Rezension Heroquest

Registriert
18. Mai 2008
Beiträge
13
Heroquest
Grundregelwerk​

Anhang anzeigen 20035Heroquest ist ein leichtes System. Heroquest ist ein schweres System.
Heroquest ist ein episches Rollenspielsystem, das man quasi als Nachfolger des inzwischen leicht angestaubten Runequest (1975) sehen kann. Nichtsdestotrotz hat sich über die Jahre eine riesige Fangemeinde gebildet, die der Spielwelt Glorantha und ihre vielen Möglichkeiten die Treue gehalten haben.
Nach dem ersten Versuch, das System neu aufzulegen und der Einsicht, dass dieser Versuch (Herowars (2000)) nicht so ganz das war, was in seinem Hinterkopf existiert, hat Grag Steffort, der ursprüngliche Entwickler von Glorantha, mit Heroquest im Jahre 2005 endlich das Spielsystem geschaffen, das er haben wollte.
Das vorliegende Regelwerk, das in Form eines Softcovers oder aber als Ebook erworben werden kann, ist also das Ergebnis jahrelanger Arbeit und gerade auch die Tiefe der Spielwelt, die über die Jahre entstanden ist, machen den Reiz dieses Systems aus.
Heroquest hat den Vorteil, dass man es komplett mit einem Regelwerk spielen kann, also nicht weitere Boxen/Bücher zu Magie, Kampf und Nasebohren braucht, was die Lektüre aber, wie im Folgenden sicher deutlich wird, nicht unbedingt einfach macht.
Trotzdem lohnt sich der Aufwand durchaus, denn bereits nach den ersten Kapiteln wird deutlich. Heroquest ist ein leichtes System.
Nach einigen persönlichen Worten zur Geschichte und Intention von Heroquest, einer kleinen Einleitungsszene und ein paar allgemeinen Worten zum Thema Rollenspiel, wird schon sehr schnell deutlich, dass Heroquest irgendwie anders ist. Der Spieler wird schon auf den ersten Seiten mit dem epischen Hintergrund der gesamten Spielwelt und seiner Rolle in diesem Spiel konfrontiert. Er ist ein Held und die gespielten Konflikte sind nicht geringer, als die direkten Konflikte zwischen diversen Göttern der Spielwelt. Was kann da schon schlimmes passieren?
Das erste, was passieren kann, ist der Charakterbogen, den man nun zu sehen bekommt und anders, als das im ersten Moment wirkt, ist er schon recht komplex. Zwar ist die Struktur, wie ich im gesamten System einfach, aber es empfiehlt sich, zunächst einmal die Core Rules durchzuarbeiten, um dann auch zu verstehen, was die Werte bedeuten, die man einträgt, selbst, wenn man theoretisch frei heraus nach den ersten Kapiteln mit dem Eintragen beginnen könnte. Die nächsten Seiten sind gefüllt mit Erklärungen zu diesem Bogen, was die einzelnen Abschnitte bedeuten und mit was für Werten sie gefüllt werden. Die Vermischung von Regelerklärungen und Bereichserklärung ist in Ordnung und vermutlich auch die beste Art, das zu lösen. Trotzdem wird es an dieser Stelle teilweise etwas unübersichtlich. Zwischen
den Bereichen wird zudem noch erklärt, welche Möglichkeiten der Charaktergenerierung es gibt (wobei hier die „Schreibe 100 Worte, um deinen Charakter zu bauen“-Variante vermutlich die reizvollste ist).
Was folgt sind Keywords, die dem Charakter wertetechnisches Fleisch auf die Knochen geben sollen, wobei es für Neueinsteiger verwirrend sein mag, dass zunächst die Berufe und dann die Völker kommen. Sehr schön in diesem Bereich ist aber die wirklich sehr umfassende Darstellung, auch der Kombinationsmöglichkeiten. Allerdings wird hier auch deutlich, warum man zunächst das Regelwerk durchlesen sollte, ehe man mit einem Charakter startet, denn die Bereiche Homeland, Occupation und Magic sind die drei wichtigsten Schlagworte für einen Charakter und man sollte sich sicher sein, dass man weiß, was auf einen zukommt. Es werden neben den Berufen 10 Keywords für Völker zur Verfügung gestellt, was lange nicht alles ist,
was Glorantha zu bieten hat, aber für den Einstieg ins Spiel ist das völlig ausreichend und aufgrund der Freiheiten, die man im Spiel und in der Spielgestaltung hat (Stichwort: Weiße Flecken auf der Karte), gibt es vermutlich auch genug Möglichkeiten.

Warum dann allerdings bereits der Abschnitt über die Heropoints folgt, erschließt sich mir nicht. Denn erst danach werden die Core Rules soweit erklärt, dass man mit den
Modifikatoren usw. überhaupt etwas anfangen könnte.
Die Regeln allerdings sind dann wieder schön übersichtlich und eingänglich, sowie extrem einfach zu verstehen, da sie universell für alle Talente sind, ob dies nun Kampf, Magie oder das Betören einer/s Angebeteten sind. Die Regeln sind derartig einfach, dass sogar komplexe Auseinandersetzungen wie Gruppenkämpfe und dergleichen mehr auf insgesamt etwa 20 Seiten abgehandelt werden können.
Aufgrund der Besonderheit des Szenarios wird nun noch einmal in einem größeren Abschnitt die Wichtigkeit von Beziehungen dargestellt. Heroquest ist ein episches System mit entsprechendem Hintergrund und es wird von den Machern deutlich Wert darauf gelegt, dass die Ereignisse nicht im Luftleeren Raum stattfinden. Dazu sind sie zu wichtig und genau deswegen wird richtigerweise auch das Spiel mit Beziehungen eingehend erklärt, was bisweilen ein wenig an z.B. die Connection bei Shadowrun erinnert.
Da ein epischer Hintergrund kaum ohne massiven Einsatz von Magie auskommt, ist einer der größten Abschnitte im Regelwerk diesem Thema gewidmet. Das mag zunächst etwas befremdlich wirken, doch schnell fällt ins Auge, dass hier wirklich jeder irgendwie Magie wirken kann. Selbst ein Krieger, der einfach nur an seine Götter glaubt, ist in der Lage, sie um ihre Hilfe zu bitten und bekommt meist seine Bitte gewährt. Vor diesem Hintergrund wird der Umfang der Magieregelungen deutlich, wobei auch hier gilt, dass die eigentlichen regeltechnischen Anteile eher in den Hintergrund rücken. Die langen Ausführungen beziehen sich fast durchgehend auf Hintergrundfragen zu den Hauptrichtungen der Magie, wie z.B. den verschiedenen Gottheiten im Bereich Theismus, Information zum Spiel mit Geistern oder auch verschiedene Zauberergruppierungen für Spruchzauberei. Leider gibt es auch hier ein
wenig unübersichtliche Vermischungen, so finden sich z.B. die Berufsschlagworte für den Zauberer unter Wizardry und nicht bei den anderen Berufsschlagworten. Das macht zwar einerseits Sinn, aber es ist wieder ein Beispiel dafür, warum man zunächst das gesamte Regelwerk lesen sollte.

Ist die Magie abgehakt kann man wirklich guten Gewissens an die Charaktererschaffung gehen und hier zeigt sich einfach deutlich, wie simpel das System ist. Hat man die Schlagworte durch und weiß, was man spielen will, sind neue Charaktere in vergleichsweise kurzer Zeit erstellt, indem man einfach 100 Worte Hintergrundgeschichte mit den besonderen Fähigkeiten (hier ist im Übrigen wirklich alles möglich von „schön aussehen“ bis hin zu „Kampf mit Essstäbchen“) und Ausrüstungsgegenständen schreibt, die Keywords vom Spielleiter überprüfen lässt und seinen Bogen entsprechend ausfüllt. Dann werden die Werte nach Gutdünken auf wirklich alle verschiedenen Schlagworte verteilt („Fingerpüppchen der Unterhaltung auf 3W2“ oder einfach nur „gut kochen“ auf 17) und das Spiel kann beginnen.
Für den Spielleiter ist dann der nächste Abschnitt wieder immens wichtig. Es geht darum, wie erzählt wird. Heroquest ist ein Spiel, das von seiner Gesamtanlage so aufgebaut ist, dass der vorwiegende Teil des Spiels auf dem Erzählen liegt. Es geht um die Geschichte, die man spielt und darauf wird auch an mehreren Stellen immer wieder verwiesen. Damit man erkennt, wie erzählt wird, folgen nun im Regelwerk etliche Seiten zum Erzählen des Rollenspiels, welche Einflüsse der Spielleiter auf die Handlungen nehmen kann und wie bestimmte Elemente im Spiel wirken.

Was noch folgt, ist eine Einleitung in wichtige Elemente des Spiels, wie die namengebenden Heroquests, epische Abenteuer in anderen Welten, wie sie vermutlich nur in wenigen Spielen möglich sind und auf die hier aus Platzgründen nicht weiter eingegangen werden soll, sowie entsprechende Informationen über die Spielwelt Glorantha selbst und ihre Bewohner (in Form von Kreaturen).
Zusätzlich werden dem Spieleinsteiger noch vier Einsteigerszenarien und Tipps zur
Abenteuergestaltung mit auf den Weg gegeben, was zusammen mit den Freiheiten, dieses Systems insgesamt deutlich ausreichend sein sollte.
Den Abschluss dieses epischen Regelwerkes bilden wie üblich Dinge wie ein Blanko-
Charakterbogen zum kopieren, Glossar und Index, sowie noch ein paar Übersichten zu Runen und Beispielgruppen (wobei es sich hier eher um eine Art „Organisationsbeschreibung“ handelt).
Wirklich praktisch für den Spielbetrieb erweist sich dann noch, die im Anhang befindliche Regelübersicht mit Tabelle zu Beispielwiderständen und dergleichen mehr. Das erspart es dem Spielleiter, bei Spezialfragen das ganze Buch durchblättern zu müssen, aber selbst das Nachlesen dieser Regeln ist mit steigender Erfahrung des Spielleiters hinfällig, da Improvisation, wie es ja in allen Systemen üblich ist, hier aufgrund der Gesamtregeln extrem einfach ausfällt.

Fazit:
Das Heroquest-System selbst besticht durch eine verblüffende Einfachheit und durch einfache Erweiterbarkeit. Spielleitern und Spielern werden viele Freiheiten sowohl bei der Ausgestaltung der Welt, als auch der Gestaltung ihrer Charaktere zugestanden, wobei es im Grunde kaum Grenzen gibt. Geht man mit dem Gedanken „Think epic“ an das Spiel heran, so lassen sich hier Abenteuer erleben, die aufgrund ihrer Größe und Machtfülle in anderen Systemen aufgrund von Realismusdenken nicht denkbar wären.
Neben der ungewöhnlichen Charaktererschaffung fällt dem Spieler auch das vergleichsweise fremde „Fähigkeiten“-System auf, wobei hier im Grunde alles eine Fähigkeit sein kann, wie z.B. auch Gegenstände oder Beziehungen und damit den gleichen Regeln unterliegt.
Für Glorantha-Veteranen ist der Einstieg in die Welt natürlich kein großes Problem, während der Neuling zwar eine vergleichsweise gute Einleitung zu lesen bekommt, allerdings schon mit der Komplexität der mythischen Welt ein paar Probleme bekommen könnte.
Was wirklich nicht sonderlich gut am Regelwerk ist, sind einige Inhaltsanordnungen. Es
erweckt bisweilen den Eindruck, als könnte man diese Zusammenhänge verstehen, wenn man in den Kopf der Autoren blickt. Das ist natürlich nicht so gravierend, dass man das Spiel nicht spielen könnte, führt aber doch das eine oder andere Mal zum nervenaufreibenden Umblättern.
Etwas schade ist, dass es, anders als es beim Vorgängersystem Herowars war, keine deutsche Version gibt und da das Paperback nicht überall zu bekommen ist (hier bietet es sich auf jeden Fall an, den Fachhändler deines Vertrauens zu belagern), ist der PDF-Download eine echte Alternative, wenn man nicht unbedingt Papier braucht.
Um nun den Eingangssatz aufzugreifen:
Heroquest ist ein System, das mit dem vorliegenden Regelwerk leicht zu spielen und zu erlernen ist, aber es ist auch ein schweres System, da einerseits der Hintergrund über mehrere Jahrzehnte gewachsen ist, andererseits durch die vielen Freiheiten, die Spielern und Spielleitern hier geboten werden, natürlich auch ein gewisser Anspruch an Aktivität und Kreativität entsteht.
 
Wie funktionieren denn "Proben" in dem System ? Falls es sowas dort überhaupt gibt. Die Sache mit den "Keywords" klingt ja ein bißchen nach Fate, aber ich denke Heroquest geht in eine andere Richtung, oder ?
 
HeroQuest und Fate sind von den Regeln her sehr unterschiedlich haben aber beide gemein, dass sie auf das Erzählerische ausgerichtet sind. Wenn man wilde Würfelschlachten liebt, ist HeroQuest eher ungeeignet. Wenn man unterhaltsame Erzählung liebt, in der auch mal gewürfelt wird, kann HeroQuest dagegen sehr interessant sein.

Proben funktionieren sehr einfach indem man versucht mit einem W20 möglichst nah von unten an seinen Zielwert zu würfeln. Die Spielleiterin macht das gleiche für den Widerstand. Dabei ist grundsätzlich egal, wie die Eigenschaft heißt auf die gewürfelt wird, wenn sie denn inhaltlich passt. Einer könnte z.B. auf die Eigenschaft würfeln "Richtig cooler Schwertkämpfer 13" und die andere "Kann jeden zum Narren halten 15". Das könnte ein sehr lustiges Duell werden.

Schlüsselwörter (Keywords) funktionieren grundsätzlich so wie Eigenschaften. Man kann sie sich selbst aussuchen und ihnen beliebige Namen geben. Manche Eigenschaften können nur so umfangreich sein, dass sie als Schlüsselwörter gelten und andere Eigenschaften als Untereigenschaften haben. So könnte z.B. "Zwerg" ein Schlüsselwort sein, und Untereigenschaften "Gesteinskunde", "Biertrinken", "Verabscheut Alaforn den Elf" etc. Das ist aber nicht in Stein gemeißelt, sondern bleibt ständig flexibel. In einer Spielerunde, in der alle Spieler Zwerge spielen braucht man das eventuell nicht als Schlüsselwort aufzuschreiben, sondern eher Sachen wie "Maurer", "Schmied", "Aus Thorins Blutlinie" etc.
 
Wichtigster Unterschied von HQ-Mechaniken zu "normaleren" Mechaniken: HQ regelt Konfliktauflösung, NICHT Handlungsabwicklung.

Das heißt, daß es sehr wichtig ist klar mit dem SL auszuhandeln, wo der aktuelle KONFLIKT liegt, was hier in diesem Konflikt RISKIERT wird, was also auf dem Spiel steht, welche Konsequenzen es geben könnte, und dann wird mit einem einzigen (vergleichenden) Wurf die QUALITÄT des Konfliktergebnisses bestimmt. (Im Falle eines Simple Contest - es gibt auch Extended Contests, bei denen man "Erfolgsmarker" sammelt, um einen länger währenden Konflikt zu gestalten.)
 
Mein Interesse ist geweckt. Vor allem nachdem ich sah das Robin D. Laws hinter den Regeln steckt ! Warum hatte das keiner erwähnt ? :)

Das (Englische) Regelbuch liegt auf der Festplatte und wird bald genauer studiert. Der erste Eindruck ist schonmal sehr gut (auch wenn die Bilder im Vergleich zu anderen RPG's eher hausbacken wirken). Jetzt ich nur noch abwarten ob wir das auch mal testen können.
 
Also HeroQuest ist mein absolutes Lieblingssystem, was auch der Grund für die Übersetzung war.

Vielen Dank, Zornhau, für den Hinweis. Ja, es ist wichtig festhalten, dass HeroQuest nicht versucht irgendeine Realität objektiv widerzuspiegeln. Vielmehr geht es darum zu schauen, was in der jeweiligen Situation am spannendsten ist oder den besten Unterhaltungswert bietet. Dann passt man die Beschreibung der Realität an diese erzählerische Entscheidung an. Brauchen die Spieler gerade ein Erfolgserlebnis oder eine ernste Herausforderung?
 
Ein Prinzip das Laws sehr am Herzen liegt. Solche Ideen klangen auch schon teilweise in Feng Shui an und machen einen Großteil von "Gutes Spielleiten" aus. Das Prinzip gefällt sicherlich nicht jedem, liegt jedoch genau auf meiner Wellenlinie.

Heroquest scheint dieses Konzept nun tatsächlich in ein Regelsystem zu fassen. Wobei es allerdings wie Fate auch wieder ein System ist, bei dem Spieler profitieren die schwammige Fähigkeiten wählen und gut argumentieren können wie und warum ihre jeweilige Fähigkeit gerade zur Aktion paßt.
 
Das Verhältnis schwammige Eigenschaften zu konkrete Eigenschaften wird im Buch auch behandelt und lässt sich im Spiel leicht lösen.

Wenn dir diese Art des Rollenspiels gefällt ist HeroQuest sicherlich etwas für dich. Vorbestellung ist noch bis zum 10. Mai ;)
 
Sorry, aber mit der Englischen PDF bin ich schon glücklich. Trotzdem schön das ihr es ins Deutsche übersetzt habt. Viel Erfolg damit !
 
Zurück
Oben Unten