Doc Holiday (Realsatire)

sarah

Neuling
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Doc Holiday

Gabi, die Sprechstundenhilfe, schaute kurz von ihrem Bildschirm hoch und dirigierte mich mit zwei Kopfbewegungen in Richtung Wartezimmer. Ich murmelte ein leises: „Guten Morgen!“, in den Raum und platzierte mich routiniert neben dem Wasserspender um meinen Nachdurst mit abgestandenem Wasser aus Pappbechern zu löschen. Mit dem Gedanken, ob ich meine letzten Gehirnzellen mit einem Exemplar einer der namhaften Frauenzeitschriften abtöten sollte, versuchte ich das Zeitschriftentischchen mit meinen Augen zu fixieren. Da trafen sich meine Blicke mit denen eines Mittdreißigers der im anderen Ende des Raumes saß und mir schon etwas bekannt vorkam. Während ich einige Bekanntschaften und Abende gedanklich durchspielte quälte sich die bittere Realität durch meine Schädelkapsel: HOLGER. Holger, ein Everybody ` s Darling mit dem sich jeder schon mal unterhalten hat, aber irgendwie auch nicht. Meinen geschockten Blick nahm er als Einladung um sich zu mir zu setzen und leitete scherzelnd mit den Worten: „Na, auch Gelber- Schein- Patient?“ einen mir endlos vorkommenden Monolog ein. Dieser umfasste sämtliche Partys der letzten 3 Wochen, bei denen er bis auf einige kleine Ausnahmen, ausnahmslos auf der Gästeliste gestanden habe, es bei mir ja gestern wohl auch später geworden wäre und wenn ich Lust hätte könne er ja mal Samstag mit der Gästeliste für mich schauen.

Ich hätte den Monolog mit der beiläufigen Bemerkung beenden können, dass ich mich schwer daran erinnern konnte, wann ich ihm das letzte Mal bewusst begegnet war. Schon gar nicht am vorigen Abend, an dem ich zur Abwechslung nicht die komplette Handtasche, sondern nur meine Patte inklusiv sämtlicher Karten, irgendwelcher Nr. und natürlich Geld verloren hatte. Rein prophylaktisch ließ ich Führerschein und Ausweis schon lange zu Hause. Aber über den Verlust meines Poirtmoines machte ich mir erst später Gedanken, schließlich war ich bei Dr. Konrad in so regelmäßigen Abständen, dass meine Krankenkassenkarte und die 10€ Praxisgebühr zumindest am besagten Tag nicht von Nöten gewesen waren.

„ Dank Dr. Konrad sind solche Abende möglich“, gab Holger immer noch keine Ruhe und profilierte sich mit:“ Demnächst kann ich meinen gelben Schein hier telefonisch bestellen!“ Ich zuckte mit den Achseln um ihm mein offenes Desinteresse schamlos zu demonstrieren, da diese Begegnung unter den Blicken der anderen „Patienten“ langsam unangenehm wurde.

Doch noch bevor Holger es registrieren konnte, wurde er von Gabi aufgerufen. Mit einem aufgesetzt plumpen Ton stolzierte er mit den Worten: „ Na, was haben wir denn heute?“ selbstsicher in Richtung Sprechstunde.



„Na, was haben wir denn heute?“ hallte es in meinen Ohren nach. Das hatte ich mich an diesem Tag noch nicht gefragt. Aber ich, ganz oben auf der Gelben Schein Karriereleiter, brauchte mir wohl über so etwas kaum Gedanken zu machen.



Wenn ich an die tausenden verkarterten Arbeitnehmer denke, die, nur um den Schein vor ihren Kollegen und Chefs zu wahren und eine 20.15 Uhr Spielfilm Normalität vorzutäuschen, sich mittags in der Kantine zum Spaghetti Bolognese Donnerstag auch noch den Beilagen- Salat hereinzwängen, obwohl ihnen der Sinn nur nach Paracetamol und Pennen steht.

Ich sollte mein Wissen der Menschheit nicht vorenthalten. Gleichgesinnte suchen! Stammstische veranstalten! Eine Sekte gründen! Vielleicht auch erstmal in Form einer Broschüre den Anfang machen. Titel: DOC Holiday, heute zu Gast in Münster. Dem Leser Basics vermitteln mit den Top Ten Krankheiten, beispielsweise Magen-Darm- Grippe. In schillernden Farben ausgeschmückt kann sie eine Woche Arbeitsunfähigkeit mit sich ziehen. Welche Ärzte sogar über das Wochenende rückwirkend krankschreiben, die komfortabelsten Wartezimmer mit geringer Wartezeit. Spezialausgaben mit den schärfsten Sprechstundenhilfen und im Gegenzug die feschesten allein stehenden Ärzte direkt aus dem Studium.



„Fr. Holmes, bitte!“ riss es mich aus meinen Gedanken. Ich nahm noch einen letzten Schluck aus meinem Pappbecher. Den Weg zum Behandlungsraum hätte ich mit geschlossenen Augen gefunden und so stand ich vor Dr. Konrad und einem mit gutem Willen auf die 20 geschätzten pickligen Studenten. OK, für die Spezialausgabe „ die feschsten Junggesellen“ kommt diese Praxis wohl nicht in Frage. „Ich hoffe es stört sie nicht, dass mein junger Kollege uns hier Gesellschaft leistet. Was kann ich denn heute für sie tun?“ gab Dr. Konrad mir mein Stichwort um einen gequälten Dackelblick auf zusetzten und ein Gemurmel von Heiß und Kalt und diese unerträglichen Kopfschmerzen von mir zu geben. (weniger ist eben manchmal mehr und schließlich kann man ja nicht immer Magen- Darm- Grippe haben). Animiert durch die wissbegierigen Blicke seines jungen Zöglings, ging Dr. Konrad übereifrig ans Werk und tastete wild meinen Kopf und Nacken ab. Doch diese Untersuchung sollte nicht mit dem üblichen: „…dann ruhen sie sich mal 3 Tage richtig aus..“ ,enden. Er orderte von Gabi das Butterfly, eine sehr feine Nadel. Ich sollte also eine Injektion bekommen. Mir wurde wirklich heiß und kalt.. Dr. Konrad wollte sicherlich dem Medizinstudenten die Möglichkeiten der Schmerzbehandlung in voller Brandbreite demonstrieren oder er hatte mich durchschaut und wollte mich hiermit sanktionieren. „Es besteht doch überhaupt kein Grund für so eine Überreaktion. Ich hab es zu weit getrieben, war diesen Monat einmal zu oft hier. Ich werde auf den Knien rutschen, um Vergebung betteln, sagen, dass ich gleich morgen wieder zur Arbeit gehe, nur bitte keine Spritze!“ dachte ich.



Doch ich war schließlich Profi und musste es nun bis zum bitteren Ende durchziehen. Die beiden Mediziner starrten mich in einer Weise an, als ob jede Hautpartie die einen Blick von ihnen traf sofort anfangen müsse zu brennen. Ich stieg mit ein, starrte zurück und als Gabi mir ein Schmerzmittel spritze verzog ich keine Miene. Meine schlimmste Befürchtung, dass der Student sich an mir üben würde, trat somit nicht ein. Die Mischung aus Restalkohol und Schmerzmittel in meinem Blut tat schnell ihre Wirkung und das Gefühl von Misshandlung verblich. „Die AU hohl ich vorne ab, Ibuprofen 400er hab ich noch zu Hause!“ hauchte ich routiniert und fachmännisch, während ich ein Stückchen Watte auf meinen Arm drückte und den Raum verließ.

Kreidebleich fand ich mich im Herzen der Innenstadt wieder und lief direkt Holger in die Arme. Etwas leiser als in der Praxis aber dennoch in gewohnter Proll- Pose teilte er mir mit das der blöde Konrad ihm nur eine Bescheinigung ausgestellt habe, dass er von 10.00- 11.15 in der Praxis gewesen wäre. Er habe wohl auf Sehnescheidentzündung simuliert (da trau ich mich noch nicht mal ran) und wäre während der Untersuchung mit den Händen etwas durcheinander gekommen. Er würde dann jetzt zur Arbeit gehen und quatsche noch etwas von: „…wer saufen kann, kann auch arbeiten … “, als wir uns verabschiedeten.

„Delitant !“ war mein letzter klarer Gedanke bevor ich mich übergab und schwankend von der hart

arbeitenden Masse nach Hause treiben ließ.
 
hm, errinnert mich irgendwie an meine lehre *gg* stilistisch gar nicht mal so schlecht für ne overtüre ;)

gruss
 
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