Rezension 3:16 - Carnage Amongst The Stars

Silvermane

Wahnsinniger
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3:16 Carnage Amongst the Stars


Military-SF RPG


3:16 - Carnage Amongst The Stars ist ein böses kleines Indie-Rollenspiel um böse Leute, die böse Dinge tun. Also rein in die Mandelbrite-Panzerung, die Energiegewehre eingepackt und runter auf den Planeten, heute Abend steht ein waschechter Genozid auf dem Spielplan. Mit den Spielern in der Täterrolle. Und wir werden alle einen Heidenspass dabei haben. Oder draufgehen. Oder beides!

Allen denjenigen, die bei Worten wie "Militär-SF", "Genozid", "Orbitalbombardement" und "subtaktische Atomgranate" Beklemmungen oder Anfälle moralischer Entrüstung bekommen sei an dieser Stelle empfohlen, diesen Review zu verlassen und sich wieder ihren Feld-, Wald- und Wiesenelfcharakteren zuzuwenden. All diejenigen, die bei diesen Worten freudig erregt nach ihrem Kettenschwert schielen, finden die Links zum Bestellen von 3:16 am unteren Ende des Reviews.

Das Buch:
3:16 - Carnage Amongst The Stars ist ein 98-seitiges Softcover im Landscape-Format (also breiter als hoch). Ebenso ist eine PDF-Version davon erhältlich. Das Layout ist zweispaltig, mit relativ vielen Illustrationen aufgelockert; der Stil dieser Illustrationen ist sicher nicht Jedermanns Geschmack; der Stil ist fast expressionistisch, viel Schwarz und skizzenhaft-unsauber. Er passt allerdings zum Spiel wie die Faust aufs Auge. Der Text ist weitestgehend fehlerfrei und gut verständlich. Einige Mikroprosastücke dienen als Kapitelopener und untermalen das Kriegsthema von 3:16.

Das Setting:
Wie für Indie-Rollenspiele typisch (und zum Artwork passend) ist das Setting nur grob umrissen. Terra ist ein Paradies, es gibt keine Armut, kein Verbrechen und keine Ungerechtigkeit mehr, die Menschheit ist geeint, und die Lebenserwartung ist nahezu unbegrenzt. Und um diesen hohen Lebensstandard zu halten hat Terra die 3:16, die 16. Brigade der 3. Armee in die Weiten des Universums entsendet, um dort alle potentiellen Gefahrenquellen, hauptsächlich Aliens, fremde Kulturen und Lebewesen, aufzuspüren...und auszurotten.
Alle Spieler sind Mitglieder der 3:16, beginnen auf den unteren Diensträngen, und arbeiten sich die Karriereleiter hoch.
Jeder Dienstrang hat Order, an die er sich zu halten hat ("Order 1: Kill as many lifeforms as you can.", z.B. ist der Befehl für alle Trooper, welche den untersten Dienstrang darstellen); je weiter man durch die Ränge aufsteigt, desto mehr Order werden es, und desto klarer wird es auch, was die 3:16 da draussen wirklich treibt...

3:16 hat eine recht klare Kampagnenstruktur und ein recht klar vorgezeichnetes Endgame:
Die 3:16 ist die eigentliche Gefahr für die paradiesischen Zustände auf Terra: Alle antisozialen, unzufriedenen, aufwieglerischen und anderweitig gefährlichen Elemente landen früher oder später in den Rängen der 3:16, und der Befehl des Oberkommandierenden (der Brigadegeneral der 3:16) lautet sicherzustellen, das die 3:16 NIEMALS ZUR ERDE ZURÜCKKEHRT! Die ganzen toten Aliens sind mehr ein nützlicher Nebeneffekt...

Eine Kampagne besteht aus ca. 10-20 Missionen, welche je nach SL und Gruppe zwischen knapp einer Stunde und einer regulären Spielsitzung dauern können. Es ist durchaus möglich, eine Kampagne an einem einzelnen Tag zu schaffen, wenn man sich beeilt.

Das System:
Die Charaktere in 3:16 beginnen weitgehend farblos und entwickeln dann im Verlauf des Spiels ihre Persönlichkeit. Daher gestaltet sich die Charaktererschaffung äußerst simpel:
Es gibt 2 Fähigkeiten: "Fighting Ability (FA)" (alles was mit Kämpfen zu tun hat) und "Non-Fighting Ability (NFA)" (alles was NICHT mit Kämpfen zu tun hat). Zwischen diesen beiden Fähigkeiten gilt es 10 Punkte zu verteilen. Der Spieler mit der höchsten NFA wird Sergeant, der mit der höchsten FA sein Corporal. Der Rest sind Trooper. Die Spieler erhalten die ihrem Rang entsprechende Ausrüstung. Dann bekommt jeder noch einen Namen (für ganz Unentschlossene findet sich eine Liste mit 40 Namen hinten im Anhang) und eine Reputation (eine kurze Beschreibung wie z.B. "sexistischer Drecksack", "Mutter der Kompanie" oder "ewiger Pessimist").

Das grundlegende System ist 1W10 - Rollunder, wobei hohe Ergebnisse generell mehr mehr wert sind als niedrige.

Jeder Spieler bekommt ausserdem Zugriff auf 2 Flashbacks, eine Stärke und eine Schwäche. Diese sind begrenzt (auf je 5, über die ganze Kampagne verteilt) und dienen sowohl als Trumpfkarten, um aus potentiell tödlichen Situationen zu kommen, wie auch zur Definition der Persönlichkeit des Charakters. Wenn ein Spieler einen Flashback einsetzt, dann erzählt er eine kurze Episode aus der Vergangenheit des Charakters, und wie sie zur momentanen Situation passt. Im Falle einer Stärke beendet er den aktiven Konflikt erfolgreich, und qualifiziert sich für eine Beförderung. Im Falle einer Schwäche kommt er unbeschadet aus dem aktiven Konflikt (der allerdings für die anderen Beteiligten nicht beendet ist!) und riskiert eine Degradierung.

Stärken und Schwächen können Persönlichkeitsmerkmale sein ("unbarmherzig", "Feigling"), Talente ("Xenobiologe", "taktisches Genie") oder auch ungewöhnliche Dinge wie "bionische Implantate", "Berserkerrausch" oder "Schokoriegel geben mir Kraft!". Stärken und Schwächen können nur ein einziges mal verwendet werden und sind danach verbraucht; die dadurch etablierten Fakten sind danach Kanon und können nicht mehr revidiert werden.

Kämpfe werden zumeist zwischen den Charakteren und den Einwohnern des zu entvölkernden Planeten ausgetragen. Zunächst wird die Entfernung etabliert (ein vergleichender Wurf zwischen der NFA der Spieler und der Alien Ability (AA) der Aliens. Je nach Ausgang entsteht entweder ein Hinterhalt (die Seite kann variieren), die Spieler legen die Entfernung fest, oder die Aliens legen die Entfernung fest. Es gibt 3 Distanzen, Close, Near und Far, und die Waffen der Spieler (und NUR die der Spieler) sind auf diese 3 Distanzen unterschiedlich effektiv.
Die Schiessprügel der Spielercharaktere sind dermassen tödlich das nicht gewürfelt wird, ob ein Alien tot umfällt, sondern lediglich wie viele.

Der Spielleiter erhält eine gewisse Anzahl an Threat Tokens (normalerweise Spieler x5) pro Planet, und kann diese auf die verschiedenen anstehenden Konfrontationen aufteilen. Im Falle eines "Treffers" (erfolgreicher FA-Wurf im Kampf) entfernt der Spieler eines dieser Tokens und würfelt aus, wie viele Aliens er gekillt hat. Sind alle Tokens verbraucht, gilt der Planet als "entvölkert", und die 3:16 macht sich zum Nächsten auf.

Das Kampfsystem ist recht simpel, und kann als Minimalsttabletop verstanden werden; es ist allerdings erheblich spassiger, wenn man einen passenden Narrativ drumherum strickt.

Nachdem der Planet der Abends entvölkert wurde, geht es an die Auszählung: Der Spieler mit den meisten Kills steigt eine Stufe auf, und verteilt einen Punkt auf NFA oder FA; ausserdem erhält er eine weitere Stärke oder Schwäche freigeschaltet. Die verbliebenen Spieler würfeln 1W10; der höchste Wurf steigt ebenfalls auf. Danach darf jeder noch seine Waffe verbessern (den Killwert einer Distanz um eine Stufe anheben), und auf NFA würfeln. Im Falle eines Erfolgs steigt er entweder einen Rang auf (wenn er auf diesem Planeten eine Stärke eingesetzt hatte), oder darf eine weitere Waffe verbessern, oder bekommt eine neue Waffe/einen neuen Ausrüstungsgegenstand.

Ausrüstung und anderes Spielzeug:
Ausrüstung hat eine innerhalb des System genau definierte Funktion: Kampfdrogen z.B. erlauben es dem Benutzer einmal pro Planet einen FA-Wurf zu wiederholen, die Mandelbrite-Rüstung erlaubt es, einen potentiell tödlichen Treffer pro Planet zu ignorieren, Drop Pods erlauben einen automatischen Hinterhalt beim ersten Konflikt eines Planeten etc. pp. Viele der interessanteren Spielsachen wie TPK-Bomben (Atomgranaten!), Orbitalbombardements, APCs und Dropships stehen erst den höheren Rängen zur Verfügung, was für die Spieler einen Anreiz darstellt, die Karriereleiter zu erklimmen. Die Ausrüstungsliste ist eher allgemein gehalten (Energiegewehr, Flammenwerfer, Schrotflinte anstatt von 25 Modellen von jeder Sorte mit angeschlossenem Kapitel über Zubehörteile), gewinnt aber durch die regeltechnischen Reperkussionen jedes einzelnen Gegenstandes unheimlich an Substanz. Kein Gegenstand, keine Waffe ist wirklich unnütz, im Gegenteil.
Das Arsenal umfasst nahezu alles, was man in einem durchschnittlichen Zug Space Marines/Starship Troopers/Colonial Marines vermuten würde, ebenso wie eine reichhaltige Auswahl an Massenvernichtungswaffen.

Was nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist:
Das 3:16 zugrundeliegende System sorgt für einen Kokurrenzkampf unter den Spielern - und das ist beabsichtigt! Subtile kleine Regeln wie z.B. die Chance, seine vorgesetzten Mitspieler durch (un)geschickten Einsatz von Granaten zu entsorgen und durch Feldbeförderung an deren Rang zu kommen, oder die Möglichkeit der untersten Ränge eine Schwäche in ihren Vorgesetzten zu provozieren, kombiniert mit der Tatsache das nur derjenige mit den meisten Kills mit Sicherheit ein Stück vom Kuchen abbekommt sorgen dafür, das eben keine allzugroße Harmonie am Spieltisch herrscht. Das die höheren Ränge dann auch noch die effektiveren Waffen haben oder einen anderen Spieler zum Pilotendienst in ihrem APC verdonnern (was die Chancen auf hohe Killzahlen massiv ruiniert) sorgt zusätzlich für Animosität. Und dann ist da noch der Punkt das die letzte Schwäche bei allen Spielern IMMER "Haß auf Terra!" ist...man kann sich vorstellen, wie eine Kampagne endet.

...und das macht Spass???
Unheimlichen sogar. Zunächst einmal kann man ungehemmt die Sau rauslassen - 3:16 hält sich nicht mit Moral, Verletzungen oder anderem ausbremsenden Mist auf. Bereits auf dem ersten Planeten werden Orden verteilt, Aliens zu Hunderten von den Spielern am Tisch umgemäht und gegeneinander agiert, und bereits ab dem 2. Planeten können Orbitalbombardements ins Spiel gebracht werden. Dank des einfachen und superschnellen, aber dennoch überraschend taktischen Systems dauert ein Planet nicht mehrere Wochen, sondern kann zügig innerhalb weniger Stunden Realzeit entlaubt, seiner Bodenschätze beraubt und entvölkert werden. Und dank des Flashback-Mechanismus entsteht trotz all des Zeitraffer-Genozids aus einem Abziehbild-Trooper ohne Vergangenheit langsam eine Persönlichkeit. Je nach Gruppe kann es sogar einige "Band of Brothers"-Momente geben.

Der Spielleiter
...hat bei 3:16 den denkbar einfachsten Job; abgesehen davon das er den Narrativ leisten muß, der die Kampagne zusammenhält schiebt er Dank des exzellenten Spielleiterkapitels eine ruhige Kugel: Zufallstabellen zur Bestimmung der Aliens, ihrer Gefährlichkeit (abhängig von der Gefährlichkeit und Erfahrung der Spielercharaktere!), ihren Spezialfähigkeiten und dem Planeten der Woche sorgen dafür, das man eine Session 3:16 in weniger als 10 Minuten vorbereiten kann (und das ist gut so, denn länger dauert auch die Charaktererschaffung nicht!). Diese Eigenschaft alleine, zusammen mit der Thematik und den simplen Regeln macht 3:16 zu einem idealen Bier&Brezel-RPG für zwischendurch. Und wenn mehr gewünscht wird: Kein Problem, die Kampagnenregeln sind äußerst solide, und man kann 3:16 auch durchaus als "ernstes" Kriegsdrama spielen.

Fazit:
Wer ein Faible für Militär-SF a'la Aliens und Starship Troopers hat (egal ob Buch oder Film, 3:16 kann beide!) und zwanglos geifernde Horden widerlicher Aliens abschlachten möchte, findet kein schnelleres und einfacheres Spiel. Dank des eingebauten Meta-Games sind auch die Spieler meist motiviert bis in die Haarspitzen. Minimale Vorbereitungszeit und ansprechende Thematik (wer träumt denn nicht davon, in Power Armor gekleidet, Horden von sabbernden Moddermonstern mit großkalibrigen Wummen gleich dutzendweise über den Jordan zu schicken?) sorgen für ein attraktives Gesamtpaket. Ein Indie-RPG für Gruppen mit klassischen Prioritäten (Leveln und dickere Wummen heranschaffen!), rabenschwarz und sich selbst nicht ganz ernst nehmend.

3:16 - Carnage Amongst The Stars ist mir eine Empfehlung wert, und eines der besten Indie-Rollenspiele des letzten Jahres.

Wie oben Versprochen, ein paar Links:

3:16 - Carnage Amongst The Stars bei RPGnow.com

3:16 - Carnage Amongst The Stars bei Indie Press Revolution
3:16 - Carnage Amongst The Stars bei Leisuregames

Und zu guter Letzt noch:
Die kostenlose 24-H-RPG "Urversion" von 3:16

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