07.05.2008 In der Zuflucht

Navokha

Gott
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9. Oktober 2008
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Die Gestalt im fahlen Licht bewegte sich langsam durch die neugewonnene Zuflucht. Leise Klassikmusik drang durch den Raum, in welchem die Feuchtigkeit dem wenigen Sauerstoff einen seltsamen Geruch verlieh. Während die Gestalt den sanften Klängen von Yann Tiersen's Summer 78 lauschte, hallten ihre Schritte auf dem harten Steinboden. Die Finger strichen über das verstaubte Mobiliar und hinterließen geschwungene, dunkle Linien. Ein zerbrochener Wandspiegel mit dicker Staubschicht zeigte einen verzerrten Schemen, als die Person daran vorbei ging. Die meisten Klamotten hingen auf dem antiken Herrendiener. Das einzige, was die Person zu diesem Zeitpunkt trug, waren eine schwarze Hose und ein Paar Stiefel. Kälte umhüllte den freien Oberkörper des Untoten, doch er war längst nicht mehr fähig, diese wirklich wahrzunehmen. Erschöpft und müde ließ er sich auf einem der alten Holzstühle mit roter Lederpolsterung sinken, nachdem er eine dicke Schicht Staub mit der Hand hinweg gefegt hatte. Schlanke Finger fuhren über den Kopf herüber und nachdenklich blickte der Mann nach oben. Er massierte seine Schläfen und blickte nun starr auf den kalten, harten Boden vor seinen Füßen.

"Es ist an der Zeit..."

Der Mann zog ein Mobiltelefon aus der Tasche und legte es auf den Tisch. Die Telefonnummer war nur an einem einzigen Ort hinterlegt; in seinem Kopf. Niemand durfte in den Besitz dieser Nummer gelangen - niemand. Er gab die Zahlen ein und hielt einen Moment lang inne, bevor er die grüne Taste drückte. Elektronische Töne tanzten eine kurze Melodie und er hörte, wie sich sein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung meldete.

"Mein Herr, ich hoffe ich störe Sie nicht. Könnten Sie wohl ein paar Minuten für den aktuellen Lagebericht entbehren? Ich habe meinen von Ihnen entgegen genommenen Auftrag noch heute Nacht begonnen und befinde mich seit einigen Stunden in Finstertal. Die Situation der Domäne ist ... chaotisch ... um es milde auszudrücken. Wie Ihnen bekannt sein dürfte, weilt der ehemalige Prinz Herr Buchet nicht mehr unter uns. Allerdings könnte es sein, dass weitaus mehr hinter diesem angeblichen Anschlag stecken könnte, als bisher gemeingeläufig angenommen wurde. Die politische Situation innerhalb der Stadt ist mehr als unübersichtlich. Meiner Meinung nach wird sich die Seneschall nicht lange behaupten können, falls sie überhaupt noch den Prinzen vertritt. Klare Strukturen sind derzeit kaum erkennbar und keine Fraktion ist stark genug, um sich ohne Hilfe an die Spitze der Macht hocharbeiten zu können. Ich sprach mit dem Oberhaupt unseres Clans und werde morgen Nacht an einem geheimen Treffen teilnehmen. Wenn mein Plan funktioniert, werde ich dem Clan zu einer klaren Linie verhelfen können, was allen Mitgliedern klare Vorteile verschaffen und den Clan selbst in eine erstklassige Ausgangssituation bringen dürfte."

Er legte eine kurze Pause ein, bevor er weitersprach und nahm das Foto und den Zeitungsausschnitt zur Hand, welche er in der versteckten Kammer fand.

"Es dürfte Sie vielleicht auch interessieren, dass ich hier auf ein altes Versteck eines mutmaßlichen Tremere gestoßen bin. Ich fand hinter einer Tür mit Schutzzauber einen extrem gut verschlossenen Safe, ein Foto eines alten, weißhaarigen Mannes und einen Zeitungsausschnitt über ein Unglück in Florenz aus der Finstertaler Zeitung mit dem Datum vom 20.12.1949. Ich lese es Ihnen gerne vor."

Die Gestalt räusperte sich und las den Ausschnitt vor. Dabei achtete Sie penibel auf eine korrekte Betonung der Wörter und auch auf Details, wie zum Beispiel Autor des Artikels und Presseagenturkürzel.

"Sie kennen sich doch gut mit der europäischen Kainitengesellschaft dieser Zeit aus, oder? Wenn es Ihnen keine Umstände macht, wäre ich erfreut, Ihre Hilfe in Anspruch nehmen zu können. Im Übrigen ist heute Nacht gegen 2 Uhr etwas reichlich sonderbares passiert. Ich würde müde und fühlte mich ausgelaugt. Ich weiß nicht, ob es anderen Kainiten ebenso erging, aber wenn ja, kann dies nichts Gutes bedeuten..."

*kurzes Räuspern*

"Aber zurück zum eigentlichen Grund meiner Rückmeldung bei Ihnen: Wie lauten meine weiteren Instruktionen?"
 
AW: 07.05.2008 In der Zuflucht

"Na gut, der Artikel deutet nicht unbedingt auf einen Tremere hin, aber wissen kann man das nie, der Autor ist jedenfalls keiner von uns", sagte die Person auf der anderen Seite der Leitung. "Wenn du wirklich in einer Tremere-Zuflucht bist, dann sei aber vorsichtig, da weiß man nie, was die alles eingebaut haben."

Dann war eine Weile Stille und man könnte fast meinen, das Gegenüber hätte aufgelegt.

"Was die Aufgabe angeht. Nun, es wäre sehr interessant, etwas über die wahren Machtverhältnisse zu erfahren und auch auf welcher Seite dieser Lurker steht ... es gibt da ... aber das wirst du vielleicht noch heraus bekommen, es ist nur schade das Rusulka nicht mehr erreichbar ist, ich würde auch gerne wissen, wer von unseren Leuten in dieser verfluchten Stadt auf nimmerwiedersehen verschwunden ist und vielleicht bekommst du auch raus, warum."

Es war eine nicht unerhebliche Aufgabe, aber es war schließlich immer so, sein Auftraggeber erwartete sehr viel von ihm.

"Ich habe den Eindruck, es kommen mehr Lügen als sonst was aus dieser Stadt. Alles kann wichtig sein."
 
AW: 07.05.2008 In der Zuflucht

"Sehr wohl, mein Herr. Ich werde mich umgehend darum kümmern, sobald der nächste Abend angebrochen ist. Ich werde leider diese seltsame Müdigkeit nicht los. Es wird interessant sein herauszufinden, ob es den anderen Kainiten ähnlich erging, und wenn ja, was die Ursache dafür war. Ich melde mich wieder bei Ihnen, sobald ich detaillierte Informationen habe. Ich bedanke mich vielmals für dieses Gespräch. Auf Wiederhören."

Die Gestalt nahm das Mobiltelefon vom Ohr, beendete das Gespräch, löschte die Nummer aus dem Rufverzeichnis und schaltete es aus. Nun konnte er endlich wohlverdient zu den Klängen von Brahms einschlafen.
 
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