[18.05.2008] Moonlight Shadow

Kalliope

Kainit
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Als sie das Portal der Akademie hinter sich gelassen hatte glitt der Blick der Malkavianerin gen Himmel. Düstere Wolken aus denen feiner, schleiergleicher Regen hernieder fiel, verbargen Mond und Sterne.
Ihre Anmeldung bei den hiesigen Machthabern war damit vom Tisch. Somit konnte sich Raven nun den wirklich wichtigen Dingen zuwenden: dem Clan und der Anstalt.

Die Untote machte sich eher gemächlich auf den Weg zurück zu ihrem Van. Der ohnehin eher mäßige, sanft warme Regen störte sie dabei nicht im Geringsten. Ganz im Gegenteil. Ein angenehmes, angemessenes Präludium für die Arie der Selene.
 
Er war lange durch den Regen gelaufen. Er hatte viele Straßen betreten und wieder verlassen. Er wusste nicht wie lange er gewandert war. Er hatte nicht auf die Zeit geachtet. Ab und an war er an Punkten und Orten vorbeigekommen, die im vertraut vorkamen, vielleicht war er sogar ein- zweimal im Kreis gelaufen.
Beim Überqueren einer Straße wurde er vom Lichtkegel der Scheinwerfer eines Vans angestrahlt. Er blieb stehen. Mitten auf der Straße. Würde er nun angehupt? Man war gespannt.
Da stand er also. Mit durchnässter Kleidung. Wasser lief ihm von der Glatze in den Kragen. In der linken Hand hatte er seinen Arztkoffer, die rechte baumelte locker an der Seite.
Er lächelte dem Fahrer entwaffnend zu. Seine Augen blitzen erkennend und die Mundwinkel glitten nach oben. Nach kurzem Umblicken, beschloss er den Insassen zu winken und sie aufzufordern ihm in das nahe Café zu folgen. Dort brannte Licht und es waren noch mehr genug Stühle frei. Dass er hier schon einmal gesessen hatte, er das Lokal kannte, war nicht wichtig und deshalb wurde es ausgeblendet. Wichtig waren er und sie.
„Komm!“ flüsterte er ihr zu. Sie würde ihn hören. Gleichzeitig winkte er, dann drehte er sich um, betrat das Café und grüßte die nette Dame hinter dem Tresen, bevor er sich zu einem Platz begab von dem aus er von außen zu sehen war und von dem aus er nach draußen sehen konnte.
 
Regen prasselte auf die Scheiben des Vans. Es war seltsam wie befremdlich dieses geradezu friedlich, erlösend anmutende Szenario doch schien.
Die Tropfen hatten die Funktion eines Metronoms angenommen. Der Takt blieb gehalten. Und man sprach, man dachte, man reflektierte und diskutierte und der Austausch kam zu keinem Ende. Es wäre gelogen gewesen zu behaupten, Ravens Aufmerksamkeit würde sich vornehmlich auf die vor ihr liegende Straße fokussieren. Wozu auch?
Die mechanischen sowie kognitiven Anforderungen, welche das Fahren eines Automobils an den Körper eines Humanoiden stellte, waren mäßig bis niedrig. Sie fuhr nicht sonderlich schnell, sogar etwas langsamer, als es die Straßenschilder erlaubt hätten. Sie hatte es nicht eilig. Ihr Weg war vorgezeichnet und gewiss.

Abyss zum Interlunium...Umbra et Persephone.... eisig kalt, durchnässter Leib der Ophelia. Neptuns Reich im eisernen Griff des Erebos. Selene tanzt. Eine Stadt, die blutet, die schreit und doch nicht gehört wird. Von wem auch? Tartarus.
Schwarze Prinzessin, Herrin der Dunkelheit...wandelnd im finsteren Tal... gab es einen Hirten? Bestimmt. Doch wusste er von seiner ausersehenen Queste?
Die Doktorin war zu keiner Zeit je religiös gewesen und tat jenen Einwurf leichtfertig ab.

Eine Mahnung zum Glauben. Die Wahrheit! So laut, so dröhnend und hallend, dass die Brünette zusammenzuckte. Die Malkavianerin stieg reflexartig in die Bremsen, verriss das Lenkrad und kam mit der Hälfte der Reifen auf dem Bordstein zum stehen. Ein Glück, dass um diese Uhrzeit, noch dazu bei solchem Wetter, die Zahl der Spaziergänger mehr als begrenzt war. So zog das reichlich überstürzte, wenig galant anmutende Parkmanöver auch keinerlei Verletzte nach sich.
Eine unterwürfige, gestammelte Entschuldigung. Gnädige Vergebung. Man war sich stets einig. Kein Gedanke war fehlgeleitet, alles war von Bedeutung. Eine Mondtochter blieb stets dem rechten Weg verhaftet.

Dann die Erkenntnis:
Sie war nicht allein.
Als der Blick sich hob, tauchten an Lunas Statt die Strahlen künstlicher Leuchten jene Silhoutte eines Mannes in Licht. Er stand auf der Straße - und er sprach mit ihr, obgleich keines Mundes Laut an Ligeias Ohren drang.
Sie stieg aus und noch ehe die bleichhäutige Kainitin den Van abgesperrt hatte, war der Rufende bereits auf dem Weg fort von hier, hin zum irgendwo.
Die Präsenz war nicht fremd. Sie hatte sie schon einmal gespürt. Eine Nacht zuvor. Bei den Wiesen am Rande der Finsternis. Ein kläglicher Nachhall geistiger Verbundenheit.

Und so folgte Raven dem vertrauten Fremden. Es war richtig, selbstverständlich. Man stimmte zu.
Ligeia betrat das Café kurz nach Ithamar. Ohne dem geradezu bedeutungslosen Interieur oder den weiteren, gesichtslosen Gästen des Etablissements auch bloß für einen einzigen Augenblick Aufmerksamkeit zu schenken, lenkte sie ihre Schritte zielsicher zu ihrem Bruder in Blut und Geiste hin. An seinem Platz angekommen verneigte sie sich leicht.
"Guten Abend, Bruder", sprach die Psychiaterin. Ihre Züge waren unbewegt, der Knicks ungeschönter Ausdruck einer Gewohnheit. Keine Maskerade. Nicht im Angesicht der Familie. Kein gestelltes Lächeln voller, roter Lippen, bloß durchdringender Schein strahlend grüner Augen.
 
Die Augen. Fenster zur Seele, sagt der Volksmund. Rote Fenster. Das Tier ganz nah? Wolle man in die Seele eines uralten Raubtieres blicken? Jeder konnte das selbst entscheiden.

Ithamar wollte und so blickte er. Lange blickte er. Tief blickte er. Das Äussere und das Innere wurden betrachtet. Jetzt konnte die Schwester sich nicht mehr verlieren. Er würde sie finden. Engel würden sie finden.

Kurze Handbewegung. Er bot Platz an. Er erhob sich nicht.

Nach den Äonen eines Augenblinzelns, so lange es eben nötig war, um sich kennen zu lernen, begann das andere Mondkind zu sprechen. Mit einer angenehm sonoren Stimme. Fesselnd, dazu bewegend zuzuhören.

„Guten Abend Schwester, … . Dr. Raven? …!“ Am Ende war es keine Frage, sondern Feststellung.

„Wieso Finstertal? Du hast Throtmanni verlassen. Warum? Ich mache mir Sorgen. Hilfst du mir?“
 
Ligeia erwiderte Ithamars Blick in gleicher Weise. Wie angenehm es doch war Einblicke in eine verwandte Seele nehmen zu dürfen. Zwei Körper und drei Mondkinder an einem Tisch, begleitet vom Geiste der anderen und als der Herr den Damen einen Sitzplatz anbot, nahmen diese mit einem dankenden Nicken, jedoch ganz ohne künstliches Mienenspiel an.

Sie lauschten seiner Stimme, hingen ihr sinnend nach. Ein sanftes Nicken.
Wie erhebend die Worte nicht bloß zu vernehmen, darin zu baden, wie sie nicht bloß an ihre Ohren, sondern auch durch die verwobenen Bande zu ihrem Geiste durchdrangen. Innigste Nähe. Vollkommenste Gegenwart. Höchste Intimität ohne jede Körperlichkeit. Aufgehen in Einigkeit.

"Trinovantum schickt seine Augen und Ohren und manchmal auch seine Arme an Orte, die für bedeutsam oder zumindest unterhaltsam gehalten werden. Es war der Beschluss einer jener, von denen es heißt, dass sie noch selbst den Mond geschaut haben. Man war sich einig. Aber das ist man ja stets."

Die Malkavianerin legte den Kopf ein klein wenig schief. Hilfe. Gab es etwas anderes?

"Vater der Tarma, das ist es wozu wir gekommen sind. Zu helfen. Wobei? Nicht allem. Wege suchen, aufsuchen. Die verschollene Stimme zu finden. Du bist in der Nähe ihres einstigen Refugiums gewesen, letzten Abend. Hast du ihn gesehen, den verlorenen Sohn?"
 
Ithamar lachte laut und befreiend. Ihn scherte die Anwesenheit anderer nicht. Es war erfrischend.

„Ha, immer wieder neu erhellend. Die Wege des Ganzen sind unergründlich. Aber stimmt das, kleine Tochter? : Die Wege sind nie unergründlich. Sie sind nur im profanen Denken unergründlich und sehr lang. Sie führen jedoch mit jedem Schritt, mit jedem Gedanken zu ihm und ein Stück weiter zur Erkenntnis. Oder?“

Er legte die Hände wie zum Gebet gefaltet vor sich auf den Tisch. Etwas bewegte sich schnell den Ärmel entlang, schien auf der Flucht, huschend über die Schulter in den Bereich der Brust. Oder waren die Wellenmuster der Kleidung nur Einbildung?

Seine bleiche Haut wurde plötzlich rötlicher, wirkte gesünder. Ein bekanntes Zeichen, dass Blut floss und schwache Körper und starker Geist angeglichen wurden. Drohte hier Gefahr?

Ithamar zuckte. Seine Hand fuhr in seine Umhängetasche. Dort verweilte sie. Suchend hörte man die Finger rascheln. Aber was?

„Oh ja, wir waren dort. Und ich habe ihn gesehen. Die Frage ist nur wer ES war den ICH uns sehen ließ? Kennst du Libbi oder Ziege? Nox? Kennst du SIE?“
 
"Profanes mag zuweilen durchaus ein Hemmnis. Tatsächlich tragen aber vor allem Dilettantismus und Pedanterie ihren Zoll zu all erwogenen Labyrinthmauern des irdischen bei."

Raven saß kerzengerade, wie stets. Die eigentümlichen Bewegungen im Ärmel ihres Gegenübers entgingen ihr nicht und doch ging sie nicht darauf ein. Es war irrelevant. Was man wissen wusste, musste man. Was man nicht wusste, entzog sich lediglich dem Bewusstsein und war allgegenwärtig rekapitulierbar. Unwissenheit war ein Mythos, Ignoranz das Fünkchen Faktum im Kerne.
Die Psychiaterin beneidete jene ein wenig, die noch in der Lage waren ihren Körper wahrhaftig lebendig wirken zu lassen. Wem bereits zu Lebzeiten einen den Makel der Morbidität anhafte, der vermochte jene Züge auch im Untod nicht zu kaschieren. Doch hätten rote Wangen und rosiger Teint einer Ligeia auch bloß schwerlich angestanden. Der Rowena hingegen waren sie eine Zier gewesen.
Vergängliche Blüten zerschmettert auf dem zorn- und zauderlosen Richtstein der Tempi.

"Erhebende Aura des Luna-Geliebten. Namen sind nun jedoch bloß Zeichen im Sand. Inbegriff der Vanitas. So mag ich nicht sicher sein ob die Personen der von dir genannten Bezeichnung mir ein Begriff sind. Doch vernommen haben meine Ohren sie noch nie. Man munkelt Manches...das Raunen verebbt nicht.
Es ist nicht das, was zu erringen die Himmlische den Raben ausgesandt hat. Doch ja, SIE. Wie könnte ich jene nicht geschaut haben? Allein der Athene Glanz scheint verblasst. Erebos und Nyx errichten Tartaros aus sich selbst heraus. Des Yorick Haupt längst dem Horatio dargeboten.
Die Bühne rüstet zur großen Peripetie, allein ich fürchte die Katharsis muss entfallen. Bedauerlich fürwahr, zumal so überaus vorhersehbar."
 
„Welche Worte, … so … klar!“

Er seufzte. Es war so schön mit einem wissenden Geist sich zu unterhalten. Nur ein Gespräch mit den Alten war noch erhellender. Ein weinig nur.

„Wie willst du die Kräfte einsetzen deren du geboren wurdest, anzuschaffen und auszuteilen?“

Er würde über den Tisch sich beugen und ihre Hände ergreifen. Kalt und Tod. Fleisch, das verwehrt war zu verfaulen, Kraft des Blutes und des Willens.

„Kind Hanniballs!“

Sanft würde sein Daumen ihren Handrücken schmeichelnd auf und ab fahren. Seine roten Augen brannten dabei fixierend, schonungslos. Sie brannten Löcher in den Panzer, der die beiden Schwestern trennte. Er würde sie beide sehen, wie sie waren, beide, zugleich.

Er lehnte sich fast genauso schnell wieder zurück und lächelte traurig.

„Die Wege des Scheiterns sind unergründlich, doch am Ende steht ein gebrochener Mensch, verzagt, verzweifelt, vernichtet: ein Verlierer!“

Eine dicke blutige Träne quoll aus dem Augenwinkel, rann die Wange und den dürren Hals hinunter und versickerte im Kragen eines Hemdansatzes. Dort wurde er erwartet.
 
Schneeweißes Porzellan war die gebrechliche Hülle, welche das eisverzehrte Herz im Bußen der Bestie barg. Es war kein Zufall, dass ein Kompass stets nach Norden zeigen musste. Welcher Narr würde es schon wagen einem zu Füßen gelegten Pfad zu fliehen?

Die Hände des Mannes ergriffen filigrane Finger in Gestalt Keramik gleicher Glieder. Kühl waren sie, leblos und doch vital, ohne jeden Drang sich dem Zugriff des Clansbruders zu entziehen. Im Gegenteil. Sie genoss jenen für sie so ungewöhnlichen Kontakt so lange er anhielt. Allein der Familie stand es zu Körper und Geist des Raben zu berühren. Beides war eine Wohltat, stimulierend wie affektierend.
So reichten auch zwei Worte aus, um jenes Kind, das einst von obskurem Nektar gekostet hatte, wieder zum Vorschein zu bringen. In sich gekehrt trat es hervor, geleitet von dem Empfinden, welches dem Denken zuwider lief.

"Er brachte Rosen, rot und weiß. Das Kleid war nichts davon...mehr. Ich....I...we just..." Sie stockte für einen Moment, bloß um erneut, jedoch nun gänzlich anders anzusetzen.

" 'Prophet!' said I, `thing of evil! Prophet still, if bird or devil!
By that Heaven that bends above us! By that God we both adore!
Tell this soul with sorrow laden if, within the distant Aidenn,
It shall clasp a sainted maiden whom the angels name...' "

Sinnend klangen die Worte, leise, fast beschwörend hauchend und doch schnell, leidenschaftlich aber teilnahmslos gesprochen. Zutiefst versunken in regelrechtem Singsang, immer wieder erneut den Klang verändernd, der so unvermittelt endete wie er begonnen hatte.
Für einen schrecklich kurzen Augenblick, einen Wimpernschlag kaum, sahen sie ihn beide an. Ein Auge groß und staunend, allerdings leuchtend und rein. Das andere bohrend und scharf, aufmerksam, jedoch Splitter eines längst geborstenen Kristalls.
Madelaine und Ligeia. Zeit war ein Geschenk Malkavs. Irrelevant.

Mit einem Mal hatte die Geborene die Kontrolle über ihr Fleisch wieder erlangt, obgleich es ihr nicht ins Bewusstsein drang. Ihr Blick war so voller Strahlen, voll Unschuld und Unwissenheit. Eine Reinheit, wie man sie bei keinem Raubtier finden dürfte. Die vollendete, wahrhaftige Fassade der erodierten Erinnerung an ein Mädchen längst vergangener Tage, geschwunden in sich selbst. Ich, Über-Ich und Es waren analytische Dimensionen, welche in diesem Konstrukt alle ihnen zugesprochene Bedeutung verlieren mussten.
Manchmal dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis ein Geist begriff, wie sehr die Verwesung ihn bereits vereinnahmt hatte. Das Herz aber war dabei das weit größere Übel. Es hing an Dingen, die bereits vor ihm verottet sind und weigerte sich dennoch seinen eigenen Status einzugestehen, allein als Option zu betrachten.

"Keine Kraft jener Nicht-Welt wird von uns befehligt. Licht und Finsternis verschmelzen in Zwielicht zu Einheit und so sind wir hier. Was Klymene und Iapetos schufen, vermag allein dem Ruf des Verständnisses zu folgen, ihm zu dienen, gerade wenn es dem Trieb der Gesetze nicht zu entsprechen weiß.
Und doch hat die Moderne bereits ihren Vorrausdenker gesehen. Jenes Bild muss gar abstoßend erscheinen. Zumindest so, wie es mir skizziert wurde. Und doch weiß das erbärmliche Geschöpf um Manches, dem jene, denen Neid zuteil wird, niemals ansichtig werden können. Sie sind toll vor Tumbheit, taumelnd im Fieber. Das kostbarste aller Elixiere schmähen sie. "

Ruhig, weich, sacht klang die Malkavianerin und ihre Augen verrieten unbestimmte Anteilnahme, als sie die Träne ihres Gegenübers erblickte. Leid war der Kainitin ein denkbar detailliert ausgestalteter Begriff. Und doch kam kein Pathos ohne den ihm zugehörigen Preis. Eine der vielleicht erhellensten Erkenntnisse, denen die Schwestern jemals gewahr werden würden.
Wer nie etwas besessen hat, alles verliert und dennoch existiert muss dem, was zu sein er geschaffen ist, näher stehen als dem, dessen Futteral ihn umgibt.

"Wie kann man scheitern, wenn es nichts zu erreichen gibt? Es gibt keine Karten, welche man mischen und verteilen könnte. Die Dinge sind einfach und klar...denken wir. So wurden sie uns zumindest gezeigt. Man weiß und darum stimmt man zu und ist einig. Es gibt keinen Einspruch, weil der Inhalt leer bleibt und das Gesagte bloß Konturen ergibt, deren Grenzen in das Universal-Sein hinüber blenden. Allein auf Dauer bleibt der ewige Schein in der Endlichkeit, der sich unverschuldet jenen, die er nicht zu taufen vermag, entziehen muss. Die anderen allerdings werden allzeit von ihm geleitet. So auch der Rabe, dessen Schwingen ihn vom Wind getragen immer dorthin führen, wo das ihm mundende, die anderen scheuende, in Massen gar Seuchen entfachende Aas ihn erwartet."

Wie sollte dem auch anders sein? Wie hätte sie sonst an jenen Ort gelangen mögen? Warum gleicht ein Rabe einem Schreibpult?
 
Praestat in corvos quam adulatores incidere hallte durch den Raum, nur wahrnehmbar von den Erleuchteten.

„Hat die die Schwärze wirklich so viel Angst gemacht?“

Ihr Ahn schien darüber nachzudenken, ob es eine Gefahr bedeutete oder nicht und wie man darauf zu reagieren hätte.

Man konnte die Zahnräder rattern hören, welche sich in Bewegung setzen. Das konnte Raven wörtlich nehmen.

„Wir werden sich um uns die Seinen kümmern! Immer. Komm und finde Wärme!“

Neumond? Anfang? Ende?

„Erzähl, … von der Oberhexe. Erzähl, … von Köning!“
 
Ein schüchternes, aber ehrlich gerührtes Lächeln legte sich auf die vollen roten Lippen als Madelaine die lateinischen Worte vernahm. Heimat war dort, wo der Mond schien.

Dann jedoch sprach der Ältere weiter und die bleiche Brünette kam nicht umhin die weiße Stirn in Falten zu schlagen.
"Oh, es ist nicht die Finsternis, die mich schreckt", erwiderte sie. "Zumal das Dunkel doch nur all zu natürlich Bestandteil jener Existenzen sein muss. Mich schaudert viel mehr ihre offensichtliche und doch all zu unbemerkte Umfassenheit. Dosis facit venenum. Und ich bange um sie. Es ist wie überall, glauben wir. Entscheidungen fällt nicht die Vernunft sondern der Profit. Niemand mag einen Berg erklimmen, wenn er statt dessen angenehm hinab ins Tal laufen kann, vollkommen unabhängig davon, ob der Gang hinab Verderben mit sich bringen könnte. Alle Pläne sind zu kurz, die Sicht kläglich bemessen und eingegrenzt. Spiegel vollführen das Kunststück einen Raum doppelt so groß wirken zu lassen, als er es wirklich ist. Doch auch jenes Glas ist nichts als eine Wand und eines Tages wird man die Tatsache nicht mehr bloß übergehen, sondern tatsächlich zur Vollendung des Bildes unbewusst geleugnet haben. Dann laufen sie dagegen und zerschmettern ihre so sorgsam gestalteten Kulissen mit einem einzigen Schlag, bleiben blutend in den Scherben der errichteten Fassade liegen und..."

Leicht neigte das Mädchen ihr Haupt.
"Ach, diese Dinge sind nichts, was ich darlegen sollte..." Ein leises Seufzen entrang sich der Kehle der Bleichhäutigen.
"Meine Schwester begreift solcherlei weit besser als ich es tue."
Die Art, wie sie begleitend zur Artikulation ihre Hände hob untermauerten dabei ihre ehrliche Hilflosigkeit trefflich.

"Was...jene Personen anbelangt..." Nachdenklich zupfte die Malkavianerin mit den Zähnen an ihrer Unterlippe. Ihre Augen glitten suchend durch den Raum, während ihr Kopf jedoch bewegungslos in Position verharrte. Gab es eine Möglichkeit? Konnte sie vielleicht....

//Ich kann das nicht so recht erörtern und eigentlich weiß ich von diesen Dingen ja auch gar nichts zur Gänze... Das heißt, mitunter durchaus, allerdings bin ich nicht wie du...

Warum verzagst du, Schwester? Schwelgst du nicht im Sonette der erhebenden Präsenz?

Oh, nein, nein! So ist es ja gar nicht! Natürlich rührt es an mir, erfüllt, erhellt und beruhigt mich. Es ist wie allzeit - schlicht wundervoll! Jedoch....die Stadt, sie irritiert mich, verängstigt mich....und ich...ich mag nicht hier sein, obgleich ich weiß, dass ich muss. Tod. Tod und Blut, Fleisch, Asche, Gebein! Scherben überall und Schatten der Vergangenheit... aber an solche Orte gehören wir, nicht wahr?

Kein Galgen ist ausreichend für unsereins. Wir sind nicht einzig, noch weniger allein. Und eine Ausflucht ist dir nicht gestattet, nicht in deinem eigenen Fleische. Du weißt, was ich weiß, doch du scheust dich vor Rekapitulation. Armes, bedauernswertes Kind! Wo stündest du nur ohne meinen Beistand? Allerdings beklage ich mich nicht. Dein Versäumnis ist mein Gewinn und….//

"…nun, diesbezüglich werde ich wohl fortfahren", setzte Ligeia den stockenden, letztlich abgebrochenen Satz ihrer Schwester fort. Die stechend bohrenden Samaragde ihres Angesichts waren ruhend auf dem Anblick Ithamars wieder zum Stillstand gelangt, just in jenem Augenblick, als alles Beben aus ihnen gewichen war. So verblieb die Kainitin nun auch gänzlich ohne verräterisch irritierende Mimik und Gestik, sprach in kerzengeradem Sitz lediglich ruhig und nüchtern von dem, was zu erörtern sie gebeten wurde.

"Le Fay verweilte in Trinovantum zu Zeiten, als Lunas Schein noch immer getrübt schien. So kreuzten sich unsere Wege noch ehe ich aus dem Interlunium hinauszutreten vermochte und der Sieg triumphierte. Seit dem Niedergang des Millenniums war noch nicht all zu viel Zeit vergangen als ich die Schottin aus den Augen verlor. Mag es kurz vor, oder unmittelbar nach der Teilung des Stier-Reiches gewesen sein. Doch wie dem auch sei. Sie verfügt über bemerkenswert bedeutende, dilettantische Kenntnisse in den Materialien De Anima. Zur Meisterschaft wird sie darin jedoch niemals gelangen. Ein Makel des Blutes.
Aber das ist ein weites Feld. Weißt du, Bruder, um die Morgause?"


Es folgte lediglich eine kurze Pause um die gestellte Frage zu betonen ehe die Malkavianerin fortfuhr.
"Was den Tullius anbelangt, so trafen wir uns einst im Tempel des Imhotep als gleichgestellt und sprachen von allerlei indifferentem Nonsense. Er glaubt wohl, dem hohen Weg des Herolds zu folgen. Ich bezweifle allerdings, dass er um den doppelten Sinn dieses Pfades weiß, geschweige denn den notwendigen Zwiespalt zu ersehen vermag. Seine Hülle ist zweifache Firnis. Ventriloquistik liegt ihm nicht, doch was die Lippen formten, sprach er nicht allein. Er wird seinem Namen nicht gerecht, doch ist es nicht sein eigenes Verschulden. Ich frage mich, ob die Proskription bereits vorangeschritten ist, oder vielleicht in Anbetracht der Nichtigkeit ruht? Wie die Dinge nun auch liegen, so bleibt er letzten Endes nach seinem Ermessen frei des düsteren Males. Ein Elba scheint er sich wohl erkoren zu haben. Ich bitte hier jedoch um Verzeihung. Der Details gab es zu viele von weit zu wenig Gewicht um sie in Wort und Tat aufzuwerten. Allein bleibt es noch anzustoßen, dass sein Betragen einen deutlichen Schluss zulassen muss."

Manche Dinge bedürften keiner Ausführung um sich im Geiste eines Mondgeschwisters zu entfalten.
Freilich wollte Raven dem durchaus ehrbaren, erhabenen Zugeständnis ihres Ahnen nicht undankbar gegenüber erscheinen. Doch blieb ihr nichts als zu bemerken, dass es Dinge gab, die sich als nicht fassbar für sie erwiesen. Es war eigentümlich. Ganz so, als habe ein Faden, obgleich vor langer Zeit gewoben, es versäumt einen Abschluss zu finden. Welch armselige Handarbeit!
Doch wer wusste schon, wozu es taugte? Irrelevant.
Sie hatte getan, was von ihr gefordert wurde, nach bestem Wissen und Gewissen und in aller Deutlichkeit. Der Bote aus Plutos Sphären. Nichts weiter mehr.

"Ein Anliegen hätte ich jedoch vorzubringen… Sagt, ist es möglich in der Finsternis den Schein seiner geringen Zahl zum Trotz hoch zu halten? Vermögen wir das Gewicht zu erhöhen? Ich möchte mitnichten unanständig, gar taktlos erscheinen, doch wäre es wohl letztendlich in aller Sinne -sofern kein Schaden daraus erwachsen mag- den Mondschein zu stärken. Es sei denn natürlich, Wolkenbehang soll schützend gewährt bleiben."


Der Einfall war denkbar einfach. Zustimmung wie auch Ablehnung würden gleichermaßen über eine andere, unausgesprochene Frage entscheiden.
 
Ithamar lächelte als sie ihre Rede begonnen hatte. Am Ende lachte er. Aus vollem Hals. Ein ehrliches, befreiendes Lachen.

„Was sagst du zu unserer Kleinen? … Ja? Nagut. Ich …. Ohhhh. Na dann!“

Wieder schmunzelte er.

„Ob sie sich das zutraut? Frag sie? … Achso, …. DU bist schüchtern. Natürlich!“


Mit wem redete er da?

“Wie die Rabe Wasser pumpt ist das Maß! Aber bei Neumonds trüben, dunkeln Spitzen mag man, sich wohl vor Regen schützen, denn dann wird gerichtet. Ist er den vierten Tag als gelb und ringlich, sagt man, dass dieselb' ein Vorbot' vom Gestürme sei. Ein heller Mond, die Luft dabei von brauner Farbe, das bedeut' ein angenehme, trockene Zeit

Damit war das Thema für ihn erledigt. Ein wichtiger Punkt geklärt.

„Behalte den Tullius im Auge. Nicht alles ist Schein wie im Hellen. Ich spüre hier einen Schatten, einen Geissler. Hüte sie sich vor Enki-Eridu-Geheimniswahrer. Ich habe dich gewarnt.
Die Hexe übernimmt der Ahn. Sind zwei und doch eine? Man wird es prüfen. Die eine ist würdig. Empfunden, die andere kommt. Morgen? Man wird sehen. Ich spüre ein Ziehen.“

Spitzbübisch verzog sich sein Mund und seine Augen, der Schalk stand ihm ins Gesicht, ....

„Findet morgen nicht ein großes Singen statt. Messen sich die Domänen der Menschen nicht im Wettstreite der Nachtigallen? Wem gibst du die Ehre?“
 
Lachen. Laut, schallend, ehrlich, ungehemmt. Es stieß Pforten im Gedankenpalast der Malkavianerin auf, welche seit langer Zeit vollends versiegelt schienen. Dort, wo sich Ligeia gerade zusammen mit ihrem unerwarteten, heiß ersehnten Gast befand, umgab sie ein Salon. Nicht der Empfangssaal voll Prunk und leerem Tand in welchem sie Fremde zu empfangen pflegte. Nein. Geschmackvolles, durchaus nobles Dekor, durchsetzt von klassisch exotischen Kunststrichen. Das Mobiliar war im Stil der Viktorianik gestaltet und doch etwas mehr als das. Elegant, komfortabel, luxuriös und dennoch kurios. An den Wänden hingen prächtige Portraits bekannter Gesichter. Der Herr, welcher über dem angenehme Wäre verströmenden Kamin thronte, blickte mit Augen voll Scharfsinn und Würde, voll Achtung und Schalck auf den Betrachter hinab. Ein dezent illustriertes Indiz.
Im zur Linken befand sich eine Tür. Sie war bedeckt vom Abrieb langer Jahrzehnte und ihr geradezu ungepflegtes Äußeres schien seltsam unpassend im Gesamtbild des Salons, störte ihn in seiner eigentümlichen Herrlichkeit jedoch auch nicht.
Die zelebrierte Ruhe und Eintracht wurde jedoch dadurch gestört, dass eben jenes düstere Trennholz mit einem Mal aufschwang. Dahinter erschallten Rufe.
Bruchstückhaft verstreut muteten die Exponate der vernachlässigten Galerie an. Und doch verwahrte sie Dinge, welche in ihrer essentiellen Bedeutsamkeit allmählich dem Vergessen anheim fielen.
Kinderlachen dreier Mädchen. Helios strahlte.
Von irgendwoher erschallte eine Melodie und sorg- wie schuldlose Stimmen sangen:
>Tom, he was a piper's son,
He learnt to play when he was young,
And all the tune that he could play
Was 'over the hills and far away'<

"Over the hills and a great way off
The wind shall blow my top-knot off..."

Mehr sinnierend als passioniert kamen Reime längst verschollener Epochen über die Lippen der unbewegten Kainitin. Während sie mental in sich selbst ertrunken war, hatten die leidenschaftslosen, glühend grünen Augen begonnen sich nach und nach auf unbestimmte Weise zu verklären, ohne ihre Schärfe tatsächlich gänzlich einzubüßen.
Dann jedoch, als ihre Lippen jene Worte formten und sie ohne jeden musikalischen Rhythmus hauchten, war alles wieder so, wie es zuvor gewesen war.
Ligeia sah Ithamar an.
Das augenscheinliche Selbstgespräch stellte sie nicht in Frage, irritierte sie nicht. Die Sache nahm den Gang, welchen sie zu gehen hatte.
So tat es auch der Geist.
Sie schritt voran, immer weiter. Heiteres Lachen wich peinvollem Wimmern. Flüstern rauer Kinderstimmen. Ketten klirrten. Wind pfiff. Es war kalt. Eiskalt. Schaben von Metall und Holz auf Stein. Stöhnen. Ein Hauch von Fäkalien, Moder und Verfall lag in der Luft. Und Blut. Dick, geronnen.
Strahlend.
Grüne Augen begannen förmlich zu glühen.

Sie nahm den Schlüssel, steckte ihn in das ihm zugewiesene Gegenstück. Die Zellentür öffnete sich und gab Sicht frei auf das, was nimmermehr bezeugt sein würde.

"Shall this Conqueror be not once conquered? Are we not part and parcel in Thee? Who knoweth the mysteries of the will with its vigor? Man doth not yield him to the angels, nor unto death utterly, save only through the weakness of his feeble will" , wiederholte sie ruhigen Tones, was sie dereinst vor sich selbst gesprochen hatte.
Das andere erwiderte die Malkavianerin allein mit einem leichten Neigen des Hauptes. Licht ins Dunkel bringen? Ein fürwahr fürstliches Gastgeschenk!
Man sollte es die Amsel singen lassen. Ihr schenkt man Gehör.


" Was der Rabe fressen soll, das erhält der Kuhlengräber nimmermehr. Über der Grube hängt das Pendel, schwingt dort allzeit. Mag es Amüsement bereiten, eher der Abstieg in drückende Salpeterkeller erfolgt. Simplifikation. Man wird sehen, ob das Handwerk jenes Einen, der es im Dunkel empor hielt, zu neuem Glanz entflammt, dort, wo sie ruhen, die Altvorderen verborgen im Netz des Schweigens. Mancher Bann hält fester an seinem Wirte als der Adler an der Leber.
Was den Sängerkrieg anbelangt, so muss ich geständig einräumen nichts davon zu wissen. Corax parvus mag es ein Begriff sein… allein ist mir geläufig, dass es solch ein Unterfangen wohl geben mag.
Ceteri censeo…"


Blieben die Lippen der Psychiaterin auch weiterhin zuglos, so glomm irgendwo im Schein des Grüns doch etwas auf, was das Wissen eines Schelms zu verraten mochte. Manche Dinge wiederholten sich immer und immer noch einmal - allein die Location mochte im Kontext veränderlich scheinen.
Allmählich verzogen sich die Mundwinkel Ravens und formten somit ein beinahe bereits perfide anmutendes Schmunzeln.

"Es bliebe zu erwähnen, dass Engels Erbe Gevatters Gesandtem Quartier gewähren mochte. Trefflichst! Zumal kein Usher!
Doch das Verharren zu erwirken, gar zur Sehnsucht zu verkehren, mangelt es dem Hof an Lunaschein. Allerdings sollte man es einmal erwähnen. Bei allem Makel bleiben Taten von Bedeutung. Ein Chronist sollte voll Bescheidenheit auf sie verweisen, mag der gepriesene in Gestalt und Geist auch noch so zu vernachlässigen erscheinen in all seiner dringlichen Achtung."

Behutsam zog sie die Türe zu. Sie wollte jene nicht aufwecken. Keinen Laut hinterließen die feinen Schuhe auf dem harten, unebenen Stein voll Dreck und Staub. Sie verließ die Galerie und fand sich mit einem Male wieder in den Salon zurück versetzt. Wie überaus inadäquat und doch vollkommen er ihr anmuten musste!
Die Türe war lediglich angelehnt.
Verhaltener Applaus.
Blut vorzugeben? Beschlossen!
Das Verfahren? Im Sinne des Proceß.

Das Protokoll? Vollständig.
 
Ithamar war ein wenig irritiert. Wann hatte er das letzte Mal gelacht? Hatte er überhaupt schon einmal gelacht? Man musste es weiter beobachten.

Eine neue Zeit brach an und würde Veränderung bringen. Crux nafta elebsa mix into, sozusagen.

Er wartete geduldig ob des Endes ihrer Gedanken welche klar sich vor im ausbreiteten. Würde sie ihn bemerken? In den Spiegeln? War es notwendig klarer die Sicht sich zu Eigen zu machen?

„Nett. Wirklich nett. Aber das wie und wo ist immer wichtig. Sag, wieso? Wieso nicht! Oder?“

Damit war ihre Herkunft, ihre Qualifikation erklärt und für den Ahn abgehandelt.

„…carthaginem esse delendam! Immer und überall, man soll die Narren nicht alleine lassen. Aufgaben sind vielfällig. Siehst du Finstertal wie es wird? Wir müssen helfen. Wir müssen!“

Wieder schien hier ein Gedankensprung getan worden.

„Sind dir 4 Tage zu schwierig? Soll es deren drei sein? Les bonnes choses vont par trois. Ok. Du hast die Zeit. Rex umbra venefica – adversarius. Denke daran, schlage dich gut. Ich bin immer bei dir. Ein Ruf, ein Schrei und man hat die Aufmerksamkeit. Schaffst du das?“

Fast schon profan klang die nächste Frage.

„Wo übertagst du? Wo liegt das Haupt des Raben?“
 
Es dauerte den Bruchteil einer Ewigkeit ehe Raven bemerkte, dass die Dinge in trauter Verschlossenheit ein wenig anders standen als vermutet. Doch musste sie sich gestehen, dass es weder unerwartet noch unüblich war, was ihr an dieser Stelle widerfuhr. Ein Angesicht widerhallend von poliertem Mobiliar, glänzendem Metall, bloß für einen Lidschlag jeweils, aber gänzlich unverkennbar. Doch dieses Mal war es nicht blond gelockter Engelsschopf, welcher die Psychiaterin verfolgte an jenem einen, kleinen, einzigen Rückzugsort ihrer Seelen. Es war jemand, der diese Hallen niemals zuvor betreten hatte, dem niemand die Tür geöffnet hatte und der doch nicht als Eindringling gesehen werden konnte. Das Portal lag frei und unverhüllt für jene, denen Fleisch auf Dauer nichts als ein Gefängnis, ein Kokon sein musste.
Für einen Sekundenbruchteil drohte tiefes Schwarz das Grün ihrer Augen zu verdrängen. Verwirrung, Zaudern. Doch bloß scheinbar. Schon war die Dominanz des Glühens erneut gewahrt. Es war, wie es sein sollte. Luna wusste. Luna schwieg.

Die Brünette neigte das Haupt leicht gen Ithamar in einer Geste der Ehrerbietung und des Zuspruchs gleicher Maßen. Eine unausgesprochene Dankbarkeit wohnte dem Niederschlagen der Lider inne, ehe sie ihr Gegenüber erneut ansah wie zuvor, beobachtend, wie es die Deformation Professional gebot, und sprach:
"What ails you, father?"

Verbundenheit und unzweifelhafte Nähe über die räumliche Dimension hinaus waren es, die Raven dazu veranlassten in ihre Muttersprache zurück zu verfallen. Doch welche Bedeutung mochte dies schon haben? Worte blieben Schall und Rauch, die Botschaft dahinter stimmlos ausführlich.
Und so fuhr die bleiche Untote fort ohne das ihre Zunge fest Position beziehen würde, gänzlich ohne daran auch bloß einen einzigen Gedanken zu verschwenden, die weiße Stirn dabei in nachdenkliche, von vielleicht gar Besorgnis begleitete Falten gelegt. Was den Ahnen irritierte musste die Ancillae zumindest interessieren, wenn nicht gar schrecken?

"Verzeiht meine Neugierde, mag sie ungebührlich anmuten. Jedoch…ich komme bloß nicht umhin zu sehen, was Augen preisgeben, obgleich mehr ich mir herauszunehmen nicht gestatte."
Als der Ahn Ravens lateinische Worte fortführte entlockte dies ihr ein amüsiertes, für ihre Verhältnisse geradezu unübliche warmes Schmunzeln. Ligeia nickte zustimmend.

"Dazu sind wir gesandt und gekommen. Kein Ort mag besser geeignet sein als dieser eine.
Was die Tage anbelangt, so ist ein einzelner doch bereits eine Ewigkeit. Es sollte jedoch wohl die Rückkehr zur Einheit dem Vielen voraus gehen. Man wird es vervollkommnen, zweifellos.
Bloß sollte es verkündet werden. Morgen Nacht vielleicht à drois? Wollen wir den ersten Funken gemeinsam entfachen?"

Nachdenklich neigte die Malkavianerin den Kopf ein Stück weit zur Seite.

"Ich bin nicht fähig dem Fürsten zuwider zu handeln. Ob er den Spaß erduldet, sich gar daran erquickt? So muss er wohl. Bloß wer zahlt die Zeche? Zu welch anderem Tanz vermögen wir zu schreiten, wenn nicht jenem, zudem seine Gnaden aufspielt?
Die Stimme schweigt solange wie sie zu rufen nicht genötigt wird. Im schlimmsten Falle…sie wird da sein.
Ich danke euch vielmals dafür, werde eure Worte achten."

Ithamars letzte Frage mochte verglichen mit den schwerwiegenden Hauptsächlichkeiten des bisherigen Gespräches für andere vielleicht deplatziert wirken, nicht jedoch für seine Clansschwester. Je länger sie in seiner Gegenwart verharrte, umso mehr bröckelte die kunstvoll gestaltete Maske ihrer Zurechnungsfähigkeit, denn sie verschwendete keine Mühe darauf etwas zu erhalten, was der andere ohnehin entlarven musste. Und so folgte sie seinen Gedanken, ließ sich von ihnen führen, inspirieren und leiten, bloß weil es in der Fremde viel zu selten Gelegenheit zu dergleichen gab. Es gefiel ihr. Er war...imponierend auf eine gänzlich eigene Weise.

"Noch hat er kein Nest gebaut. Nahe des Refugiums traf ich auf das Engelskind. Überreste der Industrialisierung dürfte ich den letzten Tag beziehen. A rare and radiant maiden… nun, sie selektiert. Wir suchen nach eigener Schlafstätte. Die Tochter des Abgrundes mag es nicht dort wo wir sind. Sie legte uns Spanien nahe. Das Ambiente erscheint uns jedoch fraglos zu trocken…

Wo tagt ihr, Bruder? Mögt ihr empfehlen?"
 
„Das Haus des Herrn bietet jedem genau seinen Platz, der darum bittet. Wo zwei oder drei von uns versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“


War das jetzt eine Einladung?


Sie würde es wissen.


„Felix qui potuit rerum cognoscere causas!”


Ithamar griff noch einmal ihre Hände.


„Aber impavidi progrediamur. So du, Schwester, noch Dinge weißt, sprich. Und verdrehe nichts. Hilfe von Nöten Hilfe kommet!“
 
"Zu dritt sind wir hier. Mag es auch einen halben mehr behüten?"
Eine Frage, die sich die Doktorin selbst beantworten sollte, ganz so, wie es ihrem Wesen entsprach.

"Once upon a midnight dreary, while I pondered weak and weary,
Over many a quaint and curious volume of forgotten lore,
While I nodded, nearly napping, suddenly there came a tapping,
-Only this, and nothing more."

Wiederum ließ Ligeia ihren Clansbruder gewähren, als er ihre Hände packte. Ein Zugeständnis, welches außerhalb der Familie für sie kaum denkbar wäre, wenigstens in dieser Form. Hier und jetzt jedoch war es absolut selbstverständlich.
Sie sah ihn an, unbewegt und eingehend, studierend und doch ganz ohne jenes Bohren, welches sie ihrem Gegenüber sonst so häufig zu Teil werden ließ.
Was würde es auch schon bringen einen Geist zu sezieren, der den eigenen beschritt? Für solche Albernheiten war die Psychiaterin nicht aufgeschlossen. Und doch konnte sie das Beobachten als solches nicht aufgeben. Eine alte, geradezu antrainierte Gewohnheit.

"Allenfalls aufdrängen sollte sich niemand. Gefälligkeiten zu fordern, wo sich nicht bedurft werden scheint ungebührlich.
Was weiteres anbelangt...
Erst einmal floh Luna seit meiner Ankunft. Wenig bleibt hinzuzufügen. Allein...nomen est omen... zumeist. Betreffend soll erneut Aufwartung getätigt werden. Darüber hinaus...es quält mich die Rufe zu vernehmen, denen ich folgen mag, und doch nicht soll... aber verpflichtet bin ich dennoch... amantes amentes... Sollte ich zaudern? Noch tagt es nicht und ein Besuch wäre möglich... Würdet ihr uns begleiten?
Würdet... würde man es wünschen?
Und dann das Erbe! Es muss angetreten werden, nicht wahr? Alles andere wäre Hohn! Ein Anliegen, welches ich vorzubringen gedenke...."
 
"Nun denn, dann .... !"

Er erhol sich, lüftete den nicht vorhandenen Hut, auch in Richtung Theke.

"Geruhsame Nacht und einen schönen Tag!"

Er schritt hinaus und war schnell nur noch ein Gedanke, eine Erinnerung. War es Wirklichkeit?

Jetzt waren sie verbunden und nie wieder alleine. Eine neue Zeit für die Fistertaler.

Malkav war in die Stadt zurückgekehrt.
 
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