[23.04.08] Dr. Schlesingers missglückte Flucht

Ahnenblut

Ceterum censeo virginitatem esse delendam!
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Eifrig zog er den Fahrplan aus der Tasche. Der Schaffner war nicht erfreut darüber gewesen, dass er einen Doktor in der Toilette auffand. Er hatte richtig enttäuscht ausgesehen. Wahrscheinlich eine Ich-Schwäche mit Über-Ich-Dominanz, weil ihm in der analen Phase versagt worden war, sich auszuleben. Die Es-Impulse wurden unterdrückt und die Wert- und Moralvorstellung übersteigerten sich in dem Verhalten, dass ihn dazu zwang Anderen seine Normen aufzupressen. Und wenn er dies nicht ausleben konnte hatte seine Triebquelle kein Triebziel, was ihn frustrierte.

Mit einem Kopfschütteln wischte Dr. Schlesinger die Gedanken beiseite. Nach so langer Zeit konnte man einfach nicht mehr damit aufhören seine Mitmenschen nach psychologischen/-analytischen Faktoren zu bewerten. Er konzentrierte sich erneut auf den Fahrplan, dem ihm der Schaffner gegeben hatte. Scheinbar war dies hier nur ein kleiner Ort unweit von Finstertal, der gerade mal zwei Gleise besaß. Und er konnte den Plan drehen und wenden wie er wollte, er hatte keine Ahnung wann und wo der nächste Zug Richtung Finstertal fuhr.
Schnell schritt Dr. Schlesinger auf den Aushang zu um diesen Fahrplan zu studieren. Ein Gröhlen lenkte ihn jedoch davon ab. Er sah zur Seite und erblickte einen Holzverschlag der wohl so etwas wie eine Bahnhofskneipe darstellen sollte. Darin saßen drei Männer in seinem Alter. Definitiv Arbeiter, Fixierung in der oralen Phase, oder Regression dorthin, wenn Probleme auftraten. Achja, manchmal wünschte er sich die 'guten alten Zeiten' zurück, als man noch mit Elektroschocktherapie arbeitete.

Ein Seufzen entwich seinem Mund und erneut blickte er den Fahrplan an. Als er endlich gefunden hatte was er suchte, fluchte er leise. Eigentlich war das überhaupt nicht seine Art, aber er war zur Zeit so geladen. Er musste zurück, etwas tief in seiner Seele drängte ihn regelrecht nach Finstertal. Es war vergleichbar mit dem Bedürfnis nach Augustas Blut.
Ach Augusta. Er wusste immer noch nicht recht wie er mit der ganzen Sache umgehen sollte. Er hatte definitiv all seine Handlungskraft in Stahls Hände gelegt, hoffentlich konnte dieser ihn beschützen. Aber er musste zurück und mit Antonia sprechen. Die einzige Freundin die Augusta jemals besessen hatte. So kam es ihm zumindest vor.

Er hatte keine Wahl, er würde sich wohl oder übel jemanden suchen müssen, der ihn nach Finstertal brachte. Also marschierte er um das Gebäude. Vielleicht fuhr ja ein Bus los, oder eines der Autos hatte ein Finstertaler Kennzeichen.
Dann sah er den beigen Wagen.
Natürlich, warum habe ich nicht gleich daran gedacht.
Dr. Schlesinger eilte zu dem Taxi und teilte dem Fahrer die Adresse mit.

Während der Fahrt betrachtete Dr. Schlesinger die Nacht. Es war dunkel und lediglich entgegenkommende Autos liesen die Nacht immer wieder aufleuchten. Er konnte düsteren Wald sehen, die noch nicht erblühten Bäume mit ihren dürren Ästen. Es schien als sei die ganze Welt in düsteres Licht getaucht.
Er dachte an Augusta und wie schön es gewesen war mit ihr zu leben. Sie hatte in ihm etwas geweckt, was er nie bei einer anderen Frau entdeckt hatte. Er war sich einerseits im Klaren darüber, dass seine Gefühle nicht echt waren, andererseits fühlte er sich wohl in diesem Schein, denn er hatte endlich einmal fühlen können, ohne diese sterile kalte Art, Gefühle auf einer wissenschaftlichen Ebene betrachten zu können. Denn das war schließlich sein Beruf, ja sein Leben.
Sein Blick glitt über die Wiesen, die Äcker, die bestellt wurden und schließlich zum Himmel. Mochte sich irgendwer da draußen noch so fühlen wir er? Er hatte alles verloren. Er hatte die einzige Frau verloren, die er jemals geliebt hatte. Und er hatte ihren Tod nicht verhindern können. Er war ihr Gefolgsmann gewesen. Etwas das mehr bedeutete als nur Freundschaft. Er hätte für sie da sein sollen.

Eine winzige Tränenspur bildete sich auf Dr. Schlesingers Wange.
Reis dich zusammen und konzentrier dich lieber auf das Wesentliche!
Ja, er musste sich auf die Hoffnung konzentrieren. Er wischte die Tränen beiseite und sah auf das Taxometer. Verdammt, diese Fahrt würde ihn ein Vermögen kosten.
Er wusste immer noch nicht, warum in ihm die Gefühle plötzlich so hoch schnellten. Erst begann er zu fluchen, dann heulte er fast. War er Mann oder Memme?

Während der restlichen Fahrt kreisten seine Gedanken nur um den guten Ausgang und daran das Herr Stahl und Frau de Groote ihm helfen würden. Natürlich würden sie dass, warum hätte er sich sonst bei ihnen gemeldet. Er hatte sich doch bei beiden gemeldet, oder?
Auf jeden Fall musste er sie sehen. Antonia noch mehr als Alexander.
 
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