[10.05.2008] Federn lassen

Drakun

Pflanze
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9. Juni 2007
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Marta lief die Straße entlang. Wie ein grünes Leichentuch hing eine geschlossene Wolkendecke über der Stadt, manchmal durchzogen von Blitzen, Adern, die Energie aus der Welt zu ziehen schienen. Es war vergleichsweise warm und doch lag eine Kälte in der Luft, die einen frösteln lies. Dass sie das Gefühl hatte, durch Watte zu laufen, in welcher insbesondere ihre Gedanken kleben blieben, war ja schon bekannt. Zu allem Überfluss lagen noch flüsternde Stimmen in der Luft. Allgegenwärtig, mal lockend, mal höhnend, mal vollkommen neutral wie ein Selbstgespräch, dass die nur zufällig mit anhörte. Anhören musste. Es gab keine Möglichkeit sie verstummen zu lassen. Und obwohl die Worte nicht einmal unverständlich waren, war es, als ob sie an einer unsichtbaren Wand abrutschten und im Nebel des Vergessens. Die junge Frau verstand jedes Wort. Doch kurz darauf war alles wieder vergessen. Schlimmer noch, sie hatte sogar vergessen, wo sie sich in der Stadt befand. Die Schuhe mit den eher kleinen Absätzen hatten sie einfach über den Asphalt getragen. Auf der Suche nach Blut.

Nachdem ihr gestriger Ausflug erfolglos geblieben war, hatte sich Marta in ihre Unterkunft begeben, stets verfolgt von huschenden Schatten und seltsamen Geräuschen doch ohne auch nur ein Lebewesen zu erblicken. Man konnte meinen, der Fluch griff um sich wie eine Seuche, traf die Stärkeren zuerst aber die Schwächeren viel stärker. Ein leichter Brandgeruch hatte in der Luft gelegen, kaum merklich und auf der anderen Seite seltsam faulig. Davon war heute nichts mehr zu spüren. An dessen Stelle war nun das Flüstern getreten, schlechter zu ignorieren und genau so faulig. Und es hatte sich etwas daran verändert. Eine Richtung war auszumachen. Die Stimmen hatten einen Ursprung! Ob dies nun eine weitere Wahnvorstellung war oder die Geräusche tatsächlich außerhalb ihres Kopfes entstanden, war zu ergründen. Die Vampirin schlug die entsprechende Richtung ein, angezogen wie eine Motte von Licht.

Ihr Weg führte sie letztendlich zu einem großen, durchaus pompös wirkenden Gebäude. Am Tage mochte es ein Wahrzeichen architektonischer Leistung sein, doch jetzt wirkte es wie ein riesiges Ungeheuer, das unentwegt vor sich hin brabbelte. Das Tor stand offen, ein Schlund stand offen, finster, als würde er direkt in die Unterwelt führen. Möglichst unauffällig steuerte Marta darauf zu. Normalerweise wurden solche Gebäude bewacht, auch wenn heute niemand zu sehen war. jemand war hier, die Stimmen bezeugten es. Und sie kamen eindeutig aus dem Inneren. Marta schlümpfte hinein und schlich durch aufwändig verzierte Gänge, immer den Stimmen folgend, deren Worte sie nicht aufnehmen konnte. In einem Saal wurde sie fündig.

Gestalten, Anzahl und Gesichter genau so einprägsam wie ihre Worte, standen um etwas herum, das wie eine Art Altar wirkte. Darauf lag eine weitere Person, die Marta unbekannt war. Was sich hier ereignete sah aus wie ein Opferritual. Die Ausführenden waren dermaßen vertieft, dass sie den Neuankömmling nicht bemerkten und Marta hatte auch nicht vor, daran etwas zu ändern. Halb im Dunkel verborgen, beobachtete sie das Treiben. Die Bewegungen der Teilnehmer wurden immer zielgerichteter, wie auch die Stimmen, die sich zu einem einheitlichen Gemurmel steigerten bis sie irgendwann ganz verstummten.

Man hatte den Eindruck, die Zeit war eingefroren. Keine Bewegung und kein Geräusch waren mehr zu vernehmen. Die Szene ähnelte einem Gemälde, festgehalten und vom Zeitfluss befreit. Und dann kam der Schrei. Und mit ihm das Licht. Die Gestalt auf dem Altar schien regelrecht in Flammen aufzugehen und verwandelte sich binnen eines Wimpernschlages in einen glühenden, unglaublich hellen Ball. Marta hatte keine Chance auch nur die Augen zu schließen. Alles war weiß. Blind taumelte sie gegen die Wand, stieß gegen etwas, dass sich zu lösen schien und wahrscheinlich mit großen Getöse zu Boden gefallen wäre, wenn nicht die gequälten Schreie jegliches Geräusch übertönt hätten. Auch dem Nebel, der ihren Geist gefangen hatte schien sich zu entzünden. Es schmerzte höllisch. Sie schien von innen heraus zu verbrennen. In Qualen wälzte sie sich auf dem Boden, nicht einmal in der Lage zu schreien. Nur ein schwaches Keuchen entkam ihrem Mund, ging jedoch einfach unter. Ihre Kräfte schienen nachzulassen, Marta hatte das Gefühl bei lebendigem Leb zu verbrennen. Der Überlebensinstinkt übernahm. Sie schlug um sich wie ein Tier im Todeskampf. Ein Gegenstand ging zu Bruch. Dann war da etwas weicheres. Vor Schmerzen rasend packte sie es, schlug ihre Zähne hinein als könnte sie sich vom Leid befreien indem sie es weitergab. Fänge gruben sich in die ungewöhnlich trockene Masse, zerfetzten alles in ihrem Weg und rissen Fetzen heraus. Das Brennen lies nach, machte einem dumpfen Gefühl platz. Alles wurde taub, dumpf. Sie erschlaffte. Öffnete die Augen, als die Sicht klaren wurde. Dunkelheit. Und Schnee. Nein, Reste von Stoff und Federn.
 
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Na, toll. Das hast du wieder fein hinbekommen... Marta blickte auf das Chaos vor ihr. Überall waren weiße Fetzen verteilt, kümmerliche Reste von Decke und Kissen. Der Kadaver der Matraze wirkte völlig ausgeweidet, Einzelteile lagen zwischen Federn verstreut im ganzen Raum. Wenigstens das Gestell hatte keinen übermäßigen Schaden genommen. Trotzdem hatte sie keine Ahnung, wie sie dieses Durcheinander irgendjemandem erklären sollte. Entschuldigung, ich habe schlecht geträumt. Deshalb musste ich das Bett zerlegen. Natürlich mit den Zähnen. Ja, es war schließlich völlig normal für eine junge Frau, ihren Ärger über wenig erholsamen Schlaf am nächstbesten Gegenstand in Reichweite auszulassen. Und ihr Schlaf war wirklich nicht erholsam gewesen. Noch immer zitterte sie am ganzen Leib. Es hatte sich so echt angefühlt. Es hatte wirklich weh getan, selbst jetzt in der Erinnerung. Aber sie war unverletzt. Ich muss mich um das hier kümmern. Nein, lassen konnte sie es so nicht.

Einige Zeit später hatten sich Fetzen, Federn und die größeren Reste auf einem Haufen gesammelt und Marta hatte sich wieder etwas beruhigt. Bevor sie sich weiter um die Sachen kümmern würde, stand ein Besuch im Badezimmer an, wo sie sich selbst von den letzten Resten befreite und etwas auf Vordermann brachte. Mit dem Resultat zufrieden, ging sie nun den zweiten Teil an. Hier muss es doch irgendwo einen Wäscheraum geben. Eine neue Matraze musste her. Und die Reste der alten mussten beseitigt werden - eine Art Sack wäre dabei eine große Hilfe, notfalls tat es auch ein Laken. Da niemand zu sehen war, schritt Marta den Gang entlang und begab sich auf die Suche.
 
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Nach einigem Suchen fand sie, was sie wollte. Der Raum war klein, finster und vollgestopft mit Bettsachen. Kissen, Decken und Überzüge türmten sich aufeinander, obenauf eine dünne, doch merkliche Staubschicht. Hier war wohl schon länger keiner mehr. Was natürlich auch Rückschlüsse auf ihr altes Bettzeug gab... Zumindest konnte Marta sich so ungestört bedienen und die Exemplare aus den Tiefen der Stapel waren sogar sauber. Dumm nur, dass der Raum weder Ersatzbetten noch Matratzen beinhaltete. Dann muss ich eben noch woanders nachschauen. Die bisherige Beute landete zumindest schon mal auf dem Zimmer, wo ein Laken gleich als behelfsmäßige Tasche missbraucht wurde. Federn, Texitl und Schaumstoff wanderten in die weiße Hülle, die dann mit einem dekorativen Knoten verziert und verschlossen wurde. Teil zwei: Ein neues Polster.

Ihr Weg führte Marta in den Eingangsbereich, welcher heute erstaunlich still und leer wirkte. Anscheinend hatte das Personal den Dienst nicht einmal angetreten. Alles in allem wirkte das 'Hotel' wie geschlossen. Hoffentlich hat niemand die Haustür zugesperrt. Da keine Zeugen jedweder Art - als ob derartige Unterkünfte ein Überwachungssystem hätten - zu entdecken waren, konnte man ohne Probleme in den 'Zutritt nur für Personal'-Bereich eindringen. Vielleicht gab es ja weitere Lager oder Schlüssel zu unvermieteten Zimmern. Und sollte sie doch auf eine Person treffen, konnte sie ja sagen, dass sie jemanden suchte. So falsch ist das ja nicht. Marta könnte durchaus einen Schluck vertragen.
 
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Nahrhaftes fand sie nicht, dafür einen weiteren, diesmal etwas größeren, Raum. Benutze Wäsche türmte sich hier, angestarrt von ausgehungerten Maschinen. Doch es gab niemanden, der sie füttern konnte. Oder wollte. Marta suchte etwas anderes und wurde wider Erwarten sogar fündig: In einer Ecke lehnten einige alte Matratzen an der Wand. Ihr Zustand war nicht der beste, doch sie waren, im Gegensatz zu einer gewissen anderen, noch benutzbar und in einem Stück. Ausreichend für ihre Zwecke. Wenige Augenblicke später war niemand mehr da. Und der Stapel etwas kleiner.

Wieder auf ihrem Zimmer konnte sie nun endlich das Bett in Ordnung bringen. Polster darauf, dann das Laken, letztendlich Kissen und Decke, beide überzogen. Fertig. Blieb nur noch die Beseitigung der Reste und das konnte ein mittelgroßes Problem werden. Wo versteckt man zerrissenes Bettzeug? Eine spontane Idee hatte sie nicht und daher... Was war das für ein Geräusch? Bevor ihr träger Verstand zu einem Ergebnis kommen konnte, hatte ihr Körper bereits reagiert und sie hielt ihr Mobiltelefon in Händen. Trapper. Verdammt, ich hätte mich gestern noch melden sollen! Das war nicht gut. Auch wenn er eigentlich anrufen wollte - es war keine Entschuldigung, dass sie das komplett vergessen hatte. Jetzt konnte sie nur hoffen, dass es nicht so schlimm kam.

Es kam schlimmer. Viel schlimmer. Von Bereitschaft kann keine Rede sein. Die Nachricht war unmissverständlich. Auch wenn es nach Freiwilligkeit klang, handelte es sich doch um einen klaren Befehl, der kein Zuwiderhandeln erlaubte. Trapper rief zum Kampf auf. Und Marta konnte sich nicht dagegen wehren. War sie bereit für eine fremde Domäne zu kämpfen? Nein. War sie bereit ihre Existenz einzusetzen? Nein. Würde sie folgen? Ja. Sie sollte so frü wie möglich am Museum sein - Welches Museum? - und jegliche Unterstützung mitbringen. Verdammt, dann kann ich ja nicht einmal etwas trinken... Da sie gemerkt hatte wie schwierig es war, Opfer zu finden, bezweifete Marta, dass sie rechtzeitig ankommen konnte, wenn sie noch suchte. Wunderbar, du sitzt mitten in der... Doch wenn sie einmal dabei war konnte sie auch gleich noch jemanden kontaktieren. Da Johann bestimmt beschäftig war, ging die nächste Nachricht an ihren 'Lieblingsghul'. Wenn der es nicht wieder verpennt...

Hi, Jens. Hier geht es drunter und drüber. Unter anderem gab es hier Vorfälle mit streunenden Hunden sowie einige Probleme mit einem Chirurgen (soll nur einer sein, schon etwas älter), weshalb gestern zwei Mitarbeiter fristlos eintlassen wurden - die sollen mit ihm gemeinsame Sache gemacht haben. Naja, für nachher ist ein Meeting angesetzt, auf dem die Sache geklärt werden soll, mit diesen ganzen formalen Ritualen und so. Ich hoffe das klappt, die Kantine ist nämlich geschlossen, weil die Lieferanten krank geworden sind. Außerdem bin ich müde. Aber wenn ich nicht hingehe, bin ich bloß die nächste die fliegt. Sag Johann einen schönen Gruß. Marta
Genug Information sauber verpackt. Alles weitere würde sie mit Johann klären, sollte sie das Kommende überstehen. Die Suche nach dem Museum lieferte zwei mögliche Orte, die glücklicherweise nah beieinander waren. Jetzt war ihre spärliche Ausrüstung an der Reihe. Hose, Jacke, Schuhe, alles bequem und etwas robuster, aber nicht wirklich kampftauglich. Das Messer verschwand zusammengeklappt in einer Jackentasche, griffbereit. Den Weg zum Treffpunkt im Kopf verlies sie erst das Zimmer, dann das Gebäude und begab sich mit zügigem aber maskeradetauglichem Tempo nach Westen. Soviel zum 'nicht verheizen lassen'...
 
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