Emigranten spielen

T

The Fnord

Guest
Warum ist es eigentlich so beliebt, dass man Emigranten spielt? Ich erlebe das selbst immer wieder, ganz gleich ob ich es selbst tue oder aber auch als SL bei den Spielercharakteren der Runden, die ich leite.

Gerne erzählt man ja am Spieltisch, dass der eigene Charakter Spanisch spricht obwohl das Setting in Kanada spielt. Oder Deutsch in Amerika. Oder Italienisch in Deutschland. Dazu hat der Charakter natürlich auch einen passenden Dialekt in der eigentlichen Sprache des Settings und hat bestimmte kulturelle Hintergründe, die für den Hauptspielort ungewöhnlich sind.

Ich selbst mache das nur hin und wieder, aber vor allem, weil ich gerne über andere Kulturen lese und mich frage: Wie wäre das wohl, wenn man so einen Hintergrund hat? Rollenspiel bietet sich da an, dies spielerisch zu erfahren.

Aber was kann es sonst noch an Motivationen geben? Wenn es nur darum geht dem Charakter etwas Besonderes zu verleihen, dann geht dies doch auch ohne einen kulturellen und sprachlichen Hintergrund.

Klärt mich auf! :)
 
Ein Akzent/Dialekt ist eine sehr einfache Möglichkeit In-Character-Gesagtes von Out-Character-Gesagtem abzugrenzen.
Mir hilft so etwas, mich schneller und Konsequenter in die Rolle hineinzuversetzen.

Die gleiche Funktion kann natürlich auch durch einen Sprachfehler* oder eine andere Stimmlage übernommen werden.

* Sprachfehler sind mit Vorsicht zu genießen. In einem Vampire Live, in dem ich mitgespielt habe hat eine Spielerin einen Lispelnden Nosferatu gespielt. Nach einer relativ langen Zeit mit diesem Charakter begann sie immer häufiger im Alltag zu Lispeln.
Es endete damit, dass sie den Charakter aufgeben und sich in Logopädische Behandlung begeben musste.
 
In einer Welt, die der unseren gleicht, spiele ich entweder Lokales oder Deutsches. Nach lokalen Konzepten schaue ich immer zuerst, passt da nichts wähle ich etwas Deutsches, einfach weil mir das am besten gefällt (um es zusammen zu fassen). Sprachen und -kenntnisse sind für mich dabei aber so gut wie immer unwichtig. Es sei denn beim Charakterkonzept sind Sprachen ein Eckpfeiler. Aber dann ist die Herkunft und Muttersprache meist egal und die Auswahl der Sprachen erfolgt nach Effizienskriterien.

In völlig anderen Welten gehe ich grundsätzlich ähnlich vor. Erst nach Lokalem schauen, wenn das nicht passt dann auf das ausweichen was ich am meisten mag, mir am meisten in dieser Welt gefällt. Dabei gehe ich allerdings oft nach optimalem Zusammenspiel von Volk und Handwerk - eine genetische Veranlagung zu einem Krieger existiert ja nicht umsonst.

Bei NSC gehe ich allerdings eher nach Kulturkreisen und schaue, was es denn so interessantes gibt. Woraus man tolle Geschichten machen könnte.
 
Vielleicht ist ein Punkt, dass Imigranten spielen es dem Spieler teilweise einfacher macht:
  • er kann Personen spielen die nicht so ins Setting passen (zB. ein Voodoo-priester in Berlin)
  • es stört nicht, wenn er das Setting nicht so kennt ("Hier leben auch Elfen? Das hätte ich aber nicht erwartet.")
  • in Spielen, die soziale System in Regeln fassen, wie die oWoD oder Shadowrun, braucht er keine Punkte ausgeben um Freunde und Familie darzustellen, ohne dass sein Charakter unglaubwürdig oder ein Soziopath sein muss.
 
Weil es den Charakter zu einer kleinen, besonderen Schneeflocke innerhalb der ganzen normalen "nur Amis/Kanadier/Deutschen/etc" macht?


Uhm und eigentlich muss man wegen lispeln nicht zum Logopäden.
Zumal der Logopäde da auch ganz einfach versagen kann.
(Ich war bei einem und es war eine der dämlichsten, unnützesten und in der Schulzeit demütigsten Sachen die man nur wegen Lispeln reingedrückt bekommen konnte. Zumal es kein Stück half)
 
Ich kann mir nur schwer vorstellen wie man sich dauerhaft einen Sprachfehler antrainiert ^^;;;
Besonders wenn man nun nicht täglich spielt.
 
Ich kann mir das schon sehr gut vorstellen.
Nach einer Woche LARP brauchte ich auch immer fast einen Monat um alle Marrotten meines Chars loszuwerden.
Dabei ging es zwar eher um Körperhaltung und Phrasen, aber warum nicht auch Sachen wie Lispeln.
Im Grunde geht es ja nur darum neues Vokabular (nämlich die falsch ausgesprochenen Worte) zu lernen und sich anzugewöhnen.


Aber mal ontopic:
Ich denke, dass "Ausländer" mit bestimmten Stereotpyen verbunden sind. Ein Südländer ist halt temperamentvoll usw. Dieser Klischees sind weitaus langwieriger ohne einen Container wie die Herkunft zu etablieren. Ein deutscher den ich mit Eigenschaften versehen will, die typischerweise einem Spanier zugesprochen werden, wirkt schnell überzeichnet. Außerdem muss ich dann umso konsequenter sein im ausspielen um diese Charaktereigenschaften zu etablieren. Der Spanier auf der anderen Seite darf was das angeht auch mal aus der Rolle fallen. Das ist kein Problem, den er ist ja "kein Klischee Spanier"... Ich habe also eine leichter einzusetzende Ausrede mit leichter etablierten Klischees.
 
Es ist natürlich setting- und genreabhängig, aber generell:
  • Die meisten Spielercharaktere sind sowieso herumreisende Abenteurer.
  • Manche Settings setzen es voraus, gerade jene wo man in der Weltgeschichte umherreist (Serenity, Traveller, Solomon Kane, Cthulhu, Conan etc).
  • Kulturfremde Charaktere bieten gerade für "Leisurespieler" genug Freiraum ohne etwas falsch zu machen oder viel Settingbeschreibung lernen zu müssen.
  • Manchem Spieler(munchkin) bieten nur Archetypen fremder Kulturen die Mächte, Fähigkeiten und Talente, die sie gerne spielen wollen.
  • Sie bieten der Gruppe einen breiteren Zugang zu Informationen und anderen Ressourcen, gerade in Subkulturen.
  • Sie bieten mit ihren anderen Sitten und Bräuchen mehr (reizvollere) Reibungsfläche mit der lokalen Kultur
  • Man kann leichter spielerische und persönliche Unzulänglichkeiten verbergen. Nicht jeder ist ein extrovertierter Kommunikator, spricht perfekt Deutsch bzw. hat eben erwähntes Sprachhandicap.
  • Sie bieten absichtlich bzw. unabsichtlich Verbindungen in die Weiten der Spielwelt, die später mal ausgespielt werden können.
 
Häufig macht es auch Spaß zu sehen, wie Kulturen aufeinander prallen.

...und sehr beliebtes Argument ist auch:
Wenn du nen Elf unter Menschen spielst, musst du den Welthintergrund nicht kennen. Einer sagt "Rondra", du antwortest in- und out-of-character "Hä?" - alles ist stimmig.
Und wenn umgekehrt jemand nach deiner Kultur fragt, dann antwortest du einfach irgendwas mysteriöses.
 
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