persönlichen Versteck. Hab ich vor ein paar Wochen entdeckt.“, flüsterte sie in mein Ohr und roch ihre Maschinenölhaut, spürte ihre Wärme.

Nein ich meine das alles hier ...“ Ihr Finger legte sich auf meine Lippen. Das Öl schmeckte bitter.

Still. Sie kommen.“ Draußen war mechanisches Atmen zu hören und schwere Stiefelschritte. Sie kamen immer näher. Die Schritte waren langsam und schwerfällig, als hätten sie eine schwere Last zu tragen. Das Klappern von Ausrüstung mischte sich mit dem eintönigen Geräusch ihrer Atemmaschinen. Licht fiel durch die Ritzen und Löcher unserer Tür. Verharrte eine Ewigkeit. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Unsere Atmung glich sich unbewußt ihrer an. Der Angstschweiß brach mir aus und hoffte sie rochen meine Angst und Thirtyones Haut nicht. Ich flehte alle Götter an, die es vielleicht gab das sie uns nicht entdecken. Die Hände Thirtyones klammerte sich an meinen Körper. Ich hörte ihren keuchenden Atmen. Das Licht. Es verschwand wieder. Mit ihnen die Geräusche. Ein erleichternden Seufzer entfuhr uns leise um sie nicht noch mal anzulocken.




Schweigend führte sie mich zu ihrer Behausung. Die Gänge waren grob behauen. Sahen fast aus als wären sie mit puren Händen in die Erde gegraben worden. Vielleicht waren sie es auch. Vor uns sah ich das einladende unsterbliche Licht eines offenen Feuers. Thirtyone blieb vor einem Abhang stehen und ging kraftlos in die Knie. Über ihre Schulter sah ich es. In einer Senke, welches mal eine Fabrikhalle war, aber halb eingestürzt und mit Erde und Gestein aufgefüllt war lagen ihre Hütten, Zelte und Behausungen. Doch sie brannten. Ihr Volk lag völlig ausgerottet auf dem Boden. Zwischen ihnen liefen die Bunkermenschen in ihren gelben Strahlenschutzanzügen umher und sammelten die Toten ein oder fingen lebende Exemplare mit Schockwaffen ein. Sie gingen dabei mit einer mir unbeschreiblichen Brutalität und Effizienz vor. In improvisierten Karren stapelten sie die Toten mit den geschockten Überlebenden, vernichteten ihr Dorf mit Feuer und Laser. Die Gasmasken verbargen kalt und unmenschlich ihre Gesichter. Thirtyone stand plötzlich auf und rannte die Treppe herunter. Ihr Speer drang von hinten in einer der Bunkermenschen ein und ragte dunkelrot vorne wieder heraus. Mit einem eleganten Dreh zog sie es heraus und hinterließ in ihrer Drehung roter Regen. Sie schlug mit voller Wucht den Speer einem Bunkermenschen ins Gesicht und brach ihm dadurch das Genick. Glassplitter flogen und Blutspritzer waren auf gelben Plastik. Sie schrie ihre ganze Wut und Verzweiflung den Bunkermenschen entgegen. Ohne einen Moment zu zögern oder nachzudenken half ich ihr. Auf dem Boden lag einer dieser Schockwaffen der Bunkermenschen und benutzte es gegen sie. Ich schnappte einen von hinten, der gerade Thirtyone angreifen wollte und schoß aus nächster Nähe auf seine Kehle. Nur noch ein gurgelndes Geräusch und verbranntes Plastik war davon übrig. Schwer fiel er tot auf den Boden. Flackerndes Feuer und die Kampfschreie Thirtyones erfüllte die schreckliche Szenerie. Bilder von gigantischen Gebäude die sich in Rauch und Feuer auflösten überlagerten die Realität. Tausende Tote unter den Trümmern einer Millionenstadt, irgendwo im Universum. Ihre Schreie verstummt. Kalte Effizienz des Krieges. Ihr Schrei verstummte. Sowie meiner.




Wieder aufgewacht. Ohne Erinnerung. Wo ist Thirtyone? Wo bin ich? Was passiert nur mit mir? Ich liege in einer schwülen Zelle, die durch grelle Lichter erhellt wurde. Wieder war ich nackt. Ich fühlte mich schwach und kränklich. Der Gestank von Schweiß, Urin und Exkrementen nahm mir die Luft zum atmen. Um mich herum apathische Menschen befleckt mit ihren eigenen Ausscheidungen. Einer schlug seinen länglich deformierten Kopf in rhythmischen Abständen gegen die harte Wand. Seine blutende Platzwunde hatte sein ganzes Gesicht rot gefärbt. Die Frau neben mir hatte keinen Unterkiefer mehr. Und keine Oberlippe. Weiße Zähne grinsten mich über einem schwarze Abgrund an. Sie starrte mich mit ihren gläsernen Augen an. Mein Blick wendete sich ab. Einem Kind wurde beide Arme genommen und seine Füße mit zehngliedrigen biomechanischen Hände ausgetauscht. Er versuchte weinend immer wieder an den Stäben zu rütteln. Eine schwangere Frau neben ihm hatte Stahlbolzen in ihrem ungesund aufgeblähten gelblichen Bauch und tastete geistesabwesend auf den eitrigen Entzündungen herum. Ein blinder Greis versuchte sich die Stahlplatten von seinem Brustkorb und von seinem Gesicht zu reißen. Blutig hingen sie an seinem gemarterten Fleisch. Ein hoher schriller Ton lies alle zusammenfahren und sich auf den Boden krümmen. Ein Mädchen dessen frischrasierter Kopf mit menschlichen Augen unterschiedlichen Größen besetzt war und wirr umher glotzten, biß sich den Daumen ab, an dem sie bis vorhin gelutscht hatte. Das hohe Geräusch aus den knackenden Boxen war für mich unangenehm aber nicht so schlimm wie die anderen Gefangenen. Aber es verschlimmerte diese Szenerie absoluten Grauens, welche mich hier in aller Deutlichkeit in ihrer hoffnungslosen Agonie anstarrte. Die Wärter kamen. Hochgewachsen, stark im Körperbau. Sie waren gekleidet in bläulich-sterilen Anzügen und eine Gesichtsmaske bedeckte Nase und Mund. Einer zeigte auf mich.

Er befahl irgendwas auf japanisch. Die anderen gehorchten und hoben mich hoch.

Ich gehöre nicht hier her! Ich kannte niemanden vom Dorf! Ich weiß ja nicht einmal wo ich bin!“ wehrte ich mich. Doch ihre Griffe waren eisern und keiner antwortete mir. Sie trugen mich zu einer Art Labor. Ein schreckliches Labor in dem die Schreie der hier gefolterte Probanden die sterile Luft schwängerten. Riesige Bottiche voller Nährlösungen in denen voller Schmerz deformierte Menschen ihr unnatürliches Dasein fristeten. Kalte Metallbahren auf denen verschiedene Versuche unternommen wurden, dessen Grund und Sinn mir unbegreiflich blieb. Eine Ärztin stand von ihrem verschimmelten Bürostuhl auf und kam auf mich zu. Ihre lederne Kleidung war starr von Blut und anderen Körperflüssigkeiten. Mehrere visuelle Aufsätze und Zusätze auf ihrer Brille sollte sie wohl bei ihrer Arbeit unterstützten. Sie hob seine Plastikhand und streichelte hart meine Wange. Sie flüsterte etwas auf japanisch. Und lächelte sanft. Einer meiner Wächter hob meinen Arm und eine Spritze. Eine verfluchte Spritze mit einer Nadel! Sie stach mir schmerzvoll eine silbrige Flüssigkeit in die Venen. Ich schrie und wehrte mich mit allen Kräfte, dabei brach die Nadel geräuschvoll ab und Blut spritzte aus meiner Wunde. Hart knallte ihre künstliche Hand mir ins Gesicht. Sie fluchte laut. Die Wächter zehrten mich zu einer dieser ekelhaften Bahren. Dort sollte ich festgeschnallt werden. Die Ärztin währenddessen bereitete mein Experiment vor. Ein insektenähnlicher Roboter schwamm aufgeregt in einer schmutziggelben Flüssigkeit in einem Bottiche herum. Versuchte seinem Gefängnis zu entkommen. Seine Krallen und Dutzende von Mandibeln und Greifarmen schlugen gegen das Glas. Die Ärztin lächelte nun kalt. Die Flüssigkeit in meinen Adern begann mich hellwach zu machen. Ich sah alles in absoluter Deutlichkeit. Wie sie mich festschnallten auf dieser kalten Platte. Hilflos ausgeliefert mußte ich zu sehen wie sie alles vorbereiteten. Das chirurgische Besteck. Faulig, alt und primitiv. Das Insekt, das sie mir irgendwo in meinem Körper einsetzen wollten. Die Schreie meiner Mitgefangenen pochte in meinem vollgedröhnten Schädel. Doch plötzlich explodierte die Wand in einem Regen von Metall und Erde. Eine ungeahnt große Zahl von gräßlichen menschenähnlichen Wesen spuckte das Loch heraus.

Bakemono!“ schrie einer der Ärzte und das waren seine letzten Worte. Sein Kopf wurde wie ein rohes Ei von einer grotesk anmutenden Hand zerquetscht. Die Bottiche explodierten in einem lauten Getöse von splitterndem Glas und den schreiendem Inhalt, die durch die scharfen Glasreste aufgespießt wurden. Meine Bahre wurde umgeworfen und die festen Schnallen brachen von dem Metall. Sofort sprang ich auf und rannte durch das Loch, zwischen den wütenden Bestien hindurch in die Freiheit. Ließ Terror und Schmerz hinter mir. Der schwarze Gang in den ich rannte wand sich durch die Erde immer weiter nach oben. Ich wußte nicht wieso, aber ich wußte nur das ich nach oben mußte! Immer schneller rannte, stolperte und kletterte ich in völliger Finsternis nach oben. Nach Hause. Ein Licht erhellte die Dunkelheit und meine Anstrengungen nahmen zu. Das Licht kam aus einem Loch vor mir. Aus diesem Loch kletterte ich und befand mich in einer großen Gemeinschaftsdusche, die schon sehr alt sein mußte. Auf den brüchigen Fließen stampften meine nackten Füße um einen Ausgang zu suchen. An der Decke bemerkte ich seltsame Symbole. Arkan, kabbalistisch, mystischer Art waren sie. Hinein geritzt und mit Ruß geschwärzt. Die Fließen unter mir waren bräunlich gefärbt mit einigen grünlichen Flecken. Als ich auf einer roten Flüssigkeit ausrutschte wußte ich worauf ich lief. Frisches Blut. Schnell wandte ich mich zum Ausgang. Und schloß die Holztür hinter mir zu. So wie ich meine Augen schloß.

Bruder! Wieso so aufgeregt?“ Schlechter Atmen schlug mir entgegen. Ich riß meine Augen auf und starrte in zwei unterschiedlich farbige Augen, die sich schnell bewegten. Der Mann war aufgedunsen, ungepflegt und trug uralte Abendgarderobe, der vor Schmutz stank.

Bruder?“, antwortete ich unsicher in Deutsch. Und verbarg meine Scham.

Ja, ja, sicher. Hier hast du Kleidung.“ Hinter dem seltsamen Mann befand sich ein wurmzerfressener Holzschrank in dem sich Kleidung stapelte. Er gab mir eine Jeans und ein schmutziges T-Shirt. Auf dem stand kaum leserlich Atari Games. Noch nie gehört.

Komm mit Bruder.“ Er nahm mich bei der Hand und führte mich eine Treppe hinunter. Benommen folgte ich ihm.

Ist das hier der Lazarus Orden?“, fragte ich ihn.

Lazarus? Hmmm.“ Er blieb stehen. Überlegte eine Weile. „Es ist alles was du willst. Alles was die Gräfin dir erlaubt.“ Er kicherte über einen Witz den ich nicht verstand.

Die Gräfin?“, hakte ich nach.

Ja, ja. Die Gräfin Kerstin von Berlin höchstpersönlich.“ Er kicherte wieder. Und öffnete eine schwere Bunkertür. Sie führte zu einem Schlafsaal. Die Betten des Bunkers waren alle besetzt. Einige schliefen auf dem Boden. Das wahnsinnige Kreischen und irres Lachen hallte von den bemalten Wänden. Mein Blick wanderte von einem Wahnsinnigen zum nächsten. Einer kroch kichernd zu einem Schlafenden, zückte eine rostige Schere und schnitt ihm einen Finger ab. Der Verwundete schrie auf und verfolgte den lachenden Dieb, der an dem blutenden Finger leckte. Eine dicke Frau in Hotelmädchenkleidung gekleidet wiegte eine Autobatterie in ihren Armen. Verätzungen und Narben entstellten ihre Haut. Mein Führer schwebte durch dieses Labyrinth des Wahnsinns und ich folgte ihm schnell. Ich stolperte über jemanden und bevor ich es versah biß er mir durch die Jeans in die Wade. Ich trat ihn weg und heulend verzog er sich auf ein Plastikspielzeugauto. Irgendwo schrie ein Baby verzweifelt nach Zuwendung. Ich suchte meine einzige Bezugsperson, auch wenn er auch verrückt war wie die anderen, nicht zu verlieren und rannte ihm hinterher. Durch dieses Gewirr von Menschen stapften wir und landeten schlußendlich in einer riesigen Halle. Über uns waren Ketten und Ladekräne für schwere Lasten, auf dem Boden lagen verstreut Maschinenteile mit Runen verziert. In Fässer brannte Feuer und verbreitete ungesunde Luft. Überall waren Menschen. Entstellt durch Narben und Brandmale. Schreie, Wehklagen und Lachen erfüllte die Halle. Auf einem Schrotthaufen war der Thron. Verziert mit Zink und Messingteile. Archaische Flugzeugteile mit noch älteren Autoteilen waren zusammengeschweißt worden. Ein Zaun aus schwarzem Eisen war wie eine Corona hinter dem Thron festgekettet worden. Auf dem Thron saß eine dickliche Frau mit einem unglaublich dünnen Hals. Ihre Hände endeten in gräuliche Krallen. Sie war in bunt besprühte Metallfolie gekleidet.

Gräfin. Ein neuer Bruder ist zu uns gestoßen!“, stellte mich der komische Mann vor. Ich sah mich um und fand einen Ausgang. Hinter dem Thron war das Schild „Ausgang“, darunter eine Tür. Eine weitere Bunkertür.

So, so. Und wie ist sein Name?“ fragte sie in einer unmenschlich hohen Stimme. Sie beugte sich vor, wobei ihr Anzug knisterte und an einigen Stellen riß und dabei ekelhaft bleiches Fleisch zeigte. Ich mußte dieser Welt schnell entkommen.

Sein Name! Ja, sein Name! Namen, ja, Namen!“, hallte es durch vier oder fünf verschiedene Kehlen hinter und neben dem Thron. Sofort erfand ich einen.

David.“, krächzte ich. Die Flüssigkeit der Ärztin begann meine Wahrnehmung zu trüben. Eine alte Druckermaschine im flackernden Ende der Halle verwandelte sich in etwas anderes. Lebendiges.

Engländer! Amerikaner! Ausländer!“, riefen die Echos.

Was machst du hier, Yankeeee?“, fragte sie mich, wobei sie das letzte Wort besonders hoch durch ihre scharfen Zähne ausspuckte.

Yankeee! Yankeee!“, echote es wieder und wieder. Ich spürte wie etwas wie Nadeln in mein Gehirn stach. Ich schüttelte meinen Kopf um einen klaren Blick zu bekommen.

Kein Bruder!“, stellte sie fest.

Kein Bruder? Tot! Ja! Schmerzen für Keinen-Bruder!“, echote es aufgeregt. Der seltsame Mann packte mich am Arm und grinste wahnsinnig. Neben mir wurde ein Gestell mit Stacheldraht geräuschvoll über den Boden gezogen. Ich schlug den Arm weg und rannte um mein Leben.

Haltet ihn!“, kreischte die Gräfin und sprang mit einer ungeahnten Kraft auf. Ihre gewaltigen Brüste rissen die Folie nun vollends auf. Mit einem gekonnten Tritt verschaffte ich mir Zugang zur Bunkertür und riß sie auf. Versperrte sie hinter mir mit einem Stahlrohr und rannte die Treppe nach oben.




Nun sitze ich am Bahnhof von Berlin. Auf der Erde. Auf der verfluchten Erde. Was mache ich hier? Ich weiß nicht wieso, aber ich sehe Bilder des Weltraumes. Fremde Planeten. Graue Gesteinswelten. Ich sollte nicht auf der toten Erde sein. Es ist ungewöhnlich kühl für die Jahreszeit. Der Himmel ist sogar zu sehen. Irgendwas stimmt nicht. Ich spüre es. Die Autos müßten fliegen! Ich weiß es. Nur Bodenfahrzeuge sind unterwegs. Die Stadt ist zu klein. Sie ist einfach zu klein. Die Skyline müßte anders sein. Denke ich zumindest. Ich sehe den Mond, kaum auszumachen. Selene. Dieser Name springt mir in den Kopf. Jemand legt mir ein Papier in meinen Schoß. Ich sehe ihn an. Geld? Papiergeld? Es stimmt was ganz und gar nicht. Ich stehe auf gehe zum einem Zeitschriftenladen. Er dürfte nicht hier sein. Ich weiß es. Elektronisch. Hier ist alles so primitiv. Genau. Das ist es. Die Zeitung. Oh Gott. Hardcopy. Papier. Echtes Papier. Das Datum. Schnell das Datum. 12. August 2008. Die Schlagzeile. Der Orbitallift wurde in Zentralafrika fertiggestellt. Oh mein Gott. Jetzt weiß ich es. Ich bin in der Vergangenheit. Wir schreiben das Jahr 2008 nicht 2319. Ich gehöre zum Lazarus Orden. Theodor Kirch-Lowley. Auf dem Mond 2283 geboren. Militärarzt. Auf der HMS Richmond stationiert gewesen. Die Schlacht von Kardis III. Genau. Das war es. Was ist danach passiert. Die Industriestadt in der wir gelandet sind wurde bombardiert. Überall Tote und Verletzte. Was ist nur danach passiert? Was ist passiert?




Du starbst.“ Die Stimme schreckt mich hoch. Eine Frau. Nein. Ein weiblicher Cyborg steht vor mir. Ihre kalten künstlichen Augen schimmern schneeweiß und hob sich von ihrer pechschwarzen Hautfarbe ab. Ihre Haare sind dicke Kabelsträhne, die wie Rastas wirken. Eigentlich trägt sie keine Kleidung nur silberne Platten verbergen ihre Menschlichkeit. Ihr linker Arm wurde durch ein silbernes Multifunktionswerkzeug ersetzt. Wunderschöne Runen laufen ihren ganzen Körper entlang. Verwandeln sich und verschwinden, erscheinen wieder. Sie wirkt völlig fehl am Platze hier am Bahnhof von Berlin. Um sie herum flimmert die Luft.

Ich kenne dich.“, flüstere ich voller Angst vor dieser schrecklichen Gestalt.

Komm nach Hause.“ Sie reicht mir ihre schwarze Hand. Weiße Kabel ragen aus dem Handrücken heraus.

Was geschieht mit mir? Bin ich in der Hölle?“, frage ich sie unsicher. Mein Arm bewegt sich automatisch hoch um ihre Hand zu nehmen. Was tue ich da? Wieso vertraue ich diesem Dämon?

Ein Fehler im System. Du wirst gleich verstehen.“ Als unsere Hände sich berühren durchflutet mich ein unglaublicher Schmerz und Hitze.




Wieder bin ich auf einer Bahre. Über mir eine seltsame Maschine voller chirurgischer Instrumente. Neben mir steht die Cyborgfrau. Nein, nicht schon wieder. Tränen fließen meine Schläfen herunter. Ich will hier nicht sein. Ich war schon einmal hier. Ich wehrte mich damals. Der Eingriff war so schmerzhaft. Meine Persönlichkeit ausgelöscht. Die Seele wird mit einem Laserskalpell verbrannt. Das Ego durch eine Strichcode ersetzt. Mein Lebenscode dechiffriert und in ihr System integriert. Nein, nicht schon wieder. Ich erinnere mich. Diese gläserne Spinnen holten mich aus dem Industriegebiet heraus. Sie verwandelten mich. Ich entkam aus ihren biomechanischen Klauen. In den Untergrund wo alle Flüchtlinge flohen. Und nun hatten sie mich wieder. Kein Entkommen mehr. Keine Hoffnung mehr. Mein Gesicht spiegeln sich in ihren kalten künstlichen Augen.

Jetzt wird alles wieder gut. Du bist bald wieder zuhause. Du wirst nie wieder ganz allein sein.“ Sie sprüht mir mit ihrem künstlichen Arm etwas in die Venen.

Zuhause.“, flüstere ich verzweifelt. Mein Arm wird abgetrennt und genauso ersetzt wie ihrer. Meine Augen ersetzt. Meine Netzwerkgene aktiviert. Implantate mit meinem Nervensystem verbunden. Der Eingriff so schmerzhaft. Meine künstlichen Augen weinen nicht mehr. Nie wieder.

Durch dich wissen wir endlich wo die Flüchtlinge der Maschinenstadt sind. Danke für deine großartige Arbeit. Du wirst wieder ins System eingeführt. Übertragung beendet.“, hallte die Stimme meines Gebieters in meinem Kopf. Auf dem Podest der Klinik sehe ich auf die großartige Maschinenstadt hinunter. Der Himmel eine gigantische Stahldecke, umwölkt durch schwarze und gelbliche Abgaswolken, die Positionslichter der Schlote und titanischen Fabrikhallen, der Lagerhäuser und Vernichtungslager der erbärmlichen Menschheit. Die Kraftwerke und Bahnhöfe, die Gravports und Flughäfen, die Produktionsanlagen und Raffinieren aller Zeitalter versammelt in einer gigantischen Stadt dessen schwarzer öliger Fluß zäh seine Bahnen zieht. Wir sind die Verwalter für unseren Maschinengott. Und endlich bin ich heimgekehrt zur ewigen Maschinenstadt.
 
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