[15.05.2008] New Guy

traum

Grinsekatze
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Nächster Halt: Finstertal, tönte es blechern aus den Lautsprechern des Regionalzugs. Kaum jemand war noch wach, der die Durchsage hätte hören können. Die meisten Fahrgäste waren entweder längst in den Schlafwagen gegangen oder auf ihren Sitzen eingenickt. Nur hin und wieder konnte man das Rascheln einer Zeitung, ein leises Räuspern oder Hüsteln hören. Noah saß im hinteren Teil des Zugs und hatte seinen Laptop vor sich auf dem kleinen Holztisch aufgeklappt. Das leichte Schimmern des Bildschirms ließ seine Haut noch bleicher erscheinen als sie sowieso schon war, doch im Moment war es nicht nötig Blut durch seinen Körper zu pumpen um nicht aufzufallen. Niemand hier nahm ihn wirklich wahr.

Er hatte seinen Zeigefinger auf dem Touchpad und bewegte ihn geistesabwesend im Takt der Musik, die er durch seine Kopfhörer hörte. Den Kopf hatte er auf seine linke Hand gestützt und blickte aus dem Fenster. Chiptunes hörte er beim Zugfahren am liebsten. Wenn man sich auf nichts besonders konzentrierte, hatten die vorbeiziehenden Lichter in Verbindung mit den derben 8-Bit-Sounds eine wunderbar meditative Wirkung. Er mochte das ziemlich.

Seine Augen wanderten auf das Display des Laptops. Kunstakademie... Buchet...evtl. Café des Trois... waren ein paar der Notizen die er sich gemacht hatte, bevor er sich auf die Reise nach Finstertal gemacht hatte. Er würde sicher nicht den Fehler machen und ohne Informationen in einer Stadt dieser Größe einrollen. Einer seiner Kontakte hatte ihn mit den nötigsten Informationen versorgt, so dass ihm zielloses umherirren erspart bleiben würde.

Er klappte den Laptop zu, stopfte ihn in seinen Rucksack und stand auf, als der Zug langsam in den Bahnhof einfuhr.

Er würde ein Taxi finden müssen, das ihn zur Kunstakademie bringen würde.
 
Nun, einie wenige Taxis stand vor dem Haupteingang des gewaltigen Glas- und Metallbaus, der so garnicht wirklich in diese Stadt zu passen schien, hier war noch einiges los, anscheinend war Finstertal eine Stadt die niemals schlief. Durchsagen halten durch die Hallen, über mehrere Ebenen verteilt gab es Gleise, da hatte sich jemand viel Mühe mit der Architektur gegeben, zumindest wenn man moderne Gebäude mochte. Der vordere Taxifahrer in der Reihe rauchte bei offenem Fenster eine Zigarette und las in einer Zeitung. Er war wohl eher türkischer Mitbürger, aber es war keine türkische Zeitung in seiner Hand, also würde er wohl deutsch können.
 
Mann, auf wessen Mist war denn dieser Bau gewachsen? Staunend drückte sich Noah an einem Grüppchen asiatischer Touristen vorbei, den Rucksack auf der rechten Schulter, die linke Hand in der Tasche, wo er nervös mit den Fingern knackte. Er hatte Menschenmengen noch nie gemocht. Wer hatte denn geahnt, dass der Finstertaler Bahnhof so ein hoch frequentierter Ort sein würde? Sicher, am Bahnhof in großen Städten war immer ein wenig mehr los, aber mit dem hier hatte er nicht gerechnet. Er versuchte gerade einen Ausgang zu finden, als er kurz mit einem großen Kerl zusammenstieß. "Pass doch auf, du Vogel!", motzte der Typ und Noah konnte grade noch entschuldigend die Hände heben, bevor er um die nächste Menschentraube herum stolpern konnte. Wie ätzend war das denn?

Er blieb einen Moment stehen und suchte den Ausgang. Dort war er! Mit einigen schnellen Schritten war er an diversen Fast-Food-Restaurants und Pizzabuden vorbei und endlich draussen angekommen. Erleichtert stellte er fest, das genug Taxis da waren und er lächelte kurz, hatte er doch wirklich angenommen, dass er hier auf einem fast menschenleeren Bahnhof ankommen würde. Natürlich würden in einer Stadt wie Finstertal genug Taxis am Bahnhof stehen. Na, dann konnte er ja nun auch gleich das erstbeste Taxi nehmen.

Er öffnete die hintere Tür und legte seinen Rucksack neben sich auf die Rückbank. "Hi.", sagte Noah freundlich. "Ich muss zur Kunstakademie. Wissen Sie wo das ist?"

Blöde Frage, Noah. Er war schließlich der Taxifahrer. Wer, wenn nicht er, wusste wo die Kunstakademie war. Er lehnte sich zurück und legte den Sicherheitsgurt an.
 
Der Taxifahrer faltete seine Zeitung zusammen und schnippte die Zigarette weg.

"Ja, ntürlich immerhin haben sie Mohamed, den schnellsten und besten Fahrer in ganz Finstertal vor sich." Ein freches Grinsen und er stieg aus, um hinter Noah die Tür zu schließen, dann ging es auch schon los und Mohamed benutzt nicht die Hauptstrassen. Alles in allem hielt das Taxi mit quietschenden Reifen eine kurze Zeit später vor dem altviktorianischen Bau.

"Macht 17,80, der Herr, brauchen sie eine Quittung?"
 
Noah wurde kurz in den Sitz gedrückt, als Mohamed das Taxi beschleunigte. "Gibt es in der Stadt zur Zeit irgendwas Besonderes", fragte Noah, als er aus dem Fenster sah. Warum war er überhaupt hier her gekommen? Er hätte natürlich genau so gut da bleiben können wo er hergekommen war. Wahrscheinlich der Mensch in ihm, der immer noch der Meinung war, dass sich irgendwas ändern würde, nur weil man den Wohnort wechselte. Tapetenwechsel, ein neuer Anfang, all das Zeug. Warum sollte sich schon irgendwas ändern, nur weil er an einem anderen Ort war?

"Ich war noch nie hier. Vielleicht bleibe ich eine Weile, wenn es mir gefällt. Gibt es hier Stadtteile wo man Nachts lieber nicht hingehen sollte?"

Wenn nichts anderes, dann waren in genau in diesen Stadtteilen die Mieten erschwinglich und es war den meisten Leuten scheißegal, was der andere machte, so lange man sich um seinen eigenen Kram kümmerte. Eigentlich genau das, was Noah mochte. Wenig ging ihm mehr auf den Keks als 'freundliche' Nachbarn, die sich all zu sehr dafür interessierten was in der Wohnung nebenan vor sich ging.

"Kann man hier gut leben?"

Leben. Ha!

Noah musste sich am Vordersitz abstützen, als Mohamed mit quietschenden Reifen stehen blieb. Offensichtlich waren sie bereits angekommen. "Sie haben aber einen ziemlich zackigen Fahrstil. Gefällt mir. So kommt man wenigstens schnell an.", faselte Noah, als er seine Geldbörse aus der Gesäßtasche fingerte und einen 20 € Schein heraus holte. Er reichte ihn nach vorne. "Stimmt so. Danke."

Er nahm seinen Rucksack und stieg aus dem Taxi. Anerkennend stieß er einen Pfiff aus. Dass Finstertal in der Hand eines Toreador war, das wusste er bereits, aber dennoch imponierte ihm jedes Mal auf's neue, wie sie ihre Passion lebten. Oder eher, wie sie sich ihr hingaben. Der Putz hatte allerdings einigermaßen gelitten. Es wäre vielleicht mal wieder Zeit für einen neuen Anstrich. Im selben Moment als Mohamed mit einem Kavalierstart davon raste, setzte sich Noah in Bewegung. An der Skulptur vorbei, ging er die Treppen zwischen den. Säulen hinauf und suchte nach der Klingel. Als er sie gedrückt hatte, ging er noch einmal ein paar Schritte nach hinten und reckte den Hals. War überhaupt überhaupt irgendwo Licht eingeschaltet?
 
Nun Mohamed würde ziemlich freiwillig Auskunft geben und Noah Gegenden nennen, die man meiden sollte und andere, wo man Spaß haben konnte und zwar wußte er da für jeden Geschmack etwas und wenn Noah sich viel davon merkte, würde er wissen, wo man gut und wo man billig wohnen konnte, leider gab es kaum eine Möglichkeit für beides.

Nun stand er da vorm Haupteingang der Kunstakademie und es gab keine Klingel, doch ein leichtes Drücken an der Tür zeigte an, daß die Tür offen war. Es war schon spät, aber hinter einigen Fenstern war wirklich noch Licht.
 
Als Noah gesehen hatte, das noch Licht brannte, ging er wieder zur Tür und wartete dort einen Moment. Noch einmal blickte er hinunter auf den Knopf, den er eben gedrückt hatte. Scheinbar hatte er nicht richtig hingesehen und eine Mörtelverzierung an der Fassade gedrückt, statt einem Klingelknopf. Er schnaubte kurz und sah sich um. Hoffentlich hatte das niemand gesehen.

Als er prüfend die Hand um den Türknauf legte, stellt er fest, dass er die Tür aufschieben konnte. Er untersuchte den Türrahmen kurz nach Einbruchsspuren und drückte die Tür langsam auf.

"Hallo?", rief er in die Eingangshalle. "Ist jemand hier?"
 
Es gab keine Einbruchspuren und drinnen brannte Licht, es war eine grosse Halle mit einigen Türen, einige Gänge gingen ab und eine breite Treppe führte nach oben.

Es dauerte einen Augenblick, dann kam ein Wachmann um die Ecke und musterte Noah.
"Guten Abend, was ist denn, brauchen sie Hilfe?" fragte er freundlich.
 
Noah machte einen Schritt in die Halle und sah sich kurz um. Standesgemäß, oder?, huschte es ihm durch den Kopf. Er lächelte den Wachmann offen an und machte eine entschuldigende Geste mit der linken Hand. "Guten Abend, mein Name ist Kaltmann. Ich bin hier um Herrn Buchet zu sehen. Ich würde mich gern vorstellen, da ich hier neu bin."

Das entsprach im Grunde genau den Tatsachen, allerdings so formuliert, dass man nicht unbedingt auf die Idee käme, dahinter die jahrhunderte alte Etikette einer Geheimgesellschaft zu vermuten. Er ließ die linke Hand sinken und setzte seinen Rucksack auf dem Boden ab.
 
"Guten Abend, Herr Kaltmann, aber Herr Buchet ist nicht hier", sagte der Wachmann. "Er wird auch nie mehr kommen, vielleicht hat es sich noch nicht herumgesprochen, aber Herr Buchet ist einem Terroranschlag zum Opfer gefallen.
Gehen sie doch morgen ins Studentensekretariat und melden sie sich dort an, Herr Kaltmann."

Auch das entsprach genau der Wahrheit, was sollte er dem jungen Mann auch anderes sagen?
 
Noah blickte den Wachmann stumm an. Damit hatte er nicht gerechnet. Einem Terroranschlag? Wann sollte das passiert sein? Sein Blick wanderte nach links, über ein paar der Türen an der Seite, nur um am Ende wieder beim Wachmann zu enden. Dabei kaute er leicht auf der Unterlippe und runzelte die Stirn. Und jetzt? Sollte er nach der Vertretung fragen? Ach was sollte es schon schaden?

"Einem Terroranschlag? Mein Gott... wann?"

Letztendlich war es ihm egal bei wem er sich vorstellen würde. Er hatte nur keine Lust vielleicht noch heute Nacht von der Geißel aufgespürt und fürchterlich verprügelt zu werden. Oder schlimmeres. Er musste jetzt langsam zur Sache kommen. Blöd wäre nur, wenn dieser Wachmann weder Ghul war, noch irgendwie anders mit der ganzen Thematik vertraut war.

"Hören Sie, ich bin kein Student. Ich bin, ein Kollege, gewissermaßen. Hat Herr Buchet keine Vertretung mit der ich sprechen kann? Jemanden der sich um den ganzen Laden kümmert?"
 
"Das ist erst ein paar Tage her, allerdings hat Herr Buchet nicht unbedingt etwas mit dem Lehrkörper zu tun, es war unser Mäzen, sie können sich also getrost während der Dienstzeiten anmelden." Der Wachmann lächelte freundlich und vielleicht würd Noah langsam dämmern, daß dies vielleicht der falsche Eingang sein könnte.

Von übernatürlichen Wesenheiten schien sein Gegenüber wohl keine Ahnung zu haben. Wie wollte er nun den Eingang finden, das könnte schwierig werden.
 
"Nun, das ist wirklich bedauerlich. Aber vielen Dank für die Info, ich werde dann einfach morgen früh wieder reinschauen. ", Noah nahm seinen Rucksack auf und ging durch die große Tür zurück nach draussen. Das war ja ganz wunderbar gelaufen. Er war sich nach den paar Sätzen relativ sicher, dass der Wachmann eben nur das war. Ein Wachmann. Wahrscheinlich von einer Fremdfirma, die schlecht bezahlte und auch sonst keine Infos an seine Mitarbeiter weitergab.

Was nun? Noah blieb neben der Skulptur stehen und sah sich um. Er wollte jetzt auch nicht unbedingt hier herumschleichen, aber möglicherweise gab es eine Art Weg, der um das Gebäude herum führte. Er könnte wenigstens einen Blick riskieren. Ein Schild mit der Aufschrift 'Vampire bitte hier entlang' würde er wohl kaum finden, aber vielleicht würde ihm irgendetwas anderes auffallen.
 
Der Wachmann verabschiedete Noah freundlich und setzte dann sein Runde fort, es passierte hier nachts zwar wenig, aber einige hielten sich immer noch in den einzelnen Räumen auf und da sollte man auf alles vorbereitet sein.
 
Vielleicht würde es ganz praktisch sein, mal ums Gebäude herumzugehen, war zwar vielleicht nicht in jeder Stadt so, aber oftmals waren die Büros der Untoten etwas versteckt, das würde etwas Aufmerksamkeit erfordern.
 
Noah steckte die Hände in die Taschen und schlenderte langsam rechts am Gebäude vorbei. Tatsächlich konnte er einen Weg ausmachen, der um das Gebäude herum zu führen schien. Da der Bereich nicht abgesperrt oder verschlossen war, beschloss Noah dem Weg zu folgen und die Augen offen zu halten.

Wie wahrscheinlich war es eigentlich, dass er nicht schon längst beobachtet wurde? Falls nicht, würde das nicht unbedingt für diese Stadt sprechen. Wie schwer konnte es schon sein sich vorzustellen? Er trat ein Steinchen beiseite und folgte einer Kurve um das Gebäude herum. Ein paar Fenster waren beleuchtet, aber sonst konnte er nichts besonderes erkennen. Er würde einfach weiter um die Akademie herum latschen, bis man ihn entweder hinauswarf oder er irgendetwas entdeckte. Er gab sich wirklich große Mühe etwas zu finden.
 
Irgendwann würde da eine eher auffällig unauffällige Seitentür sein, die mit einer Kamera versehen war. Das schien dann doch auffällig, nicht, vielleicht sollte vampir sich das mal näher ansehen, es könnte schließlich sein, daß das etwas zu bedeuten hatte. Ein überaus hübsch aussehender Kopfer konnte auch gefunden werden. Vielleicht konnte Toreador einfach nicht ohne kleine mehr oder weniger dezente Hinweise sein. Vermutlich war es einen Versuch wert.
 
"Aha...", murmelte Noah, als er einige Meter um das Gebäude herum gegangen war und eine Tür entdeckte, die von einer Kamera überwacht wurde. Auch auf die Gefahr hin, dass der selbe Wachmann wie vorhin auch diese Tür öffnen würde, ging Noah hinüber und sah kurz nach oben in die Kamera. Warum machte man das eigentlich dauernd? Blöd in irgendeine Linse zu glotzen, die auf einen gerichtet war...

Er nahm den Klopfer in die Hand und klopfte ein paar Mal. Dann blieb er stehen und stopfte wartend die Hände in die Taschen.
 
Es würde eine ganze Weile dauern, dann endlich nach einer halben Ewigkeit, würde die Tür sich öffnen und er konnte in einen Vorraum treten. Ein junger gutaussehender Mann in Jeans und Hemd stand in einer offenen Tür.

"Guten Abend, der Herr, was wünschen sie?" fragte er.

Offenbar hatte heute keiner Besuch erwartet.
 
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