Crimson Chant

Insane

Grosse Alte.
Registriert
30. Mai 2006
Beiträge
427
This may never start.
We could fall apart.
And I'd be your memory.
Lost your sense of fear.
Feelings insincere.
Can I be your memory?

(Sugarcult – Memory)

'Vielleicht sollte ich mit dem Rauchen anfangen.'
Es war kalt geworden. Nur der Schnee ließ noch auf sich warten, obwohl man ihn bereits riechen konnte. Nicht das es ihm viel ausmachte... der dicke Schal und die Handschuhe waren mehr Tarnung als wirklich nützliche Accessoires. Die Handschuhe waren sogar alles andere als praktisch, nahmen ihm jedes Geschick das er an den Tag hätte legen können, wenn nicht mehrere Lagen Futter und Polyester seine Finger umschlossen hätten. Aber das war Selas Weihnachtsgeschenk gewesen, und er würde – bildlich gesprochen - eines schrecklichen Todes sterben wenn er sie nicht auch benutzte.
Seufzend stampfte er weiter durch die überfüllten Straßen New Yorks und ignorierte die bettelnden Weihnachtsmannkopien, die immer noch an den Ecken herumlungerten und ihre Glocken schwangen, ein hustendes „HOHOHO!“ den Menschen entgegen schleudernd.
'Von den ganzen Bazillen ganz zu schweigen.'
Wieder eine Sache, die er getrost ignorieren konnte. Ein Wesen seiner Art hatte ganz andere Sorgen.
'Und seit wann gehört ein beseelter, vorlauter Engel dazu?'
Er ballte die Fäuste in den Taschen seines langen Mantels und fluchte leise. Seit er selbst so dumm gewesen war, die Verantwortung für sie zu übernehmen. Er war einfach viel zu sentimental. Und er und Frauen... das war sowieso ein Kapitel für sich. Vielleicht hatte er mit dieser Entscheidung etwas gutmachen wollen.
Er stutzte kurz.
Karma? Hatte der Alte in seiner Abwesenheit vielleicht wirklich so eine Art Girokonto eingerichtet, von dem fleißig ausgezahlt wurde, wenn man nur genug im Soll hatte? Egal. Wenn, dann würde sein Kontostand sowieso ein dickes fettes Minus beinhalten. Da würde auch die Adoption eines Flüchtlings wie es Selanael war nicht viel zu nutzen. Vielleicht ein paar Zahlen hinter dem Minus korrigieren, aber das wäre es auch schon gewesen.
Asmodey blieb endgültig stehen und hob den Blick zum Nachthimmel, der voller funkelnder Sterne ungewohnt klar über der Stadt prangte. Die Kälte, erinnerte er sich. Und ein wenig schärfere Augen als der Durchschnitt. Die Lichtverschmutzung, über die Astronomen regelmäßig klagten war wieder mal so eine Sache, die er im ignore-mode hatte. Zumindestens wenn er sich konzentrierte.
'Sie haben sich nicht verändert. Funkeln immer noch so wie wir sie dort hin gehangen haben.' Echos weit entfernter Orte, an die selbst die Macht des Alten nicht heran reichte, aber die er in ihrer Schönheit seinen liebsten Geschöpfen nicht vorenthalten wollte.
'Vielleicht sollte ich wirklich mit dem Rauchen anfangen.' Kopfschüttelnd trabte er weiter.
'Das würde mich zumindestens ein wenig von diesen Gedanken ablenken.'

Sie kniff die Augen zusammen und betrachtete den Gegenstand ihres Unwillens genauer. Vorsichtig drückte sie auf einen der zahlreichen Knöpfe und sah dann auf, um zu überprüfen ob der Fernseher vielleicht jetzt endlich auf ihre Befehle reagierte.
Die Bildröhre blieb schwarz.
„Aaaaaaaaarg!“ entfuhr es ihr frustriert und sie stemmte sich aus dem Meer an Kissen und Decken hoch mit dem sie es sich auf dem Sofa gemütlich gemacht hatte. „Dummes Ding.“ brummelte sie und stockte dann kurz.
„LUCIFER!!“
Der dicke schwarze Kater sah unschuldig auf und rollte sich dann wieder zusammen, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. „Dummes Katzenvieh...“ fluchte sie weiter und beugte sich vor, um nach dem losen Stromkabel zu angeln.
„Ich versteh sowieso nicht, warum du ihn nach meinem Boss benannt hast.“
„Arg!“ Sie fuhr erschrocken auf und knallte dabei mit dem Hinterkopf gegen das Bücherbord, das über dem Fernseher hing. Asmodeys samtene Stimme klang amüsiert, und als sie sich umdrehte um ihn böse an zu funkeln grinste er tatsächlich. „Weil ichs passend fand.“ erklärte sie verstimmt und rieb sich über die wachsende Beule.
„Ich bin sicher er würde es auch passend finden, einem faulen, wenig intelligenten Säugetier als Namenspatron zu dienen.“ erklärte Asmodey ruhig und streifte den Mantel ab, Schal und Handschuhe in die Taschen stopfend um ihn an die Garderobe zu hängen.
Stirn runzelnd betrachtete er den wieder weg dösenden Kater. Hatte er da ein listiges Blitzen in den grünen Tieraugen ausgemacht, als es kurz auf seine Stimme reagiert und aufgesehen hatte? „Passt wohl wirklich.“ murmelte er und zuckte leicht mit den Schultern.
Der wirkliche Lucifer hatte Humor. Asmodey machte sich vielmehr Sorgen darüber was er mit ihm anstellen würde, wenn er heraus fand das seine Mitbewohnerin ein Engel war.
Wobei... Engel...
Sela fluchte leise weiter und schaffte es schließlich mit einem leisen Jauchzen das Stromkabel wieder anzuschließen. Vergnügt zum Sofa zurücktribbelnd ließ sich sich in die Kissen fallen und griff nach der Fernbedienung. „Faulheit ist eine Todsünde.“ erinnerte er sie nüchtern und erntete ein abfälliges Abwinken, bevor sie in der Betrachtung der gerade laufenden Werbung versank.
Achselzuckend griff er in sein Haar, um die schneeweißen Massen zu einem Knoten auf zu türmen und dann in Richtung Küche zu schlendern.
Er selbst brauchte ja eigentlich nichts, aber ein Nachteil einer Seele waren gewisse körperliche Grundbedürfnisse wie zum Beispiel Essen. Und er hatte zu seiner eigenen Überraschung festgestellt, das es ihm Spaß machte... Tomaten, Paprika schneiden... Fleisch panieren... Soßen ausprobieren... Schmunzelnd schob er die Ärmel seines Pulli hoch und öffnete den Kühlschrank, um das Gemüse herauszuholen. Besser als das überall so populäre Fastfood war es allemal, was er da zusammenkochte. Und Sela schmeckte es.
'Ich bin zwar kein Sternekoch, aber das wäre ja noch schöner.' erinnerte er sich selbst und begann das Abendessen vorzubereiten.

Er fühlte sich leer. Irgendetwas stimmte nicht. Irgendetwas Essentielles war falsch. Das Leuchten war aus seinen himmelblauen Augen verschwunden, und das der Wind die platinblonden Strähnen seines Haares in sein Gesicht peitschte bemerkte er nicht einmal. Der onyxfarbene Blick des anderen hing an ihm, hart und kalt wie Stein.
„Sag das noch einmal....“ flüsterte die leise Stimme, und der blonde Engel straffte langsam die Schultern.
Es war still auf der Welt.
Das Dröhnen und Grollen der Drachen war schon vor Äonen verstummt, und irgendwo tummelten sich die neuesten Geschöpfe ihres Herren, die von ihnen... seinen ersten Kindern... teils neugierig, teils aber auch missmutig betrachtet wurden. Aber sie waren weit weg, interessierten ihn in diesem grausamen Moment nicht. Es gab nur diesen kalten Blick, die krächzende Stimme und die Leere in seinem Inneren.
„Atair...“ hauchte er und ballte die Hand vor seiner Brust zur Faust. Die Wahrheit hatte sie immer verbunden. Die Wahrheit welche die anderen abgeschreckt und am liebsten ignoriert hatten. Auch wenn sie unterschiedlicher Ansicht waren was das „Wie“ anbelangte, das „Warum“ galt für sie beide. Hatte es bisher immer.
„Du weißt nicht was du getan hast, Asmodiel.“ schnitt der dunkle Engel tiefer in sein Herz und wandte sich heftig keuchend ab, das Gefieder der strahlend weißen Flügel gespreizt. Er hatte Angst?
Der blonde Engel starrte Atairs Rücken an und hob langsam die Hand, um beruhigend über die weichen Wogen der Schwingen zu streichen, aber dessen Besitzer zuckte so heftig zusammen das er dieses Vorhaben schnell aufgab.
„Du weißt nicht was du getan hast!“ brüllte Atair auf, und als er wieder herumwirbelte zuckte Asmodiel zurück. Fassungslos beobachtete er, wie sich der Horizont von schweren Gewitterwolken verdunkelte und das Dämmerlicht sie erfasste. Wie sich Atairs Gestalt zu wandeln begann und sein Gesicht jeden Ausdruck verlor.
„Du weißt nicht... was du getan hast.“ wiederholte er zum dritten, dieses letzte Mal leise und gebrochen. Und dieses Mal schnitt die Stimme zu tief in sein Herz. Ein kurzer aufflammender Schmerz war alles was er fühlte, als es brach. „Was habe ich denn getan? Ich habe die Wahrheit hochgehalten, die zwischen uns steht! Ich habe dir gesagt das ich dich liebe! Und nur dich allein! ATAIR!“ schrie er ihm entgegen, das Grollen des näher kommenden Donners übertönend.
Der Wind peitschte sein Haar zurück, und voller Entsetzen sah er die Resignation in Atairs Augen, als ihn etwas packte und das Aroma von Blut und verbrannten Federn das letzte war, das er bewusst wahrnahm. Alles andere was danach kam... Schmerz, endloses Fallen, ewige Dunkelheit... wurden von der Leere in seinem Inneren erstickt.
Dann eine andere Stimme, leise und honigsüß.
„Willkommen, Asmodeus. Du bist hier unter den deinen.“
Und die Geburt eines Wesens, von dem sich niemand hatte vorstellen können, das es einst einer der höchsten Engel Gottes gewesen war.
Die Geburt einer quecksilbrigen Schlange.
Asmodeus.


„Asmodey!“
Schweißgebadet schreckte er auf, die kühle Hand des Engels auf seiner Schulter.
„Du hast geschrien...“ flüsterte sie voller Schrecken. Ihre grauen Augen waren geweitet, das lange dunkelblonde Haar noch wirr vom Schlaf, aus dem er sie wohl geweckt hatte.
„Tut mir leid.“ murmelte er und rieb sich über das Gesicht. Er war eingeschlafen? Ein Traum... Tief durchatmend betrachtete er seine Hände. Seit wann träumte er? Und dann auch noch so einen pathetischen Schwachsinn. Als ob Atairs Korb ihn damals auf die Seite der Revolte getrieben hatte, der er am Ende seinen Fall verdankte. Als ob das alles damals so simpel gewesen war.
„Schlaf weiter.“ Er stemmte sich hoch und schob sich das einst blonde, aber nunmehr ausgebleichte Haar aus dem Gesicht.
Sela musterte ihn sorgenvoll. „Ist alles okay? Ich meine... du bist ein... eh... und ich dachte... ihr träumt nicht... aber du hast da gelegen wie tot, bis du aufgeschrien hast... und... das hat mir Angst gemacht.“ schloss sie leise und er fühlte ihren Blick trotz der Unsicherheit ihrer Worte unnachgiebig an ihm haften.
Langsam zuckte er mit den Schultern.
„75 Jahre auf dieser Ebene haben auch auf uns Einfluss. Der Fleischanzug, weißt du?“
Er grinste und sah auf, um über ihr Schaudern leise zu lachen.
„Ich mag es nicht wenn du das so nennst.“ „Aber es trifft es doch, nicht?“ „Ja, schon, aber...“ Sie verzog das Gesicht. „Fleischanzug.“ wiederholte sie seine Wortwahl von Ekel erfüllt. „Das klingt, als ihr euch menschliche Häute überzieht wie andere Leute Kleidung.“
„Ganz so einfach ist es nicht, aber im Grunde...“ begann er und stoppte prustend, als er ihr Gesicht sah.
Die Unterschiede zwischen Dämonen und Engel waren ein Thema für sich, aber Selas Reaktion auf seine Ausführungen erheiterten ihn. Im Grunde sammelte er die Atome, die auch einen menschlichen Körper bildeten um das, was sein eigentliches Wesen war. Die kleinsten Bestandteile des Lebens legten sich um sein Wesen wie ein Anzug und nahmen sogar die Gestalt an, die er seit dem Anbeginn aller Zeit und seiner Geburt gehabt hatte. Nach Gottes Ebenbild geschaffen... die Menschen vergaßen, dass das nicht nur auf sie zu traf, wenn sie von Engeln als reine Energiewesen sprachen. Sie waren nicht in dem klassischen Sinne körperlich, aber auch sie hatten Gesichter, Leiber, sogar Geschlechter. Ein perfektes Abbild Gottes, der beide Geschlechter in sich vereinte und jeden von ihnen den Impuls eines davon eingepflanzt hatte.
Das er selbst Gott als Mann bezeichnete war dumme Angewohnheit. Embla hatte immer die weibliche Bezeichnung bevorzugt und es abwinkend damit begründet, das sie eben den weiblichen Impuls in sich trug, im Gegensatz zu ihren Zwilling.
Embla.
'Frauen und ich. Ein ganz eigenes Thema.'
„Wirklich alles okay?“
Er nickte mechanisch und sah dann wieder auf. Das er plötzlich in anderen Welten zu schweben schien, gefangen von seinen Grübeleien und Gedanken kannte sie schon. Das ängstigte sie nicht so sehr wie einen von Alpträumen geplagten Dämonen. „Gut. Dann geh ich jetzt wieder schlafen.“ verkündete sie grinsend und huschte davon, um ihn im Wohnzimmer alleine zu lassen. Die Reste ihres Abendessens standen noch auf dem Tisch, und seufzend ließ er sich wieder auf den Sessel sinken und griff nach dem verschmähten Rest eines Steaks, um es sich zwischen die Lippen zu schieben und langsam daran herum zu kauen.
'Atair. Warum denke ich plötzlich wieder an ihn?' fragte er sich stumm und schob sich tiefer in den Sessel. Das letzte Mal, das er ihn getroffen hatte war bei der Sache mit dem Seelenhändler gewesen. Keine Geschichte an die er gerne dachte, verdankte Sela ihr doch die Seele, die sie aus den Himmlischen Gefilden in seine Obhut verbannt hatte. Und mehr als den Hauch einer Ahnung, das er in seiner Nähe gewesen war war es auch nicht gewesen.
'Liebst du ihn eigentlich immer noch?' hatte sie ihn damals gefragt. Ob das eine Rolle spielen würde hatte er sie im Gegenzug gefragt. Und es spielte auch keine Rolle. Asmodeus liebte niemanden außer sich selbst. Respekt gegenüber seinen Vorgesetzten, Vorsicht gegenüber solch selbst für ihn oft undurchsichtigen Wesen wie Lilith, eine gewisse Verantwortung und Wohlwollen für Ausnahmefälle wie den im Nebenzimmer schlafenden Engel, aber Liebe? Die Fähigkeit dazu hatte er mit seinen Flügeln verloren.
Die Narben juckten, und missmutig rieb Asmodey seinen Rücken an der Sofalehne.
„Und wenn, dann bestimmt nicht diesen aufgeblasenen Wendehals.“ murmelte er bestimmt und stemmte sich wieder hoch, um nach seinem Musikplayer zu greifen. Harte, laute Musik, um seine Gedanken zu übertönen und seine Ohren kaputt zu machen.
'Vielleicht sollte ich doch mit dem Rauchen anfangen.'
 
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