Das Amulett (Fantasy)

Qel Talas

Prophet Malkavs
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11. Mai 2005
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Es war um die Mittagszeit, die Sonne stand hoch am Himmel, die Hitze war erdrückend und die Kinder rannten durch die Strassen und Gassen und spielten ausgelassen.

An den Docks wurden die Ladungen der Handelsschiffe gelöscht und die Schiffe neu beladen, die Möwen krächzten ihr Lied und die Matrosen genossen die wenige Freizeit, die sie hatten. Die meisten gingen in die Taverne, die nah den Docks zu finden war und den seltsamen Namen "schwarzer Lotus" trug. Der Name hinderte die Gäste allerdings nicht, die Speisen und Getränke zu geniessen und sich zu entspannen. Die Taverne bot auch Platz zum Schlafen für Reisende oder Leute, die kurzfristig einen Schlafplatz brauchten und auch dafür zahlen konnten.

Die Wirtin, eine Dinturan mit dem Namen Clarice, die bis vor einiger Zeit noch als Heilerin tätig war, hatte sich gedacht, dass man den Leuten auch Gutes tun könnte, wenn man ihnen Speis' und Trank gab, stand hinter dem Tresen und unterhielt sich gerade mit einem Seemann, während sie ihm sein Bier zapfte. Obwohl man ihr ihr Erbe ansah, war sie dennoch keine Frau, die man verachten würde, im Gegenteil, sie sah sehr gut aus und sicherlich hatten ihr schon mehrere Männer, vielleicht auch ein paar Frauen, Angebote gemacht, welche sie allerdings alle ausgeschlagen hatte. Sie stellte dem Matrosen den vollen Bierkrug hin und strich sich eine Strähne ihres langen schwarzen Haares aus dem Gesicht, dann sah sie sich im Schankraum um und schmunzelte. Das Geschäft lief. Es lief sogar so gut, dass sie sich wohl demnächst eine Bedienung besorgen musste. Die dunklen Augen der Dinturan betrachteten den Innenraum der Taverne und blieben auf einem Mann hängen, der nicht zu ihren üblichen Gästen passte:
Er war sehr gross und kräftig, trug einen schwarzen Lederharnisch und schwarze Lederhosen. Auch die Stiefel und Armschienen waren aus schwarzem Leder. Auf dem Rücken trug er einen Speer, der nicht ungefährlich wirkte. Die schwarzen Haare des Mannes verdeckten einen Teil seines Gesichtes, doch man konnte von dem, was man sah, auf seine Abstammung schliessen. Auch er stammte aus dem Volk der Dinturan. Der Mann sah sich im Schankraum um und ging dann mit geschmeidigen Bewegungen auf die Theke zu, die Wirtin mit seinen schwarzen Augen fixierend.

Clarice bemerkte, dass sie den mann anstarrte und wollte den Blick senken, als sie einen kurzen Blick auf die verdeckte Seite seines Gesichtes werfen konnte. Dort sah sie etwas, das ihr einen kalten Schauer über den Rücken laufen liess: Ein Symbol. Ein Symbol, das sie vor langer Zeit das letzte Mal gesehen hatte. Es sah aus wie ein Halbmond und war direkt unter dem rechten Auge. Es gab nur einen Clan in ihrere Heimat, der ein solches Symbol trug, und die Wahrscheinlichkeit, dass sie einen aus diesem Clan hier traf, war verschwindend gering. Und doch stand einer von ihnen nun direkt vor ihr und sah ihr in die Augen. "Met. Einen grossen Krug." Die tiefe und doch angenehm warme Stimme des Mannes riss sie aus der Erstarrung und eilig machte sie sich daran, dem Fremden sein Getränk auszuschenken.

Der Mann sah sich wieder im Schankraum um und betrachtete den Matrosen, der noch immer am Tresen stand und die Wirtin anbaggerte, genauer. Langsam schlich sich ein Schmunzeln auf seine Lippen und er nahm mit einem freundlichen Nicken den Krug mit Met in Empfang, welchen er sofort an seine Lippen setzte und einen grossen Schluck trank. Er stellte den Krug wieder auf den Tresen und musterte den Matrosen weiter. Clarice war das natürlich aufgefallen und sie ahnte, weshalb der Mann den Matrosen derart interessiert musterte. Er wollte sichergehen, dass dies sein Opfer war, wegen dem er hier war.
Denn die Gilde der Attentäter liess keine Fehlschläge durchgehen.

Einen Monat früher:

Der Tross bestehend aus einigen Soldaten auf Pferden und einer Kutsche bewegte sich durch den Wald. Die Bewacher der Kutsche hielten die wachsamen Augen auf die Umgebung gerichtet, zu wertvoll war die Fracht der Kutsche.

Was sie nicht sahen, war die Gestalt, die in den Ästen eines Baumes sass und den Tross beobachtete. Der Mann lehnte am Stamm des Baumes und hielt einen Speer umschlossen. Die Kutsche fuhr unter dem Ast vorbei, auf dem der Beobachter sass. Dunkle Augen blitzten auf, er holte mit dem Speer aus und warf ihn. Die scharfe Spitze bohrte sich durch das Wagendach und in die Fracht: Einen Grafen, der gegen den König rebelliert hatte und zum Abschuss freigegeben wurde. Die Kutsche stoppte hart und die Soldaten zücken ihre Waffen und schrien durcheinander. Der Attentäter sprang von dem Ast auf das Dach der Kutschte, riss den Speer aus der Leiche und dem Dach und sprang vom Dach der Kutsche ins Gestrüpp und verschwand im Dämmerlicht.

Einen Tag später traf sich der Dinturan mit seinem Kontakt und nahm seine Belohnung in Empfang. Mit regungsloser Miene verstaute er sein Gold und trat aus der Kneipe ins Sonnenlicht. Kurz überprüfte er den Sitz seiner Waffe und ging dann langsam und wachsam die Hauptstrasse entlang. Wieder ein Erfolg für ihn und seine Gilde zu verzeichnen. Perfekt. Gerade, als er sich entschlossen hatte, den Erfolg in der nächsten Taverne zu begiessen, hörte er hinter sich in einer Seitenstrasse einen leissen Pfiff. Sofort schnellte er herum, die Hand auf dem Speer.

Doch was er sah, war kein Mörder mit einem Dolch, sondern eine junge Frau in einfachen Kleidern. "Ihr seid... ein bezahlter Mörder, hab ich recht?" flüsterte sie. Der Dinturan verengte die Augen, packte die Frau am Arm und zog sie tiefer in die Seitenstrasse. "Ihr solltet auf Eure Worte achten, junge Dame. Man weiss nie, wer zuhört." Die Frau schluckte und nickte knapp. "Verzeiht mir. Aber ich brauche Eure Hilfe." Der Attentäter hob eine Augenbraue. "Meine Hilfe? Inwiefern?" Die Frau sah sich um und trat näher an den Dinturan heran. "Mein Onkel. Er hat meine Mutter getötet und ist dann geflohen. Ich habe viel Gold ausgegeben, um herauszufinden, wie und wohin er geflohen ist. Er heuerte auf einem Schoner an. Dieser ist vor zwei Tagen ausgelaufen."

Der Dinturan lauschte den Worten der jungen Frau und unterbrach sie nicht. Kurz sah er zum Eingang der Seitenstrasse, dann sah er der Frau tief in die Augen. "Und was wollt Ihr von mir?" Sie schmunzelte. "Ist das nicht offentsichtlich? Ihr sollt ihn töten und das Amulett, das er bei sich führt, mir übergeben. Es gehörte meiner Mutter und ich möchte es wieder haben... zusammen mit der Gewissheit, dass der Mörder meiner Mutter seine Strafe erhalten hat. Ich werde Euch grosszügig entlohnen." Reaper rieb sich über das Kinn und legte den Kopf schief. "Fünftausend. Zwei im Vorraus, den Rest nach Erledigung." Die Frau lächelte und ihre hellen Augen zogen ihn kurz in ihren Bann. "Einverstanden. Wir treffen uns morgen, dann gebe ich Euch das Gold." Der Dinturan nickte, liess sich den Treffpunkt sagen und verschwand dann schnell und lautlos. Am nächsten Tag nahm er sein Gold in Empfang, liess sich den Zielhafen des Schoners mitteilen und kurz darauf fuhr er an Bord eines kleinen, aber deutlich schnelleren Schiffes los, zu dem selben Hafen, doch er kannte einige Routen, die die normalen Seefahrer nicht kannten. Schmugglerrouten.

Das Schiff des Attentäters war einen Tag früher eingetroffen, als das des Ziels. Der Attentäter hatte die Seeleute bezahlt und sich dann ein Bild der Stadt gemacht, mögliche Fluchtwege ausgekundschaftet und sich ein Zimmer in einer heruntergekommenen Keinpe genommen. Dann hatte er auf das Eintreffen des Schoners gewartet. Am Morgen des nächsten Tages war er an den Docks und stand etwas abseits, zwischen einigen Kisten und beobachtete. Er wusste, wie sein Ziel aussah und konnte deshalb in aller ruhe beobachten.

Gerade als er dachte, sein Ziel würde an Bord bleiben und sich verstecken, was eigentlich eine sehr gute Idee wäre, kam der Mann den Steg herunter und schulterte einen Seesack. Reaper hob eine Augenbraue. Wie konnte der Kerl nur so verdammt ruhig sein, wenn er quasi gerade erst einen Mord begangen hatte und nun auf der Flucht war? Er prägte sich die Gestalt des Mannes ein: durchschnittliche Grösse, also klein im Vergleich mit einem Dinturan, schütteres Haar, einen Bauchansatz und er wirkte stämmig. Doch es schien, als käme das weniger von Muskeln als eher von zu gutem Essen.

Der Mann ging langsam und scheinbar sorglos die Docks entlang und näherte sich einer Taverne, die den Namen "schwarzer Lotus" trug. Der Dinturan folgte dem Matrosen mit einigem Abstand, liess ihn aber nicht aus den Augen. Nachdem der Matrose die Taverne betreten hatte, postierte sich Reaper am Ausgang und peilte die Lage. Grosser Schankraum, genug Platz für einen Kampf, mehrere Möglichkeiten für eine Flucht, wenn sie nötig sein sollte. Am Tresen stand eine grosse und kräftige Frau mit dunklem Haar. Eine Landsfrau, wie Reaper feststellte. Aber sein geschulter Blick offenbarte ihm, dass diese Frau keine wirkliche Gefahr darstellte.

Er nickte leicht und betrat die Taverne, sah sich kurz um und ging dann auf den Tresen und sein Opfer zu, welches dort sass und sich gerade ein Bier genehmigte. Kurz verzog der Attentäter das Gesicht und sah wieder die Wirtin an, die ihn unverhohlen anstarrte und plötzlich kreidebleich wurde. Sie senkte den Blick und Reaper setzte sich an den Tresen. "Met. Einen grossen Krug." Die Wirtin nickte rasch und schenkte den gewünschten Met in einen grossen Krug, sah aber immer wieder zu dem Attentäter, welcher den Matrosen musterte. Als die Wirtin den Krug vor den Dinturan stellte, nickte dieser, nahm einen kräftigen Schluck und schmunzelte. So einfach... so verdammt einfach.

Seine freie Hand glitt zu seinem Gürtel und zog den kleinen Dolch mit der dünnen Klinge aus der Scheide. Langsam stellte er den Krug ab und beugte sich nach vorn zu dem Matrosen. Seine Lippenm waren nah am Ohr des Ziels. "Deine Nichte lässt dir einen schönen Gruss ausrichten, Mörder." flüsterte er und rammte dem erstaunten Matrosen den Dolch in die Seite. Durch die spitze und scharfe Klinge spürte der Matrose keinen Schmerz, doch als der Dinturan die Klinge drehte, bäumte sich der Matrose auf und spuckte Blut. Direkter Treffer in die Niere, dachte sich der Attentäter und schmunzelte. Dann griff er dem Matrosen unter das Hemd und riss ihm das Amulett, das an einer kette um seinen Hals hing, mit einem Ruck ab. Er zog den Dolch aus dem zusammengesackten Körper des Matrosen und fixierte die Wirtin. "Ich war nie hier, verstanden?" Die Wirtin nickte und der Dinturan steckte den Dolch wieder in die Scheide, liess ein paar Goldstücke, mehr als der Met eigentlich gekostet hätte, auf den Trese fallen und verliess schnell die Taverne.

Kurz darauf bestieg er wieder das kleine Schiff, das ihn zurück nach Hause fahren würde. Und wieder ein Auftrag erfolgreich abgeschlossen. Doch aus irgendeinem Grund hatte er ein seltsames Gefühl im Magen. Es war zu einfach. Als er sich schliesslich in seiner Koje hinlegte zum schlafen, träumte er von diesen wunderschönen Augen.

Diesen wunderschönen eisblauen Augen.

[to be continued...]

(copyright by Qel Talas)
 
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