Rezension Gefährliche Gassen [B!-Rezi]

Odin

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Gefährliche Gassen


Myranor Abenteuer M08 [B!-Rezi]


Gefährliche Gassen ist der mittlerweile achte Abenteuerband für Myranor, das High-Fantasy Schwestersystem von DSA. Genau wie sein Vorgängerband Tödliche Tiefen handelt es sich bei Gefährliche Gassen um einen Anthologieband, der die drei Siegerabenteuer des Myranor-Abenteuerwettbewerbes enthält, der 2008 Stadtabenteuer zum Thema hatte.
Enthalten sind die drei Szenarios Drei Tage Gardist von Dennis Rüter, Verschwunden in Sidor Damenios von Alex Spohr und Die Schleicher von Jens Fichtner, deren Handlung sich jeweils nahezu komplett in einer Stadt abspielt.
Die drei Abenteuer sind für Einsteiger bis erfahrene Helden empfohlen, die Komplexität für Spieler und Meister ist jeweils mit Mittel angegeben.
Das Cover von Ralf Berszuck zeigt eine Kampfszene zwischen einigen an römische Gladiatoren und Legionäre erinnernde Figuren in einer engen Gasse einer ebenfalls römisch angehauchten Stadt. Die durchaus sehr dynamisch wirkende Kampfszene wird lediglich von einem recht merkwürdigen Katzenwesen getrübt, das keiner myranischen Felidenrasse eindeutig zugeordnet werden kann, auf Grund der Bewaffnung aber wohl am ehesten einen Lyncil darstellen soll.

Im ersten Abenteuer, Drei Tage Gardist von Dennis Rüter, werden die Helden in der koromanthischen Stadt Balan Osrhotania von der unterbesetzten Stadtgarde für drei Tage zur Verstärkung angeworben. In ihrer dreitägigen Dienstzeit lernen die Helden die Stadt und ihre Bewohner näher kennen und müssen sich als Autoritätspersonen behaupten. Sie erfahren, dass die Stadt fast völlig von dem undurchsichtigen Magister Aquaris abhängig ist, der die einzige Wasserquelle in der sehr trockenen Umgebung kontrolliert, was gerade die unvermögenden Einwohner der Stadt ständig an der Grenze zum Aufstand hält. Als dann noch ein einflussreicher Priester von einem Mord freigesprochen zu werden droht, steht die Lage in der Stadt kurz davor zu eskalieren.
Die Helden sitzen hier scheinbar zwischen allen Stühlen...

Dieses Abenteuer hat einen sehr linearen Handlungsverlauf und sollte daher auch für noch unerfahrene Spielleiter ohne größere Schwierigkeiten zu meistern sein. Die Helden werden nach ihrer Anwerbung durch eine Reihe von Szenen geführt, in deren Verlauf es jedes mal an ihnen liegt eine Entscheidung zugunsten einer der drei in der Stadt lebenden Parteien (Arme, Mittelschicht, Reiche) zu treffen. Ihre Entscheidungen werden vom Spielleiter auf einer Art Skala nachgehalten, um so im Finale des Abenteuers die Reaktionen der Stadtbevölkerung bestimmen zu können. Haben die Helden im Laufe des Abenteuers z.B. öfters gegen die Armen entschieden, werden diese ihnen in der finalen Auseinandersetzung kaum zur Seite stehen. Der Ausgang des Abenteuers ist völlig offen und einzig und allein von den Handlungen der Helden abhängig.
Die Abenteuerhandlung und die beteiligten Personen sind sehr übersichtlich aufgeführt. Eine vernünftige Stadtbeschreibung fehlt dem Abenteuer jedoch, so dass der Spielleiter sich diese aus dem Fließtext extrahieren muss. Auch ein Stadtplan ist nicht enthalten.

In Verschwunden in Sidor Damenios werden die Helden von der Honoratentochter Flaviane Serra Partholon beauftragt ihren entführten Bruder Aegos zu befreien. Bei ihren Ermittlungen in der Stadt bemerken die Helden, dass scheinbar noch andere Parteien an den Geschehnissen um den jungen Honoratensohn interessiert sind und können so eventuell herausfinden, dass noch mehr hinter der eigentlich simplen Angelegenheit steckt.

Im Gegensatz zum ersten Abenteuer des Bandes hat dieses Szenario einen eher offenen Handlungsverlauf. Es handelt sich um eine für Stadtabenteuer sehr typische „Schnitzeljagd“ an deren Ende die Befreiung des Honoratensohnes steht. Je nachdem wie die Helden vorgegangen sind, können sie dabei sich eventuell hinter der Entführung verbergende Intrigen aufdecken.
Die Informationen dieses Abenteuers sind ebenfalls sehr übersichtlich aufbereitet und es sind sowohl eine ordentliche Stadtbeschreibung als auch ein Stadtplan vorhanden.

Das letzte Abenteuer Die Schleicher von Jens Fichtner führt die Helden in die Stadt Sidor Termium, in der sich alles um den Handel und Schmuggel mit den in Myranor zwar gebräuchlichen aber nichts desto trotz seltenen und teuren Arcanomechaniken dreht. Die namensgebenden Schleicher, eine Gruppe von renegaten Löwengardisten, mischt hier seit einiger Zeit den schon fast sportlichen Wettstreit der verschiedenen Parteien um die Artefakte gehörig auf und versucht mit brutaler Gewalt eine endgültige Entscheidung zu erzwingen, als die Helden in der Stadt ankommen und zwischen alle Fronten geraten.

Dieses letzte Abenteuer des Bandes ist von der Handlung her das flexibelste des ganzen Bandes, aber dadurch auch das mit Abstand am schwierigsten zu leitende. Es enthält eine knappe Beschreibung der Stadt als Schauplatz (wieder ohne Karte), ausführliche Beschreibungen der einzelnen Parteien und Personen mit ihren Hintergründen und Motivationen sowie Beschreibungen einiger beispielhafter und für die Handlung nützlicher arcanomechanischer Artefakte. Am Spielleiter liegt es dann aus diesen Angaben, einigen knapp vorgeschlagenen Szenen und den Handlungen der Helden die Abenteuerhandlung zusammen zu stricken, was in erster Linie sehr viel Arbeit, Erfahrung und Improvisationsvermögen verlangt.

Gesamtfazit:
Die drei in diesem Band präsentierten Abenteuer bieten alle sehr interessante Einblicke in die stark auf die städtische Kultur zentrierte Lebensweise des myranischen Imperiums, stellen dabei aber auch zugleich die Vielfalt und Unterschiede dieser Kultur dar.
Positiv ist hervorzuheben, dass die Abenteuer bis auf das erste nicht ortsgebunden sind und die Städte beliebig im Imperium oder dessen angrenzenden Regionen lokalisiert werden können (wobei auch das erste Abenteuer lediglich auf das ehemalige Horasiat Koromanthia beschränkt ist, einer Region von immerhin dem Ausmaß des aventurischen Mitteleiches), da sie alle noch in keiner offiziellen Publikation erwähnt wurden. Eine feste Zeitlinie existiert in Myranor ja glücklicherweise nicht, so dass die zeitliche Einordnung überhaupt kein Problem darstellen sollte. Der Meister kann die Abenteuer also beliebig in seine jeweilige laufende Kampagne einbauen, oder sie als Einzelabenteuer „zwischendurch“ leiten.
Desweiteren finden sich in den Abenteuern vereinzelt Informationen, die einige Aspekte des im Hardcover nur grob angerissenen Hintergrundes weiter konkretisieren, z.B. zur Löwengarde oder den Kulten der Staatsgötter des Imperiums.
Auf der spieltechnischen Seite bietet sich mit der Entscheidungs- und Ansehensskala des ersten Abenteuers zum Nachhalten der Beziehungen der Helden zur Stadtbevölkerung eine sehr interessante Idee, die sich als durchaus praktisches Hilfsmittel erweist.
Leider ist aber auch dieser Band von dem für eigentlich alle Anthologieabenteuer obligatorische Platzmangel betroffen, der ausführliche Beschreibungen verhindert und die Informationsdichte drastisch herabsetzt. Der Meister wird also in die Vorbereitung des jeweiligen Abenteuers deutlich mehr Zeit investieren müssen, als bei eigenständigen Abenteuern (bei den beiden ersten eher weniger, sie lassen sich fast einfach nach dem Buch spielen, dafür beim dritten deutlich mehr).
Den dazu hilfreichen Myranor-Hardcover (oder zur Not die alte Myranor-Box) sollte ohnehin jeder Spielleiter zur Verfügung haben. Weiteres Material ist nicht notwendig.
Ein weiteres Manko des Bandes ist das Fehlen von Stadtplänen zu zwei Abenteuern sowie die im Abenteuer angekündigten, aber ebenfalls nicht vorhandenen Beziehungsgeflechtskarten (R-Maps) zu den beiden letzten Szenarios. Aufgrund der Komplexität der Handlung dürfte so das zweite schwer, das dritte Abenteuer nahezu unmöglich zu leiten sein. Hier wird der Meister in der Vorbereitung selber tätig werden müssen.
Das dritte Abenteuer gestaltet sich in sofern schwierig, als dass zum zentralen Thema des Abenteuers, den arcanomechanischen Artefakten, zur Zeit noch so gut wie gar kein Quellenmaterial vorliegt (ein entsprechender Quellenband ist für dieses Jahr angekündigt), so dass man hier mit der Veröffentlichung vielleicht noch hätte warten sollen.
Die Illustrationen des Bandes stammen von Andreé Aigner. Sie sind durch die Bank sehr grob und dunkel, aber durchaus stimmig und akzeptabel. Bei den nichtmenschlichen Wesen Myranors jedoch wird deutlich, dass der Illustrator nicht immer eine genaue Vorstellung von dem hatte, was er da zeichnen sollte. So passt die Nerista auf der 4. Seite wohl eher in ein Cyberpunkrollenspiel und der grimmig dreinblickende Amaun auf Seite 18 sieht eher aus wie ein Mensch mit Bocksbeinen.
Abschließend lässt sich sagen, dass jeder Meister, der mit seiner Gruppe gerne Stadtabenteuer spielt und sich nicht vor der Arbeit scheut, die das Vorbereiten von Anthologieabenteuern mit sich bringt, bei Gefährliche Gassen beruhigt zugreifen kann, sofern er auch noch darüber hinwegsehen kann, dass der Verlag es versäumt hat, die im Abenteuer angekündigten und fürs Spiel auch wichtigen Karten, Pläne und R-Maps einzufügen.
(Nachfragen dazu im Ulisses-Forum sind im übrigen bislang ignoriert worden, aber vielleicht nimmt man sich beim Verlag dem Thema noch einmal an.)Den Artikel im Blog lesen
 
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