Die Hintergrundwelt von Degenesis

Atreju

breakfast epiphany
Registriert
9. Oktober 2006
Beiträge
2.744
Die Welt von Degenesis – ein Überblick

Mit der Neuauflage von Degenesis und dem damit wieder entflammenden Interesse soll an dieser Stelle ein kurzer Überblick über die Spielwelt gegeben werden. Einige kennen es nicht, andere macht es vielleicht neugierig und wieder andere könnten dem System damit eine zweite Chance geben. Die Regeln sollen explizit nicht betrachtet werden, vielmehr soll man dadurch beispielweise erkennen können, warum die Figuren im Trailer zum Relaunch so handeln, wie sie es tun oder eben ganz einfach einen Blick auf die, wie ich finde, äußerst kreative Welt mit ihren vielfältigen Verflechtungen, Beziehungen und Spannungspotentialen und damit Spielmöglichkeiten bieten.
Also, schnallt die Gasmaske fester auf der Fahrt durch das Ödland und hütet euch vor Sporen.

Das Eshaton – ein Ende und ein Anfang
Im Jahr 2073 wird die Nordhalbkugel der Erde von einem Asteroidenregen heimgesucht. Machtlos muss der Mensch zusehen, wie ihn weder Technik noch Glauben vor dem Untergang retten können. Ganze Landstriche werden vernichtet, Städte entvölkert und die globale Kommunikation bricht durch elektromagnetische Stürme und tonnenweise Staub zusammen. Das Klima beginnt sich in den darauffolgenden Jahren drastisch zu verändern, der ausbleibende Golfstrom sowie der Staub durch Kometeneinschläge und Vulkanausbrüche bringt Kälte nach Europa, während sich die Sahara durch anhaltende Regenfälle in einen blühenden Garten verwandelt und Mittelmeerklima entwickelt. In der Mitte Europas bricht entlang einer gebogenen Linie von Norddeutschland bis Italien der Sichelschlag aufgrund heftiger vulkanischer Aktivität auf, eine gewaltige Narbe im Land, die Deutschland endgültiger trennt als es jede Mauer vermochte. Vom Norden her bildet sich eine Eisbarriere, die bis an die heutigen Küsten Deutschlands heranreichen wird.
Doch diese Zerstörung war nicht das einzige Problem, das die Asteroiden mit sich brachten, denn ihre Fracht war noch viel gefährlicher: der Primer, eine Art Urmaterie, der sich in Europa Pilze als Wirte wählte und als Fäulnis das Land bedeckt. Diese Fäulnis verändert Mensch und Land auf drastische Weise. In Africa wählte sich der Primer Pflanzen als Medium, die aber ebenso Mensch und Umwelt verändern.
In diesem Chaos geht die bekannte Welt unter, neue Ordnungen entstehen auf den Trümmern der alten und 500 Jahre später, die Zeit, die im Spiel dargestellt wird, hat sich das Bild der Welt endgültig gewandelt.

Die Fäulnis – schleichende Versporung
Sechs große Krater haben in Europa den Primer verbreitet, jede Kultur hat ihre eigene Nemesis abbekommen. In Borca, wie das Land, das früher Deutschland war nun heißt, wurde das erste Muttersporenfeld mit einer gefährlichen Mischung aus Nanotechnologie und Chemie besiegt. Die Fäulnis wurde zwar aufgehalten, aber das tote Land breitet sich im Zonenbrand genannten Areal weiter aus.
Die Muttersporenfelder sind der Beginn der Veränderung. Millionen von Myzelen graben sich durch den Boden und verbreiten sich, während Sporen über die Oberfläche gleiten. Dabei ist jedes Fäulnisfeld anders und wirkt sich auf Tier und Mensch anders aus. Die einzelnen Varianten werden dabei Chakren genannt und lassen sich auf die fünf übriggebliebenen Muttersporenfelder zurückführen. Die Knospen der Sporenfelder sind besondere Kostbarkeiten, denn aus ihnen lässt sich die Droge Burn gewinnen. Beim Konsum werden Myzele inhaliert und führen zur Versporung, die Wirkung unterscheidet sich je nach Chakra, allerdings ist allen ein unglaubliches Rauscherlebnis von suchterzeugender Wirkung zu eigen.
Wenn ein Mensch zu viel Versporung abbekommen hat oder als Kind von Burn-Konsumenten auf die Welt kommt, ist er für das jeweilige Muttersporenfeld besonders empfänglich und wird mit der Zeit zu... etwas anderem. Leperos, Entseelte, Absonderliche, Heilige oder Psychonauten, die Bezeichnungen sind so zahlreich wie die Ausprägungen. Manche Kulturkreise oder Kulte sehen sie als tötenswerte Kreaturen, manche als Heilige. Sie zeichnen sich durch besondere Kräfte und ein dem Menschen nicht verständliches Handeln aus, sind aber immer an ihr Muttersporenfeld gebunden bzw. handeln in dessen Interesse, wenn man das so sagen kann.
Die Pheromanten aus Franka sondern Duftstoffe ab, mit denen sie Menschen und Ungeziefer lenken können während die Biokineten aus Pollen ihre Körper stärken und verändern können. Die Dushani aus Balkhan beherrschen Schall und Resonanz, die Prägnoktiker aus Hybrispania können in die Zukunft sehen und die Psychokineten aus Purgare können Kraftfelder erzeugen und kontrollieren.
Jedes Chakra bzw. jeder Psychonaut zieht dabei eine besondere Form von Ungeziefer an: in Franca sind es Ameisen, Wespen und Termiten, in Pollen Spinnen, Skorpione und Tausenfüßler, in Balkhan Fledermäuse, Frösche und Kröten, in Purgare Flöhe, Bandwürmer und Blutegel, in Hybrispania Muscheln, Seesterne und Ammoniten.


Was übrig blieb und neu entstand – die Kulturen
Aus den Trümmern der Welt entstanden neue Länder und Kulturen mit ihren jeweiligen Besonderheiten, auf die im Folgenden eingegangen werden soll.

Borca
Das, was früher Deutschland war, ist durch den Sichelschlag wieder einmal geteilt, aber diesmal ist es ein kilometerlanger, breiter, vulkanischer Graben. Das Land ist eine staubbedeckte Tundra, die sich endlos erstreckt und unter der die Städte des Urvolks darauf warten , ihrer Schätze beraubt zu werden. Das ist es, was die Menschen hier hält, die zahlreichen verborgenen Kostbarkeiten. Im Westen Borcas leben die Menschen auf den Trümmern und Gräbern ihrer Vorfahren während im Osten die Menschen eine einfache, nomadische Lebensweise angenommen haben und mit Herden von Moschusochsen umherziehen. Als einziges Land hat Borca kein Muttersporenfeld und ist eine Bastion im Kampf gegen die Versporung.

Franka
Nach dem Eshaton wurde das ehemalige Frankreich von riesigen Insektenschwärmen heimgesucht, die Bevölkerung fand Hilfe von einigen seltsam verändert wirkenden Menschen und tauschte damit ein Übel gegen ein anderes ein. Franka steht zum Großteil unter der Herrschaft des Muttersporenfeldes und dessen Gesandten, welche die Menschen mit Pheromonen beruhigen und sie friedfertig machen, während sich der Große Schwarm weiterhin durch das Land frisst. Über Franka hängt schwer die Wolke aus Pheromonen und zwingt den Bewohnern den Willen der Sporenfelder auf. Das Land selbst hat sich in eine endlose Sumpflandschaft verwandelt und Städte wie Parasite, ehemals Paris, versinken unaufhaltsam im Schlamm.

Pollen
Der Pandora-Krater in der Nähe des ehemaligen Warschaus gehört zu den größten Kratern und Muttersporenfelder Europas. Wenige freie Flächen sind noch nicht versport oder bieten den meist nomadisch lebenden Menschen eine Möglichkeit für Siedlungen und Ackerbau, jedenfalls solange bis auch diese Fleckchen von den Insekten, Spinnen und Sporen erobert werden und die Menschen wieder weiterziehen müssen auf der Suche nach einer anderen Oase, an der sie einige Zeit leben können. Stille Wälder fristen auf dem Permafrostboden ihr Dasein, während sich die Fäulnis weiter ausbreitet. Ob es in Asien hinter dem undurchdringlichen Gürtel aus Sporenfeldern und Fäulnis noch Leben gibt, ist unbekannt.

Balkhan
Die Menschen, die in den wilden und zerklüfteten Waldregionen leben, sind ebenso wild und ungezähmt wie das Land, das in viele kleine Voivodate zersplittert ist und in dem Bündnisse genauso schnell zerfallen wie sie geschlossen werden. Diese Kriegslust zieht sich bis in die Familien und „Ich gegen meinen Bruder – mein Bruder und ich gegen meinen Onkel – gemeinsam gegen den Rest der Welt“ beschreibt sehr gut, wie es um die streitlustige Seele der Balkhaner gestellt ist. Im Süden kämpft man gegen die über den Bosporus eindringenden Africaner, die Jehammedaner kämpfen gegen Wiedertäufer und das Volk gegen die Raubzüge der Bleicher. Das ganze Land ertrinkt im vergossenen Blut der ständigen Kämpfe.

Purgare
Im Westen erschüttern vulkanische Aktivitäten das Land, die Ausdünstungen des Sichelschlages und zahlreiche kleinere und größere Vulkane machen das Gebiet zur Hölle auf Erden, während im Osten fruchtbare Täler von robusten Bauern beackert werden. Die Purger sind ein Volk des Glaubens, die neognostischen Lehren der Wiedertäufer stießen hier auf reges Interesse und Apokalyptiker haben es schwer im Land. Im Westen haben sich Africaner niedergelassen und unterstützen die Purger im Osten im Kampf gegen die Balkhaner. Ähnlich wie diese halten die Purger die Treue zur Familie hoch und es sind neun große Familien, die über die adriatische Tiefebene herrschen.


Hybrispania
Die iberische Halbinsel wurde vom Eshaton nicht so stark getroffen wie der Rest Europas, lediglich ein kleinerer Einschlag in der Nähe Toledos war zu verzeichnen. Die plattentektonischen Verschiebungen machten aus der Straße von Gibraltar eine Passage auf den dunklen Kontinent, dessen Rohstoffe für das iberische Volk erobert werden sollten. Doch nach den ersten erfolgreichen Vorstößen schlug Africa zurück, verfolgte die Iberier und bestrafte ihre Selbstüberschätzung, indem sie ihrerseits zur Invasion ansetzten und damit sehr erfolgreich waren und erst kurz vor Madrid aufgehalten wurde. In den Dschungeln Hybrispanias tobt seit zwei Jahrhunderten ein erbitterter Guerillakrieg, den keine Seite endgültig für sich entscheiden konnte, doch die Africaner haben die deutlich besseren Karten in puncto Ausrüstung und Kopfstärke, während die Hybrispanier die Hilfe der Prägnoktiker nutzen.

Africa
Die Veränderungen des Eshatons haben aus der Sahara einen blühenden Garten gemacht und die Eroberungsversuche der Europäer haben den Africanern klar gemacht, dass sie sich ein für alle mal gegen den weißen Kolonialismus stellen müssen. Das hat dazu geführt, dass der Löwe Africa nun die dominierende Macht in Europa darstellt. Öl wird von hybrispanischen und balkhanischen Sklaven gewonnen und zu Treibstoff für die zahlreichen Maschinen verarbeitet, mit denen weitere Vorstöße nach Europa durchgeführt werden.
Auch wenn Africa von der Fäulnis verschont blieb, so leidet es doch unter den Auswirkungen des Primers, nur hat er sich hier in psychoaktiven Pflanzen manifestiert. Die Psychovoren manipulieren genau wie die Fäulnis die Menschen, doch leben die Sippen im Süden nahe am Psychovorengürtel in Frieden, denn sie verstehen sich auf einer Ebene der geistigen und seelischen Vereinigung.
Fäulnis und Psychovoren bekämpfen sich gegenseitig und das Gebiet des Mittelmeeres hat mit diesen beiden weitere Kontrahenten im ständigen Kampf um die Vorherrschaft.


Die Kulte – die dreizehn Gesichter der Menschen
Dreizehn Gruppierungen haben sich in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt, die das Geschehen in Europa und Africa dominieren und eine wichtige Rolle spielen. Diese Gruppierungen stehen sich zum Teil feindlich gegenüber und bieten zahlreiches Potential.

Spitalier
Der Kampf gegen die Fäulnis ist das oberste Anliegen dieser Ärzte. Fern jedes hippokratischen Eids sehen sie sich als Skalpell, das die Gesundung des Menschen herbeiführt und neben dem Geschwür auch gesundes Fleisch wegschneiden muss. Mit Fungiziden und Brennern gehen sie gegen die Fäulnis vor, Burner und Psychonauten erwartet bei ihnen ein schlimmes Schicksal. In Borca sorgen sie dafür, dass die Bauern kein versportes Getreide abliefern und kämpfen in ihren Neoprenanzügen mit dem Spreizer (eine Art Lanze/Schere mit einer Molluske in einem Glasgefäß, die auf Versporung reagiert) an allen Fronten gegen die Ausbreitung der Muttersporenfelder.

Wiedertäufer
Die Neognostiker sehen in der Fäulnis die Ausgeburt des Demiurgen, der Gottes Schöpfung und den Menschen verdarb und tun alles in ihrer Macht stehende, um das ewige Leben in Gott zu erreichen. Sie sind geteilt in eine Kämpfer- und eine Bauernkaste und sehr volksnah: schmutzig, vulgär, sympathisch und einfach. Ihre Kennzeichen sind ein Nasenring, der sie als Sklaven ihres Körpers kennzeichnet, zurückgeölte Haare, die in der Schlacht eine freie Sicht ermöglichen und eine Tätowierung aus drei Punkten auf der Stirn. Das Symbol des Kreuzes mit dem gebrochenen Zahnrad findet sich oft auf ihrer Kleidung, Bidenhänder und Brenner sind bevorzugte Waffen. Die Spitalier sind ihre wichtigsten Verbündeten, Jehammedaner ihre erbitterten Feinde.

Richter
Das Gesetz trägt Mantel, Schlapphut, Brille, Muskete und Hammer. Die selbsternannten Ordnungshüter drücken ihre Ansichten auch gewaltsam auf und bringen Dörfer und Gebiete unter die Kontrolle und den Schutz des Protektorates Justitian, der größten und wichtigsten Siedlung in West-Borca. Sie ziehen mit dem Kodex durch das Ödland und bringen Recht und Ordnung in die gesetzlosen Gebiete. Die Gerüchte, die von Korruption und Degeneration sprechen, sind nur Lügen von Verbrechern und Starrköpfen, die sich nicht dem Gesetz beugen wollen.

Schrotter
In den Ruinen des Urvolkes, begraben unter Eis, Schutt und Staub der Tundra, warten zahlreiche Artefakte und Geräte des Urvolkes auf ihre Entdeckung und die Schrotter sind diejenigen, die sie ausbuddeln und finden. Schatzsucher, Glücksritter und meist Einzelgänger sind sie, vertraut mit dem Überleben im Ödland, immer auf der Suche nach dem einen Fund, der das Leben verändern kann und bei den Chronisten einen Haufen Wechsel einbringt. Die meisten erfrieren oder verhungern im Ödland, Unvorsichtige werden von Trümmern erschlagen, von wilden Tieren gefressen oder von Sipplingen vertrieben. Schrotter sind wahre Bastelmeister und es gelingt ihnen, aus dem Schrott, den sie finden, funktionierende Maschinen zu bauen oder zumindest soweit zu reparieren, dass sie wieder brauchbar sind. Meistens jedenfalls.

Apokalyptiker
Lebe jeden Tag, als wäre es dein letzter. Diesem Leitsatz folgend widmen sie alles der Befriedigung ihrer Triebe und existieren in einem Spannungsfeld von Mystik und Gewalt. Die Zugvögel saugen jeden Moment tief ein und zelebrieren jedes Gefühl bis zum Äußersten. Innerhalb einer Schar obliegt die Hackordnung einem stetigen Wandel, die Bezeichnungen für die einzelnen Posten sind Vögeln entlehnt. Elstern sind Huren oder Diebe, Spechte sorgen für die Unterkunft und Störche kümmern sich um Kinder, stehlen sie oder schicken sie zum Arbeiten – bevorzugt in die Sporenfelder, um Burn zu sammeln, das an Wiedertäufern, Spitaliern und Richtern vorbeigeschmuggelt wird, um an die Konsumenten verkauft zu werden.

Chronisten
Dieser Technik-Kult sammelt Geräte und Artefakte aus der Zeit vor dem Eshaton und versucht, den verloren gegangen Stream zu finden. In diesem Datenstrom wurden sämtliche Informationen gespeichert und in manchen Geräten finden sich noch Reste davon. Chronisten verbergen ihr Äußeres unter Kutten, sie tragen Masken und sprechen mithilfe eines Verzerres. Mit Richtern und Spitaliern versteht man sich recht gut, die Schrotter sind die wichtigsten Lieferanten, aber die Wiedertäufer sehen in ihnen Ausgeburten des Demiurgen. Außerhalb der Städte sind sie selten anzutreffen.

Jehammedaner
Benannt nach Jehammed, dem letzten Propheten, versuchen sie aus dem Ödland wieder ein lebenswertes Land zu machen. Ihre Tierherde ist neben dem Glauben der zweite Mittelpunkt ihres Lebens, sie sind sehr reinlich, um Familie und Herde keinen Schaden durch Krankheit und Ungeziefer zuzufügen. Ihr strenges Kastensystem weist jedem eine Bestimmung zu und an ihren einmaligen Tätowierungsmustern sind sie leicht zu erkennen. Sie kämpfen in Hybrispania und Balkhan gegen die Africaner und in Purgare gegen die Wiedertäufer.

Hellvetiker
Das ehemalige Schweizer Militär zog sich während des Eshatons in die Bergfestungen zurück, nur um dann festzustellen, dass kaum noch Volk übrig blieb, das man als Militär beschützen konnte. Inzwischen haben sie ihr Gebiet befriedet und stellen den wichtigsten Verkehrsknoten Europas dar, denn aufgrund des Sichelschlages ist eine andere Passage nicht möglich. Die Alpenfestungen starren vor Waffen und so wagt niemand, die Hellvetiker aus ihrer Neutralität zu treiben, um die Kontrolle über dieses wichtige Gebiet zu erlangen. Sie sind als Söldner in ganz Europa zu finden.

Sipplinge
Die Überlebenden im Ödland werden unter diesem Namen zusammengefasst und dementsprechend groß ist ihre Vielfalt. Von den barbarischen Stämmen an der Eisbarriere über die Bauerndörfer im Ödland bis hin zu purgischen Familien in ihren Dörfern reicht das Spektrum. Jede Sippe will überleben und hat dazu eigene Strategien entwickelt. Es gibt nomadische Hirten, Jäger und Bauern, aber auch welche, die auf uralten Eisenbahngleisen mit dampfschnaubenden Ungetümen umherziehen. Ebenso vielfältig ist der Glauben, bei dem sich zahlreiche Aspekte vermischen und ein schillerndes Sammelsurium darstellt.

Bleicher
Vor dem Eshaton fand eine erhebliche Anzahl an Menschen Schutz in den Bunkern der Recombination Group, einem weltweit agierendem Konzern. Einige besondere Auserwählte, sogenannte Schläfer, wurden in Kälteschlaf versetzt und sollten nach einer bestimmten Zeit, stets ein Vielfaches von hundert Jahren, wieder aufwachen, während die übrigen Bewohner der Bunker sie beschützen sollten. Einige Bunker wurden bald schon verlassen, andere hielten aus – und degenerierten in den folgenden Jahrhunderten, allein in der Dunkelheit, nachdem die Stromversorgung zusammenbrach. Eine schöne Stimme galt im Dunklen mehr als ein kräftiger Körper. Manche Bunker harren immer noch aus, andere sind längst leer, doch manche wurden von den degenerierten Nachkommen geöffnet. Die Welt, die sie vorfanden, muss nur noch auf das Erwachen der Schläfer vorbereitet werden.

Neolybier
Die reiche Elite Africas, Händler mit ausgezeichnetem Geschäftssinn, zu erkennen an den farbenprächtigen Turbanen, die in Schultertüchern auslaufen. Auf der einen Seite bringen sie Africa Wohlstand und Reichtum, auf der anderen Seite handeln sie mit europäischen Sklaven, treiben den Krieg voran und plünderten mit riesigen Drangpanzern und Schiffen die europäischen Ruinen, schickten ihre Schrotter dorthin, wo die Europäer nicht hingelangten und eigneten sich die Artefakte des Urvolkes an. Inzwischen handeln sie mit allen Ländern außer Hybrispania und Balkhan, beides Kriegsherde, in denen die africanischen Soldaten mitkämpfen.

Geissler
Sie sind die Krieger Africas, die Hyänen der Schlachtfelder, die Gesichter verdeckt von weißen Knochenmasken. Sie rächen sich am Weißen Mann für Jahrhunderte der Unterdrückung und zögern nicht, für ihr Volk in den Tod zu gehen. Von der africanischen Trinität sind sie der in Europa gefürchtetste Teil. Als Kriegerkaste halten sie die Ehre der Ahnen ebenso hoch wie den eigenen Körper. Diese Mischung aus Tradition und Moderne zieht sich von ihren Taten bis zu ihrem Äußeren: zu Flakweste und Stahlhelm sind sie barfuß, zu modernen Feuerwaffen gesellt sich der traditionelle Ovalschild.

Anubier
Die africanischen Schamanen kümmern sich um die spirituellen Bedürfnisse ihres Volkes. Sie bedienen sich ausgeprägter Symboliken, allen voran den mehrschichtigen Kreisen und nutzen Knochen, um ihre Meditationen und Visionen zu unterstützen. Während sie daheim als Heiler, Einbalsamierer und Totenhüter fungieren, geben sie in Hybrispania oder Balkhan die Anweisungen, welche Dörfer vernichtet und welche verschont werden sollen. Die Geissler, ihnen treu ergeben, stellen diese Befehle nicht in Frage.


Das Potential – cui bono?
Dem Spiel wird ja gerne nachgesagt, dass es aufgrund seiner Gruppierungen und der damit verbundenen Animositäten schwer bis unspielbar ist – Konfliktpotential ist jedenfalls reichlich gegeben.
Ich sehe das ein wenig anders. Ja, die Spielwelt ist recht düster und die Menschen oft kaputter als die Trümmer, in denen sie hausen, aber über all dem steht die Hoffnung, das alles zu überwinden und die Chance auf einen neuen Morgen zu finden.
Die vielen Kulte, die sich ablehnend bis feindselig gegenüberstehen, zu einem gemeinsamen Handeln zu bringen, Gräben zuzuschütten und Mauern niederzureißen, das sind hehre Aufgaben, denen sich Charaktere stellen können – und oft tragisch daran scheitern.
Oder man spielt das reine, nackte Überleben in einer so feindlichen Welt, dass einem der Tod oft als einfachere Lösung erscheint oder man erhält als Schrotter einen neuen Blick auf unsere Welt mit einer Zeitspanne von fast 600 Jahren.
Die bei den Bleichern bereits erwähnte Recombination Group bietet ebenso Potential, denn die Hinterlassenschaften dieses High-Tech-Konzerns harren immer noch ihrer Entdeckung: terminatorartige Menschmaschinen, die unkontrollierbar erwachen und Ruinenstädte unsicher machen, die Geheimnisse der Schläfer in den Bunkern oder unbekannte Nanotechniken bieten eine technische Herausforderung, die es zu bewältigen und zu verstehen gilt.
Der Kampf zwischen den Kulten ist ebenso ein vielfältiges Thema, man hat die balkhanischen und hybrispanischen Kriegsschauplätze, bei denen man Guerillas, Geissler oder Balkhaner Sipplinge spielen kann. Die Trinität Africas bietet fernab der fäulnisverseuchten Tundra Europas ebenfalls interessante und mystische Spielansätze, genauso wie der Kreuzzug der Wiedertäufer oder die Forschung der Spitalier.
Überhaupt ist der Primer und die Fäulnis ein ganz eigenes Thema. Wenn man davon ausgeht, dass der Asteroideneinschlag nicht zum ersten Mal passiert ist, wäre dann nicht das Leben auf der Erde ursprünglich außerirdisch gewesen? Und warum korrespondiert die Kraft der Muttersporenfelder mit den Energiezentren des menschlichen Körpers? Ist die Fäulnis die Art von Mutter Natur, mit der für sie größten Bedrohung, dem Homo Sapiens, fertigzuwerden und dann als einen ihr ergebenen Nachfolger den Homo Degenesis einzusetzen?

Die Welt von Degenesis bietet eine Fülle an Varianten und Möglichkeiten und vielleicht kann die Neuauflage ein neues Interesse an diesem Spiel und dieser Welt erwecken, verdient hätte sie es allemal.
 
Zurück
Oben Unten