Rezension Battle Royale 1 [B!-Rezi]

Little Indian #5

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Battle Royale Band 1


Die Geschichte von Battle Royale spielt in einer Parallelwelt, in der die „Große Ostasiatische Republik“ (unschwer zu erkennen als Japan), eine nationalsozialistische Militärdiktatur, mit den anderen Supermächten der Welt, vor allem Amerika, im Wettstreit liegt. In regelmäßigen Abständen führt die GOR das „Programm“ durch, eine Art Spiel, an dem ausgewählte dritte Klassen der Mittelschule teilnehmen.
Dies erfahren die 42 Schüler der Klasse 3B der Shirowa Mittelschule eines Tages am eigenen Leib, als sie auf einer vermeintlichen Klassenfahrt mit Gas betäubt werden und später auf der von der Zivilbevölkerung geräumten Insel Okishima wieder erwachen. Ein betont freundlicher Mann stellt sich ihnen als Yonemi Kamon vor und erklärt, dass er der neue Klassenlehrer und die Klasse 3B dazu auserwählt sei, in diesem Jahr am „Programm“ teilzunehmen. Er erklärt ihnen die Regeln: Jeder Schüler erhält eine „Grundausrüstung“ besteht aus einigen Nahrungsvorräten, Karte, Kompass und einer zufällig ausgewählten Waffe, wobei von einer Gabel über Fleischerbeil und Armbrust bis hin zur Maschinenpistole die ganze Bandbreite an Tötungsinstrumenten abgedeckt ist. Dann müssen die Schüler nacheinander die Schule, in der sie sich befinden, verlassen. Ihre Aufgabe besteht ausschließlich darin, ihre Klassenkameraden zu töten. Das Spiel geht solange, bis es nur noch einen Überlebenden gibt, den „Gewinner“. Um sicherzustellen, dass die Schüler kooperieren, hat man jedem von ihnen ein Halsband verpasst, das einen Sender, eine Sprengstoffladung und (was die Schüler nicht wissen) ein Mikrofon enthält, mit dem man ihre Gespräche abhören kann. Um zu verhindern, dass die „Spieler“ sich einigeln und zu passiv werden, ist die Insel in Planquadrate aufgeteilt, von denen in regelmäßigen Abständen einige für „gefährlich“ erklärt werden. Wer sich in einem gefährlichen Planquadrat aufhält, dessen Halsband explodiert. Dasselbe gilt, wenn ein Spieler versucht, die schwer bewachte Insel zu verlassen. Außerdem explodieren sämtliche Halsbänder, wenn 24 Stunden lang niemand getötet wurde und es noch mehr als einen Überlebenden gibt.
Natürlich sind die Schüler empört und weigern sich, mitzumachen, aber nachdem Kamon zwei von ihnen, unter anderem den Jungen Yoshitoki, wegen mangelnder Kooperationsbereitschaft kaltblütig getötet hat, erkennen sie, dass sie keine andere Wahl haben als zumindest zum Schein am Spiel teilzunehmen.
Während einige von ihnen aus Angst und Verzweiflung aber auch aus sportlichem Ehrgeiz und Lust am Töten heraus damit beginnen, ihre Mitschüler zu ermorden, wählen andere den Selbstmord oder schließen sich zu kleinen Gruppen von Freunden zusammen. Aber die Regeln des Spieles machen es natürlich denkbar schwer, einander zu vertrauen und es zeigt sich schnell, dass die skrupellosesten und unbarmherzigsten Einzelgänger am erfolgreichsten sind. Hauptfigur der Geschichte ist Shuya Nanahara, der sich dazu entschließt, das Mädchen Noriko Nakagawa zu beschützen, weil sein ermordeter bester Freund Yoshitoki in Noriko verliebt war. Shuya will trotz der bestehenden Sicherheitsvorkehrungen versuchen, von der Insel zu fliehen. Hierzu will er möglichst viele der Jugendlichen vereinen, muss aber schnell erkennen, dass nicht alle zur Zusammenarbeit bereit sind. Einen großen Schritt vorwärts machen seine Fluchtpläne allerdings, als sich Shogo Kawada ihm und Noriko anschließt. Denn Shogo hat bereits einmal am „Programm“ teilgenommen. Und gewonnen…

Battle Royale hat bereits eine lange Geschichte und einen Weg durch verschiedene Medien hinter sich: 1999 wurde die von Koushun Takami ersonnene Story erstmals als Roman aufgelegt, im Jahre 2000 gab es eine Filmversion, die 2003 eine Fortsetzung erhielt. Von 2002 bis 2006 erschien die von Tokyopop auf Deutsch veröffentlichte Manga-Adaption mit Zeichnungen von Masayuki Taguchi im Young Champion Magazine.

Ich habe seit dem Anschauen des ersten Saw-Films kein solches Gefühl echten körperlichen Unwohlseins bei der Rezeption einer fiktiven Geschichte mehr gehabt wie beim Lesen von Battle Royale – und das ist als Kompliment gemeint.
Nach einer kurzen Einleitung wird der Leser – genauso wie die Schüler, die fortan um ihr Leben kämpfen müssen – ins kalte Wasser geworfen. Unvermittelt bricht die Darstellung des idyllischen Alltags der Schüler ab und weicht Bildern zerfetzter Leichen und extrem blutiger Tötungen.

Aber Battle Royale ist ganz bestimmt kein plumper Splatter-Comic. Die psychologische Komponente kommt nämlich auch nicht zu kurz. Takami nimmt sich die Zeit, die einzelnen Figuren ausführlich (durch Rückblenden) vorzustellen. Dadurch erlangen sie eine Tiefe, die sie eben zu mehr macht als ein paar asiatischen Teenagern in Schuluniformen, die sich gegenseitig umbringen. Und genau deshalb bewirkt der Tod der Figuren, die man vorher kennen gelernt hat, eine tiefere Reaktion als wenn sie nur bloßes „Kanonenfutter“ wären.
Durch die Rückblicke und die zahlreichen ruhigen Phasen der Geschichte erhalten auch die (natürlich) immer wieder auftretenden heftigen Gewaltdarstellungen ein größeres Gewicht als in einer Geschichte, die durchgehend auf Kampf und Tötung setzt.
Natürlich enthalten die 42 Schüler eine Menge Klischeefiguren: So gibt es auch hier das Sport-As, die Schlampe, das schüchterne Mädchen, den Außenseiter, den Schulhofschläger usw. Aber durch die Rückblicke erfährt man – zumindest bei vielen – wie sie in diese Rolle gewachsen oder gedrängt worden sind. Und das ist schon allein deshalb interessant, weil man eben viele der „Rollen“ aus zahlreichen Splatterfilmen kennt und hier wirklich einmal mit den Hintergründen solcher stereotyper Charaktere konfrontiert wird. Mal abgesehen davon, dass bei der großen Zahl der handelnden Personen durchaus auch einige originelle und differenzierte Charaktere dabei sind.
Battle Royale schildert natürlich eine unrealistische Extremsituation eines Spieles, in dem die Teilnehmer sich gegenseitig töten müssen, obwohl sie sich eigentlich mehr oder weniger gut kennen und teilweise sogar miteinander befreundet sind. Trotzdem gelingt es Takami, hier ganz klassische und alltägliche Probleme des japanischen Schulalltags (der insofern wohl noch deutlich härter sein dürfte als der hier in Deutschland) wie Mobbing, Vereinsamung, Teenager-Schwärmereien und Cliquenbildung anzusprechen und natürlich auf die Spitze zu treiben. Dass bestehende Beziehungen in der paranoiden Situation eines Spiels mit der Pflicht zur gegenseitigen Tötung in Extreme getrieben werden, ist wohl klar und wird hier sehr schön (und auch durchaus nachvollziehbar) dargestellt.

Die Zeichnungen Taguchis sind sehr detailliert, aber (zum Glück) nicht nur bei den blutigen Details – von denen es nichtsdestotrotz einige zu sehen gibt. Anders als bei billig produzierten Mangas wird hier auch Wert auf eindeutig ausgearbeitete Hintergründe gelegt.
Die verschiedenen Figuren sind (trotz einheitlicher Kleidung) gut voneinander zu unterscheiden, was aber vor allem deshalb gelingt, weil die Darstellung oft überzogen und fast schon karikierend wirkt. Auf den ersten Blick scheint es so, dass Schüler höchst unterschiedlichen Alters hier dieselbe Klasse besuchen. Tatsächlich ist es aber so, dass die Zeichnungen vor allem die durch die Rückblenden vorgenommene Charakterisierung fortführen: Schüler, die sich ein kindlich-friedliches Gemüt bewahrt haben, werden jünger dargestellt als diejenigen, die bereits „erwachsener“ sind.

In der deutschen Ausgabe hat Tokypop gegenüber der amerikanischen Veröffentlichung jeweils drei Bände zu einem Großband zusammengefasst. Außerdem wurde nicht das übliche Taschenbuch-Format sondern ein größeres Paperback-Format gewählt, das Tokypop (Deutschland) den Serien vorbehält, von denen man sich besonders große Beachtung (und wohl auch einen besonders großen wirtschaftlichen Erfolg) verspricht. Die Zeichnungen werden durch die größere Darstellung natürlich eindrucksvoller, allerdings sind auch die Schatten erzeugenden Rasterfolien einfach mit vergrößert worden, was vielen Bildern ein etwas körniges Aussehen gibt. Trotzdem ist das Großformat und vor allem das Zusammenfassen der Bände eine gute Entscheidung des Verlags.
Unverständlich ist allerdings die Entscheidung des Übersetzers, die Geschichte in den Dialogen doch etwas abzumildern und ihr dadurch einiges an Härte zu nehmen. Immerhin wurden die Gewaltdarstellungen auch nicht abgemildert. So wird zum Beispiel in einer Rückblende die junge Yoshimi von ihrer Mitschülerin Mitsuko zur Prostitution überredet. Als sich herausstellt, dass Yoshimi noch Jungfrau ist, ruft Mitsuko in der englischen Version (ganz die knallharte gefühllose Geschäftsfrau die sie ist) „Ten Bucks more for a virgin!“, was in der deutschen Version fehlt. In einem anderen Rückblick hat Mitsuko ein Verhältnis mit einem Boxer angefangen, diesen mit Drogen und Sex außer Gefecht gesetzt und ihn dann um alle seine Wertsachen erleichtert. Dann ruft sie ihn in seinem Wagen an und erklärt ihm, dass sie erst fünfzehn sei und ihn bei der Polizei anzeigen werde, woraufhin der Boxer das Steuer seines Wagens loslässt, mit diesem über eine Klippe fährt und sich so selbst tötet. So jedenfalls die englische Version. In der deutschen Version spricht Mitsuko während des Telefonats über ihre Brüste, was zu einer Halluzination des Fahrers führt, sodass dessen Tod eher als Unfall erscheint denn als Selbstmord.

Fazit:
Jeder, der sich auch nur ansatzweise für Mangas interessiert und sich nicht von der detaillierten Darstellung von Gewalt (und Sex) abschrecken lässt, kommt an Battle Royale nicht vorbei. Ganz bestimmt nichts für Kinder oder zart besaitete Erwachsene, ist diese Serie für alle anderen ein fast schon physisches Erlebnis. Trotz leicht entschärfter Dialoge ist die deutsche Fassung in der Gewaltdarstellung „ungeschnitten“ und aufgrund der Zusammenfassung in Großbände augen- und benutzerfreundlich.

Nutzen für Rollenspieler: Mittel
Welchen Spielleiter reizt es nicht, die Spielercharaktere in einem „Player versus Player“-Modus aufeinander zu hetzen? Dafür eignet sich ein an Battle Royale angelegtes Abenteuer natürlich hervorragend, das man auch mit wenig Aufwand in einen Science Fiction- oder sogar Fantasy-Hintergrund integrieren kann.
Will man sich näher an die Vorlage halten, so liefern die Comics selbst gutes Quellenmaterial: Neben einer ausführlichen Beschreibung der Regeln und der eingesetzten Überwachungs-Hardware gibt es ein Karte der Insel, zahlreiche detaillierte Zeichnungen der dort vorhandenen Orte und genaue Beschreibungen der an die Schüler ausgehändigten Waffen.
Tatsächlich gibt es auch bereits eine Rollenspiel-Version des Manga zum Gratis-Download, und zwar hier.
Allerdings wird sich ein sorgfältiger Spielleiter Gedanken darüber machen müssen, wie man es schafft, dass mehrere Spielercharaktere ein entsprechendes Abenteuer überleben können (es sei denn, man will das gar nicht oder das Ganze war eh als one-shot geplant). Hier könnten ja die Regeln des Killerspiels so modifiziert werden (wie im Film Mean Guns, der ein ganz ähnliches Killerspiel darstellt, allerdings in der Abgeschlossenheit eines verlassenen Gefängnisses), dass vielleicht die letzten zwei (oder drei) Überlebenden „siegen“, was natürlich eine Grüppchenbildung forcieren würde.Den Artikel im Blog lesen
 
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