[19.05.2008] Wolfslauf

Drakun

Pflanze
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9. Juni 2007
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Nicht weit vom Bahnhof trat eine Gestalt auf die Straße, das Gesicht halb unter einer Kaputze verborgen. Zwar regnete es nicht, doch der Nebel schien nichts Gutes zu versprechen. Durch die dunkle Kleidung fiel Marta auf den ersten Blick überhaupt nicht auf, doch wer sie entdeckte konnte ohne weiteres ihre weibliche Statur erkennen. Die enganliegende Hose und Sportjacke schützten vor dem Wetter und gaben ihr die nötige Bewegungsfreiheit. Joggingschuhe sorgten auch auf feuchter Straße für einen sicheren Halt. Den brauchte sie, denn die Clanlose bewegte sich alles andere als langsam. Die Geschwindigkeit war keineswegs übernatürlich doch etliche, auch sportliche, Menschen würden sich schwer tun, ihr über eine längere Distanz zu folgen. Doch als Vampirin lief sie gerade einmal auf Halblast - genug um die Tätigkeit zu spüren, doch weit unter ihren tatsächlichen Möglichkeiten. So würde es den an schnelle Fortbewegungsmittel gewöhnten Zuschauer wohl nicht einmal auffallen, wie zügig die Läuferin unterwegs war.

Noch vor ihrem ersten Ausflug hatte sie noch paar Termine vereinbaren können. Das war erstaunlich einfach gewesen doch gerade bei der ersten Frau lag wohl die grausig Wahrheit darin, dass Wohnungen einfach deswegen frei waren, weil ihre vorherigen Bewohner keine Verwendung mehr für sie hatten und viele andere Skrupel hatten, diese nun sofort wieder zu nutzen. Bei Joachim Dietze sah es da etwas anders aus. Seine Familie hatte die Krankheitswelle scheinbar mit einem blauen Auge überstanden und auch das jüngste Enkelkind schien wieder gesund und munter. Ein Glück! Nötige Informationen und Ausrüstung standen endlich bereit, doch musste sie sich noch eine Vergehensweise zurecht legen. Die Unternehmung konnte durchaus riskant werden, wenn er unvorhergesehen reagierte. Glücklicherweise war Herr Dietze ein äußerst liebender Großvater - im Guten wie im Schlechten. Wenn du immer noch so bist wie damals, haben wir keine Probleme...

Sie hatte zunächst die Richtung zum Hammer eingeschlagen, doch bereits bei der nächsten Seitengasse bog sie nach rechts. Die junge Frau zog weniger befahrene Routen vor. Dass diese auch deutlich dunkler waren, sollte kein Problem darstellen. Solange die Schatten an Ort und Stelle bleiben. Wie zu erwarten zeigte sich das Bahnhofsviertel abseits der großen Straßen von seiner heruntergekommenen Seite. Mülltonnen, Flaschenreste und in der Mehrheit eher schlechte Graffitis waren im Halbdunkel zu erkennen. In nicht wenigen Fenstern brannte Licht, doch auf der Straße war zuächst niemand zu sehen. Das Black Hammer fiel von hinten sogar noch mehr auf. Groß und neu wirkte es wie der erste Vorbote einer neuen Ära - umgeben von altem Gemäuer, das seine Ehrwürdigkeit bereits vor einiger Zeit verloren hatte.
 
Weiter in Richtung der Stadtmitte änderte sich das Bild wurde nun von neueren, frei stehenden Gebäuden geprägt. Durch die größeren Abstände konnte das Licht weiter in die Gassen vordringen, sodass der Weg besser beleuchtet erschien. Scheinbar schreckte dies auch Möchtegern-Künstler und andere Herumtreiber ab, denn sowohl Graffitis als auch Scherben wurden seltener, je weiter sich die Laufende vom Hammer entfernte. Das Geräusch von Fahrzeugen drang wieder an ihre Ohren und langsam schälte sich hinter den Gebäuden der Umriss des Stadions aus dem Nebel. Doch blieb es heute zum größten Teil in der Nacht verborgen, auch als die zierliche Frau schließlich an die Straße kam, die nach Nordosten durch die Stadt lief. Marta folgte ihr ein Stück bis der Strom an Fahrzeugen endlich abriss. Flink wie ein junges Reh sprang sie über die Straße.

Auf der anderen Seite erstreckte sich ein weitläufiger Parkplatz, den sie ohne ihr Tempo zu drosseln betrat. Die Asphaltwüste war größtenteils leer, doch das hieß nicht, dass eine beachtliche Menge an Fahrzeugen nicht trotzdem Platz gefunden hätte. Eine Handvoll Personen war ebenfalls darauf aktiv. In der Ferne belud eine Gruppe vom Männern einen Lieferwagen, die Aufschrift nicht zu erkennen. Eine Frau schritt zu ihrem Wagen, der scheinbar freudig mit den Lichtern blickte. Ein Greise führte seinen Hund spazieren - zum Glück am Rand, sodass das schlanke Raubtier, welches sie in einiger Distanz passierte, zumindest toleriert wurde. Eine Meute Jungendlicher stand an einem Wagen, aus dem Musik drang. Und am Ende das Platzes bog ein anderer Jogger gerade in den Park ein.

Kaum merklich beschleunigte die Vampirin, flog beinahe über den Platz. In den Augen der meisten nicht mehr als eine Läuferin - solange sie nicht vor ihr fliehen wollten. Nicht viel später erreichte sie die Deckung der Bäume, es wurde dunkel um sie. Der Nebel hing zwischen den Stämmen wie ein gespenstischer Vorhang, ihr Pfad schien im Nichts zu verschwinden, endete in Schwärze. Knapp an Rande der Wahrnehmung konnte sie ihr Ziel ausmachen, wie es im Dunst verschwand. Sie lief ihm nach, kleine Fuße setzen auf und schlanke Beine katapultierten sie nach vorne. Irgendwo ertönte ein Flügelschlag - ein Tier brachte sich in Sicherheit. Ihre Sinne waren angespannt nach vorne gerichten. Eine Bewegung - näher diesmal. Schatten verdeckten das Ziel, vom Nebel freigegeben kamen die Sträucher auf sie zu und waren vorbei. Sie schoss um die Kurve ohne ihren Halt zu verlieren. Ihre Beute war voraus. Der Läufer zeichnete sich vor dem Hintergrund ab, leicht verschwommen dank des Nebels. Doch wurde er immer schärfer. Die Verfolgerin näherte sie unaufhaltsam. Dann war sie heran. Alles was fehlte - ein letzter, kurzer Sprint bevor sie sich auf ihn stürzte. Stattdessen wurde Marta langsamer. Ihre Augen lösten sich von ihrem ahnungslosen Opfer. Die Distanz vergrößerte sich, der Mann enteilte über eine Brücke, merkte nicht einmal, was sich gerade ereignet hatte. Die Vampirin schlug einen anderen Weg ein. Unwillkürlich fuhr ihre Zunge über die Lippen. Die Nacht war jung. Sie würde ihren Spaß bekommen. Den anderen Teil.
 
Einige Zeit später am Nordrand des Parks verließ die zierliche Gestalt den Schutz des Blätterdachs. Die Gegend blieb grün doch nahmen stattliche Häuser des Platz ausgedehnter Wiesen ein. Statt Wasseradern gab es nun Zäune, welche die Grundstücke teilweise umschlossen und auch der Weg wandelte sich langs wieder zu einer schmalen Straße. Für den Anwohner war dies sicher eine angenehmere Wohnstatt. Direkt neben dem Park, nicht weit vom Zentrum entfernt und deutlich sauberer als das Bahnhofsviertel. Beinahe - Marta setzte über einen Hundehaufen hinweg, der mitten auf dem Gehweg lag. Dem allgemeinen Eindruck der Gegend nach war dieser vor Einbruch der Dunkelheit noch nicht da gewesen. Doch scheinbar reichte schon ein wenig Heimlichkeit aus, dass selbst brave Hundebesitzer es mit den Regeln etwas lockerer nahmen.

Mochte es die Gegend auch vermuten lassen, nicht jeder der Anwohner war brav. Aus einigen geöffneten Fenstern drang Musik und Stimmen - nicht ganz ausreichend für eine umfassende Beschallung, aber sicherlich ausreichend um die direkten Nachbarn zu verärgern. Schlimmer war da die Gruppe an Jugendlichen, die ihren Weg kreuzte. Sichtlich angeheitert gröhlten einige der Jungen ein nicht ganz erkennbares Sauflied - eine Tatscahe die dem Rest der Gruppe durchaus peinlich zu sein schien. Hinter einem der Fenster erschien eine griesgrämig blickende, ältere Dame, die wohl die Ursache der Ruhestörung erkunden wollte. Alles was sie zu Gesicht bekam war die Gestalt unter der Kaputze, die nun offensichtlich nichts mit den lautstarken Männerstimmen zu tun hatte. Was die Frau nicht daran hinderte den Vorhand zuzuziehen und lautstark die Rollladen herabzulassen. Die leichte Ironie in dieser Tätigkeit ging ihr scheinbar ab.

Je weiter sie in Richtung Autobahn kam, desto weniger Personen begegnete sie auf der Straße. Die Fenster waren jedoch weiterhin beleuchtet als wollten sie ihr beweisen, dass dieser Stadtteil noch lange nicht schlief. Ein weiterer Spätjogger kam ihr entgegen, dieser wurde jedoch nicht weiter beachtet. Eine grau getigerte Katze wartete gedulig vor einem Mauseloch, hob ob der Störung den Kopf und sah sie anklagend an. Kurz darauf schien das Pelzknäuel zu verstehen. Ohren wurden angelegt und die Schnauze zu einem stummen Fauchen verzogen. Die Geste schien durchaus zu wirken, denn das größere Raubtier lief davon. Natürlich aus Furcht! Bestärkt durch den Sieg wandte sich das Tier wieder der Höhle zu. Mit so einem Start konnte die Nacht ja bloß erfolgreich werden!
 
Endlich erreichte sie die Straße, welche grob in Richtung Flughafen führte, Vekehr war keine zu sehen, sodass sie einfach weiter laufen konnte. Auf der anderen Seite änderte sich ihr Laufverhalten. Statt sich zügig in eine spezielle Richtung zu bewegen, Kreuzungen generell gerade zu überqueren und die Umgebung auf sie wirken zu lassen, wechselte die Vampirin nun häufiger die Richtung und bog meistens ab, wenn sie die Gelegenheit hatte - rechts, links, rechts und wieder rechts. Ihre Sinne waren nun ausgestreckt, registrierten Bewegungen, Geräusche und Gerüche. Das Lauftempo blieb hoch. Würde sie jemand von oben verfolgen, so würde er bemerken, dass sie trotzdem langsamer voran kam, dabei jedoch mehr Gebiet bestrich.

Der Grund für dieses Verhalten war simpel: Montags hatten die hiesigen Studentenclubs und auch viele der Kneipen geschlossen, sodass es hier nur wenige Anlaufpunkte gab. Doch zu dieser Zeit gab es noch genügend Fußgänger, die es nur zu finden galt. Selbstverständlich nur in der richtigen Situation. So wurden die drei Herren, die ihr entgegen kamen eher ignoriert - was nicht gerade auf Gegenseitigkeit beruhte. Aus diesem Grund stellte auch der Einzelne ein kleines Stück weiter kein geeignetes Opfer dar. Manchmal stellte auch ein zu großes Angebot ein Hindernis dar. Marta bog in eine finstere Seitengasse und sah doch tatsächlich eine Gestalt am anderen Ende, die auf einen der Eingänge zuhielt. Er war gerade außerhalb ihrer Reichweite - eigentlich. Sie beschleunigte ihre Schritte, größtenteil unbemerkt dank der Lichtverhältnisse. Augen meldeten: freie Bahn. Ohren bestätigten: sie waren allein. Ein Klirren des Schlüsselbundes. Er hatte sie nicht entdeckt oder es interessierte ihn nicht. Schlüssel fand zu Schloss, wurde gedreht. Noch tat sich nichts. Es war noch zu weit. Eine weitere Drehung - nichts. Dann beim dritten Mal ein Knacken, die Tür sprang auf. Nun erkannte sie, dass sie sich verschätzt hatte. Der Mann war deutlich größer als angenommen, musste den Kopf einziehen als er durch die Tür schritt.

Weiter kam er nicht, als ihn etwas in die Seite traf. Er wurde unsanft gegen der Türrahmen geschubst, kam jedoch kaum aus dem Gleichgewicht. Bei allem Tempo blieb Marta ein Leichtgewicht und auch der letzte Sprung änderte nichts daran. Normalerweise wäre sie bei einem solchen Zusammenstoß einfach abgeprallt doch der Sprung gelang ihr nahezu perfekt. Während ihre rechte Körperhälfte das erstaunte Opfer an der Schulter traf, schoss die Linke nach vorn, der rechte Oberschenkel traf seine Seite. Sofort griffen alle drei Glieder zu - gerade noch rechtzeitig um das linke Knie vor einer unsanften Begegung mit der Ziegelwand zu retten. Wie ein lebendiger Rucksack hing sie auf seinem Rücken. Noch bevor er den Kopf wenden konnte, fuhren ihm die Fänge in den Hals.
 
Nachdem sich beide für einige Momente dem Rausch hingaben, löste sie langsam die Umklammerung. Katzengleich sprang sie von seinem Rücken, beschrieb eine halbe Pirouette und war dann bereits wieder im vollen Lauf. Ihr verwirrtes Opfer blieb zurück. Der Mann war sich nicht ganz im Klaren, was gerade passiert war. Und warum er gegen den Türrahmen geknallt war. Bevor er sich sammeln konnte, war Marta bereits über alle Berge. Sie hatte ihm nichts gestohlen außer ein paar Schlucke seines kostbaren Lebenssaftes und einige Minuten seines Lebens.

Hammer! Die Vampir befand sich immer noch halb im Rausch, während sie ihre Beine mit kraftvollen Sprüngen nach Osten trugen. Hätte sie noch einen Puls so würde ihr Herz mit Sicherheit rasen. So hielt es still, doch das Gefühl war vergleichbar. So etwas musst du öfter machen! Dass die Aktion ziemlich riskant war, gab ihr eine besonderen Reiz. Ein Fehler und sie wäre entweder gegen die Wand gerannt oder ihr Opfer hätte sie abgeworfen. Da hattest du schon etwas Glück. Doch nicht weit von hier hatte sie die Erfahrung gemacht, dass auch sorgsamere Methoden scheitern konnten. Ich hoffe die Behörden haben jetzt besseres zu tun... Gefahr für die Maskerade bestand in beiden Fällen weniger, doch persönliche Probleme mit der Polizei waren schlimm genug. Die Vampirin war noch längst nicht fertig - ihr Hunger war noch nicht gestillt, durch das erste Mahl eher noch weiter entfacht. Noch so einer und die Nacht hat sich echt gelohnt! Marta fühlte sich gut, durstig aber gut. In sicherer Distanz begann sie wieder das Gebiet abzusuchen.

Dieses mal waren es die Ohren, die den Hinweis lieferten. Eine schimpfende Stimme machte sie aufmerksam, das Fehlen einer Antwort lockte sie an. Sie kam nicht nahe genug die Worte zu verstehen bis die Stimme nicht mehr ertönte, doch hatte ihr opfer nun einfach Pech - oder Glück, je nachdem wie man die Absicht der Frau interpretieren wollte. Der Mann bog in ihre Gasse ein, während er eine Verwünschung murmelnd etwas in seine Tasche steckte. Sichtlich aufgebracht stampfte er ihr entgegenen ohne besonders Notiz zu nehmen. Da bist du ja! Dieses Exemplar war etwas kleiner als der Letzte und wohl etwa in derselben Altersklasse. Ein Durchschnittstyp, weder besonders ansehnlich noch auffällend hässlich, mit einem kleinen Bauch und einem Ansatz von Geheimratsecken. Der wird es tun. Marta ignorierte den Drang sich einfach aus dem vollen Lauf aus ihn zu stürzen und drosselte ihr Tempo. Es schien ihr als würde dioe ganze Welt langsamer werden. Wie schon zuvor meldeten ihre Augen und Ohren, dass sie allein waren. Sie stoppte, den Oberkörper nach vorne geneigt, während die Hände oberhalb der Knie zum Liegen kamen. Brummelnd kam die Beute näher, den Blick auf den Boden gerichtet. Ein leichter Geruch von Tabakrauch stieg ihr in die Nase, er lief vorbei. Muskeln spannten sich, Augen richteten sich auf das Ziel. Ein kurzer Satz aus dem Stand, weit weniger riskant als zuvor, und die Beute war erreicht. Dieser wurde gepackt, zu ihr gezogen, der Kopf zur Seite gedrückt um den Weg zum Hals freizugeben. Schnell, präzise - und köstlich.
 
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