Rezension 1W6 Freunde - Das Jugenddetektiv-Abenteuerspiel [B!-Rezi]

T.Dorst

THE BIG RED GOD OF ANGER
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1W6 Freunde


Das Jugenddetektiv Abenteuerspiel


Wer erinnert sich nicht mehr an TKKG, die ??? oder die 5 Freunde? Wer hat sich damals nicht gewünscht in die Rollen von Tarzan oder Justus schlüpfen zu können? Prometheus Games hat diesen kleinen Traum nun wahr gemacht.
Mit 1W6 Freunde wendet sich der Verlag an die Fans der allseits geliebten 80er Jahre Hörspiele und haben somit ein Spiel veröffentlicht, welches das Potenzial hat auch Nicht-Rollenspieler für sich einzunehmen und diese schlussendlich zu neuen Rollenspielern zu machen. Die Regeln sind recht simpel gehalten, was den Einstieg im Gegensatz zu anderen Rollenspielen deutlich erleichtert. Sowohl die einfachen Regeln, als auch die Tatsache, dass von manchen Themen wie z.B. schweren Gewaltverbrechen in diesem Rollenspiel abgesehen wird (Jugenddetektive setzen sich halt nicht mit Serienkillern oder brutalen Drogenkartellen auseinander), machen das Spiel auch für Eltern interessant, die ihre Kinder an ein Rollenspiel heranführen wollen.

1W6 Freunde ist in Prometheus Games "Pocket RPG" Reihe erschienen und besticht, wie bspw. auch Opus Anima Investigation oder BARBAREN! durch eine sehr hochwertige Aufmachung. Das Buch kommt in einem Hochglanzcover daher, welches eine Jugenddetektivbande zeigt, welche verdächtig nach TKKG aussieht. Auch im Inneren des Buchs finden sich die Illustrationen des gleichen Künstlers wieder. Dadurch entsteht ein durchweg stimmiger Eindruck beim Leser. Das an ein verkritzeltes Schulheft erinnernde Seitenlayout unterstützt den klassischen Charme alter Jugendbücher und insgesamt kann man von einem sehr gelungenen Art-Konzept sprechen, dass Lust darauf macht immer mal wieder in dem Buch herumzublättern.

Wenden wir uns nun aber dem eigentlichen Inhalt des Buches zu:
Das Buch ist in 11 Kapitel unterteilt, von denen man die ersten 3 durchaus als Einführung bezeichnen kann. Hier wird wie üblich darauf eingegangen, was man eigentlich unter einem Rollen- bzw. Abenteuerspiel versteht. Dies wird unter anderem an einem Spielbeispiel dargestellt, welches schon einmal einen ordentlichen Vorgeschmack auf die Spielatmosphäre von 1W6 gibt. Was genau die Autoren unter einem Jugendkrimi verstehen und was hieran die Besonderheiten sind, erfährt man ebenfalls in den Einführungskapiteln (z.B., dass Jugenddetektive Ihre Abenteuer und Fälle eher durch Köpfchen, denn durch Stunts oder wilde Schlachten lösen)
Nach den ersten 3 Kapiteln sollte man einen guten Eindruck vom Spiel bekommen haben und kann sich anschließend den Kapiteln 4 bis 6 widmen, die sich mit den Regeln und der Charaktererschaffung auseinander setzen.
Wie oben bereits erwähnt ist das Regelsystem von 1W6 Freunde sehr simpel und soll das Spiel eher unterstützen, als es zu dominieren. Soll heißen, es wird wirklich nur dann gewürfelt, wenn wirklich auch etwas deutlich danebengehen kann. Das Spiel geht deutlich in Richtung Erzählspiel. Wer ein Freund von Würfelorgien ist, der ist bei 1W6 Freunde an der falschen Adresse.

Grundsätzliches:
Jeder Jugenddetektiv hat 4 Attribute (Stärke, Cleverness, Mut und Umgang), auf die er während der Charaktererschaffung 9 Punkte frei verteilen kann. (Nur so ganz nebenbei: Der Charakterbogen sieht übrigens aus wie ein Schulzeugnis, worüber ich mich einfach nur tierisch amüsiert habe, auf jeden Fall ein weiterer Pluspunkt). Desweiteren kann jeder Spieler für seinen Charakter noch ein so genanntes Fleißkärtchen aus einer recht umfangreichen Liste auswählen. Ein Fleißkärtchen verleiht dem Charakter eine besondere Eigenschaft oder einen anders gearteten Bonus. Vielleicht wird der Charakter von allen Tieren, die im begegnen gemocht oder sein Vater ist Polizist. Vielleicht kann er aber auch ein wenig Karate oder kann besonders gut logisch denken…
Die Liste der Fleißkärtchen ist recht umfangreich und die einzelnen Beschreibungen sind wirklich richtig spaßig. Ich jedenfalls musste mehrmals schmunzeln.

Über die Attributswerte werden, falls es notwendig sein sollte, Proben absolviert. Eine Probe wird abgelegt indem mit einem sechsseitigen Würfel (1W6) gewürfelt und anschließend der Attributswert addiert wird. Ist die Summe von Würfelwurf und Attributswert größer oder gleich 6, so gilt die Probe als bestanden. Der Spielleiter hat jedoch die Möglichkeit das Ergebnis des Spielers zu modifizieren (Boni oder Mali). Je nachdem ob es sich um eine besonders leichte oder besonders schwere Aktion handelt, kann also von dem vom Spieler erreichten Ergebnis entweder ein Abzug vorgenommen werden oder es wird ein Bonus auf den Wert aufaddiert.
In wirklich brenzligen Fällen können die Spieler sich dazu entschließen so genannte Bandenpunkte (davon hat jede Bande 5 an der Zahl pro Abenteuer) um den Wert eines Wurfes pro ausgegebenem Punkt um 1 zu modifizieren. Dies soll darstellen, dass die Bande als ein Team funktioniert und sich somit in heiklen Angelegenheiten gegenseitig unterstützen kann.

Das sechste Kapitel besteht ausschließlich aus Beispielcharakteren, die wieder sehr verdächtig nach Tarzan, Karl, Klößchen und Gabi aussehen. Es ist sogar so, dass die Anfangsbuchstaben der Namen bzw. Spitznamen der Beispielcharaktere ebenfalls „TKKG“ ergäben, wenn man sie denn hintereinander stellen würde. Nichtsdestotrotz sind die Charaktere vernünftig ausgearbeitet und vermitteln sowohl alten Rollenspielhasen als auch Neulingen einen guten Eindruck dessen, was so einen 1W6-Charakter so ausmacht.

Kapitel 7 und 8 sind als Hilfe für den Spielleiter (Erzähler) gedacht. Hier wird, auch für Neulinge gut verständlich, ausgeführt wie man ein 1W6-Freunde Abenteuer so ausarbeitet, dass alle Beteiligten Spaß an der Sache haben. Es wird dabei auch auf Besonderheiten des Genres eingegangen, auf was man achten und was man tunlichst vermeiden sollte: Beispielsweise sollte man immer im Hinterkopf behalten, dass 1W6 Freunde kein „Hau-drauf-Spiel“ ist.

Gerade das 8. Kapitel halte ich persönlich für sehr gelungen. Hier findet der engagierte Erzähler das perfekte Handwerkszeug um sich seine eigenen Abenteuer zu stricken.
Anhand von Zufallstabellen kann man, wenn gewünscht, einen Plot vorbereiten, den man anschließend nur noch ausarbeiten muss. Eine brillante Ideenschmieden, falls man mal wieder mit Schreibblockade vor einem leeren Collegeblock sitzt und keine Ahnung hat wie man die Seiten füllen soll. Hier kann zum Beispiel ausgewürfelt werden um welche Art von Verbrechen es sich handelt, wer Täter und Opfer sind, wo der Tatort liegt oder ob es einen übernatürlichen Hintergrund gibt.

Zum letzten Punkt sei noch folgendes gesagt: Die Autoren sprechen sich explizit gegen eine Verwandlung von Jugenddetektiven zu einer Art „Ghostbusters“ aus. Falls Übernatürliches in die Geschichte integriert wird sollte der Erzähler darauf achten, dass sie die Geschichte sich später doch als durchaus weltlich herausstellt. Als Beispiel würden mir hier spontan Scooby Doo und Shaggy einfallen, die zwar ebenfalls in jeder Folge auf Geisterjagd waren, aber letztlich doch aufklären konnten, dass es sich bei dem fiesen Blut saugenden Vampir doch um den bösen Butler in einem wirklich gelungen Kostüm gehandelt hat, welcher an Drahtseilen durch die Luft geflogen ist.
Dies ist jedoch nur als Hinweis zu verstehen. Letztlich gehört das Spiel Euch und ihr könnt damit machen, was ihr wollt.

Grundsätzliches finden die Abenteuer der 1W6 Freunde in einer nicht näher definierten Millionenstadt statt, zu welcher sich in den Kapiteln 9 und 10 Unmengen von Anregungen und Adventure Seeds finden. Das keine konkrete Stadt als Spielhintergrund herausgegriffen wurde hat einige Vorteile, da man der Stadt für ein bestimmtes Abenteuer immer genau das hinzufügen kann, was man gerade für den Handlungsstrang benötigt. Beispielsweise kann die Stadt in der Nähe der Berge liegen, aber auch unweit eines Strandes oder eines Hafens.
Die Stadt kommt quasi als eine Art „eierlegende Wollmilchsau“ daher. Meines Erachtens nach sollte man aber insbesondere bei geographischer Nähe von Bergen und Strand darauf achten nicht zu sehr zu übertreiben. Falls man dennoch derartige Eskapaden einplanen will, sollte man zumindest eine annähernd plausible Erklärung für derartige Naturphänomene parat haben um vor seinen Spielern nicht als vollkommen willkürlicher Spielleiter dazustehen.

Konkret beinhaltet Kapitel 9 eine beispielhafte Auflistung und Kurzschreibungen von möglichen Lokalitäten. Die Kurzbeschreibungen beinhalten meist schon diverse Abenteuerideen, welche für spätere Abenteuer aufgegriffen werden können oder sollen den Leser schlicht und einfach nur amüsieren. Bei mir jedenfalls hat das mit dem Amüsement gut funktioniert. Habe ich bei den Fleißkärtchen noch nur geschmunzelt, so bin ich hier in schallendes Gelächter ausgebrochen, was mir auf der Zugfahrt nach Düsseldorf einige irritierte Blicke eingebracht hat. Besonders der Gaylord-Fokker-Flughafen hat es mir angetan. ;)

Das 11. und letzte Kapitel umfasst das mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitete Abenteuer „Das Geheimnis des Wolpertingers“, welches stolze 25 Seiten füllt und ein tiefes Eintauchen in die 1W6-Freunde Welt sowie jede Menge Spaß garantiert.
Nur so viel: Es geht um geheime Salatforschungen der Regierung, ausländische Spione, Riesenkaninchen, und Geweihe. Na, macht das nicht Lust auf mehr? ;)

So sehr mir die Lektüre des Buchs auch gefallen hat, so muss ich abschließend doch noch einen Negativpunkt hervorheben, und zwar das Lektorat:
Das Buch beinhaltet neben einer riesigen Menge Rechtschreibfehler auch einige unvollständige Sätze, sowie Satzteile, die einfach an der falschen Stelle stehen. Dies hat den Lesegenuss an einigen Stellen leider deutlich getrübt. Ich nehme an, dass sich der Verlag zwischen zwei Optionen entscheiden musste:
Ausgiebiges Lektorat oder pünktliche Veröffentlichung zur Spiel 2009.
So wie es ausschaut hat man sich an dieser Stelle für die pünktliche Veröffentlichung entschieden.

Fazit:
Sieht man einmal vom nicht durchgeführten Lektorat ab, so kann ich das Spiel nur uneingeschränkt empfehlen und vergebe hiermit 4,3 von 5 Punkten.
Es macht riesigen Spaß darin zu lesen und ich hoffe, dass es mir bald auch riesigen Spaß beim Spielen bereiten wird. Für entspannte 12 Euro bekommt man ein vollständiges, mit viel Liebe zum Detail ausgearbeitetes Spiel, welches das Potenzial hat nicht nur Fans der guten alten 80er Hörspiele zu erfreuen, sondern auch Leute an den Pen & Paper-Spieltisch zu locken, die bisher keine Berührungspunkte mit derartigen Spielen hatten. Des weiteren ist es perfekt dazu geeignet Kinder an die Rollenspielthematik heranzuführen und sie so zu den Rollenspielern der Zukunft zu machen. Ja, Leute, wir brauchen dringend Nachwuchs!

Also, kaufen, Spaß haben und weitererzählen.Den Artikel im Blog lesen
 
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