Die "Stimme" eines guten Spiels

alexandro

Kainskind
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Keine Ahnung ob sich damit (in der Theorie oder sonstwo) schonmal jemand Gedanken gemacht hat...

Mir ist aufgefallen, dass Spiele die ich gut finde oft ein recht klar abgestecktes "Feeling" haben, in einer Weise die über core-story hinausgeht, aber nicht ganz unabhängig von dieser ist.

Ich versuche es mal zu erklären: in eine Scifi Serie (wie z.B. Star Trek) würde man erwarten, dass alles dem die Charaktere begegnen in irgendeiner Weise eine wissenschaftlich nachvollziehbare Ursache hat, die von den Charakteren (wenn auch nicht von den Zuschauern) verstanden werden kann. "Logische Analyse eines Phänomens führt zu einer wissentschaftlich fundierten Erkenntnis" wäre also die Stimme, der dieses Setting folgt. Wenn dann auf einmal auf irgendeinem einem Planeten die Crew mit "Magie" konfrontiert würde und diese nach den Regeln "Es ist eine Gabe, die nur von wenigen kontrolliert werden kann und die sich jedem Erklärungsversuch entzieht", dann würde das von vielen als ein Bruch der in allen vorhergehenden Folgen aufgebauten Konventionen empfunden werden.

Ähnlich ist es bei einigen Rollenspielen, dass durch die Art wie die Regeln organisiert sind, bestimmte Eindrücke und Konventionen etabliert werde. So z.B. bei den frühen Superhelden-RPGs (Champions, DC Heroes) eine sehr "technische" Betrachtung und Herunterspielung des individuellen Charakters. Die Spieler können davon ausgehen, dass die gesamte Welt nach denselben Regeln konstruiert ist, wie ihre Charaktere (in Champions gab es sogar einen Abschnitt, wo gezeigt wurde, wieviel Punkte es kosten würde, das UNIVERSUM als Basis zu kaufen). Das fördert taktisch-strategisches Denken und ermutigt die Spieler dazu, eher klug und überlegt an ihre "Missionen" ran zu gehen (Superhelden-SWAT), statt (wie in vielen anderen Superhelden-Comics), von Verwicklung zu Verwicklung zu stolpern. Für Stormwatch oder Squadron Supreme ist das natürlich va bene, für Superman oder Teen Titans eher nicht.

Auch bei dem Setting kann so ein Bruch erfolgen, z.B. hat man bei 50F ein ziemliches "Gut-gegen-Böse" Fantasy-Setting- in welches dann aber Menschen aus unserer Welt einfallen und auch noch einen guten Teil davon erobern (frage mich immer noch, wie sie das geschafft haben). Viel von dem Material bei dem diese Menschen involviert sind macht es schwer zu erkennen, ob diese jetzt gut oder böse sein sollen und schafft damit moralische Grauzonen, welche eigentlich unpassend für dieses Setting sind.

Was haltet ihr davon, habt ihr ähnliche Erfahrungen gemacht oder versteht ihr nicht, was ich meine (ich hab mal von Runden gehört, welche Kethira-Harn als Planeten im Traveller-Universum verwenden, was ich persönlich nicht wirklich nachvollziehen kann).
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Also auf gut deutsch: Setting-/Genrekonventionen und daraus herrührende Erwartungshaltungen, die ein gutes Spiel einzuhalten versucht (auch was das Spielgefühl der Mechanismen angeht)?
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Ich denke, ich kann die Erwartungshaltung nachvollziehen.

Negativ aufgefallen:
Bei der Detailverliebtheit der Hintergrundwelt, hätte man erwaten können, das DSA auch ein genauso vollständiges und lückenloses Regelwerk besitzt(statt einer Million Ausnahme- und Optionalregeln).
BTW sabotiert das Regelwerk jeden Ansatz, tatsächlich ein Held zu sein(es ist nämlich unglaublich dämlich, wenn man 3 aufeinanderfolgende Würfelwürfe benötigt, um etwas erfolgreich zu tun:wand:)

Classic Battletech RPG basiert auf einem IMHO erstklassigen Tabletop, aber das Kampfsystem des RPG's ist so besch***en, das ich es schon etliche Male mit Shadowrun(2, 3 und 4!)-Regeln gespielt habe.
Im Gegensatz zu DSA, passen die Charaktere aber zum Setting und die Lifepaths halte ich für eine fast perfekte Kombination von Zufall und Baukastensystem(nur die Sache mit dem Umrechnen von Boni zu Skillwerten finde ich kompliziert, überflüssig und einfach störend).

Positiv aufgefallen:
Earthdawn, die Regeln sind vielleicht handwerklich nicht gut, aber sie passen sich prima in das Setting ein(wo sonst kann ich InCharakter meine Klasse und Stufe nennen?^^).
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Also auf gut deutsch: Setting-/Genrekonventionen und daraus herrührende Erwartungshaltungen, die ein gutes Spiel einzuhalten versucht (auch was das Spielgefühl der Mechanismen angeht)?
Hmmm, irgendwie schon.
Aber irgendwie ist da auch noch mehr dran: wenn das Spiel einfach sagt "Ihr könnt das und das nicht machen, weil das passt nicht in die Genrekonvention" dann ist das blöd, einschränkend und schädlich für das Rollenspiel.
Bei einem guten Rollenspiel sieht es eher so aus, dass die Spieler einfach "das Spiel spielen" und sich dann (durch die Art wie die Spielwelt beschaffen ist etc.) eigene Konventionen herausbilden.

Vorausgesetzt natürlich das Setting fährt in dieser Hinsicht eine einigermaßen klare Linie und es geht nicht "mal hüh, mal hott" drunter und drüber- z.B. weisen viele Interpretationen von Fantasykönigreichen in denen die Götter real sind und (wie Pratchett sagen würde) "umherziehen und bei Atheisten die Scheiben einschlagen" eine doch sehr laizistisch geprägte Grundhaltung auf (weil die Spieleautoren einfach nicht in der Lage sind, das Ganze in einer Weise zuende zu denken, die nicht auf "allmächtige NSCs klopfen den SC auf die Finger, wenn diese was "falsch" machen" hinausläuft). Dieses nicht-zuende-Denken von interessanten Settingelementen lässt diese Settings bei mir viele Punkte verlieren und verursacht im schlimmsten Fall Schnarchanfälle.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Keine Ahnung ob sich damit (in der Theorie oder sonstwo) schonmal jemand Gedanken gemacht hat...

Mir ist aufgefallen, dass Spiele die ich gut finde oft ein recht klar abgestecktes "Feeling" haben, in einer Weise die über core-story hinausgeht, aber nicht ganz unabhängig von dieser ist.

Ich versuche es mal zu erklären: in eine Scifi Serie (wie z.B. Star Trek) würde man erwarten, dass alles dem die Charaktere begegnen in irgendeiner Weise eine wissenschaftlich nachvollziehbare Ursache hat, die von den Charakteren (wenn auch nicht von den Zuschauern) verstanden werden kann. "Logische Analyse eines Phänomens führt zu einer wissentschaftlich fundierten Erkenntnis" wäre also die Stimme, der dieses Setting folgt. Wenn dann auf einmal auf irgendeinem einem Planeten die Crew mit "Magie" konfrontiert würde und diese nach den Regeln "Es ist eine Gabe, die nur von wenigen kontrolliert werden kann und die sich jedem Erklärungsversuch entzieht", dann würde das von vielen als ein Bruch der in allen vorhergehenden Folgen aufgebauten Konventionen empfunden werden.

Einspruch!

Arthur C. Clarke schrieb:
Any sufficiently advanced technology is indistiguishable from magic...

Eine Konfontation mit Magie oder PSI können die SCs durchaus als fortgeschrittene Technologie empfinden.

Man muß nur in die Vergangenheit schauen und da findet man Leute die sich bei Begegnung mit einem per Benzinmotor angetriebenen Fahrzeug bekreuzigen. Es hilft natürlich wenn der Schwefelanteil des Benzins in den Abgasen merkbar ist.

Für den Menschen des Mittelalters wäre unsere Welt voller Dämonen und teuflischer Apparaturen...

Wo ich aber d'accord gehe ist ein Fall wo die Star Trek Mannschaft an die Grenze des Universums stößt und unter sich eine riesige (Weltraumgroße) Schildkröte erkennt... Das wäre dann tatsächlich ein Stilbruch.

Magie ist recht gut mit Nanotechnologie simulierbar. Künstlich wie Biologisch.

Siehe auch z.B. The Practice Effekt von David Brin. Oder The Diamond Age von Neal Stephenson.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Hmmm, irgendwie schon.
Aber irgendwie ist da auch noch mehr dran: wenn das Spiel einfach sagt "Ihr könnt das und das nicht machen, weil das passt nicht in die Genrekonvention" dann ist das blöd, einschränkend und schädlich für das Rollenspiel.

Das ist ein Ammenmärchen für Rollenspieler. Ersponnen von irgendwelchen Möchtegerns, die gerne als unglaublich kreative und grenzensprengende Köpfe stolzieren wollen. Kein Rollenspiel wird schlechter wenn man klare stilistische Vorgaben hat, was das Setting, den Hintergrund, kurz die Fiktion angeht.

Mir scheint dass es nicht um die Art dieser Vorgaben geht, sondern allein um die Vermittlung im Regelwerk. Die bei weiten schlechteste ist ein stumpfes "geht nicht, weil ist nicht". Geringfügig anspruchsvoller ist die Konkretisierung in handfesten Regeln. Am interessantesten ist mit Sicherheit wenn diese stilistischen Vorgaben im Fluff-text verarbeitet werden. Das Problem ist meiner Meinung nach, dass mit steigendem Anspruch die Deutlichkeit rapide abfällt.

Wenn in einem Rollenspielbuch steht: "Du darfst keine Waffen benutzen.", dann ist das weit deutlicher als 2 Seiten Text in denen Protag Onist, erwähnt dass er mit Waffen noch nie etwas anfangen konnte und deshalb lieber auf seine Kung Fu-Künste zurückgreift.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Wenn ich das richtig Verstehe ist die "Stimme" eigentlich nur Konsistenz, oder? Es geht darum, dass ein bestimmtes, einmal geschaffenes Flair (von den Regeln) eingehalten und unterstützt wird. Von daher stimme ich voll zu: Konsistenz gibt es, und es gibt auch Brüche mit der Konsistenz. Letztere sind unschön, wenn man sie nicht gut begründet.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Ich verstehe dich, Alexandro. Es geht um Stimmigkeit, egal ob dabei bekannte und bewährte Genrekonventionen stimmig umgesetzt werden, oder ob Konventionen ungewohnt kombiniert, oder ganz neu geschaffen werden. Entscheidend ist, dass es eine Linie gibt. Und naturgemäß ist das, was der eine als interessant und faszinierend empfindet, für den anderen ein klarer Fall von „passt voll nicht“.

(„Süß und trotzdem frisch. Verrückt.“)

Entscheidend ist aber, dass das Werk sich treu bleibt und für den Leser (und Spieler) eine gewisse Vorhersehbarkeit erzeugt. Denn ohne diese Vorhersehbarkeit kann die Spielsituation nicht verlässlich beurteilt werden, und Frust ist vorprogrammiert.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

@Kowalski: es spielt keine Rolle, was die "Magie" macht, wichtig ist wie sie wahrgenommen wird. Sprich: auch wenn die primitiven Eingeborenen das Shuttle der Star Trek-Crew anbeten, so "wissen" die Protagonisten (und damit auch der Zuschauer), das es sie sind die sich irren und nicht sie selbst (bei Akte X hätte man dagegen die umgekehrte Situation). Sogar "Q" aus Next Generation ist in dieser Hinsicht "mit Logik verstehbar", auch wenn das was er macht sich der genauen Kenntnis entzieht.

@Georgios: ich glaube du mißverstehst mich. Deine Aussagen unterstütze ich vollkommen, stillistische Vorgaben gehören dazu, keine Frage. Ich sage lediglich:
These #1: Jede stillistische Vorgabe muss für die Spielwelt tragfähig sein, ohne dass ihre Einhaltung ständige Eingriffe auf Meta-Ebene erfordert.
Beispiel:
"In dieser Welt gibt es kein Schießpulver" wäre eine tragfähige Vorgabe, da es vertretbar ist, dass entweder die chemischen Bestandteile von Schießpulver auf dieser Welt nicht existieren (oder anders wirken) oder einfach keiner auf die Idee kommt, diese in dieser Weise zu mischen.

"In dieser Welt glaubt keiner an die Existenz von Blut oder hat es je gesehen" wäre dagegen eher schwerer tragfähig, höchstens durch massive weitere Vorgaben -> "In dieser Welt gibt es keine spitzen Waffen", aber auch stumpfe Waffen können blutende Wunden verursachen, wenn man fest genug zuschlägt -> "In dieser Welt gibt es gar keine Waffen", aber was ist mit Ästen, Stürzen etc.? -> "In dieser Welt ist alles aus Gummi oder mit Watte gepolstert..." :D Du verstehst worauf ich hinauswill.
Wesentlich einfacher wäre die Vorgabe: "In dieser Welt blutet keiner, weil ihre Körper nicht bluten können.". Gleicher Effekt, aber ohne größere Eingriffe tragfähig.
Wären wir uns bis dahin einig?

In diesem Fall könnte man evtll. hierüber diskutieren:
Korollar zu These #1: Die Kontinuität der Spielwelt sollte nicht durch "triviale" Spielerhandlungen zerstört werden.
Ein solcher "Grenzfall" findet sich im Rollenspiel "Engel", wo festgelegt wird, dass die Gesellschaft im Endzeit-Europa sehr zurückhaltend bis ängstlich im Bezug auf Berührungen ist. Das ist deswegen problematisch, weil man die Spieler ständig daran erinnern muss und dass einige Handlungen schon von vorneherein ausgeschlossen werden...
SC: "Ich strecke dem an der Klippe hängenden Kaufmann meine Hand entgegen und ziehe ihn rauf"
SL: "Ahem..."
SC: "Ach stimmt ja, ich...ummm...Mist..."
Das ist einer der Punkte, bei dem ich keinen Spaß mehr habe, allerdings scheint vielen Spielern gerade das Spaß zu machen, deshalb ist das eher persönliche Präferenz (die ich natürlich als solche (an)erkenne).
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

These #1: Jede stillistische Vorgabe muss für die Spielwelt tragfähig sein, ohne dass ihre Einhaltung ständige Eingriffe auf Meta-Ebene erfordert.

Das ergibt für mich keinen Sinn. Jedes Einhalten von stilistischen Vorgabe findet auf der Meta-Ebene statt. Vorgaben, die keine Auswirkungen nach sich ziehen, sind belanglos. Erst Vorgaben, die spürbare Konsequenzen für die Spieler und ihre Charaktere haben, geben dem Setting seine eigene Identität.

Das einzige was ich an deinen Beispielen erkennen kann, ist dass dir für bestimmte stilistische Vorgaben einfacher Konsequenzen bzw. Erklärungen einfallen als für andere und dir letztere daher den Spielspaß verringern. Was ich gut verstehen kann; schließlich wird die "suspension of disbelief" in solchen Fällen aufs äußerste ausgereizt. Man muss sich anstrengen um im Spiel zu bleiben. Das geht mir bei so ziemlich allen "düsteren" Rollenspielen genauso. Aber ich sehe das eher als eine Frage der Spielgewohnheit bzw. Settingflexibilität des Spielers.

Korollar zu These #1: Die Kontinuität der Spielwelt sollte nicht durch "triviale" Spielerhandlungen zerstört werden.

Auch da stimme ich dir nicht ganz zu. "Triviale" Spielhandlungen sind genau das. Ihre Anpassung an die stilistischen Vorgaben sollte genau so viel Aufwand benötigen, wie das Ansprechen der Mitspieler mit "Al'thazara", "Ognulf" oder "Huffington Whimplecrappe". Es sollte auch genauso relevant für den Spielspaß sein.

Erst wenn die Einhaltung der stilistischen Vorgaben nicht-trivialen Spielerhandlungen im Wege steht, kann das Spiel gestört werden.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Jedes Einhalten von stilistischen Vorgabe findet auf der Meta-Ebene statt.
Jede Etablierung der stilistischen Vorgabe findet auf der Meta-Ebene statt, das ist richtig.

Wenn man sich nach der Etablierung keine Gedanken darüber machen muss, warum diese jetzt so ist und nicht anders, dann würde ich allerdings nicht mehr von Meta-, sondern von Fiktions-Ebene sprechen (kann sein, dass wir hier mit unterschiedlichen Denkmodellen arbeiten).
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

Wenn man sich nach der Etablierung keine Gedanken darüber machen muss, warum diese jetzt so ist und nicht anders, dann würde ich allerdings nicht mehr von Meta-, sondern von Fiktions-Ebene sprechen (kann sein, dass wir hier mit unterschiedlichen Denkmodellen arbeiten).

Wenn ich dich richtig verstehe, dann sagst du, dass die Frage warum etwas in dem Setting gültig ist, automatisch den Spieler in die Meta-Ebene bringt. Das mag schon stimmen. Aber du legst hier das Weiterspinnen einer stilistischen Vorgabe mit der Überlegung nach der Ursache zusammen. Ersteres ist ein essentieller Teil des Rollenspiels. Schließlich spinnt ja jeder Spieler nur weiter, was sein Charakter in dieser Situation tun würde und jeder SL spinnt lediglich weiter, wie die Situation sich durch die Aktionen der Charaktere verändern würde.

Aber mit der Frage nach dem Grund hat das nichts zu tun. Du fragst dich ja in der Regel auch nicht warum das Eintreten dieser Tür eine Schwierigkeit von 4 hat oder warum Zwerge einen Bonus auf Stärke bekommen. Diese Dinge werden halt als gegeben akzeptiert, damit man beim Weiterspinnen etwas hat mit dem man arbeiten kann. Das ist wie die "suspension of disbelief". Wenn diese überspannt wird, dann wird man aus dem Spiel gerissen.

Allerdings kann man als Spieler sehr wohl darauf hinarbeiten genau das zu verhindern.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

@Pyromancer: wie ich hier ausgeführt habe, habe ich niemals wirklich ein Engel-Buch gelesen. Da ich diese Interpretation der Spielwelt bei zwei unterschiedlichen SLs erlebt hatte, habe ich angenommen es sei die "offizielle" (vielleicht haben die sich aber auch nur abgesprochen).
Ist aber auch egal, weil es eigentlich egal ist, ob der Verlag oder der SL die Welt gestaltet, wichtig ist (wie der große Dicke sagen würde) "was hinten rauskommt". :D
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

@Georgios:
OK, neuer Versuch:
Jedes Rollenspiel (=die meißten) hat Mittel, mit denen der Spieler die Fiktionsebene gestalten kann. Für das klassische Rollenspiel nennen wir das der Einfachhalt halber mal "Charakterhandlungen" (ist zwar arg vereinfacht, aber was solls...).

Je nachdem wie die Spielwelt beschaffen ist, sind einige Charakterhandlungen möglich und andere nicht.
Darüber KANN man sich Gedanken machen und nach dem Grund dafür suchen, oder eben NICHT.
Es macht keinen Unterschied ob man jetzt weiß, dass die Zwerge ihre Kraft von ihrem Gott Flurggglewatz erhalten oder dass die Schwierigkeit 4 ist, weil der Spieleentwickler in irgendeiner Statistik gelesen hat, dass eine durchschnittlich starke Person es in 75% der Fälle schafft, eine Tür einzutreten und besonders "realistisch" sein wollte. Um die Situation zu visualisieren ist keine Beschäftigung mit der Meta-Ebene erforderlich.

Die Charakterhandlungen werden dadurch (zumindest in der- durch die core-story vorgegeben- Regel) nicht beeinträchtigt.

Was ich jetzt sage, ist dass es Settingelemente gibt, bei denen eben diese "Visualisierung" nicht funktioniert, weil man nicht aus dem Setting "schlau werden" kann.
"Wenn A und B für das Setting gelten, dann kann C nicht zutreffen"
Findet sich C dann doch im Setting, dann erfolgt ein Bruch, weil man feststellt dass man nicht aus den Settingelementen Schlüsse ziehen kann. Das erschwert wiederrum eine eigene (weitere Widersprüche produzierende) Erweiterung des Settings durch den SL und kettet ihn an die offiziellen Publikationen. Die Spieler haben lediglich die Möglichkeit sich auf einem (oft sehr kleinen) Teil der core-story zu bewegen, weil die Elemente die eine "stimmige" Welt auszeichnen eben nicht vorhanden sind.

Die Gruppe hat nun die Möglichkeit:
a) den SL zu bitten, das Setting zu "reparieren" (= teilweise neu zu schreiben)
b) die Brüche in der Spielwelt zu ignorieren und sich auf das zu konzentrieren, was das Spiel kann (z.B. Abenteuer am Dungeoneingang anfangen lassen, weil das Setting nichts taugt)
 
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Was ich jetzt sage, ist dass es Settingelemente gibt, bei denen eben diese "Visualisierung" nicht funktioniert, weil man nicht aus dem Setting "schlau werden" kann.

Und hier ist der Fehler. Es gibt keine versteckte Logik des Settings, welche man erlernen kann. Es gibt nichts aus dem man "schlau werden" könnte. Es gibt lediglich einzelne Fakten, welche fest stehen und an welche man als Spieler gebunden ist. (Stark vereinfacht gesagt. Natürlich wählt der Spieler selbst, welche Dinge er für bindend hält und welche nicht.)

Man schustert sich ein Erklärungsmodell zusammen, in dass diese Fakten ohne Schwierigkeiten eingefügt werden können. Das ist eine kreative Leistung des Spielers. Je stärker sich dieses Erklärungsmodell an den Erfahrungen und Gewohnheiten des Spielers bedient, desto einfacher ist das für den Spieler. Ein Setting, das im Jahre 2008 in Deutschland spielt und in dem Hobbyisten Diskussionen über ein Computernetzwerk führen, erfordert von mir sehr viel weniger Kreativität für mein Erklärungsmodell als ein Setting in dem alle Frauen fliegen und alle Männer ihre Hautfarbe an die Umgebung anpassen können, man nur über Düfte kommuniziert und jedes Lebewesen 17 mal reinkarniert wird ohne dabei seine Erinnerung zu verlieren.

Aus einem Setting "schlau werden" ist nichts anderes, als ein Erklärungsmodell für das Setting zu finden, dass wenig Aufwand benötigt. Das ist keine Leistung des Settings (ausser dahingehend, dass der Autor den Erfahrungshorizont der Spieler richtig einschätzen kann) als eine Frage des Einfallsreichtum und der gedanklichen Flexibilität der Spieler.

Einen Sonderfall stellt das Setting dar, dass sich ein einzelner Autor ausgedacht und in sein Rollenspiel geschrieben hat. In diesen Fällen kann es sein, dass der Autor versucht seine Vorstellung des Settings zu vermitteln. Aber hier stellt sich weniger die Frage nach den Eigenschaften des Settings, als nach der Klarheit der Erklärungen und diese sind, wie man weiß, nicht allein im Setting verankert. Ganz davon abgesehen, dass "Setting von Autor XYZ spielen" nicht in jeder Rollenspielgruppe die bevorzugte Herangehensweise ist. Jedes Setting lebt davon, dass man es sich zu eigen macht.
 
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Jedes Setting lebt davon, dass man es sich zu eigen macht.
Und das ist ein ganz natürlicher, sowieso IMMER vorgenommener Vorgang, den jede Spielgruppe für sich - bewußt oder unbewußt - ausführt.

Ob nun manche Rollenspiele klare Aufforderungen dazu im Text enthalten wie "YGWV - Your Glorantha Will Vary" in HeroQuest/HeroWars, bzw. "my WoP - your WoP", oder ob so etwas nicht explizit als eine NOTWENDIGE und ZWANGSLÄUFIGE Aktivität aufgeführt wird, um ein Setting überhaupt spielbar zu machen, ist egal. - Gemacht wird es sowieso.

Meine Welt der Engel ist eine so total andere Welt der Engel als die der Jammer-Emo-Engel-Runden. Aber BEIDE Arten basieren auf denselben Texten. - Zum einen kommen dabei die Unterschiede durch unterschiedliches Verständnis ein und desselben Textes. Zum anderen kommen sie durch unbewußtes Filtern oder BEWUSSTE AUSWAHL aus dem Geschriebenen zustande.

Ich mag z.B. dieses psycho-freakige ständige Selbstverletzen, was die Engelautoren manchen Engelsorden "angedichtet" haben, nicht; das ist mir eine zu billige Effekthascherei um noch "darker than thou" zu wirken. Daher lese ich das zwar in Engel, aber das Ganze findet bei mir in meiner Welt der Engel NICHT STATT, außer bei tatsächlich außerordentlich gestörten Bewohnern der Spielwelt.

Andererseits hat, um Alexandros "50 Fathoms"-Beispiel aufzugreifen, bei mir dieses Setting NICHT den Eindruch eines "Gut-gegen-Böse" Fantasy-Settings erweckt. Sogar ganz im Gegenteil. Ich habe (aus demselben Text) herausgelesen, daß es absolut akzeptabel ist, wenn die SCs als marodierende Piraten-Brutalinskis unterwegs sind und sich einen Dreck um den "Rette-die-Welt"-Hauptplot der Plot-Point-Kampagne scheren. Damit gibt es in der Spielwelt nicht nur "moralische Grauzonen, welche eigentlich unpassend für dieses Setting sind", sondern die gehören nach MEINEM BILD VOM SETTING sogar ganz grundlegend mit dazu.

So kann sich das unterscheiden.

Einem Settingautoren dürfte es schwerfallen, genau EINE Vision seines Settings in die Köpfe aller Leser zu bekommen. Das geht nicht, und das weiß jeder.

Man kann aber bestimmte Rahmen abstecken, wie z.B. "viktorianische Gesellschaftsordnung", "Steampunk und Mad Science relativ alltäglich", "Elfen, Zwerge, usw. sind bekannt, wenn auch distanziert vom Normalbürger". Das reicht als Grundlage für Spieler aus, um sich in Castle Falkenstein zurecht zu finden und NICHT ständig die SETTING-DEFINIERENDEN Konventionen über Bord zu schmeißen.

Man hat einen breiten Interpretationsspielraum bei jedem Setting. Aber dieser ist NICHT UNENDLICH BREIT. - Irgendwann erkennt man das Setting nicht mehr wieder. Irgendwann hilft selbst die freieste, kreativste Interpretation der Settingbeschreibungstexte nicht mehr, die im aktiven Spiel geschilderten bzw. geschaffenen Fakten noch zusammenzubringen. - Dann spielt man nicht mehr das Setting, effektiv spielt man dann ein anderes Rollenspiel.

Und das ist auch völlig in Ordnung.

Ich nehme selbst ja auch gerne Settings nur als "Anregungen" und verwurste sie in meinen eigenen Kampagnen bisweilen jenseits der Wiedererkennbarkeit. - Z.T. kaufe ich mit bestimmte Rollenspiele gleich mit dem VORSATZ sie nie zu spielen, sondern nur "auszuschlachten". - Das halte ich für völlig in Ordnung. Wenn ich dafür zahle, dann kann ich damit machen, was ich will.

Man sollte nur nicht hergehen und behaupten, daß man in seiner Runde, in welcher Engel mit Kevlar-Panzerung und Sturmgewehren mit Granatwerfern die Schwebepanzer der Konzerne auf den vielen Koloniewelten der Angelitischen Kirche angreifen, und in welcher die Dropships Gabrielis-Templer mit dem Auftrag absetzen, die "Eingeborenen" - als "Traumsaat" deklariert - auszurotten, noch tatsächlich das Rollenspiel "Die Chroniken der Engel" spiele. Auch wenn man die Engel Gabrieliten nennt, sind sie doch als Power-Armor-Träger mit Flammenschwert, Flammenwerfer und Plasma-Kanone nicht mehr das, was man IRGENDWO in den Engel-Publikationen finden mag.

So ist das ZUEIGENMACHEN eines Settings ein Kontinuum von einfachem Lesen/Verstehen/Wiedergeben der vorfindlichen Settingbeschreibungen, über unbewußtes Filtern und bewußtes Ausblenden bestimmter Settingelemente, hin zum Abändern, ja zum auf den Informationen aufbauendem Selbstentwickeln eines eigenen Settings.

Ein Setting KANN, aber MUSS NICHT ein "klar abgestecktes "Feeling" haben", wie im Eingangsbeitrag aufgeführt.

Es ist die Frage, was man mit dem, was man an Settingbeschreibung vorfindet, machen kann und machen will. - Bringt diese Beschreibung sofort im Leser Bilder, Ideen, Zusammenhänge zur Resonanz mit eigenen Bildern, Ideen und Vorhaben/Interessen, dann ist dem Leser sofort "klar", wie dieses Setting zu verstehen ist und was er damit machen kann (u.a. auch "das Setting zerpflücken und etwas Eigenes basteln").

Bringt die Beschreibung weniger Resonanz mit dem Leser und seinen eigenen, mitgebrachten Ideen, Vorlieben, Interessen mit, dann wirkt das Setting bisweilen langweilig, oder es wirkt "unklar".

Unklar ist es, wenn nicht ersichtlich ist, was man mit dieser Settinginformation nun eigentlich anfangen soll. Wie sie sich im Spiel irgendwie einbauen, nutzen, erleben lassen soll. Welche Relevanz sie für das Tun der SCs hat - und umgekehrt.

Für mich sind das Settings, mit denen ich (zumindest nach deren "Papierform") nichts anfangen kann. (Das war anfangs bei Engel auch so - da dachte ich, daß es sich um ein ödes Jammergestalten-Leiden-Und-Kommen-Um-Rollenspiel handeln würde).

Manche dieser Settings "tragen sich ein" beim Spielen. Sie passen dann doch zu einem selbst und zur Gruppe (wie bei Engel, als mir die Core-Stories = (Kampf-)Missionen von Elite-Soldaten klar wurden - danach erwies sich das Setting als ausgesprochen zugänglich und für das Spiel, für neue Szenarien-Ideen sehr förderlich).

Für MICH muß ein "gutes Spiel" NICHT das Setting wirklich klar und deutlich ausgeführt vorstellen, so daß man alles sofort versteht. Es reicht aus, wenn mich etwas daran zu FASZINIEREN imstande ist, so daß ich mich so mit dem Setting beschäftige, daß ich es mir zueigen mache. Mehrdeutigkeiten machen ja auch Spaß. Auch im eigentlichen Spiel. Offensichtliche Unstimmigkeiten sollten vom Autoren erklärt werden oder von mir mit einer Erklärung versehen werden können, bei der ich nicht die Intelligenz meiner Spieler beleidigen muß. Ist es immer noch unstimmig, dann kann man - je nach Genre - auch einfach sagen: das ist eben einfach so. (Indiana Jones kann außen am U-Boot hängen und ist dann trocken und sicher beim Einlaufen des U-Boots im Geheimhafen bereits an Land. - Das geht eben. Paßt schon. Weiter mit der Action!)

Wenn man das Setting zum Spielen hernehmen kann, dann ist es schon ein gutes Spiel. Denn dann wird es ja gespielt.

Die schlechten Settings bringen es nicht soweit, daß ich sie meinen Spielern (und mir!) zumute. - Schlecht muß hierbei aber auch nicht heißen, daß man beim Setting nicht verstünde, was denn so wie gespielt werden sollte, sondern schlecht kann auch heißen, daß ein Setting "überspezifiziert" wurde und so mit einer erstickenden Fülle an Details jeden Spaß am Selbstschrauben behindert. Oder daß der Settinginhalt einfach mir zu blöde oder zu eklig ist, als daß ich mich näher damit befassen möchte.

Ein "klar abgestecktes Feeling" im Setting-Text kann nach meinem Geschmack schneller zu einem für mich SCHLECHTEN Eindruck eines Settings führen, als ein sich in vielen Bereichen vage gebendes Setting. Das liegt daran, daß ich GERNE an Settings herumbastele und mein eigenes Ding damit mache. - Anderer Leute Umgang mit Settings wird anders sein.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

@Georgios:
Let's agree to disgree. :)

Für mich ist es extrem wichtig, dass man Schlüsse aus dem Setting ziehen kann, denn sonst könnte man das Setting überhaupt nicht in ein Buch rein packen. Wie Zornhau sagt: die Details unterscheiden sich von SL zu SL, aber die wesentlichen Bestandteile gehen in etwa in diesselbe Richtung.

Das liegt IMO daran, dass die Designer eine klare Linie finden, nach dem sie ihr Setting aufbauen.
Der Unterschied liegt IMO in der Fragestellung:
1. "What's in it? What do you see?"
ein Setting in dem alle Frauen fliegen und alle Männer ihre Hautfarbe an die Umgebung anpassen können, man nur über Düfte kommuniziert und jedes Lebewesen 17 mal reinkarniert wird ohne dabei seine Erinnerung zu verlieren
Bei dieser Frage wird NUR darauf eingegangen, was im Setting da ist- und das ist dann halt da, ohne Erklärung (ich glaube bei der Forge hieß das Furniture, kann aber sein dass ich mich da falsch erinnere). Es steht im Setting rum und man kann die "Setting-Facts" auswendig lernen oder auch nicht, aber man kann keine Schlüsse daraus ziehen.

2. "How does it work?"
Ein Setting, das im Jahre 2008 in Deutschland spielt und in dem Hobbyisten Diskussionen über ein Computernetzwerk führen
Dies ist grundverschieden, denn hier wird auf die Makrostruktur des Spiels eingegangen (und gleichzeitig ein Bezug zur core-story hergestellt).
Zum Vergleich: wenn du das o.g. Setting so beschrieben hättest:
In diesem Setting wurde gerade das Grofafo geschlossen und die Community ist ins Tanelorn umgezogen, wo Boba Fett als neuer Moderator angefangen hat. Währenddessen tobt im B!-Forum eine erbitterte Diskussion darüber, ob Settings eine Stimme haben, bei der alexandro mit Georgios diskutiert...
dann wäre das genauso wenig hilfreich für einen SL, wie die Geschichte mit den fliegenden Frauen und Chamäleon-Männern. Er könnte sich das Setting nicht "zueigen zu machen" und in seinem Sinne erweitern.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

@Zornhau:
Bringt diese Beschreibung sofort im Leser Bilder, Ideen, Zusammenhänge zur Resonanz mit eigenen Bildern, Ideen und Vorhaben/Interessen, dann ist dem Leser sofort "klar", wie dieses Setting zu verstehen ist und was er damit machen kann
Danke. Das ist EXAKT das, was ich mit "ein klar abgestecktes Feeling" gemeint habe.

Ich meinte nicht, dass das Setting mit Details überfüttert ist, sondern das klar ist, in welche Richtung das Setting geht, damit man es vernünftig benutzen kann. Einfach nur "Fakten" über das Setting (am Besten noch über X Sourcebooks verteilt) rauszuhauen, halte ich persönlich für die falscheste Art ein Setting aufzubauen.
 
AW: Die "Stimme" eines guten Spiels

In meinen Augen versuchst du hier einen ganz einfach Sachverhalt so kompliziert wie möglich auszudrücken.

Rollenspiel ist ein erster Linie ein Spiel. Jeder von uns hat andere Vorstellungen davon was ihm dabei Spaß macht und was nicht. Wenn dir ein Setting einfach nicht zusagt, dann änder es entweder deinen Wünschen nach entsprechend ab oder laß es ganz einfach.
Je detaillierter ein Setting ausgearbeitet wurde, desto weniger Spielraum bleibt dir als Spielleiter das Setting zu ändern ohne eine von vorneherein gemeinsame Basis zu zerstören.
Thats it.

Ach ja...nicht jeder liest bevor er dir antwortet deine komplette Historie an Postings durch. Außerdem wäre es nett, wenn du zumindest etwas über den offiziellen Hintergrund eines Systemes weißt, bevor du dich darüber äußerst. Und klar ist entscheidend was hinten rauskommt...in dem Fall war es Dünnschiß.
 
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