Die Flucht

Crystal

Träumerin
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19. Mai 2004
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Leise knartschte der Schaukelstuhl, als sie sich langsam niederließ. Mit alterslosen, schlanken Fingern strich sie ihren Rock glatt und zog den Schal enger um die Schultern.

Eine Handbewegung öffnete das Fenster.

Strömender Regen hieb auf die blasse, verschwommene Landschaft. Der braune Schlamm der Straße spritze unter ihren Schritten, verfärbte den Saum ihres Kleides. Die Bäume ächzten unter dem Wind und die Blätter versprühten das Wasser. Sie rannte, schon seit langer Zeit, ohne zurückzublicken durch den Wald. Die Kälte spürte sie nicht, genauso wenig wie die Nässe, den bald würde beides vorbei sein. In einiger Entfernung, durch den regen sah sie schon die Brücke, jenes schmale, zerbrechliche Konstrukt aus morschem Holz, ihr Weg über den Fluss und ihre Rettung. Kurz vor der Brücke blickte sie zurück. Hinter sich sah sie niemanden. Alles kauerte ruhig unter dem Sturm. Kein Ruf, keine Schritte verfolgten sie mehr. Sie verlangsamte und sah eine Weile in diese Richtung zurück. Hatten sie aufgegeben? Kurz blieb sie stehen. Der Matsch sickerte ihr in die Schuhe, aber das war ihr egal. Einen kurzen, wahnsinnigen Augenblick lang wollte sie warten. Würden sie kommen? Ein Gedanke wie Feuer lief durch ihre Nervenbahnen. Doch sie durfte nicht. Alle das war jetzt vorbei. Wieder drehte sie sich um und betrat die schwankenden Bretter. Zwischen ihren Füßen konnte sie den rauschenden Fluss sehen, vom Regen angeschwollen, Sie beschleunigte und überquerte das Wasser. Kaum an der anderen Seite angekommen, hörte sie auch schon ein gewaltiges Krachen. Die Planken und Stützbalken brachen entzwei, vom Fluss zerschlagen. Splitterten wie Streichhölzer unter der Gewalt. Holz stürzte in Wasser und wurde von ihm fortgetragen. Ehe sie auch nur einmal blinzeln konnte, war ihr Überweg vollständig verschwunden.

Lange Zeit stand sie vor der Ruine und blickte in den Wald zurück, aber niemand kam. Noch immer strömte es, und Tränen verschleierten ihren Blick Leise und langsam schlich sie den schlammigen Weg durch die Felder hinab. Regen verwischte ihre Spuren, nichts bleib zurück.

Die Hand schloss das Fenster wieder. Eine Pfeife entzündete sich und füllte den Raum mit Rauch. Regen prasselte gegen das Dach und spülte den Staub von der Schwelle.
 
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