Ein verlorener Moment

traum

Grinsekatze
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2. Oktober 2003
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Ein ganz normaler Morgen. Die Wolken ziehen sich schleppend am Himmel entlang und der Wind streicht sachte über das Gesicht. Die Sonne scheint, und es singen noch ein paar Vögel. Sie singen von Freiheit und ihrem baldigen Aufbruch nach Süden, dorthin, wo es warm und behaglich ist. Ein paar Blätter tanzen aufgeregt mit dem Wind, erheben sich leicht, wirbeln hin und her. Sie tanzen zusammen mit dem Wind und einer verlorenen Plastiktüte im Kreis. Das Laub unter meinen Füßen raschelt stetig und im Grunde wäre alles in Ordnung, wenn mich die ganze Umgebung denn überhaupt interessieren würde. Es wird wieder Herbst.
Das leuchtende Blätterdach des großen Baumes, das Gluckern des kleinen Baches der hier im Park verläuft. Wunderschöne Augenblicke, wenn man sich ihnen hin gibt. Man kann es tatsächlich spüren, wie die Erde beginnt sich langsamer zu drehen und wie die Tage immer kürzer werden. Mein Arm tut mir weh, und ich lasse mich mit meinem Rucksack auf einer einsamen Parkbank inmitten von Rosenbüschen nieder. Früher blühte hier mal etwas, doch der Herbst, das nahende Ende des Jahres hat es genommen. Alls was hier blieb sind kleine Tautropfen auf verlorenen letzten Blättern die dem Nachtfrost trotzen konnten. Ich weiß selber nicht was mich um diese Uhrzeit in den Park getrieben hat. Vielleicht weil mir zu Hause die Decke auf den Kopf fiel, vielleicht weil ich wieder einmal merke, dass nichts von Dauer ist und weil ich den Verfall mit eigenen Augen sehen, mit dem Körper spüren und mit der eisigen Luft einatmen will. Ich umfasse ein Blatt mit der Hand und drücke es sanft, es zerbricht knirschend unter meinem Druck und rieselt in kleinen zerbrochenen Teilen zu Boden. Ein Schauspiel, wie es echter nicht sein kann, wenn sich alles in kleine Teile aufspaltet und verloren durch die Finger rinnt.

Ich schlage langsam die Hände vor mein Gesicht und verdrücke mir ein paar Tränen. Alles Leben nahmst du mit! Ich klage im Stillen an, ich lasse mich von meinen Emotionen davontragen und weine bittersüße Tränen. Ich singe ein trauriges Lied für mich. Ein Lied von Verlust, Angst und Enttäuschung. Von sinnlosem Versuch etwas zu ändern und endlich Glücklich zu sein. Meine Gedanken rotieren wild in meinem Kopf und die Kälte kriecht unter meine Kleidung, schüttelt mich und bereitet mir eine unheimliche Gänsehaut. Alle meine Gedanken drehen sich um all das was ich bisher verloren habe und nie wieder zurückgewinnen kann. Es kommt mir vor als wäre mein Herz eine düstere Tür, durch die mehr Menschen gingen als kamen, geschweige denn blieben. Und es ist alles meine Schuld. Die anderen Menschen machen keine Fehler, nur ich mache sie. Wenige Minuten süßer Melancholie.

Ich lasse meine Hände wieder herabsinken und seufze tief. Ich habe dieses Situationen schon immer gehasst, aber auch geliebt. Alleine im Park, in der Kälte zu sitzen. Frieren. Der Park ist menschenleer und ich mag das so. Ich bin heute Morgen genau aus diesem Grund schon um 06.00 Uhr aufgestanden, als es noch stockfinster draußen war. Habe mir beim Kiosk einen Beutel Tabak und ein Bier gekauft und mich in den nächst besten Bus gesetzt um zu meinem Park zu fahren. Meinem Park, der mir gehört, für ein paar Stunden. Ich mag die Einsamkeit. Ich liebe es alleine zu sein, denn so kann mir niemand wehtun, und ich kann niemanden verletzen. Ich habe schon jetzt Angst davor, wenn die ersten Menschen die Wege betreten und spazieren gehen. Es ist mein Park. Meiner. Wenigstens einen tag möchte ich niemanden um mich haben und mich nur in meiner Traurigkeit verlieren. Möchte schreien und laut weinen, brüllen und vor Wut mit Gegenständen um mich werfen, ohne Angst zu haben, dass mich jemand sehen könnte. Ich mag es wenn man mich nicht sieht und mich nicht kennt.

Nichts hält ewig, nichts bleibt für immer. Alles ist vergänglich. Ich weiß es. Seit fast 10 Jahren. Und jedes Jahr geschah das Gleiche. Alles ist im Verfall. Nichts ist von Wert. Nichts kann man festhalten. Alles geht fort und vorbei.

Deine Worte sind nicht mehr bei mir. Ich stehe auf und gehe ein Stück zwischen den Holzbauten. Wer weiß ob sie es jemals waren? Ich weine schon wieder. Ich kann nur weinen wenn ich alleine bin und mich keiner sieht. Ich möchte mich nicht mehr so sehr für andere öffnen, denn damit mache ich mich angreifbar. Meine Hand streicht sachte über das tote, feuchte Holz der Säule neben mir, und mein Blick gleitet durch entlaubte Büsche hindurch auf die große Wiese am See, nur wenige hundert Meter fort von hier. Dort saßen wir zusammen. Und dort hinten, an dem abgestorbenen Baum saßen wir, doch wir waren nicht mehr die Selben. Wir waren anders. Mir scheint es, als sei der Baum erst abgestorben, nachdem wir dort gewesen sind. Auch wenn es schön war, es endete bevor es erst richtig begann. Du konntest mich nicht einschätzen, und ich hatte mein Herz an dich verloren. Irgendwann sagtest du mir, du könntest nicht mehr. Und ich verstand. Wir saßen dort und sprachen nicht mehr miteinander. Wir weinten nur noch um den Zauber, der verloren ging.

Ich gehe zurück zur Bank und wische meine Tränen ab. Heute ist heute, immer ist heute. Mir scheint als käme ich weder vor, noch zurück. Heute sitze ich ähnlich hier. Aber nicht mehr im Park, denn ich habe vergessen wo er ist.
 
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