Dead of Night

Greywood

Kein Kainskind!
Registriert
5. Juli 2005
Beiträge
620
Hier hab ich mal was Interessantes.

Dead of Night von Steampower Publishing nennt sich "Pocket Roleplaying Game". Das bezieht sich zunächst einmal auf das Format. Mit ca 11 x 14 cm hat das Büchlein ungefähr die Größe eines Taschenkalenders mit etwa 220 Seiten. Hier hängt auch der dickste Haken: Ich hab für das kleine Ding knapp 18 Euro bezahlt.

Thematisch konzentriert sich DoN auf "Campfire Tales", kleine Horrorgeschichten, die man sich des nachts am Lagerfeuer irgendwo draußen in der Wildnis erzählt, in erster Linie damit sich alle anderen für den Rest der Nacht den Hintern abgruseln.

Der Schriftsatz ist großzügig bemessen und die eingestreuten S/W- bzw. Graustufen-Illustrationen nehmen jeweils eine ganze Seite ein. Deshalb dachte ich zunächst, mir eine Mogelpackung zugelegt zu haben. DoN hat's aber in sich.

Quickstart-Regeln und Charakterbogen kann man sich auf der Verlagsseite runterladen: http//www.steampowerpublishing.co.uk

Charaktere (in DoN Opfer genannt ...) sind schnell erstellt, im Bedarfsfall schneller noch als etwa in RISUS. Jeder Charakter besitzt vier Attributspaare, ggf. Spezialisierungen, startet mit 5 Survival Points und ist ansonsten völlig frei zu gestalten. DoN erstellt sein Regelwerk im Sinne des ewählten Themas auch nicht um detailierte Charaktere herum, sondern um Erzählmechanismen. Das bezieht sich auch auf die Attribute. Die vier Paare sind: Identify/Obfuscate, Persuade/Dissuade, Pursue/Escape und Assault/Protect. Klassische Attribute und Fertigkeiten wie Stärke oder Feuerwaffen gibt's nicht.

Die angegebenen Attribute sind in diesem Sinne auch sehr weit gefasst und beziehen sich im Wesentlichen mehr auf die Erzählung bzw. was der Charakter darin bewirken kann. Beispiel: "Use Persuade to convince people, creatures and items to cooperate with you in the pursuit of your goals." Genau - auch Creatures oder Items. Stand der Held bisher vor einer verschlossenen Tür in einem vergessenen Korridor, so muss im traditionellen Rollenspiel vielleicht Geschicklichkeit, Körperkraft, Schlösserkunde oder ähnliches herhalten, eben die direkten Eigenschaften des Charakters. Bei DoN würde man in diesem Fall auf Persuade würfeln. Falls das klappt, kann man sich überlegen und beschreiben, wie er denn nun die Tür aufbekommen hat - mit einer Haarnadel geknackt, aufgebrochen, ausgehebelt. Vielleicht hat er auch eine schwache Stelle am Scharnier entdeckt - das wie ist in erster Linie egal. Angenommen, der Charakter ist auf der Flucht, steht hektisch vor dieser Tür und die geifernden Werwölfe sind ihm auf den Fersen. Dann wäre vielleicht eher ein Wurf auf Escape fällig gewesen, um die Tür zu öffnen.

Den Attributpaare werden einfach (positive) Zahlenwerte zugeordnet, dabei muss nur berücksichtigt werden, dass ein Attributspaar zusammen 10 ergibt. Das war's schon. Man kann auch noch beliebige Spezialisierungen erfinden und die einem Paar zuordnen, etwa Drivin' für Pursue/Escape. Für alle Würfe auf Pursue/Escape, die irgendwie mit Drivin' zu tun haben, hat man einem um 2 Punkte erhöhten Wert. Die allgemeinen Werte für Pursue/Escape müssen dafür um 2 Punkte gesenkt werden. Eine Reihe von Beispielen für Spezialisierungen wird gegeben. Man kann auch sowas wie Nachteil oder Behinderungen für seinen Charakter einbauen, allerding ergeben diese keine Bonuspunkte oder ähnliches, sondern sollen einfach dazu dienen, niedrige Attributswerte zu erklären.

Gewürfelt wird mit 2W10, zur Summe wird der Wert eines Attributs addiert. In der Regel würfelt man gegen einen festen Wert (meistens 15), bei entgegengesetzten Proben geht man davon aus, dass "das Monster" - oder welcher Gegner auch immer - eine 10 gewürfelt hat. Die Wahrscheinlichkeiten sind leicht zu handhaben, so dass erfahrene Rollenspieler bei Bedarf sicher leicht auf andere Würfel/-methoden umschwenken könnte. Hier ist m.E. ein kleiner Schwachpunkt - für ein echtes "Unterwegs-Rollenspiel" hätte man ein Methode bieten können, die keine Würfel benötigt. Als kleinen Ersatz gibt es hinten im Buch eine Tabelle mit Zahlen von 1 bis 10, auf die man einfach zweimal blind mit dem Finger piekt. Alternativ könnte man auch einfach eine Seite im Buch aufschlagen und die Einerstelle als Wurf nehmen oder sowas.

Kämpfe sind ganz normale Checks wie oben beschrieben. Die Initiative erhält man einfach, indem man seine Aktion ankündigt. Wer zuerst kommt, häckselt zuerst. Dabei kämpft man mehr oder weniger um seine Survival Points. Unterliegt man in einer Kampfsituation, verliert man einen Survival Point. Sind keine mehr da, kann die nächste Niederlage jederzeit den Tod bedeuten. Einen gräßlichen, natürlich. Man kann Survival Points auch anderweitig verbraten - um etwa einen Wurf zu wiederholen, ein Attributspaar für eine Szene zu tauschen oder um ein neues Element in den Plot einzubringen ("Ich hab doch heute morgen gesehen, dass der Hausmeister eine Axt in den Schuppen gestellt hat! Such mal da in der Ecke, während ich die Tür zuhalte...") u.v.a. Man kann natürlich auch neue dazu gewinnen, unter anderem in dem man den Plot vorantreibt, etwas sehr anschaulich beschreibt oder ein typisches Klischee solcher Geschichten bedient ("Ich geh mal in den Keller und schau nach, was das war. Ne, kein Problem, ich geh allein. Ach was, Taschenlampe brauch ich nicht.").

Im Abschnitt über fortgeschrittenes Spiel werden ein paar Ratschläge zum Thema "Andere Würfel" gegeben, außerdem zum Konzept der Tenison und Tension Points. Jede Geschichte startet mit einem bestimmten Wert der Tension (Spannung). Dieser Wert gibt auch an, wieviel Tension Points dem Spiellleiter zur Verfügung stehen. Dazu gibt es sehr genaue Regeln, wie sich die Tension auf die Erzählung auswirkt und was der Spielleiter mit den Tension Points machen kann (etwa um seine Kreaturen zu unterstützen). So zum Beispiel gibt der Tension-Wert an, wie ein Charakter eine bestimmte Szene wahrnimmt, in etwa wie der Schleier vor den Augen der Menschen in den Lovecraft-Geschichten. Niedrige Tension: Der Obdachlose auf der Parkbank dahinten wälzt sich im Schlaf unruhig unter seiner alten Decke. Sehr hohe Tension: Der Obdachlose auf der Parkbank dahintern wird unter seiner alten Decke von irgend etwas hin und her geworfen, etwas unnatürliches beult die Decke an seinem Rücken aus und für einen Augenblick sind chitinöse Flügel zu sehen. So hoch kann der Tension-Wert aber nur sein, wenn die SC bisher schon spannunssteigernde Erlebnisse hatten.

Es folgt ein Abschnitt mit kurzen Betrachtungen zu den einzelnen Typen vonmöglichen Horrorgeschichten, außerdem ein Kapitel mit weiteren interessanten Spielstilen: Neben dem Standardspiel gibt es zum Beispiel Table Turned (der SL spielt die Opfer), Target Countdown (ein Template für das normale Spiel, in dem der SL die Opfer in einer bestimmten Reihenfolge murksen muss), No Single GM (im Szenario wechselnder SL), oder Wolf in Sheep's Clothing (einer der SC ist der Böse, geheim natürlich). Dazu gibt es jeweils ausführliche Spezialregelungen und Hilfen, wie sowas zu bewerkstelligen ist.

Abschließend gibt es zwei große Kapitel mit Gegenspielern und ihren besonderen Fähigkeiten und insgesamt 5 mehr oder weniger klassische Szenarien.

DoN kommt mit einer ganzen Reihe interessanter und durchaus auch neuer Ideen - manchmal auf einer Seite mehr, als man in dem einen oder anderen modernen 400-Seiten-Farbmonster findet. Allerdings ist der Focus des Spiels auch sehr eng, was die Entwicklung solcher Konzepte vielleicht leicher macht. Manche der Ideen klingen auf dem Papier einleuchtend, benötigen aber einen praktischen Test, um mich zu überzeugen. Dazu hab ich Sylvester Gelegenheit. ;-)
 
AW: Dead of Night

Klingt sehr interessant!

Einzig mit der Tenison-Sache kann ich so gar nichts anfangen. Wer vergibt denn da die Punkte und warum wird der SL in seinem Tension-Grad beschränkt?
 
AW: Dead of Night

Leider konnte ich es an Sylvester nun doch nicht ausprobieren, wegen Trunkenheit am Würfel und Angriffen feindlicher Feten ... ;)

Das Konzept Tension ist einer der Punkte, die ich in der praktischen Anwendung sehen muss, um mir da wirklich sicher sein zu können. Vorneweg: Tension gehört zum Advanced Play, ist also optional.

Grundgedanke ist es, dem Spannungsbogen der Geschichte eine bestimmte, an klassische Muster angelehnte Struktur zu verleihen. Zu diesem Zweck werden zwei Variablen eingeführt: Tension Rating (oder einfach nur Tension) und Tension Points. In der Regel sind diese beiden Werte gleich, mit eine Ausnahme (dazu später). Im Spiel hat die Geschichte zu Beginn ein bestimmtes Tension Rating.

  • Bsp: 1: Der Bus mit den letzten Gästen der Saison kommt tagsüber bei strahlendem Sonnenschein am Ski-Hotel an. Die Spieler und Charakter haben noch keine Ahnung, dass die Belegschaft und die anderen Gäste zum größten Teil bereits vom wahnsinnigen Hauskoch fein säuberlich zerlegt im Kühlhaus ruhen. Tension Rating: 0.
  • Bsp: 2 Das Auto mit den Jugendlichen kommt kurz vor Mitternacht bei heftigem Gewitter am alten Ski-Hotel an. Seltsamerweise brennt nirgendwo Licht und die Eingangstür steht offen. Tension Rating: 5.
Das Tension Rating steigt jedesmal dann, wenn Charaktere Survival Points verlieren, im Verhältnis 1:1. Die Wahrscheinlichkeit zu überleben sinkt, die Beschreibungen sollten sich dem gestiegenen Rating anpassen. Mit den Tension Points kann der SL nun das Spielgeschehen beeinflussen, in dem er Checks der Spieler erschwert oder erleichtert.

  • Bsp: Während sich aus dem Dunkel irgendein Ding langsam aber stetig nähert, vermasselst du deinen Check und schaffst es nicht, den Motor deines Autos wieder in Gang zu setzen. Für den Plot des SL wäre es unpraktisch, wenn deine Gedärme jetzt schon herausgerissen werden, deshalb gibt er einen Tension Point aus und deine Karre springt an. Ein Tension Point wurde ausgegeben, das Tension Rating ist damit ebenfalls gesunken, die Beschreibungen werden einen Tick entspannter - schließlich ist es deinem Charakter scheinbar gelungen, der Gefahr nochmal zu entgehen.
Auftritt Monster: Ist der wie auch immer geartete Gegenspieler des Szenarions direkt in der Szene anwesend, steigt das Tension Rating um die aktuell verbleibenden Survival Points des Monsters. Die Beschreibungen werden entsprechend dramatischer, die Tension Points erhöhen sich jedoch nicht, d.h. der SL kann nicht plötzlich mit Tension Points um sich werfen und den Charakteren das Leben noch schwerer (oder kürzer) machen. Ist wahrscheinlich auch nicht notwendig. ;-) Es ist erlaubt Tension Points zu verbraten, die man als SL gerade erst, also in der aktuellen Szene, gesammelt hat.

Laut Regelwerk sollen hiermit bestimmte Elemente der Geschichte (etwa Stimmung, Intensität et.c) in bestimmte, förderliche Bahnen gelenkt werden. Das geschieht zum einen durch die oben beschriebenen Mechanismen, zum anderen durch den Fluss der Survival Points, welche die Charaktere und/oder Spieler durch bestimmte Aktionen gewinnen oder verlieren und die entstehende Wechselwirkung mit dem Tension Rating. Ob das wirklich so passiert, oder ob damit etwas quantifiziert wird, was der geübte Spielleiter ohnehin aus dem Handgelenk schüttelt, das bleibt zu prüfen.
 
AW: Dead of Night

Also ist Tension so etwas wie die Fear Levels in Deadlands, jedoch weitaus weiter einsetzbar als jene (in Deadlands wirkt sich ein Fear Level ja primär auf die Guts Checks aus).

Klingt interessant. Jetzt muß ich mir doch mal die light-Version anschauen.

Auf einen Spielerfahrungsbericht bin ich auf jeden Fall mal gespannt.
 
AW: Dead of Night

Auf jeden Fall ist es anspruchsvoll für den Spielleiter. :)
 
AW: Dead of Night

Oh, bei RPGnow.com gibt es ja ein kostenloses (weihnachtlichtes) Dead of Night Szenario: Night of the Santa Claws.

Mal anschauen...

Auf einen Spielerfahrungsbericht bin ich übrigens immer noch neugierig.
 
Zurück
Oben Unten