[Dark Ages Fae] Der Goldene Eid

Nightwind

Erzketzer
#StandWithUkraine
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11. September 2003
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Es war nicht leicht gewesen, trotz allem nicht. Seinem Sohn hatte er den Schlüssel zur Werkstatt übergeben, und da waren sie alle noch beherrscht gewesen. Später in der Stube, als er seine Sachen gepackt hatte, die er mitnehmen wollte, als der endgültige Abschied und das letzte Abendessen gekommen waren, da waren die Tränen geflossen. Nicht nur von seinen Töchtern und Enkelkindern.. auch bei seinen Söhnen hatte er das Schimmern in den Augenwinkeln bemerkt, und er selbst schämte sich seiner Tränen nicht. Doch sie alle wußten, dass es gut werden würde. Dass niemals für ihn einen Grabstein aufstellen müssen würde mit der Aufschrift René Gascon, geboren, gelebt und gestorben im Reiche Burgund.

Schon seit damals wußte er, dass er diesen Weg gehen würde. Viele aus dem Dorf gehen ihn, denn bei aller Fremdartigkeit, bei aller Vorsicht die dem Schönen Volk gegenüber angebracht ist, ihre Versprechen brachen sie nie, wenn sie nicht schreckliche Strafen auf sich nehmen wollen. Damals, als seine Marie sich die Lunge aus dem Leib hustete und die Kräuterfrau sagte, dass ihr nicht mehr zu helfen sei, da gab es nur eins für ihn. Er brach auf und suchte den Tempel, das Haus der Fernen Göttin oder auch Sommergekrönten Dame, oder wie sie genannt wird aus irgendwelchen Quellen, was weiß denn er. Er hatte nur Angst gehabt. Angst, dass Marie sterben könnte bevor er ihr Haus erreicht, von dem niemand weiß, wo es liegt, das aber doch alle gefunden haben müssen, die es suchten, denn von ihnen wurde nie wieder etwas gesehen.

Und René hatte es geschafft. Er hatte den Tempel gefunden, der alt und fremdländisch aussah. Er brachte Marie zum Tor, als er von einer unsichtbaren Stimme aufgehalten wurde. Nur sie durfte es durchschreiten, und er hatte ihr damals geschworen, dass er nachkommen würde. Vor sechs Jahren ist das nun gewesen, und jetzt ist er soweit. Jetzt wird er das Versprechen einfordern, das sie einst gegeben hat. Bei seiner letzten Lokalrunde in der Schenke haben ihm viele beteuert, dass sie nachfolgen werden, wie es auch schon mehrere gemacht haben, seit dem Eidschluß. Es wäre schön, drüben wieder die Kameraden und Nachbarn zu sehen, aber die Hauptsache ist, er findet Marie wieder.

Stundenlang wandert er jetzt schon durch diesen Teil der umgebenden Wälder, aber er bleibt ruhig. Einfach sind die Wohnungen des Schönen Volkes nie zu finden, das weiß jeder. Seine alten Knochen tun ihm weh, und er setzt sich auf einen alten, moosüberwachsenen Baumstumpf, sich vornehmend dass es nur für eine kurze Zeit ist, um sich auszuruhen. Schwer geht sein Atem und er wünscht sich, er hätte etwas Wasser bei sich. Es ist oft so, dass die Feen das Menschenvolk foppen wollen, trifft das etwa auch auf Sie zu? Will sie ihrem Versprechen auf so einfache Art entkommen, indem sie sich nicht zeigt? Nein... nein, dann hätte sie es gebrochen. René kommt um das einzufordern, was ihm nach dem Pakt zusteht. Sie kann ihn nicht abweisen. Er blickt auf und hält verblüfft inne, als er das Gebäude sieht. Es ist recht groß und aus Stein, mitten im Wald... dass es noch niemandem aufgefallen ist wäre mehr als verwunderlich, wenn er nicht wüßte, dass es durch Feenzauber verborgen ist, für normale Menschen. Denn so nahe wie es ist, hätte er es schon längst vorher entdecken müssen. Er lächelt, denn er ist seinem Ziel nahe.

Mühsam steht er auf, achtet auf eine gerade Haltung, die ihm in letzter Zeit schwerfällt, und geht die letzten Schritte. Der alte Tempel hat sich nicht sehr verändert, seit er das letztemal hier war, mit Marie. Er hat einmal einen Blick auf ein Bild werfen können, eines das den Palast eines Königs in Arabien zeigte.. damit besteht eine gewisse Ähnlichkeit, und doch ist es anders. Er sieht noch fremdartiger aus, mit seinen Säulen und Bögen, und mit merkwürdigen Ornamenten bedeckt, die nur noch schwer erkennbar sind, verwittert die Wände oder von Efeu überwachsen. Über dem Tor, zu dem er die alten, verfallenden Stufen hinaufsteigt, prangt eines, das noch sehr gut erkennbar ist... das einer vierarmigen Frau mit einer seltsamen Laute in den Händen. Wenn er noch einen Beweis gebraucht hätte, richtig zu sein, wäre es dieser gewesen. Er fragt sich, ob diese Göttin und ihr Tempel wohl aus einem noch ferneren Land als Arabien kommen und wie es sie wohl hierherverschlagen hat.

Er hebt die Hand und klopft an das Tor. Dumpfes Pochen setzt sich ins Innere des großen Bauwerks fort. Dann wartet er, und in der Zwischenzeit sieht er sich um, betrachtet den Tempel einmal mehr und fragt sich mit einem Frösteln, wie alt er schon sein mag, und wieviel jünger als seine Besitzerin. Sein Blick irrt zu einem der Fenster, wo er eine Bewegung zu sehen glaubte, aber dort ist nichts.
"Wass willsst du? Warum bissst du hier?" erschreckt ihn eine lispelnde Stimme von über sich fast zu Tode, obwohl er darauf hätte vorbereitet sein müssen. Genauso war es damals gewesen. Die Stimme hatte ihm dann auch gesagt, dass er nicht eintreten durfte. Heute wird es anders sein. "Ich bin gekommen, um den Pakt einzulösen." sagt er mit fester Stimme. Das Alter hilft, stellt er fest, und dass er nicht mehr viel zu verlieren, aber alles zu gewinnen hat. Der Gedanke läßt ihn lächeln. "Ja, ich will ins Feenland eintreten und Marie wiedersehen."

"Wiederssehen, ssso. Eintreten, aha. Vor die Herrin kommen willssst du." Die unsichtbare Stimme kommt plötzlich von links. "Dann öffne, öffne dasss Tor. Ssie erwartet dich bereitsss."
Er tut wie ihm geheißen, nimmt die alten Metallringe des zweiflügeligen Tores und zieht... es geht beinahe über seine schwindenden Kräfte, doch schließlich beginnt das dicke, schwere Holz zu knarren und zu bewegen. Als die Öffnung groß genug ist für ihn, hält er inne, atmet tief durch und tritt hinein.

Die Halle ist voller Säulen und steinerner Becken, von flackernden Feuern erhellt. Stufen führen zu einem Altar, und ein Duft nach orientalischem Weihrauch liegt in der Luft. Und plötzlich ist diese türkis schillernde Eidechse neben ihm und schwimmt durch die Luft wie ein Fisch durch Wasser. Verblüfft starrt er sie an, amüsiert und auf unheimliche Weise wissend starrt sie aus ihren Schlitzpupillen zurück, während sie ihn umschwimmt. "Sssie ist ganzss nahe, sssie kommt ssschon." spricht das Zauberwesen und läßt dabei ein ums andere Mal seine gespaltene Zunge sehen. Und dann tritt sie von irgendwo hinter dem Altar hervor.

Mit offenem Mund starrt er sie an. Die Zigeunerin lächelt, als sie näherkommt, langsam, den Blick auf ihn gerichtet. "Verstehst du jetzt?" fragt sie mit samtweicher Stimme, und er glaubt tatsächlich, dass er das tut. Wußte nicht jeder im Dorf, dass diese Savita mit den Feen im Bunde ist? Manchmal bezahlte sie im Dorf mit Gold, das sich am nächsten Tag in Blätter, Gras oder Blüten verwandelte. Manchmal aber auch mit echtem. Sie scheint immer etwas zu wissen, und bewegt sich mit der Selbstverständlichkeit und dem Stolz einer feinen Dame, obwohl sie doch nur eine Heimatlose ist. Die Leute im Dorf sind sich immer unsicher, ob sie sie davonjagen dürfen, wenn sie mal wieder Gras in ihrem Geldbeutel finden, und die meisten sind dazu übergegangen, andere Dinge als Geld von ihr als Gegenleistung anzunehmen. Einen Rat etwa, oder ein Zauberding (von denen die meisten auch am nächsten Tag verschwunden sind). Plötzlich ergibt alles einen Sinn. Dass der Pakt ihnen sagt, die Zigeuner zu dulden, dass sie stets wieder auftaucht und nicht davonwandert wie alle anderen ihres Volkes, dass sie mit den Feen im Bunde ist.

"Bist du... eine Priesterin der Sommergekrönten Dame?" fragt er, halb ehrfürchtig, und es scheint sie zu erheitern.
"Ja." sagt sie und mustert ihn genau. "Du bist gekommen, um dem Tod zu entrinnen und dieser Welt. Sie wird sich deiner annehmen."
"Wo ist sie?" Er schaut sich um, folgt einer Weile dem auf- und abwellenden Kreisflug der Echse um die beiden, die jetzt in hellem Blau schimmert. "Werde ich... sie sehen?" fragt er die merkwürdige Frau, die er jetzt mit anderen Augen sieht. Diese schüttelt den Kopf.
"Ihr Anblick ist zuviel für einen Sterblichen wie dich. Darum bin ich hier, als ihre Mittlerin. Folge mir. Sie wird dich ins Feenreich bringen, aber du mußt ausgeruht sein, wenn es soweit ist."
Er tut was sie sagt und folgt ihr auf dem Fuße. Sie bewegt sich sicher, so wie immer, als gehöre sie hierher, kenne Dinge von denen er nichts weiß und sei mehr als nur eine Zigeunerin. Wie er jetzt weiß, stimmt das.
"Hast du sie gesehen?" fragt er, immer noch mit gehörigem Respekt in der Stimme. Sie lächelt, was er nicht sehen kann.
"Ja. Ich bin ihr geweiht, darum geschieht mir nichts dabei. Auch du wirst sie sehen, und ihresgleichen, wenn du erst auf der anderen Seite bist und ein Teil der Feenreiche." Sie dreht sich um, tritt einen Schritt zur Seite und gibt den Weg preis durch eine Türöffnung, vor der sie den Vorhang weggezogen hat. Dahinter eine kleine Kammer... heimelig und dunkel, mit nicht mehr als einer weichen Liege als Einrichtung. "Lege dich dort hin."
Er nickt und betritt die Kammer, stellt die Tasche mit dem Wenigen, das er mitzunehmen gedenkt, sorgsam neben die Liege auf den Boden und setzt sich darauf. Nocheinmal sieht er die Zigeunerin an. "Wie sieht sie aus?"
Jetzt lacht sie leise. "Du kennst doch ihre Bilder. Sie sind überall im Dorf. Das soll dir genügen... eines Tages siehst du sie selbst, drüben."
Er nickt... das hat er sich inzwischen gedacht. Denn das ist der Teil der Menschen in diesem Pakt... in jedem Haus des Dorfes muß ihr Bildnis angebracht sein, und sei es nur ein Stall oder eine Scheune. Ein Glück, dass das Kloster des Christengottes so weit außerhalb steht und niemand es wagen mußte, dort eines dieser heidnischen Bilder anzubringen. So legt er sich hin, schließt die Augen und versucht, sich zu entspannen. Aufregung und Zufriedenheit kämpfen in ihm um die Vorherrschaft. Aber ein Gedanke bleibt größer. "Marie. Ich werde Marie wiedersehen." murmelt er.
"Ja das wirst du." haucht Savita in seiner Nähe. "Schlaf jetzt, schlaf." Ihre funkelnden dunklen Augen sind das letzte, was er sieht, als plötzlich bleierne Nacht auf ihn niederfällt mit ihren Worten.

Als der menschliche Geist in unauflöslichem Schlummer versunken ist, verändert sich die, die Savita genannt wurde vor den Augen des einzigen Beobachters, der fliegenden Eidechse. Ihre Gestalt wächst in die Länge, wird schlanker, geradezu langgezogen jedes ihrer Glieder, zwei weitere Arme werden sichtbar, braune Haut verändert sich zu warmem, glühendem Orange und die Kleidung paßt sich nicht länger den lächerlichen menschlichen Vorstellungen von der richtigen Züchtigkeit an sondern zeigt die Freiheit, die nur in einem Land möglich ist, das keine Kälte kennt. Die Echse bleibt kurz aufrecht in der Luft stehen, als Sijandi schweigend den alten Mann mit allen vier Armen aufnimmt. Sie schießt wieder durch die Luft nach hinten, zum Altar, als sie sich auf den Weg macht. Der Tempel ist schon oberirdisch weiträumig... rechts und links hinter dem Altar sind die Türen, die zu den Gängen führen... die Gänge, die zu den Treppen führen, nach oben und nach unten. Hinunter führt sie ihr weg, hoheitsvoll als wäre es eine heilige Reliquie, die sie da trägt und nicht nur ein einfacher Sterblicher.

Tief geht es hinunter, in Höhlen die schon bestanden als noch niemand je daran dachte, hier einen Tempel zu bauen... was die unbekannten Baumeister nicht daran hinderte, eine Verbindung zu schaffen und die im Weiteren ausgebauten Katakomben zu einem Teil des Tempels zu machen - jetzt zu einem Teil dieses Feenheims. Die luftschwimmende Echse folgt in kurzem Abstand, als Sijandi mit der linksunteren Hand die Tür öffnet in eine der Schlafhallen. Sie geht einige Schritte hinein und bleibt dann stehen. Ihre beiden schwarzen Augen glimmen wie glühende Kohlen, als sie sich umsieht. Das dritte ist, wie meist, geschlossen. "Ich entsinne mich seiner. Er hat vor kurzem eine Frau hierhergebracht. Wo liegt sie?" fordert sie zu wissen.
"Hier, Herrin, sssie liegt hier." antwortet die Eidechse, nachdem sie flink wie ein Pfeil durch die Luft schießt und bei einer alten Frau Halt macht, eine dunkle, menschliche Silhouette unter vielen anderen. Aber es ist noch Platz. Also geht Sijandi hin und legt den Mann sacht neben ihr ab. Dann nimmt sie die Hände der beiden und legt sie ineinander.

Als sie sich erhebt, betrachtet sie zufrieden ihr Werk. Ihre Träume werden die richtige Wendung nehmen. Manchmal hat sie solche Anwandlungen, wenn ihr langweilig ist... dann gönnt sie den Menschen ein wenig mehr als das, was sie ihres Eides wegen muß. Einmal mehr ist ihre Aufgabe erfüllt, sind ihre Bande zu dieser Welt gefestigt. Unsterblichkeit und Wohlstand, das erwarten die Menschen von jemandem, den sie verehren sollen, und Sijandi erfüllt beides viel besser als der Götze am Kreuz. Irgendwann werden alle sie wieder verehren. Es wird gelingen! Sie ist sicher.

Die Schritte ihrer bloßen Füße sind auf dem Boden nicht zu hören, als sie wieder geht, und die Eidechse fliegt sowieso lautlos. Doch auch die Geräusche der sich schließenden Steintür wecken die Schläfer nicht. Sie schlummern im Feenreich und träumen ihre Träume von der Unsterblichkeit und der Gesellschaft von Göttern.
 
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