unsere feder, unser schwert!

nathaniel

Ghul
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21. Oktober 2004
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anstatt hier nur rumzujammern, dass ein verlag offensichtlich (leider) keine idee hatte, wie seine eigene geschichte in angemessener weise zu beenden wäre, eröffne ich hier einfach mal einen thread für etwas kreativeres als eine mutter, die den teufel mit bloßen händen zu brei kloppt... (sic!) :fool:

ich freue mich auf alle
  • kreativen ideen,
  • verrückten vorschläge,
  • hirnzerreißenden überraschungen,
  • bombastischen kataklysmen,
  • inspirierende augenöffner
  • ...

zum beispiel:
saxariel starrte auf die lichter. das konnte nicht sein, das war absolut unmöglich! eben hatte er noch mit rahel gesprochen, ihr gesagt, wie er sich auf die zwei freien tage mit ihr und den kindern freute, und nun das! immer mehr der winzigen lichtpunkte wechselten ihre farbe, von einem kräftigen, gleichmäßigen grün zu einem blinkenden rot. "purgantia" stand in geschwungenen lettern darüber geschrieben. das hatte nichts gutes zu bedeuten. und dennoch - er mußte ganz sicher gehen.
er wandte sich um, schnell waren einige koordinaten getippt, eine zweite und dritte locatio überprüft, vor ihm bildeten sich jeweils grüne, braune, blaue artefakte, zuerst verschwommene quadrate, in denen dann nach und nach feinere strukturen erkennbar wurden, landstriche, küstenlinien, parallel sich bewegende, in weißer gischt am strand sich verlaufende wellen, als würde sie vor seinen augen erst aus dem nichts oder besser: aus dem chaos erschaffen, und lägen friedlich, noch unberührt vor ihm. doch der rand der bilder war von dunst verdeckt, schwere undurchschaubare rauchschwaden. diese welt war nicht friedlich, und sie würde nicht friedlicher werden. die rapide fallenden anzeigen im infraroten bereich ließen keinen anderen schluss zu, als den, welchen er schon kannte: die fegefeuer erloschen. weltweit. zur selben zeit. und verdammt noch mal: ausgerechnet in seiner schicht!
 
AW: unsere feder, unser schwert!

Ok, ich schreib auch mals was:

„Wer seid ihr?“
„Wir sind die Wahrheit.“
„Wahrheit oder wieder nur endlose Lügen?“
„Wir sind die Schöpfer. Wir gaben dieser Welt ihre jetzige Form.
Wir waren es, die den Veiztanz über die Welt brachten, welcher gezielt alle erwachsenen Menschen infizierte und töte, damit aus den Kindern eine neue Generation heranwachsen kann.
Wir befreiten die chaotische und sündige Welt und zwangen sie in eine feste Form.
Wir bauten die Himmel, wir ließen die Meere der Welt anschwellen, wir erdachten die Kontrollstruktur, die du als Angelitische Kriche kennst.“
„All die Menschen mussten wegen euch sterben? Ihr wart es, die die Welt zerstört haben?!“
„Die vorsintflutliche Welt kannte keine Werte, hatte keine gemeinsamen Ziele. Die einzige Moral der globalisierten Welt galt ausschließlich wirtschaftlichen Interessen. Durch den immer schnelleren Wandel und das unmoralische Streben der Menschheit wäre eine letztendlich Auslöschung eben jener unausweichlich gewesen. Die Welt brauchte wieder feste Formen, die Menschheit ein Ziel, ein Glauben, der sie eint und wieder ihre Stärken zu Tage fördert.“
„Aber wieso…“
„Wir hatten keine andere Wahl als einen Schlussstrich zu ziehen, um einen Neuanfang zu beginnen. Erwachsene Menschen haben die Eigenheit sich nur noch wenig formen zu lassen, also wurden sie beseitigt.
Die Menschheit sollte wieder einer strengen Struktur folgen, der Glaube sollte sie einen, also erdachten wir die Angelitische Kirche mit all ihren Machtstrukturen. Wir veränderten die Geschichte der Welt und verdeckten unsere Spuren.
Doch Glaube allein erschien uns zu unsicher. Aus Glauben musste faktisches Wissen werden, damit die Menschen ihm dauerhaft folgen.
Also bauten wir die Himmel, erschufen die Engelsmaschinen und den leiblichen Sohn Gottes, damit die Menschheit einen Beweis für ihren Glauben hat.“
„Aber dann kam die Traumsaat und zerstörte euren Plan…“
„Verständlich das du so denkst. Dein Irrtum könnte jedoch nicht größer sein.
Wir waren es, die die Traumsaat erschufen und auf die Welt schickten.“
„Was…?“
„Das beste Mittel um die Menschen zu einen ist ein gemeinsames Feindbild aufzubauen. Die Menschen glauben besonders stark, wenn sie sich fürchten. Also erschufen wir einen Feind, den alle Menschen fürchten würden. Die Angelitische Kirche war die Rettung für sie. Ohne eine Traumsaat bräuchten die Menschen den Schutz der Kirche nicht.“
„Und die Fegefeuer?“
„Ebenso von uns. Orbitale Waffen, die die Zeichen der Engel in die Welt brennen. Sie erfüllen gleich zweierlei Zwecke. Zu einem verhindern sie, dass Menschen zu nahe an die Brutstätten der Traumsaat heran kommen und zum anderen bilden sie natürliche Grenzen dieser Welt. Es erschien uns unmöglich der gesamten Welt eine feste Form zu geben, also beschränkten wir uns auf einen der Kontinente und schlossen ihn ein.
Selbst die Urbanis Liga wird im Kern von uns unterstütz, da wir somit selbst die Rebellion der Menschen gegen unser System in berechenbare Bahnen lenken können. Schon bald werden wir sie in ihr Verderben lenken.“
„Das ist Wahnsinn…“
„Nein, diese Welt ist nun kontrolliert. Die Menschen streben nach höherem und helfen in der Not einander. Die Kirche brachte ihr Dasein in eine geordnete und moralisch gefestigte Bahn.“
„Aber wieso habt ihr dann zwei eurer eigenen Himmel durch die Traumsaat und das Fegefeuer vernichtet? Welchen Sinn sollte dies haben?“
„Kontrolle.“
„Ich verstehe nicht…“
„Wie du dir sicher vorstellen kannst, wissen nur wenige von dieser Wahrheit. Es war nur eine Frage der Zeit bis jemand auf die Wahrheit stößt und sich an ihr stört. Den Orden der Samaeliten setzen wir einst zur Kontrolle ein, doch es stellte sich heraus, dass genau dies zu seinem Verhängnis wurde. Er erkannte die Wahrheit, wollte sie aber nicht akzeptieren. Menschen mögen es nicht, wenn sie unwissentlich kontrolliert werden. Es kam zur Rebellion, doch ehe sie größere Dimensionen annehmen konnte, kamen wir zu dem Schluss den Orden zu opfern, damit die Ordnung der Welt erhalten bleibt.“
„Zum Erhalt eurer Lügen habt ihr also einen ganzen Himmel vernichtet.“
„Nein, so weit kam es nicht. Unglücklicherweise verschaffte sich der Orden den Zugriff auf viele unseren Kontroll-Systeme. So auch das Fegefeuer. Anstatt durch das Fegefeuer vernichtet zu werden, wurde der Kurs im letzten Moment verändert und der Himmel wurde lediglich eingeschlossen. Wir sind uns sicher, dass sie auch den Angriff der Traumsaat überlebten.“
„Warum habt ihr nicht einfach weitere Dämonen durch das Feuer zu ihnen geschickt?“
„In jener Nacht verloren wir die Kontrolle über das Traumsaat-Programm.“
„Ihr habt was?!“
„Den Samaeliten gelang es für kurze Zeit unsere Sicherheitssysteme zu durchbrechen, sie kapselten die Traumsaat-KI vom restlichen System ab. Sie hofften damit den Angriff der Dämonen zu stoppen, doch gleichzeitig initialisierten sie damit den möglichen Untergang dieser Welt.“
„Was meint ihr damit?“
„Zuerst traf genau das ein, was die Samaeliten wünschten: Die Traumsaatdämonen zogen sich zurück. Es war uns nicht mehr möglich, die Traumsaat-KI zurück ins System zu holen. Sie konnte nun ungehindert aller Systemgrenzen agieren. Es stellte sich eine folgenschwere Evolution der Traumsaat-KI ein. Sie erzwang sich den Zugriff auf viele unserer Überwachungssysteme, studierte den Menschen und seine Ängste und wurde mit jeder Sekunde effektiver darin monströse Wesenheiten zu schaffen, die die Welt vernichten sollten.“
„Aber ich dachte, ihr habt die KI erschaffen, wieso konntet ihr sie nicht…“
„Die KI tat genau das, wofür sie einst entwickelt wurde: Alptraum-Kreaturen zu erschaffen und an zuvor fest definierte Orte zu schicken, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Solange die KI im restlichen System angebunden war, besaß sie feste Grenzen in ihrem Handeln. Nun aber war sie frei, befolgte weiterhin ihre Algorithmen, diesmal aber ohne unsere Beschränkung.“
„Deswegen das kurze Verschwinden der Traumsaat…“
„Nur damit sie später in noch viel schrecklicherer Form zurückkehrte. Nun wird sie nur noch von der KI kontrolliert. Wir haben keinen Einfluss mehr auf sie.“
„Aber ihr müsst doch irgendeinen Notfall-Plan haben?!“
„Wir haben nur die Engel. Die Kontrolle über das Fegefeuer haben wir verloren, momentan scheint niemand mehr die genauen Bahnen der Orbitalwaffen zu steuern. Wir sehen, dass stellenweise noch dem alten Kurs gefolgt wird, es aber immer wieder zu unregelmäßigen Abweichungen kommt. Wir rechnen aber mit einem baldigen Erlöschen der Fegefeuer, da die Energien der Orbitalwaffen sich bald dem Ende zuneigen. Wir haben das System nachdem es nicht mehr unter unserer Kontrolle lag vom Energiekern abgezogen, jedoch verfügt es über Notfall-Aggregate, welche es befähigen noch einige Zeit zu arbeiten. Diese werden jedoch bald erschöpft sein.“
„Und was ist mit der Traumsaat?“
„Wir können ihr Tun nicht berechnen. Wir verzeichnen jedoch große Ansammlungen an Dämonen in den Grenzgebieten. Wir nehmen an, dass die KI einen verheerenden Angriff auf die Menschheit plant.“
„Aber man muss sich doch stoppen können. Ihr habt sie immerhin erschaffen!“
„Die Traumsaat basierte ursprünglich auf der gleichen Technologie wie die Engel. Jeder einzelne Dämon verfügt über Milliarden von Nanoeinheiten, über welche er Kontakt zur Haupt-KI hält und seine Befehle erhält. Prinzipiell unterschieden sie sich kaum von Engeln, doch nun ist alles anders. Die KI hat wesentliche Veränderungen an ihnen vorgenommen, die Brutmütter haben eine technische Dimension angenommen, der wir nicht standhalten können.“
„Wie ist das möglich? Wieso kann die Traumsaat-KI sich so weiterentwickeln und ihr habt kein Gegenmittel?!“
„Was glaubst du denn was wir sind?“
„… Seit ihr etwas…“
„Wir sind die geistige Projektion jener Menschen, die einst die Schöpfer dieser Welt waren. Projiziert in ein KI-System. Nun erkennst du die Wahrheit. Doch wir sind alle an das System gekoppelt und unterliegen somit festen Restriktionen. Wir können uns nicht frei entwickeln, so wie die Traumsaat-KI. Es sei denn jemand würde auch uns vom Rest des Systems entkoppeln.“
„Ihr meint ihr wart einmal Menschen und seit jetzt eine Art Programm?“
„Wir sind die Verschmelzung von Menschen und Maschine. Wir weisen die Stärken beider Aspekte auf: Kreativität aber nicht chaotisch oder emotional, sondern berechnet, rational, effizient und kontrolliert.“
„…Was ist mit dem Rest der Welt? Kann uns denn niemand von außerhalb retten?“
„Unsere Kommunikationswege außerhalb Europas sind mittlerweile begrenzt. Wir rechnen jedoch nicht mit Hilfe von außen, da wir vor hunderten von Jahren jedes Leben dort zu 99.99% vernichtet haben. Allerdings versucht seit kurzem ein uns unbekanntes Individuum Kontakt mit verschiedenen Engeln und Menschen aufzunehmen.“
„Euch unbekannt?“
„Das Individuum stammt nicht aus Europa, sondern kommt aus einem anderen Teil der Welt. Es nennt sich der Wanderer und verfügt über uns unbekannte, fortschrittliche Technologie. Wir kennen die Beweggründe dieses Wanderers noch nicht. Er scheint aber über unsere Existenz in Kenntnis zu sein.“
„Vielleicht kann er uns helfen?“
„Nein, er wird von uns als sehr gefährlich eingeschätzt. Seine Aktionen sind nicht berechenbar und die Ordnung der Welt wird durch seine Existenz gefährdet.“
„Was wollt ihr also tun?“
„Wir berechnen noch mögliche Lösungswege. Die Wahrscheinlichkeit gegen die Traumsaat zu bestehen liegen unter 1%.“
„Ihr wollt also aufgeben?“
„Welch sinnlose Fragestellung. Wir tun genau das, wozu wir programmiert wurden.“
„Aber Moment, wenn ihr programmiert wurdet…. Dann habt ihr auch einen Schöpfer. Wer ist es?“
„Gott.“
„Gott?“
„Er nannte sich Gott.“
„Nannte…?“
„Ja, der Mensch der sich Gott nannte, ist vor vielen Jahrhunderten gestorben.“
 
AW: unsere feder, unser schwert!

Eine zumindest auf den ersten Blick funktionierende Erklärung. Danke!
Ich persönlich mag es zwar ein wenig mystischer, aber eine funktionierende Erklärung ist schonmal wesentlich besser als eine konfuse.
 
AW: unsere feder, unser schwert!

ja, ich finde es super! :D vor allem läßt es trotz aller erklärungen noch die möglichkeit, sich auch eine welt nach der apokalypse vorzustellen, ohne dabei gähnen zu müssen... ;)
 
AW: unsere feder, unser schwert!

ich habe auch eine kleinigkeit geschrieben. ein bisschen näher am buch, aber ich finde ein sprachrohr, um den menschen ihren untergang zu verkünden, braucht jede ordentliche KI, die was auf sich hält... :)

"der junge stand an der brüstung. der wind zerrte an seinem körper. hinter ihm erhob sich der palast wie ein über jahrtausende gewachsenes, organisches juwel. unter ihm: die wellen, die sich an den felsen brachen, und das meer, wild und ungezähmt, das das gestein aus dem fruchtbaren land, das sich einst hier erstreckt haben mußte, fraß. über ihm drängten sich an den tiefhängenden wolken vielstimmig surrend, summend, wie an den waben eines honiggefüllten bienenstocks kriechend, schwarz-glänzende insekten, so weit das auge reichte; ein schwarzer, lebendiger himmel. zum ersten mal sah der junge traumsaat, und sie war noch viel großartiger, als er sie sich in seinen kühnsten träumen vorgestellt hatte!
in einer ihm unbeschreiblichen erhabenheit lag die welt vor seinen augen und sie schien ihm zum ersten mal in seinem leben bis ins kleinste detail perfekt zu sein. ja, sogar mehr als das! er blickte in einen spiegel, aus dem heraus ihn seine eigene seele anblickte. die schönheit überwältigte ihn.
schritte rissen ihn aus seinen gedanken. darüber spürte der junge wut und enttäuschung in sich aufsteigen. sie hatten ihn gefunden.

isabella von cordova und ihre leibwächter, ein halbes dutzend schwer bewaffneter soldaten, traten aus der schweren metalltür heraus auf die plattform. ihr anführer nestor blickte nervös zum himmel. "wir sollten nicht lange bleiben, isabella", sagte er.
isabella schritt auf ihren sohn zu, ohne auch nur einen blick zum himmel zu werfen. finster blickte sie in ihrem polymeranzug auf naphal hinunter. der sturm wehte ihre langen schwarzen haare ihr ins gesicht.
"was zum teufel glaubst du, was du hier tust? habe ich dir nicht gesagt, du sollst in den höhlen bleiben?!"
"aber mutter, ich wollte nur..."
mit einer geste schnitt sie ihm das wort ab.
"kein wort! ich werde dich lehren, mir widerworte zu geben! all die liebe und zuneigung, die ich dir habe angedeihen lassen, all die jahre an gutem willen und..."
"isabella!" nestor war neben sie getreten, nickte richtung himmel, dann wieder zu ihr. sein blick war so besorgt, dass sie den zorn, mit dem sie ihn blickes strafte, fast augenblicklich vergessen hatte. wortlos deutete sie auf den jungen, dann drehte sie sich zur tür.
nestor griff naphals arm. "komm, junge", sagte er. naphal aber wehrte sich. "nein!" rief er. nestor hob den jungen einfach hoch wie eine puppe. "nein!" schrie er ein weiteres mal. wirkungslos begann er mit den fäusten gegen die rüstung des soldaten zu schlagen. obwohl die plattform, auf der sie sich zurück zum palast wandten, in den fels getrieben war, zitterte der boden unter ihren füßen, so stark war der sturm. doch bemerkte isabella etwas anderes, dass ihre haare nun unbeweglich vor ihrem gesicht hingen. als der boden ein weiteres mal bebte, blickte sie unwillkürlich über ihre schulter.
"¡cuidado!"
erst jetzt bemerkte nestor die gefahr, in der er schwebte. ein großer, dunkler schatten schob sich stück für stück über die brüstung, so schwer, dass sich die eisenstangen unter seinen viel zu dünn scheinenden hinter- und mittelbeinen verbogen. ganz seinen instinkten vertrauend, rannte nestor los, ohne sich auch nur ein einziges mal umzublicken - doch zu spät. die kreatur fuhr herab und mit kräftigen mandibeln schnitt sie durch seine rüstung, bohrte sich in seine schulter, hob ihn selbst wie ein spielzeug hoch. naphal stürzte und wäre hart auf der plattform aufgeschlagen, hätte nicht einer der soldaten, der in seiner panzerung selbst wie eine traumsaatkreatur aussah, ihn aufgefangen.
"die beine! auf die beine schießen!"
schüsse fielen. funken schlugen aus dem metall der brüstung. die kreatur schien ungerührt. hoch hatte sie sich erhoben, nestor zappelte in einer art maul, zog seine handfeuerwaffe und gab einen schuss nach dem anderen auf die augen und den kopf der kreatur ab. das magazin seiner waffe fiel heraus, schlug gegen sein bein, drehte sich langsam in der luft, schlug auf die brüstung und stürzte dann ins meer; da schoss nestor schon wieder!
der panzer der kreatur schob sich auseinander, dunkle flügel entfalteten sich.
"schießt weiter! auf die flügel!" schrie jemand.
urplötzlich gab die kreatur nach. ein schrei ertönte. sie kippte hintenüber, fiel - eine bewegung, die bei ihrer schieren größe langsam wirkte – dann war sie in die tiefe verschwunden.
im letzten moment war nestor frei gekommen und auf die plattform gestürzt. eine soldatin kniete sofort neben ihm, versuchte ihm aufzuhelfen. sie mußten die plattform so schnell wie möglich verlassen! nestor griff ihre hand, schaute sie an. er wirkte ungläubig. dann drückte er ihre hand fester und fester. sie begann zu schreien. ihr blick fiel auf seinen körper. unterhalb der hüfte versuchte die zuckende bewegung seines rückgrats den befehl zum aufstehen in die tat umzusetzen. doch keine beine mehr. da waren keine beine mehr!
erst dann brach sein blick und kurz darauf erstarb der druck seiner hand wie ein letztes aufbäumen seines geistes.

naphal schlug dem soldaten, der ihn auf dem arm trug, gegen den helm. der blickte starr vor schreck auf seinen anführer, dass er den jungen erschrocken fallen ließ. instinktiv lief naphal auf die brüstung zu, hinter der ihn das meer erwartete. er blickte in die tiefe, als der soldat ihn wieder packte.
"genug jetzt!" rief isabella.
naphal aber klammerte sich er mit aller kraft an die brüstung, fing an zu schreien, so laut, dass man das brummen der traumsaat über cardova nicht mehr hören konnte. der lange, gellende schrei eines kindes.
ein schwerer handschuh löste naphals hand von der eisenstange, als ein käfer über die rüstung lief. dann ein zweiter. der soldat verscheuchte sie mit einer handbewegung. dann krochen wie kleine, exakte kopien des monsters von eben, hunderte, ja tausende kreaturen über den rand der plattform. eine wogende masse, die sie überspülte. und überall krabbelte es, biss es. schrie es.
jemand schoss.
"nicht schießen! idioten, ihr trefft noch meinen sohn!"
isabella erstarrte. sie konnte nicht glauben, was sie dort sah. da war er. ihr sohn tauchte aus den wogenden, summenden leibern auf, als würde er von ihnen getragen. und er schien keine angst zu haben. ganz im gegenteil. er lächelte und schaute sie an. die käfer fielen von ihm ab wie regentropfen; und wie wasser fielen sie nach und nach zurück ins meer, rollten davon wie schwarze perlen eines gewaltigen schatzes.
als isabella sich umschaute, war sie allein. nur nestors leib lag noch da. es schien, als sei die ruhe an diesen ort zurückgekehrt.
"komm jetzt, naphal!"
die herrin von cordova versuchte stärke zu zeigen, doch sie spürte wie ihre stimme zitterte. ihr sohn schaute erst sie an, dann den leichnam zu seinen füßen.
"lass uns gehen. genug gespielt für heute", versuchte isabella es erneut.
"immer kommandierst du mich nur herum."
"was?"
naphals stimme war so leise gewesen, dass isabella sie kaum verstehen konnte. das rauschen des meeres und das summen der traumsaat am himmel übertönten sie.
"aber, das ist doch normal! du bist doch noch ein kind!"
"nein, mutter, von nun an bin ich kein kind mehr."
isabella nahm eine veränderung wahr. der gleichmäßig brummende ton, der in der luft lag, hatte ganz subtil die frequenz verändert. der himmel, schwarz von unzähligen kreaturen, chitinglänzenden leibern, bewegte sich, eine wogende masse, die einer unbekannten choreographie zu gehorchen schien. wellen entstanden, berge, formen, die etwas wie ein gesicht bildeten, fremdartig und doch vertraut. es blickte zur seite, dann wieder zu ihr – und da fiel es ihr auf: durch ihren blick gereizt, hatte naphal sich umsehen wollen, hatte dann innegehalten, als wüßte er plötzlich, auch ohne sich umzusehen, was in seinem rücken geschah. als er zu seiner mutter zurückblickte, bewegte sich auch das gesicht am himmel aus sich windender traumsaat, das nun zu lächeln schien. naphal blickte isabella an – und lächelte.

"du wolltest mich benutzen, mutter. die mutter des erlösers, die mutter des morgensterns wolltest du sein. lenken wolltest du mich, mutter. meine macht wolltest du nutzen. doch ich allein bin es, der für IHN sprechen wird."
das gesicht am himmel bewegte sich in seiner absurden skurrilität synchron zu dem gesicht ihres sohnes.
"mach deine hausaufgaben, naphal. lauf nicht zu weit weg, naphal. iss deinen teller leer. tu dies nicht, tu das nicht, naphal. damit ist es nun vorbei, mutter!"
das letzte wort schrie er ihr regelrecht entgegen, er und sein düsteres äquivalent am himmel. sie rissen den mund auf und irgendetwas bewegte sich auf sie zu. das geräusch, das über cordova lag, wurde lauter, steigerte sich zu einem ohrenbetäubenden crescendo. isabella taumelte zurück. ein ganzer schwarm kreaturen näherte sich ihr, wie ein pfeil, an dessen spitze unzählige facettenaugen in ihre richtung blickten.
sie lief, so schnell sie konnte, auf die tür zur unterstadt zu, schlug sie hinter sich zu. beine, fühler zwängten sich zappelnd und schlagend durch die ritzen ringsherum. eine immer stärker werdende kraft drückte heran. ein kratzen und schaben war zu hören. die frau wurde fortgedrückt, sie stürzte zurück, wandte sich zur flucht, da waren sie bereits über ihr, krochen unter ihre kleidung, landeten auf ihrem rücken, schnitten in ihr fleisch.
isabella blickte noch einmal auf. massen an traumsaat strömten an ihr vorbei. sie hörte schreie, dann schüsse. cordova, die uneinnehmbare stadt, würde fallen, noch bevor der tag zu ende war. die traumsaat floss in die bunkeranlagen als würde sie jeden gang und jeden winkel davon kennen. und isabella hörte noch den letzten mann und die letzte frau und das letzte kind fallen.
denn genau so lange ließ ES sie am leben."
 
AW: unsere feder, unser schwert!

Großartig, ein pubertierender Antimessias! :chilli:

Ehrlich: Warum sollte der Verheerer der Welt sich nicht über Hausaufgeben ärgern?
 
AW: unsere feder, unser schwert!

Kapitel 1: Die Kirche

Er musste kurz das Bewusstsein verloren haben. Er lag am Boden, trockenes Blut klebte an seiner Stirn. Eine schwere Beule drückte darunter. Alles wankte, die ganze Welt.
Noch während er sich erhob, hatte er das Gefühl, als ob ihn an der Schulter etwas zu Boden drückte - wieder wurde ihm schwindelig. Doch es gab nichts, woran er sich festhalten konnte. Er stand auf einem großen Platz, am Fuß einer breiten Treppe. Säulenreihen stützten die alten, erhabenen Häuser. Zu seinen Füßen lag etwas, das ein toter Vogel sein konnte.
Das musste Roma Aeterna sein, der Michaelsplatz! Er versuchte sich zu orientieren, der Sonnenstand, die Ausrichtung des Platzes; doch wie war er hierher gekommen? Und warum? Dann erkannte er Menschen, die in Panik davondrängten. Einige stürzten, andere schrien. Der Schrecken auf ihren Gesichter machte auch ihm angst. Erst jetzt fiel ihm auf: alles, was er hören konnte, war ein gleichmäßiges Pfeifen in seinen Ohren.
Asche, die im Wind wehte, feinste weiße Daunen über den sorgfältig gelegten Steinen des Platzes. Er musste an seine Eltern denken, wie sie jedes Jahr kurz vor seinem Geburtstag ein Huhn schlachteten. Sie drückten das tote Tier in dampfendes Wasser. Dann rupfte Großmutter den kleinen, dürren Körper, den sie zwischen ihren Knien festhielt, als würde er sonst fortfliegen, stopfte die feineren Federn nach und nach in einen Jutesack. Es muß zur Regenzeit gewesen sein. Er konnte sich an eine drückende Schwüle in der Luft erinnern. Das Zucken der Vögel.
Nun war es warm. Nicht wenige Federn waren schwarz und verkohlt. Langsam schritt er die Treppe hinauf, obwohl er bemerkte, dass viele ihm von dort entgegenkamen, doch es kümmerte ihn kaum; zu fremd schien ihm alles in seiner pfeifenden Stille. Oben angekommen, sah er, dass ein Feuer ausgebrochen war. Die Fassade des Gebäudes war halb eingestürzt. Jemand lag, von Trümmern erschlagen, am Boden. Er trug ein weißes, prachtvolles Ornat. Ein weißes Band wehte vorbei, feinste Schriftzeichen waren darauf gezeichnet. Auch er trug ein solches Band; das lose Ende flatterte an seinem Arm. Seine Füße stießen gegen Steine und Trümmer. Er war dem Feuer nun ganz nah, doch merkte er es kaum. Mehr noch: die Flammen erfreuten ihn. Er griff danach, spürte es seine Finger umspielen. Ein hölzernes Podest war hier errichtet gewesen. Nun lag es brennend am Boden. Einige der Bretter und Balken waren meterweit geschleudert worden. Er blickte ein Stück weiter. Ein Knabe mit blondem Haar lag unnatürlich verrenkt unter einem brennenden Balken, sein Gesicht schwarz und verzerrt. Seine schlichte Robe war in Höhe der Brust, aus der ein Holzpflock ragte, blutgetränkt. Der Knabe öffnete die Augen und blickte ihn an.
„Dazriel, trete vor!“
Er prallte zurück. Wie war das möglich? Erschrocken ging er näher auf den Jungen zu; er kam ihm bekannt vor. Nun waren die Augen wieder geschlossen. Doch während er auf den Körper hinunterblickte, aus dem jedes Leben gewichen war, wußte er plötzlich wieder, welcher Tag heute war. Und auch, warum er in Roma Aeterna war.

Der Tag der Engelsweihe des Jahres 2665 war strahlend warm und hell. Nur eine dünne Schicht aus Wolken hing am Himmel. Dazriel erschien es noch großartiger als beim ersten Mal zu sein. Er blickte auf den Platz hinunter, der eng an eng gefüllt war mit Menschen. Er schritt die Treppe nach oben. Die Flugplattformen der Sarieliten schwebten über den Köpfen der Zuschauer. Der himmlische Gesang dieser so unscheinbar wirkenden Engel, war, obwohl leise, in jedem Winkel des Platz klar und deutlich zu vernehmen. Der Gesang drang direkt in die Herzen der Menschen und erfüllten sie nicht nur mit Hoffnung, sondern auch mit Stolz. Vielen Menschen standen die Tränen in den Augen. Andere hatte ihre Hände zum Himmel erhoben und stimmten in den Gesang mit ein, selbst wie in Trance sich befindend. Und auch Dazriel fühlte sich berührt, trotz allem, was er gesehen, trotz allem was er erlebt hatte.
Ab Brindisi erschien. Gemäßigten Schrittes trat er, begleitet von blonden Knaben und Mädchen aus dem Petersdom und begann zu den Menschen zu sprechen. Und was er sagte, war so unglaublich, dass niemand es wirklich glauben wollte; denn mit fester und feierlicher Stimme verkündete er nicht weniger als das Ende des zweiten Kreuzzuges gegen die Traumsaat. Jene Kreaturen des Widersachers, welche die Menschheit über Jahrhunderte heimgesucht hatten, sie waren verschwunden und in die Höllenschlünde zurückgekehrt, aus denen sie gekrochen waren. Überall am Rand des Platzes standen Engel und auch der Himmel war mit Engeln erfüllt. Doch dieses Mal hatte der Herr keine neue Herrscharen geschickt, ihnen wie in all den anderen Jahren an diesem Tag die Weihe zuteil werden zu lassen. Statt dessen verkündete der Ab nach und nach die Namen jener Engel, die sich besonders im Kampf gegen die Traumsaat hervorgetan hatten. Ihnen wurde die Ehre zuteil, vom Pontifex persönlich die Auszeichnung und den Dank der Menschheit entgegenzunehmen.
Und so schritten sie, Engel für Engel, und unter den Augen der Gläubigen und vom Lobgesang ihrer Brüder begleitet nach vorne. Die Michaeliten zuvorderst, denn sie waren es, die ihre Scharen angeführt und das Wort des Herr verkündet hatten. Und dann sie, die Streiter Gabriels, dessen heilige Flamme die vorderste Front bildetete im Kampf gegen den Widersacher. Einige der Engel, die vor ihm standen, kannte er von früher. Im Himmel zu Nürnberg hatten sie ihre Ausbildung gemeinsam erfahren, mit einigen hatte er zusammen den Kampf mit dem Flammenschwert gelernt. Er konnte sich erinnern, als wäre es gestern gewesen. Die Angst vor dem Feuer zu verlieren, hatte er erst lernen müssen. Jetzt kam es ihm seltsam vor, als könnte er sich daran erinnern, sich zuvor bereits daran verbrannt zu haben...
Schritt für Schritt näherte er sich dem Pontifex auf seiner hölzerner Ballustrade. In einer einfachen Robe stand er da, zwei hohe Würdenträger zu seiner Seite. Die Engel, von der Statur her kräftiger, aber kaum größer und auch nicht älter wirkend, knieten vor ihm nieder, und nur ihre Flügel wirkten groß und gewaltig, dass es wie ein Ausgleich zu der Würde und Weisheit des Pontifex wirkte, der seit über 500 Jahren auf der Erde weilte und die Menschheit im Namen Gottes führte. Auch die Gabrieliten nahmen ihre Votivbänder entgegen; in der alten Sprache standen darauf Segenssprüche geschrieben, in goldenen Lettern. Von den Heiligen überliefert. Direkt vor ihm kniete Baduriel, eine Gabrielitin mit langem blonden Haar, das sie am Hinterkopf zusammengebunden und mit der silbrigen Brandschutzpaste bestrichen zu einem Turm aufgerichtet hatte, der ihr Erscheinungsbild noch größer wirken ließ. Dazriel hatte sie lange beobachtete, ihre muskulöse, aber schmale Gestalt, ihre geschmeidigen Bewegungen; nun da sie so dicht vor ihm stand, glaubte er sie sogar riechen zu können. Ein Duft, der ihm ausgesprochen gut gefiel.
In den Reihen der Zuschauer war es unruhig geworden. Dazriel bemerkte es zuerst kaum. Ein Mann drängte sich durch die engen Reihen. Nun sah er ihn. Er trug einen dunklen Umhang, der sein Gesicht verdeckte. Die Templer am Fuß der Treppe schienen ihn nicht zu bemerken. Dazriels Sinne aber waren geschärft vom Kampf, auch wenn er sich einen Narren schalt, denn was sollte an diesem Jubeltag schon passieren? Auch als ein Tumult ausbrach und vor einen kurzen Moment das Gesicht des Mannes sichtbar wurde, bemerkten die Templer nichts. Dazriel aber stutzte. War das nicht Herder? Ein Mann, der von der Kirche schon seit Jahren wegen seiner frevelhaften Taten gesucht wurde? Der Gabrielit war ihm einmal begegnet, das war drei Jahre her, in der Nähe von Aachen. Seitdem war sein Name immer wieder gefallen und Dazriel hätte sich verfluchen können für den Tag, an dem er den Mann hatte laufen lassen. Er war gefährlich, er führte etwas im Schilde!
Nun hatte er bereits die ersten Reihen der Zuschauer hinter sich gelassen, und trat an die Templer heran; mit zwei, drei schnellen Handbewegungen und Schlägen hatte der alt wirkende Mann sie tatsächlich ausgeschaltet. Schon stand er allein auf der Treppe und deutete auf den Pontifex. Noch immer lobte dieser Baduriel. Dazriel reagierte als erster.
Ein Sprung, die Muskeln angespannt, segelte er auf den Verräter zu, der in diesem Moment irgendetwas aus seinem Mantel zog. Der Flug war nicht weit, der Engel war heran. Dann riss es ihn herum. Und alles wurde schwarz.

Weiter konnte er sich an nichts erinnern. Herder mußte ihn ausgeschaltet haben. Was war passiert? Es war eine Druckwelle gewesen, ein lauter Knall, eine Explosion? Doch sie hatte nicht seine Brust erfasst, sondern ihn von hinten niedergedrückt. Jetzt schaute Dazriel über seine Schultern; seine Flügel waren tatsächlich angesengt und an vielen Stellen geknickt.
Eine Explosion über ihm? Er schaute sich um. Erst jetzt wurde ihm bewußt, dass die brennenden Trümmer das Podium waren, auf dem der Pontifex gestanden hatte. Und da lag er, hingestreckt, mit blutüberströmter Brust...
Schnell räumte Dazriel die Trümmer beiseite! Er warf alles hinunter! Der Pontifex regte sich nicht. Er nahm den Leib des Jungen; wie leicht er war! Er brauchte Hilfe! Einen Raphaeliten! Dazriel schaute sich um und flog dann auf den Eingang des Petersdomes zu. Wie lange mochte die Explosion her sein? Er sah Menschen, die mit schreckstarren Augen in seine Richtung blickten. Er versuchte den Pontifex vor ihren Blicken zu verbergen, doch seine schlichte Robe schien inzwischen fast sämtliches Blut aufgesogen zu haben, das in dem kleinen Körper steckte. Die Haut war weiß und kalt. Dazriel war sich sicher, dass das nicht sein konnte, dass ein Knabe nach 500 Jahren nicht durch eine solch schändliche Tat zu Schaden kommen konnte! Das würde Gott nicht zulassen, das spürte er...

Im Petersdom war es dunkel, still und leer. Als Dazriel mit dem leblosen Pontifex auf den Armen durch das Portal strich, fühlte er sich elend. Ab Brindisi kam auf ihn zu, auch der alte Mann blutete aus einer Wunde an der Stirn, schien ansonsten aber unverletzt.
„Leg ihn hier ab, Engel!“ befahl er ihm, und Dazriel legte den Pontifex vor den Altar. Das Bild zeigte den Sendungstag. Petrus Maximus stand da auf dem großen Platz und über ihm ging ein helles Licht aus dem Himmel heraus, aus dessen Strahlen die Engel erwuchsen. Eine seltsame Ironie... Nun begann der Ab dem Pontifex die Robe auszuziehen. Die Wunde darunter war verhehrend. Nicht nur der Holzpflock, auch die Wucht der Explosion musste schon ausgereicht haben, um...
„Holt sofort den Jungen!“ rief Ab Brindisi.
...war dies ein Zeichen, dass der Krieg endgültig vorüber war? Ließ der Herr deshalb seinen Sohn als Märtyrer sterben? Dazriel stand vor dem Altar und blickte zum Licht hinauf, das durch die hohen Fenster drang. Ihm war schwindelig. Als er an sich hinab blickte, sah er Blut aus seiner Brust dringen. Darunter war eine klaffende Wunde. Mit dem Finger fühlte er etwas hartes, metallisches tief darin. Doch das war unwichtig! Was war, wenn dies nicht in Gottes Plan gehörte? Was würde geschehen, wenn die Traumsaat zurückkehrte und die Menschheit ohne Anführer wäre, ohne die Stimme des Herrn? Würden die Erzengel erscheinen..?
Ab Brindisi beugte sich zu einem Knaben herunter und legte ihm die blutige Robe über die Schulter. „Zieh das an und dann tritt vors Volk!“
Der Junge drehte sich kurz um – Dazriel traute seinen Augen kaum. Der blonde, zierliche Junge glich dem toten, am Boden liegenden bis aufs Haar. Er wirkte ein wenig jünger, aber – wie war das möglich?
In der schmutzigen Robe lief der Junge vor das Tor des Domes. Als er sprach, konnte man seine Stimme überall auf dem Platz vernehmen.
„Engel, wie ist dein Name?“
Dazriel brauchte einen Augenblick, bis er bemerkte, dass er angesprochen war.
„Dazriel, Herr.“
„Du warst bei jenen, die heute ihre Belobigung erhielten?“
„Erhalten sollten, Herr.“
„Oh, es tut mir leid, wenn du nicht ausgezeichnet wurdest. Denn das eben war nicht für deine Augen bestimmt.“
Der Ab machte eine kaum merkliche Geste mit der Hand. Zwei Templer setzten sich in Bewegung und stürmten heran, sie griffen nach dem Engel. Dazriel brauchte noch einen Moment. Es musste ein Traum sein... Dann stieß er einen der beiden Templer mit seinen Flügeln um, erst dann begriff er, was geschah. Er hörte Befehle, die gerufen wurden. Aufgeregte Befehle. Er riss sich los; er hatte die Tür erreicht und versuchte sich sogleich in die Luft zu erheben. Doch irgendetwas stimmte mit seinen Flügeln nicht; er spürte keinen Druck unter seinen Schwingen, er trudelte und stürzte auf den Michaelsplatz.

Dazriel sah sich um. Die beiden Templer folgten ihm! Andere schlossen sich an. Dort oben stand Petrus Secundus in seinem blutüberströmten Gewand und breitete die Arme aus. Die Zuschauer, eben noch voller Angst und Panik, blieben stehen und blickten ebenso hypnotisiert zu dem Jungen auf wie Dazriel. Einige sanken auf die Knie und lobten den Herrn. Es war ein Wunder. Doch nicht für Dazriel!
Feuer brannte auf dem Platz. Menschen und Engel lagen da, bluteten, starben - und ein Dutzend Templer rannte direkt auf ihn zu.
Dazriel sprintete los, versuchte die Templer abzuschlütteln. Doch er fühlte sich kraftlos, die schweren Flügel auf seinen Schultern waren zum Fliegen gedacht und behinderten ihn mit ihrem Gewicht beim Laufen, mehr als dass sie ihm halfen. Er hatte das Gefühl, auf der Stelle zu laufen, obwohl der Umstand, dass er mit den Flügeln schlug, dafür sorgte, dass der Vorsprung zu den Templern konstant blieb. Doch die Menschen beobachteten ihn, und nur an der Angst in ihren Augen erkannte er, dass sie ihn fürchteten. Für sie hatte die Explosion und das Attentat nun ein Gesicht bekommen; und es war das seine!
 
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