Diskussion zu folgender Regelpassage [BBRPG]

Tsu

Affendämon
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10. Juni 2009
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1.111
Hallo zusammen,

Ich bin gespannt, ob zu folgender Regelpassage aus dem neuen BareBone RPG eine rege Diskussion aufkommt :) Der Text ist laut Verlag und Regelbuch unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/ und es ist laut Verlagsseite erlaubt Textstellen wiederzugeben.

Dieses Thema ist absichtlich nicht in einem Post speziell zu diesem System, sondern es geht um die allgemeine Anwendung solcher einschränkender Mechaniken.

WIL Checks
This system isn’t designed to force players to behave themselves. It is designed to help
provide a consistency to the behavior of a character. Normally, players can play their
characters how they wish. However, sometimes you may want (or need) to violate your
character’s moral code.

If players act contrary to their character’s defined moral code GM's should feel free to
ask them to make a WIL check to continue their action. Modifiers to this WIL check may
exist based on the situation (GM decides). If a player acts often against his character’s
moral code, the GM should determine an appropriate response (perhaps a slow shift
towards another level of dedication, such as very selfless to somewhat selfless).

Was haltet Ihr davon?
Charakter Railroading 2.0?

lg

Tsu
 
"Character Railroading"? Was soll das denn sein?

Das obige ist einfach bekloppter UNFUG!

Es gibt tatsächlich manche Regelsysteme, in denen eine "moralische Wertevorstellung" des Charakters in Spielwerte gefaßt ist. So z.B. bei King Arthur Pendragon RPG, wo die Frömmigkeit, Keuschheit usw. eines Charakters in Zahlenwerten bestimmt ist. In solchen System muß man tatsächlich immer mal wieder Konflikte mit bzw. gegen die moralische Haltung seines SCs gegenüber z.B. Versuchungen austragen. Das funktioniert in Pendragon auch sehr reibungslos und überzeugend und steigert das Charakter-Drama, weil sich eben diese moralischen Haltungen tatsächlich SPÜRBAR auf die Geschichte des Charakters auswirken.

In vielen anderen Systemen ist die moralische Haltung eines Charakters eher NICHT geregelt, oder es gibt WEICHE Regelungen (wie z.B. die sehr interpretierbaren Nachteile/Handicaps/Schwächen von Charakteren wie "Rachsüchtig", "Geizig", "Loyal", usw.). Je weicher die Regelung, d.h. je weniger klare SPIELWERTE es für moralische Haltungen gibt, desto schwammiger und damit desto VERHANDELBARER ist diese hiermit beschriebene Eigenschaft.

Wenn ich also in einem System OHNE Alignments, OHNE moralisch wirksame Nachteile/Schwächen/etc., OHNE Spielwerte auf moralischen "Werte-Achsen", usw. einen Charakter erschaffe, dann gibt es KEINERLEI Anhaltspunkt dafür, wie ein Spielleiter im obigen Zitat BEURTEILEN können soll, ob mein Charakter seinen inneren moralischen Werten "getreu" gespielt wird, oder sich gerade "gegen" diese verhält.

Das einzige, was irgendwie an moralischer Beurteilungsgrundlage dienen kann, ist das KONKRETE VERHALTEN des Charakters in der Spielwelt. Und ob man aus den konkreten Verhaltensweisen immer wirklich ein klares, ein AUSREICHEND KLARES Bild gewinnen kann, um ein eventuelles "Abweichen" überhaupt zu erkennen, und zwar BEGRÜNDET die Abweichung zu erkennen, das wage ich zu bezweifeln.

Wenn also das obige Regelsystem nicht ähnlich wie Pendragon, HeroQuest/HeroWars, oder ähnliche Systeme aufgebaut ist, dann ist das moralische Handeln eines Charakters NICHT KONFLIKTFÄHIG. - Somit bleibt hier die reine weiche, ja SEHR weiche Beurteilung des konkreten Verhaltens in der Spielwelt.

Und das kann NIEMALS irgendwelche "dubiosen Würfe" oder gar Sanktionen nach sich ziehen!

Als Spielleiter kann es halt sein, daß man ein Szenario für eine Gruppe HELDEN, also die GUTEN (tm), erstellt hat, und daß man dann einen Charakter der von seinem Spieler als marodierender Psycho-Killer gespielt wird, für unpassend hält. Aber das liegt dann an dem SPIELER. Und der darf dann bei mir am Tisch keinen Willenskraft-Wurf oder so einen Unfug "in-game" machen, sondern ich sage DEM SPIELER das ins Gesicht, daß ich es SCHEISSE finde, daß er die Gruppen-Vorgaben ignoriert und sich wie ein Arschloch aufführt und mir die Lust am Spiel verdirbt. - Ist hingegen klar, daß die Spieler auch die übelsten brutalsten Bastarde als SCs auf harmlose NSCs loslassen dürfen, dann gibt es an solch einer Spielweise auch nichts zu mäkeln, da das dann ja vereinbart und zu erwarten war.

Somit ist mir nicht klar, was die obige Regelpassage eigentlich BEZWECKEN SOLL. - Was soll hier GEREGELT werden? Soll der Spieler nach aktueller Lust und Laune des SLs für "nicht-charaktertreues Spiel" irgendwie "diszipliniert" werden? WARUM?

Die Motivation solche Regeln überhaupt zu erstellen ist mir völlig fremd. Und wie die herauszulesende Motivation bei mir ankommt, macht mir die Entwickler dieses Systems alles andere als sympathisch. Eher im Gegenteil.
 
Was haltet Ihr davon?
Ich sehe es nicht als drastisch oder besonders an.

Charakter Railroading 2.0?
Eine reguläre Regelanwendung respektive ein normales Regeldesign ist imho kein Railroading.
Auch kein Charakter Railroading, was das dann auch sein soll.
Sonst könnte man ja auch behaupten das vorgefertigte Charaktere Railroading wären, oder ausgewürfelte Charaktere Railroading sind.


Ansonsten gibt es hier: Some More Random Thoughts on The Barebones RPG
Eine Besprechung des RPG sowie dessen System und auch die Sache mit der Morality..
 
Ich kenne das System um das geht nicht, aber der Satz " perhaps a slow shift towards another level of dedication, such as very selfless to somewhat selfless." läßt darauf schließen das es hier sehr wohl Alignments gibt.
Überhaupt ließt sich das eher wie eine Richtlinie die nur auf Wunsch angewandt werden sollte.

Insofern finde ich das jetzt weder "Railroadig" noch sonstwie verwerflich.
Eleganter finde ich allerdings Systeme in denen Spiel das zum Charakter paßt belohnt wird, anstatt das Spiel das gegen den Charakter geht erschwert oder bestraft wird.

Wenn man mit solchen Regeln spielen möchte hat Zornhau recht und es muß logischerweise ein entsprechendes Regelgerüst geben bei dem man die Charaktereigenschaften (in moralischer Hinsicht) irgendwie festhalten kann.
 
Viel einfacher ist es anders herum: Du erhältst jedes mal einen Gummipunkt, wenn dein Charakter dies oder jenes tut.

Dann werden die Spieler bestrebt sein, selbst darauf zu achten.
 
Es ist doch eigentlich nicht schlimm, wenn ein Charakter sich weiterentwickelt und dabei seine Persönlichkeit ändert? Die Situationen, in die sich der Charakter im Laufe der Abenteuer begibt, beeinflussen ihn(sie) ja genauso, wie er das Geschehen beeinflusst. Wenn der Spieler nun meint, daß der Charakter daraus nun irgendwelche Erkenntnisse zieht und daraufhin sein zukünftiges Handeln anpasst, so ist das doch nicht schlimm? Je nach System und (Selbst)Verständniss der Spieler/Gruppe sollte der GM den Spieler darauf hinweisen, daß sich die "Moral-Eigenschaften"/Alignments seines Charakters verschieben werden, wenn er weiter so agiert wie bisher. Eventuell ist es dem Spieler gerade nicht bewußt, das er die Grenzen seines Codex verletzt. So hat er die Möglichkeit, sich bewußter für oder gegen bestimmte Aktionen zu entscheiden.
Ich kenne es nur aus der oWoD aus Wesen und Verhalten, daß das rollenspielerische orientieren an den gewählten Wesenszügen dem Spieler Boni gibt (Regeneration von Willenskraft) und ggf. sich im Laufe der Kampagne so etwas auch mal ändern kann. Wenn man sich nicht dran (an Wesen und Verhalten) hält, bekommt man halt langsamer seine Willenskraft zurück.
 
Wenn der Spieler nun meint, daß der Charakter daraus nun irgendwelche Erkenntnisse zieht und daraufhin sein zukünftiges Handeln anpasst, so ist das doch nicht schlimm?
Nichts. Nur brauche ich als Spieler keine Regel, die mir die Entwicklung meines Charakters "abnimmt". Und als SL brauche ich eine solche Regel noch viel weniger.

Ich als Spieler entscheide, wie mein Charakter handelt - und trage dann die Konsequenzen. Es ist mir ein ziemlicher Graus daran zu denken, wie moralische Konflikte, die einen Charakter zwingen gegen seine Moralvorstellungen zu handeln (und damit, was noch viel wichtiger ist, zu leben) durch einen "verpatzten" Wurf unterbunden werden. Einer meiner letzten Charaktere wäre durch eine solche Regel (und dem mißglückten Wurf) nie zu dem geworden, was er am Ende war.

Daß eine solche Regel wahrscheinlich auch noch mit einem eindimensionalen Moralkonzept einhergeht, macht es nicht viel besser. Striktes Schwarz-Weiß-Denken (denn ansonsten würde diese Regelung ja ad absurdum geführt werden, wenn es keine klaren Handlungsrahmen gibt) ist für mich völlig überholt.
 
So absolut würde ich das nicht sagen. Wie so oft kommt es auf die Umsetzung des Konzept und die generelle Konzeption des Spiels an. Bei Polaris passiert das auch: Bei Erschöpfung 6 wirst du dein Volk verraten. Bei 0 triffst du zwischendurch die Frühlingsprinzessin, welche dir eben dies weissagt. Aber es ist eben die ganze Konzeption des Spiels, diesen Weg nachzuvollziehen. Tatsächlich nervig ist sowas bei Vampire, wenn ich doch eigentlich nur cool in schwarzem Mantel mit Katana sein will.

Gleiches Spiel meinetwegen Alignments: Theoretisch zwar passend bei D&D, aber in der Umsetzung so schlecht wie das Beispiel zu Anfang des Themas und aus den gleichen Gründen. Gut umgesetzt und für das Spiel perfekt dagegen bei Nobilis 2.

Generell gibts eigentlich für fast jeden gelegentlich verschrienen Mechanismus eine sinnvolle Anwendung und Umsetzung.
 
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